BT-Drucksache 18/850

Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern - Haftpflichtproblematik bei Hebammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken

Vom 19. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/850
18. Wahlperiode 19.03.2014

Antrag
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Ulle
Schauws, Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Kai Gehring, Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, Britta
Haßelmann, Anja Hajduk, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Beate
Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer, Dr. Julia
Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern – Haftpflichtproblematik bei
Hebammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Hebammen und Gynäkologinnen/Gynäkologen leisten einen wichtigen Beitrag
für Eltern und Kinder vor, während und nach der Geburt. Laut Gutachten des
IGES-Instituts (IGES-Gutachten für das BMG: „Versorgungs- und Vergütungssi-
tuation in der außerklinischen Hebammenhilfe“, 19. März 2012) ist die Zahl der
in Deutschland tätigen Hebammen zwischen den Jahren 2000 und 2010 von
16 000 auf ca. 21 000 gestiegen. Die flächendeckende Versorgung mit Geburts-
hilfe ist nicht für alle Regionen gesichert und die wohnortnahe Versorgung – vor
allem in strukturschwachen Gebieten – gefährdet. In solchen Regionen entfallen
z. T. Geburtsabteilungen oder Krankenhäuser schließen gleich komplett.

In einer besonders prekären Situation befinden sich freiberufliche Hebammen,
die Geburtshilfe anbieten – von den insgesamt ca. 21 000 in der Bundesrepublik
Deutschland tätigen Hebammen sind das ca. 3 000 bis 3 500. Nach Angaben des
Deutschen Hebammenverbandes (DHV) und des Bundes freiberuflicher Hebam-
men Deutschlands (BfHD) sind in den vergangenen Jahren immer mehr Hebam-
men insbesondere aus der Geburtshilfe oder gar gänzlich aus dem Beruf ausge-
stiegen. Das Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland berichtet, dass immer
mehr Geburtshäuser schließen müssen. Dadurch wird die Wahlfreiheit von wer-
denden Eltern, insbesondere der Mütter, wo und wie sie ihr Kind gebären möch-
ten, auf unzumutbare Weise eingeschränkt.

Begründet ist dieser Rückzug durch die steigenden Kosten der Berufsausübung,
vor allem durch die stetig steigenden Prämien zur Haftpflichtversicherung für
Hebammen, die Geburtshilfe anbieten. So ist etwa die Prämie für die Gruppen-
haftpflichtversicherung des DHV zwischen 1998 von 394 Euro auf 3 689 Euro im
Jahr 2010 gestiegen (vgl. IGES-Gutachten 2012). In diesem Jahr soll sie auf über
5 000 Euro ansteigen.

Durch den für 2015 angekündigten Ausstieg der Nürnberger Versicherung aus
den Gruppenverträgen für Hebammen, die im DHV oder im BfHD organisiert

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sind, hat sich die Lage noch einmal zugespitzt und erfordert ein umgehendes
Handeln. Bereits am 21. Februar 2013 hat der Deutsche Bundestag bei seinem
Beschluss zur Petition der Präsidentin des DHV die Bundesregierung aufgefor-
dert, tätig zu werden.

Auch Gynäkologinnen/Gynäkologen, die in Krankenhäusern als Belegärzte in der
Geburtshilfe arbeiten, haben mit drastisch gestiegenen Haftpflichtprämien zu
kämpfen. Der Versicherungsmarkt schrumpft auch hier, vorerst vor allem für
Berufsanfänger/-innen. Neu niedergelassene Gynäkologinnen/Gynäkologen wer-
den von Versicherern wie Alte Leipziger, Nürnberger oder Generali nicht mehr
versichert (Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(1-2): A-18 / B-16 / C-16).

Die Versicherungsprämien, die Krankenhäuser für ihre angestellten Hebammen
und Gynäkologinnen/Gynäkologen zu entrichten haben, steigen ebenfalls seit
Jahren kräftig.

