BT-Drucksache 18/8245

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern - Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten

Vom 27. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8245
18. Wahlperiode 27.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr. Konstantin von Notz,
Tabea Rößner, Özcan Mutlu, Dieter Janecek, Katja Dörner, Luise Amtsberg,
Volker Beck (Köln), Katja Keul, Monika Lazar, Irene Mihalic, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern ‒ Urheberrecht bildungs- und
wissenschaftsfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wissenschaft und Forschung können immens von den digitalen Möglichkeiten pro-
fitieren. Denn Wissen wächst, wenn es geteilt wird. Modernes Lernen, Lehren und
Forschen ist auf ein bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht angewiesen.
Doch noch immer bestehen urheberrechtliche Hindernisse, die Studierenden, Leh-
renden, Lernenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zugang zu
Wissenschafts- und Bildungsmaterialien erschweren.
Eines dieser Hindernisse besteht darin, dass bis heute eine umfassende Bildungs-
und Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht fehlt. Sie würde es Lehren-
den, Lernenden und Forschenden erleichtern, publizierte Werke jedweder medialer
Art für den nicht gewerblichen, wissenschaftlichen Gebrauch grundsätzlich geneh-
migungsfrei und ohne Einschränkungen zu nutzen. Ziel muss es dabei sein, den für
Bildung und Wissenschaft notwendigen Zugang zu digitalen Werken unter ange-
messenen und für alle Seiten fairen Bedingungen zu gewährleisten. Zugleich soll
eine solche Regelung ermöglichen, die digitalen Potenziale für Bildung und For-
schung in der Breite nutzen zu können.
Seit nunmehr über sechs Jahren kündigen die letzten beiden Bundesregierungen un-
ter Führung der Union eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht
(unter anderem als Teil des sogenannten „Dritten Korbs“ der Urheberrechtsreform)
an.
Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat in der letzten Le-
gislaturperiode der Bundesregierung mit der Zustimmung aller Fraktionen empfoh-
len „zu prüfen, ob im Urheberrecht eine allgemeine Bildungs- und Wissenschafts-
schranke, die die bestehenden Schrankenprivilegierungen für Wissenschaft und For-
schung zusammenfasst, verankert werden soll, um die Nutzung und Verbreitung von
wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Breite umfangreicher zu ermöglichen“
(Bundestagsdrucksache 17/12029, Zwischenbericht Bildung und Forschung,
S. 90 f.). Die CDU, SPD und CSU versprachen in ihrem Koalitionsvertrag, dass die
von ihnen getragene Bundesregierung „den wichtigen Belangen von Wissenschaft,

