BT-Drucksache 18/8163

Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste

Vom 18. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8163
18. Wahlperiode 18.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Konstantin von Notz, Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast,
Monika Lazar, Özcan Mutlu, Corinna Rüffer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Mehrere Untersuchungsausschüsse der letzten Wahlperioden (etwa bzgl. CIA
und Bundesnachrichtendienst (BND) in der 16. Wahlperiode, bzgl. „National-
Sozialistischer-Untergrund“ (NSU) in der 17. Wahlperiode, bzgl. NSA / BND in
der 18. Wahlperiode) und Medienberichterstattung sowie die Kontrollbemühun-
gen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) ausweislich dessen Tätig-
keitsberichten an den Bundestag haben verdeutlicht, dass bisher
− das Prinzip nicht ausreichend umgesetzt wurde, dass der demokratische

Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume duldet, sondern den Bürgern grund-
sätzlich offen gegenüberzutreten hat und die aufsichtliche sowie parlamenta-
rische Kontrolle von ausnahmsweise geheim agierenden Behörden, denen ge-
genüber schon mangels Erkennbarkeit die Betroffenen kaum individuellen
Rechtsschutz suchen können, daher umso intensiver ausgestaltet sein muss;

− die Kontrolle der Nachrichtendienste v. a. durch deren ministerielle Fachauf-
sicht nicht angemessen organisiert war und wirkungsvoll genug durchgeführt
wurde, sondern Fehlentwicklungen in den Diensten und deren Eigenleben un-
geahndet Vorschub leistete;

− das PKGr ebenso wie die G10-Kommission (Kommission zur Kontrolle von
Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldege-
heimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes) durch die Bundesregierung
nicht wie geschuldet umfassend informiert wurde, sondern viele berichts-
pflichtige Vorgänge erst aus den Medien erfuhr;

− das PKGr trotz geringer Personalaufstockung im Sekretariat bei weitem noch
nicht über ausreichende sowie zeitgemäße Ausstattung und Befugnisse auch
der einzelnen Mitglieder verfügt, um eine angemessene Kontrolle der Dienste
zu gewährleisten;

− PKGr und Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses sowie weitere par-
lamentarische Ausschüsse und Gremien, ferner G10-Kommission und Daten-
schutzbeauftragte an der Nachrichtendienstkontrolle je in Teilzuständigkeiten

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beteiligt sind, doch ohne koordinierten Informationsaustausch untereinander,
so dass es zu gravierenden Kontrolllücken kommt;

− eine ähnliche Zersplitterung der Kontrolle ohne organisierte Rückkoppelung
herrscht zwischen den entsprechenden o. g. Instanzen von Bund, Ländern und
der Europäischen Union, soweit länderübergreifendes Agieren der Nachrich-
tendienste zu kontrollieren ist oder deren Kooperation mit anderen Sicher-
heitsbehörden wie etwa der Polizei;

− die Bundesregierung noch dazu neigt, trotz entgegengesetzter Klarstellungen
des Bundesverfassungsgerichts für sich einen kontrollfreien Kernbereich exe-
kutiver Eigenverantwortung zu reklamieren sowie eine Primärzuständigkeit
des PKGr vor mitzuständigen Fach-, Untersuchungsausschüssen, Plenum und
Abgeordneten.

Es hat sich aber z. B. während der Untersuchung der eingangs genannten Themen
auch gezeigt, dass die Arbeitsmöglichkeiten des PKGr sowie dessen Unterrich-
tung durch die Bundesregierung durchaus effektiver gestaltet werden können und
dass auch die Fachausschüsse sowie das Plenum intensiv in die Aufklärung ein-
bezogen werden können.