Diese Entwicklung ist nicht durch eine Zunahme der Schadensfälle im Bereich
der Geburtshilfe begründet, sondern vor allem im Anstieg der individuellen
Schadenssummen. Die Ursachen dafür sind insbesondere die deutlich längere
Lebenserwartung von Kindern mit Geburtsschäden, wesentlich höhere Schadens-
ersatzsummen oder Schmerzensgeldzahlungen sowie Regressforderungen der
Sozialversicherungsträger für medizinische Behandlung und Pflege oder Renten-
zahlungen.

Es braucht nun dringend eine Lösung, die eine weitere Erosion insbesondere der
außerklinischen Geburtshilfe verhindert. Neben einer kurzfristigen Lösung für
das Problem der stetig steigenden Haftpflichtversicherungsprämien gehören dazu
auch Konzepte für neue Versorgungsformen. Es müssen zügig geeignete Hand-
lungsansätze erarbeitet werden, die eine flächendeckende und qualitätsgesicherte
Versorgung mit geburtshilflichen Leistungen gewährleisten können. Darüber
hinaus ist aber auch eine langfristig tragfähige Lösung des Problems steigender
Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung in allen Gesundheitsberufen erforder-
lich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zur kurzfristigen und dauerhaften Sicherstellung einer wohnortnahen ge-
burtshilflichen Versorgung und der freien Wahl des Geburtsortes
1. unverzüglich dafür Sorge zu tragen, dass die Verpflichtung der Krankenkas-

sen nach § 134a Absatz 1 SGB V, Kostensteigerungen durch die gestiegenen
Haftpflichtprämien in der Vergütung der Geburtshilfe abzubilden, verbind-
lich eingehalten wird sowie sich gegenüber den Anbietern privater Berufs-
haftpflichtversicherungen dafür einzusetzen, auch künftig Versicherungsver-
träge, insbesondere Gruppenverträge, für Hebammen anzubieten, so dass de-
ren Berufsausübung kurzfristig sichergestellt bleibt;

2. sehr zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, der in mittelfristiger Perspekti-
ve für eine begrenzte Übergangsphase von wenigen Jahren zum Ziel hat, die
Kosten der Berufshaftpflichtversicherung zu senken. Dazu ist die Prüfung in
Betracht kommender Modelle, wie beispielsweise ein Haftungsfonds oder ei-
ne Regressbeschränkung, zügig abzuschließen;

3. zügig eine grundlegende Neuordnung der Regelungen zur Berufshaftpflicht
für alle Gesundheitsberufe in Angriff zu nehmen, die in langfristiger Per-
spektive in Kraft treten soll. Dazu ist im ersten Schritt eine Untersuchung in
Auftrag zu geben, die die Möglichkeit prüft, die Regelungsprinzipien der ge-
setzlichen Unfallversicherung auf eine Berufshaftpflichtversicherung für alle
Gesundheitsberufe bzw. deren Arbeitgeber (wie z. B. Krankenhäuser) zu
übertragen;

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4. eine regelmäßige Bestandsaufnahme der geburtshilflichen Versorgung in
Deutschland vorzunehmen, auf deren Basis Empfehlungen zur Verbesserung
und zur Gewährung einer flächendeckenden und qualitätsgesicherten Versor-
gung mit geburtshilflichen Leistungen abgegeben werden sollte.

Berlin, den 18. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Zu 1.

Im Jahr 2013 haben die Berufsverbände der Hebammen BfHD und DHV mit dem GKV-Spitzenverband
nach § 134a Absatz 1 Satz 3 SGB V die Vereinbarung geschlossen, dass die Kostensteigerungen durch die
gestiegenen Haftpflichtprämien bei der Vergütung berücksichtigt werden. Die bestehenden Vereinbarungen
haben dennoch die Situation für zahlreiche insbesondere freiberufliche und Beleg-Hebammen nicht oder
nur geringfügig verbessert. Dies betrifft insbesondere solche Hebammen, die nicht in der Lage sind, die
Zahl der von ihnen betreuten Geburten etwa in ländlichen Regionen so zu steigern, dass sie über die ent-
sprechend erhöhten Vergütungssätze der Kostenträger eine Kompensation der steigenden Haftpflichtprä-
mien erreichen können. Angesichts der aktuellen Zuspitzung ist es aber notwendig, gegenüber den gesetzli-
chen Krankenkassen sehr intensiv darauf hinzuwirken, zügig Vergütungsvereinbarungen mit den Hebam-
men-Verbänden zu schließen, die einen vorübergehenden Ausgleich ermöglichen.

