BT-Drucksache 18/8436

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/7457, 18/8434 - Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens

Vom 11. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8436
18. Wahlperiode 11.05.2016
Entschließungsantrag

der Abgeordneten Lisa Paus, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke,
Britta Haßelmann, Dr. Gerhard Schick, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Anja Hajduk, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/7457, 18/8434 –

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens unter der Überführung der Steuer-
verwaltungen in das digitale Zeitalter ist richtig und angemessen.
Bei der zukünftigen Veranlagung von Steuererklärungen unter Einsatz eines Risiko-
managementsystems (§ 88 Abgabenordung – Entwurf) bedarf es jedoch zwingend
einer Ergebniskontrolle, die bislang nicht in dem Gesetzentwurf enthalten ist. Eine
Evaluation ist dringend sicherzustellen. Dazu müssen Daten erhoben und Kriterien
für die Evaluation festgelegt werden. Es muss von Anfang an feststehen, welche An-
forderungen zu erfüllen sind und welche Fehler das Risikomanagementsystem nicht
machen darf. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine unabhängige
Instanz das Risikomanagementsystem einer regelmäßigen Überprüfung unterziehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht zur Grundlage bei der Steuerver-
anlagung zu machen. Dazu sind die vorgesehenen Vorschriften zu den unbe-
stimmten Rechtsbegriffen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit in
§ 88 AO-Entwurf vollständig zu streichen;

• zusätzlich zu den zu evaluierenden Wirkungszielen eine Ergebniskontrolle für
das Risikomanagementsystem (RMS) wie folgt sicherzustellen*:

* siehe Stellungnahme des Chaos Computer Clubs, Linus Neumann, zur Anhörung am 13.04.2016 zum Ge-
setzentwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens.

Drucksache 18/8436 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

o Sicherstellung von Objektivität, Reliabilität und Validität: Eine mindes-
tens jährliche Überprüfung der auf Basis des RMS getroffenen Auswahl
muss vorgeschrieben werden. Gegenstand der Überprüfung müssen ne-
ben Objektivität, Reliabilität und Validität des RMS auch Diskriminie-
rungstendenzen und „blinde Flecken“ beim Erkennen von Betrugsmus-
tern sein. Defizite im Erfüllen der Anforderungen müssen umgehend be-
hoben werden. Die Ergebnisse der Überprüfung müssen jeweils veröf-
fentlicht werden. Der durch Zufall ausgewählte Anteil sollte 50 % nicht
über-, jedoch 25 % nicht unterschreiten, um eine ausreichende Basis zum
Erkennen von Verzerrungstendenzen und Verbesserungspotenzialen zu
bieten und das gesellschaftliche Risiko eines fehlerhaften RMS einzu-
grenzen.

o Gewährleistung von Nachvollziehbarkeit und Anfechtbarkeit: Jede an
das RMS gerichtete Abfrage muss inklusive der vom RMS generierten
Prüfempfehlungen verfälschungssicher und nachvollziehbar dokumen-
tiert (geloggt) werden. Das RMS muss technisch gegen Manipulationen
geschützt werden. Auch Auswahlergebnisse, die vollständig oder teil-
weise auf einer Komponente des Zufalls bestehen, müssen reproduzier-
bar sein und dokumentiert werden. Relevante Initialisierungskomponen-
ten für deterministische Zufallsgeneratoren müssen durch eine unabhän-
gige Instanz verbindlich vorgegeben und dokumentiert werden.

o Transparenz: Für technische Einzelheiten des RMS muss die grundsätz-
liche Maßgabe der Transparenz gelten. Das RMS muss derart gestaltet
sein, dass die geheimen Komponenten des RMS auf ein Minimum redu-
ziert werden und im Falle eines Bekanntwerdens leicht austauschbar
sind, um eine fortwährende Funktionalität zu gewährleisten.

o Verhinderung von Willkürentscheidungen: Die Ablehnung einer durch
das RMS generierten Prüfempfehlung erfordert eine schriftliche Begrün-
dung durch den verantwortlichen Sachbearbeiter. Für eine Prüfanord-
nung, die nicht auf Basis einer Empfehlung des RMS erfolgt, ist eine
schriftliche Begründung durch den verantwortlichen Sachbearbeiter er-
forderlich.

o Kontrolle von Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßig-
keit: Die Objektivität, Reliabilität und Validität des RMS müssen nach
regelmäßigem Turnus durch eine unabhängige, demokratisch legitimier-
te Prüfinstanz bestätigt werden. Die Implementierung und Testkriterien
des RMS müssen gegenüber der Prüfinstanz offengelegt und vollständig
überprüfbar gemacht werden. Die Prüfinstanz ist zur Geheimhaltung der
kritischen Parameter des RMS verpflichtet. Entsprechende Ressourcen
zur Sicherstellung einer gründlichen und unabhängigen Arbeit der
Prüfinstanz müssen bereitgestellt werden;

• bei Einsatz des Risikomanagementsystems (§ 88 AO-Entwurf) eine ausrei-
chend hohe Zufallsauswahl an Steuererklärungen sicherzustellen, die, obwohl
nicht vom RMS ausgesteuert, nicht automatisch veranlagt, sondern von Sach-
bearbeitern auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Zufallsauswahl muss es
ermöglichen, Steuermindereinnahmen aufgrund des Risikomanagementsys-
tems repräsentativ evaluieren zu können.

Berlin, den 10. Mai 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8436
Begründung

Ziel des Gesetzentwurfs ist es, dass mit Hilfe eines Risikomanagementsystems, unter Beachtung der Wirt-
schaftlichkeit, eine Vielzahl von Steuererklärungen vollständig automatisch bearbeitet wird.
Die Veranlagung von Steuern unter Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsaspekten sowie unter Anwen-
dung eines Risikomanagementsystems birgt die Gefahr der fehlenden Kontrolle. Die Einführung von unbe-
stimmten Rechtsbegriffen wie „Wirtschaftlichkeit“ und „Zweckmäßigkeit“ ist daher abzulehnen. Es besteht
die Gefahr, dass ansonsten Aufgaben des Gesetzgebers in hohem Umfang auf die Verwaltung verlagert werden.
In einem Rechtsstaat müssen Entscheidungen bei der Steuerveranlagung, die aus Wirtschaftlichkeitsgründen
getroffen werden, nachvollziehbar und überprüfbar sein. Bislang ist das anhand von Steuerakten und Vermer-
ken durchaus möglich. Im Fall eines Risikomanagementsystems, das schon heute in den Steuerverwaltungen
angewendet wird, ist jedoch die Frage danach zu stellen, wie dieses System und seine Parameter überprüfbar
bleiben und wer dieses Kontrolle vollzieht. Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn – wie es im Ge-
setzentwurf enthalten ist – die Programmierung des Risikomanagementsystems nicht öffentlich gemacht wer-
den kann.

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