2. Um die Kontrolle der Nachrichtendienste dauerhaft wirksamer zu gestalten, hält
der Deutsche Bundestag es für erforderlich, mindestens das PKGrG umgehend
zu novellieren:
a) Die vollständige, wahrheitsgemäße und qualifiziertere Unterrichtung des

PKGr durch Bundesregierung und Dienste ist zu gewährleisten:
aa. Berichtspflichtige „Vorgänge von besonderer Bedeutung“ sind im Gesetz

zu präzisieren. Dazu gehören solche, mit denen ein Bundesminister, die
sog. nachrichtendienstliche oder die Präsidentenlage im Kanzleramt be-
fasst waren, sowie Vereinbarungen zu Kooperationen mit ausländischen
Diensten inkl. deren Hard- und Softwareeinsatz dabei, die Einführung
neuer technischer Verfahrensweisen, Dateien und Datenverarbeitungs-
methoden, ferner die Genehmigung neuer Dienstvorschriften. Dies gilt
auch, wenn die Operation oder der fragliche Vorgang noch nicht abge-
schlossen ist.

bb. Für den Fall, dass die Bundesregierung das PKGr schuldhaft nicht, nicht
vollständig, zeitnah rechtzeitig oder wahrheitsgemäß unterrichtet, sind
Sanktionen vorzusehen. Das PKGr kann mit Zustimmung von einem
Viertel der Mitglieder dann den Fall öffentlich mitteilen, und zwar mit
substanzieller Inhaltsangabe oder dies auch einzelnen Mitgliedern er-
möglichen. Ferner soll ein solches Fehlverhalten als förmliches Dienst-
vergehen mit disziplinarer sowie der Folge behandelt werden, dass für
den betreffenden Regierungsvertreter befristetet der vorgesetzte Bundes-
minister dem PKGr berichtet. Bei anstehenden Finanz- und Personalzu-
weisungen für die Nachrichtendienste ist das Fehlverhalten zu berück-
sichtigen.

cc. Das PKGr kann verlangen, direkt und uneingeschränkt von den Nach-
richtendiensten unterrichtet zu werden und deren Mitarbeiter befragen.

dd. Regierungs- und Dienstevertreter haben gegenüber dem PKGr auf Ver-
langen eines Mitglieds schriftlich zu berichten. Die Sitzungen des PKGr
sind grundsätzlich auf Tonträger aufzunehmen. Über die einzelnen
Punkte des Verlaufs der PKGr-Sitzungen und – jenseits dessen – von
Kontrollen des Gremiums etwa bei den Diensten hat das PKGr-Sekreta-
riat ein Protokoll zu führen, damit auch nach längerer Zeit noch der Gang
und Inhalt der Beratungen und Kontrollen nachvollzogen werden können.

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ee. Es wird gesetzlich klargestellt, dass die Kontrollzuständigkeit des PKGr
sich erstreckt auf die Zusammenarbeit der Dienste mit anderen (auch
ausländischen) Behörden sowie auf die ministerielle Dienst- und Fach-
aufsicht über die Dienste und deren Koordination durch das Kanzler-
amt.

b) Die Kontrolltätigkeit soll transparenter werden
− Die Mitglieder des PKGr und des Vertrauensgremiums sowie der G10-

Kommisssion dürfen die Vorstände ihrer Bundestagsfraktionen über
wichtige Angelegenheiten aus den jeweiligen Beratungen vertraulich un-
terrichten.

− Die Mitglieder des PKGr dürfen dessen Beratungen anders als bisher in
der Öffentlichkeit nicht nur bewerten, sondern auch inhaltlich darüber
berichten, sofern das PKGr dies mit Mehrheit beschließt, außer die Si-
cherheit oder das Wohl von Personen oder der Bundesrepublik Deutsch-
land würden hierdurch gefährdet.

− Das PKGr kann – wie andere Fachausschüsse auch (vgl. § 69 Abs. 1 S. 2
der Geschäftsordnung des Bundestages GO-BT) – ohne absolute Ge-
heimhaltung tagen, etwa öffentliche Anhörungen der Chefs der Nach-
richtendienste durchführen wie in den USA, außer dadurch würde die
Sicherheit von Personen, der Bundesrepublik Deutschland, operative
Vorgänge oder die Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen gefährdet.