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Forschung und Bildung stärker Rechnung tragen und eine Bildungs- und Wissen-
schaftsschranke einführen“ werde (Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 93).
In ihren Vorhaben zur „Digitalen Agenda“ hat die Bundesregierung dieses Anliegen
bekräftigt: „Insbesondere soll eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt
werden“ (Digitale Agenda 2014 – 2017, S.27). Im März 2015 forderten die Bundes-
tagsfraktionen der CDU/CSU und SPD in ihrem Antrag „Durch Stärkung der Digi-
talen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden“ (Bun-
destagsdrucksache 18/4422, S. 4) die „Einführung einer einheitlichen Bildungs- und
Wissenschaftsschranke“. Im Juli 2015 schließlich wurde dieser Antrag mit der
Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Trotz zahlreicher Ankündigungen hat die Bundesregierung noch immer keinen ent-
sprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Entsprechend reißen Forderungen nach der Einführung einer allgemeinen Bildungs-
und Wissenschaftsschranke nicht ab. Im März 2016 wurde das Forschungsprojekt
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum „Mapping OER“
abgeschlossen. Der erarbeitete und nun veröffentlichte „Praxisrahmen für Open
Educational Resources (OER) in Deutschland“ enthält auch Anforderungen für die
Bereiche Rechtssicherheit und Lizenzierung. Als zweitbeste Lösung wird der Um-
weg über freie Lizenzen dargelegt. Die sinnvollste Lösung ist nach Auffassung der
Autorinnen und Autoren aber eine allgemeine Bildungsschranke im Urheberrecht
(a. a. O., S. 25). Auch die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bun-
desregierung fordert die Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke im
Urheberrecht. Schon in ihrem Jahresgutachten 2015 hielt sie „ein Umdenken“ für
geboten, mit Blick auf eine „innovationsfreundliche Gestaltung“ des Urheberrechts
(s. EFI 2015, S. 68). Und auch der Bundesrat forderte die Bundesregierung auf, eine
„möglichst allgemein gefasste Schrankenbestimmung“ für ein „wissenschaftsadä-
quates Urheberrecht“ anzustreben (Bundesratsdrucksache 643/13 (Beschluss)). Er-
wartet wird zudem, dass die EU-Kommission für die Nutzung urheberrechtlich ge-
schützter Werke in Lehre und Forschung „die gegebenenfalls noch fehlenden Vo-
raussetzungen für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ schafft
(Bundesratsdrucksache 15/16 (Beschluss)).
Nach über zehn Jahren wurde die Sonderregelung zur erlaubnis- und vergütungs-
freien öffentlichen Zugänglichmachung für Lehre, Lernen und Forschen endlich von
seiner zeitlichen Befristung befreit (Entfristung des § 52a Urhebergesetz). Dieser
Minimalschritt ermöglicht zwar weiterhin einen gewissen Zugang, schafft aber keine
umfassende und klare rechtliche Regelung, die auch leicht verständlich und vermit-
telbar ist und so den Wissensfluss erleichtert.
Auch ein durch das BMBF unterstütztes Rechtsgutachten ergab, dass diese minimale
Änderung nicht ausreicht. Zusammenfassend wird kritisiert, wie schädlich das Feh-
len einer klaren Norm für Bildung und Wissenschaft ist: „Die für Bildung und Wis-
senschaft relevanten urheberrechtlichen Schranken erfassen in der Regel nur eng
umrissene Sachverhalte, sind wenig technologieoffen und nicht allgemein verständ-
lich formuliert. Zudem sind sie über mehrere Einzelnormen hinweg verstreut. Das
führt zu großer Rechtsunsicherheit für Forscher, Wissenschaftler und Lehrer, aber
auch für Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken, Archive und Museen“ (Allge-
meine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, Katharina de la Durantaye, 2014,
S. 1).
Eine klare und weite allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke für For-
schung, Lehre und Lernen ist im digitalen Zeitalter für die Zukunftsfähigkeit einer
Wissenswirtschaft und Wissensgesellschaft überfällig. Damit urheberrechtlich ge-
schützte Werke im Bereich des Lernens, der Lehre und Forschung frei genutzt wer-
den können, bedarf es grundsätzlicher Ausnahmeregelungen („Schranken“), die eine

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Nutzung ohne Zustimmung des Urhebers und des Veröffentlichers gestattet. Das Ur-
heberrecht kann und muss zu Gunsten überwiegender Bedürfnisse der Allgemeinheit
eingeschränkt werden, dies gilt insbesondere für die Freiheit der Wissenschaft und
Forschung, die Bildung und die Informationsfreiheit.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf für eine allgemeine Bildungs- und Wissen-
schaftsschranke im Urheberrecht vorzulegen. Sie soll
• einen möglichst umfassenden Zugang zum Wissensbestand praxistauglich re-

geln und vereinfachen;
• die zulässige Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung eines ver-

öffentlichten Werkes für Lehr- und Lernzwecke oder für Zwecke der wissen-
schaftlichen Forschung ermöglichen, wenn und soweit die Nutzung in ihrem
Umfang durch den jeweiligen Zweck geboten ist und keinen kommerziellen
Zwecken dient;

• einen zeitgemäßen Bildungsbegriff zugrunde legen, der sie als dynamischen,
lebenslangen, offenen, integrativen und kollaborativen Prozess versteht und
unterstützt;

• zudem dafür zu sorgen, unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedin-
gungen die Verleihbarkeit digitaler Inhalte durch wissenschaftliche Bibliothe-
ken zu ermöglichen, und zwar unabhängig, von welchem Ort die Ausleihe
bzw. dann die Nutzung erfolgt;

• durch umfassende Maßnahmen wie öffentliche Informationskampagnen, nie-
drigschwellige und umfassende Qualifizierungsangebote, leicht erreichbare
und barrierefreie Beratungsstellen, kostenfreie technische Tools etc. begleitet
werden, die das Wissen um die damit geltenden rechtlichen Bestimmungen
erhöhen und konkret unterstützen;

2. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass im Zuge einer europaweiten Verein-
heitlichung des Rechtsrahmens für die Nutzung urheberrechtlich geschützter
Werke für die Zwecke von Unterricht und Forschung an staatlich anerkannten
Hochschulen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen die gegebenenfalls noch
fehlenden Voraussetzungen für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschafts-
schranke geschaffen werden.

Berlin, den 26. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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