Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2020, Az. 4 StR 420/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1628

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Revisionsentscheidung in Strafsachen: Verbot der reformatio in peius im Falle fehlerhafter nachträglicher Gesamtstrafenbildung durch das Tatgericht


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. März 2019 dahin geändert, dass

a) die Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem im Verfahren 96 Ds 574 Js 1566/16 ‒ 20/18 ergangenen Strafbefehl des [X.] und die hiermit gebildete Gesamtstrafe entfallen, und

b) der Angeklagte zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wird.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem im Verfahren 96 Ds 574 Js 1566/16 ‒ 20/18 ergangenen Strafbefehl des [X.] nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit zwei Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. [X.] des [X.]s hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die [X.] dem am 14. Juni 2018 ergangenen Strafbefehl des [X.] zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.

3

a) Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Juni 2016 ‒ 4 StR 73/16, [X.], 275; vom 18. Dezember 2013 ‒ 4 [X.], [X.], 74). Dies gilt nach der Rechtsprechung des [X.] unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. Beschlüsse vom 17. November 2015 ‒ 4 StR 276/15, [X.], 82; vom 7. Mai 2013 ‒ 4 [X.], [X.], 354; Urteil vom 12. August 1998 ‒ 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 22. Juli 1997 ‒ 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2009 ‒ 5 StR 269/09, Rn. 2; vom 17. Juli 2007 ‒ 4 StR 266/07, [X.], 369 f.; vom 7. Dezember 1983 ‒ 1 [X.], [X.]St 32, 190, 193).

4

b) Bei der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Gesamtstrafenbildung hat die [X.] übersehen, dass die mit dem Strafbefehl des [X.] vom 14. Juni 2018 abgeurteilten vier Taten sämtlich vor dem Urteil des [X.] vom 9. Januar 2018 begangen wurden, durch welches der Angeklagte zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist. Die beiden Vorverurteilungen des Angeklagten durch das [X.] vom 9. Januar 2018 und das [X.] vom 14. Juni 2018 sind daher untereinander gesamtstrafenfähig. Demgegenüber wurde die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat erst am 8. Februar 2018 und damit zeitlich nach der zäsurbildenden Entscheidung des [X.] vom 9. Januar 2018 begangen. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des [X.] kommt somit nicht in Betracht.

5

2. Die im angefochtenen Urteil für die neu abgeurteilte Tat verhängte [X.] von zwei Jahren und zehn Monaten kann gleichfalls nicht bestehen bleiben.

6

Das bei alleiniger Revision des Angeklagten zu beachtende verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat im Falle der fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Juni 2016 ‒ 4 StR 73/16, aaO, S. 276; vom 8. Dezember 1995 ‒ 2 StR 584/95, [X.], 265 [LS]; vom 11. Februar 1988 ‒ 4 [X.], [X.]St 35, 208, 212; Urteil vom 3. November 1955 ‒ 3 StR 369/55, [X.]St 8, 203). Die Aufhebung der fehlerhaften Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 14. Juni 2018 führt dazu, dass die in diesem Strafbefehl verhängte [X.] von 120 Tagessätzen jedenfalls vorübergehend neben der im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Freiheitsstrafe bestehen bleibt. Um den aus dem Verschlechterungsverbot resultierenden Anforderungen Rechnung zu tragen, nach denen die Summe aus der im angefochtenen Urteil verhängten Freiheitsstrafe und der Anzahl der Tagessätze aus dem bestehenbleibenden Strafbefehl des [X.] vom 14. Juni 2018 die aufgehobene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat nicht übersteigen darf (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Mai 2013 ‒ 4 [X.], [X.], 354 f. mwN), setzt der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Freiheitsstrafe für die im angefochtenen Urteil ausgeurteilte gefährliche Körperverletzung auf zwei Jahre und neun Monate herab.

7

3. Der nur geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Sost-Scheible     

        

Cierniak     

        

Bender

        

Quentin     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 420/19

26.02.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 21. März 2019, Az: 7 Ks 17/18

§ 358 Abs 2 S 1 StPO, § 55 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2020, Az. 4 StR 420/19 (REWIS RS 2020, 1628)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1628

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 420/19 (Bundesgerichtshof)


4 StR 269/18 (Bundesgerichtshof)

Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe


4 StR 321/22 (Bundesgerichtshof)

Ausspruch über Gesamtfreiheitsstrafe bei Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus Vorverurteilung


2 RVs 17/14 (Oberlandesgericht Hamm)


5 StR 330/23 (Bundesgerichtshof)

Möglichkeit der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe bei Vorliegen zweier Vorverurteilungen


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.