Allerdings kann diese Lösung allenfalls akut eine gewisse Hilfestellung leisten, wird aber schon mittelfris-
tig an Grenzen stoßen. Grundsätzlich macht die Regelung in § 134 SGB V die Hebammen-Haftpflicht-
versicherung für Versicherungsunternehmen nicht attraktiver und kann somit einen weiteren Prämienan-
stieg nicht aufhalten.

Neben den hohen Versicherungsprämien wird ein weiteres Problem offensichtlich: Die Haftpflichtver-
sicherung für Hebammen und Gynäkologen/GynäkologInnen ist für Versicherungsunternehmen unattraktiv.
Wie lange bspw. die Gruppenverträge für im DHV und im BfHD organisierte Hebammen noch fortbeste-
hen, ist ungewiss, sofern nicht sofort Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Einzelversicherungen, die für
freiberufliche Hebammen mit aktiver Geburtshilfe z. B. von der Allianz, AXA und DBV-Winterthur ange-
boten werden, stellen ebenfalls keine Lösung dar, da sie in der Regel noch teurer sind und im Schadensfall
vom Versicherungsunternehmen gekündigt werden.

Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung einer flächendeckenden geburtshilflichen Versorgung
muss sich die Bundesregierung daher auch gegenüber den Versicherungsunternehmen dafür einsetzen, dass
diese auch weiterhin Berufshaftpflichtversicherungen für Hebammen anbieten, um die akute Gefährdung
der Geburtshilfe in Deutschland abzuwenden. Zumindest in kurzfristiger Perspektive stehen die Versiche-
rungsanbieter hier nach Ansicht der Antragsteller auch in einer gesellschaftlichen Verantwortung.

Zu 2.

Bereits seit einigen Jahren werden diverse Modelle diskutiert, die eine Absenkung der Haftpflicht-
versicherungskosten bzw. ein Abbremsen ihres Anstiegs ermöglichen sollen. Die jährliche Gesamtscha-
denssumme für Geburtsschäden, die durch Hebammen verursacht wird, kann nur grob geschätzt werden,
dürfte aber vermutlich im einstelligen oder maximal geringen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich liegen.

So könnte eine Beschränkung der Höhe der Regressforderungen der Sozialleistungsträger an die Ver-
sicherungsunternehmen bei Geburtsschäden vorgenommen werden, Damit würde ein kostentreibender Fak-
tor gedämpft, nämlich der starke Anstieg bei den Pflege-, Rehabilitations- und Rentenkosten. Bei einer
Begrenzung der Regresshöhe auf bspw. 2 Mio. Euro würde es den Versicherungsunternehmen ermöglicht
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werden, das maximal versicherte Schadensvolumen abzusenken. Somit entstünde ein neuer kalkulatorischer
Spielraum, den die Versicherungsunternehmen nutzen können, um die Prämien ebenfalls zu senken.

Die Ausnahmeregelung ließe sich in diesem Falle dadurch begründen, dass sie nicht auf einen einzelnen
Berufsstand, sondern auf Geburtsschäden abzielt, bei denen es oft sehr schwierig ist, die Ursache der Schä-
digung eindeutig zuzuordnen.

Die in der Diskussion befindlichen Fondsmodelle sehen – wie eine Beschränkung der Regressforderungen
auch – eine deutlich geringere Haftungsobergrenze der Haftpflichtversicherungen vor. Für darüber hinaus
gehende Schadenssummen würde dann der Fonds haften. Auch dadurch wären die Versicherer in die Lage
versetzt, ihre Prämien neu zu kalkulieren und diese abzusenken. Je nach Modell würde ein solcher Fonds
aus Steuermitteln, Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung oder auch unter Beteiligung der Versiche-
rungsunternehmen und/oder der Hebammen selbst finanziert.

In beiden Ansätzen – Regressbeschränkung oder Fonds – würden die Ansprüche der geschädigten Kinder
und ihrer Familien in keiner Weise beschnitten. Allen diskutierten Modellen ist jedoch gemein, dass sie
keine systematischen Lösungen darstellen und mit – wenn auch unterschiedlichen – Nachteilen behaftet
sind. Es bedarf daher einer zügigen Abwägung der Vor- und Nachteile, etwa in Bezug auf den bürokrati-
schen Aufwand, und der Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, um eine schnellstmögliche Um-
setzung zu gewährleisten. Beide Ansätze können daher allenfalls in einer begrenzten Übergangsphase von
wenigen Jahren zum Einsatz kommen, um eine reale Absenkung der Haftpflichtprämien zu erreichen und
so die weitere Berufsausübung der Hebammen zu sichern.

Zu 3.

Langfristig ist eine grundlegende Neuordnung der Berufshaftpflicht vonnöten. Da das Problem stetig stei-
gender Haftpflichtprämien nicht allein die Hebammen/Geburtshelfer betrifft, sondern alle Gesundheitsberu-
fe, ist es sinnvoll, das Problem auch für möglichst alle Gesundheitsberufe gemeinsam zu lösen. Die Über-
tragung der Regelungsprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Berufshaftpflichtversiche-
rung für alle Gesundheitsberufe würde eine kollektive Haftung aller Gesundheitsanbieter gegenüber den
Patientinnen/Patienten begründen. Es würden weiterhin die unterschiedlichen Risiken einzelner Berufs-
zweige berücksichtigt. Neben den unterschiedlichen Risiken zur Berechnung der Prämien gibt es in der
Unfallversicherung jedoch Ausgleichselemente wie etwa die Arbeitsentgeltsumme des Arbeitgebers. Unter-
nehmen haben zudem die Möglichkeit, Zu- und Abschläge aufgrund des tatsächlichen Unfallgeschehens zu
erheben. So bliebe – übertrüge man das auf die Berufshaftpflichtversicherung für Gesundheitsberufe – ein
starker Anreiz zur Prävention bzw. Verhinderung von Gesundheitsschäden bestehen. Über das Prinzip, dass
in der Unfallversicherung sowohl Selbstständige als auch Angestellte versichert sind, könnten freiberufliche
Hebammen/Geburtshelfer und Gynäkologinnen/Gynäkologen, die als Belegärzte in der Geburtshilfe arbei-
ten, einbezogen werden.

Dieser Ansatz ist nicht neu (siehe Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Bundestagsdrucksache 17/9242) Er erfuhr im März 2014 (vgl. Berliner Zeitung vom 04. März 2014, „Die
gesetzliche Unfallversicherung soll einspringen“) Unterstützung durch Franz Knieps, Vorstand des BKK-
Dachverbandes und von 2003-2009 Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, Gesetzliche Krankenver-
sicherung, Pflegeversicherung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Es habe zu seiner Zeit im
BMG Vorüberlegungen in diese Richtung gegeben. Diese sollten in der geforderten Untersuchung einbe-
zogen werden.

Zu 4.

Neben den steigenden Haftpflichtprämien stellen sich aber auch relevante Versorgungsfragen, die sich –
neben dem Berufsausstieg freiberuflicher Hebammen, die Geburtshilfe anbieten und der Schwierigkeit neu
zugelassener Gynäkologen, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen – in den Schließungen von
Geburtsabteilungen oder gar ganzer Krankenhäuser sowie Geburtshäusern abzeichnen. Bei der Sicherstel-
lung einer flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe müssen Qualitätsaspekte definiert werden. Dabei
wäre z. B. im Hinblick auf das Hebammenwesen auch zu fragen, ob das Credo der 1:1-Betreuung einen
wirklichen Beitrag zur qualitätsgesicherten Geburtshilfe leistet oder ob es nicht sinnvoll wäre, wenn Heb-
ammen, die Geburtshilfe anbieten, auch eine bestimmte Anzahl von Geburten innerhalb eines festgelegten
Zeitraums vorweisen sollten. Zur Klärung solcher Fragen könnte auch ein internationaler Vergleich mit
dem Hebammenwesen anderer Länder, wie etwa den Niederlanden, aufschlussreich sein.

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