− Die Haushalte der Nachrichtendienste sowie deren Vollzug werden min-
destens durch PKGr und Vertrauensgremium gemeinsam beraten, besser
noch möglichst transparent regulär im Haushaltsausschuss mitberaten.

− Die mit Nachrichtendienstfragen befassten Mitglieder des Bundestages
(PKGr, Vertrauensgremiums, Innen-, Rechts-, Verteidigungs- und Aus-
wärtiger Ausschuss) sowie der G10-Kommission erörtern mindestens
jährlich bei einem gemeinsamen vertraulichen Treffen auf Einladung des
Bundestagspräsidenten Fragen von Aufsicht und Kontrolle über die
Dienste.

− Unter der Schirmherrschaft des Präsidenten sollen gemeinsame Treffen
der Mitglieder von PKGr und G10-Kommission mit denen entsprechen-
der Gremien von Bundesländern, Europäischem Parlament und EU-Mit-
gliedstaaten stattfinden.

c) Bessere Arbeitsmöglichkeiten des PKGr und all seiner Mitglieder schaffen
− Die PKGr-Mitglieder – ähnlich wie in anderen Fachausschüssen – dür-

fen je einen Mitarbeiter zu den PKGr-Sitzungen und deren Vorbereitun-
gen hinzuziehen und auch dem PKGr-Sekretariat Arbeitsaufträge ertei-
len.

− Die PKGr-Mitglieder können einzeln Befugnisse des PKGr – wie etwa
Einsicht in Nachrichtendienstunterlagen oder Kontrollbesuche bei den
Diensten – auch allein ausüben. Ein exklusives Akteneinsichtsrecht nur
der PKGr-Vorsitzenden „in camera“ wird klarstellend gesetzlich ausge-
schlossen.

− Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des PKGr-Sekretariats werden
nicht durch Vorgaben und Stellenausschreibungen der Mehrheitsfrakti-
onen ausgewählt und angestellt, sondern unter angemessener Beteili-
gung der PKGr-Mitglieder der Opposition bei der Vorauswahl.

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− Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das PKGr-Sekretariat sollen aus den
Diensten oder aus der ministeriellen Fachaufsicht nur übernommen wer-
den oder zu den Diensten und deren Aufsicht wechseln dürfen unter Ein-
haltung einer Karenzfrist von einem Jahr. Denn andernfalls wären vor-
sorgliche Rücksichtnahmen und gebremste Arbeitseffektivität der betref-
fenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Erwägungen ihrer persönli-
chen Berufslaufbahn nicht auszuschliessen.

− Das PKGr kann einen ständigen Nachrichtendienst-Ermittlungsbeauftrag-
ten mit eigenem Arbeitsstab mit Arbeitsaufträgen ernennen, der die Kon-
trolltätigkeit des PKGr nicht ersetzt, sondern ergänzt und zuarbeitet, so
dass sichergestellt bleibt, dass die Mitglieder der PKGr die jeweiligen
Kontrolltätigkeiten selbst bestimmen und nachvollziehen können.

− Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dienste dürfen sich mit Hinweisen
direkt an ein PKGr-Mitglied ihrer Wahl wenden (ebenso des Vertrauens-
gremiums oder der G10-Kommission), ohne wie bisher parallel den
Dienstvorgesetzten informieren zu müssen. Die betreffenden Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter sollen vor dienstlichen Nachteilen geschützt sein.

− Ein Viertel der Mitglieder des PKGr können das Bundesverfassungsge-
richt anrufen bei Streitigkeiten des Gremiums mit der Bundesregierung
und einzelne PKGr-Mitglieder bei deren Streitigkeiten mit der Bundesre-
gierung oder der PKGr-Mehrheit über die Ausübung ihrer PKGrG-Befug-
nisse.

− Für jedes PKGr-Mitglied ist ein Vertreter zu wählen oder eine andere Ver-
tretungsregelung zu schaffen, damit auch bei Krankheit eine Präsenz der
betreffenden Fraktion in PKGr-Sitzungen gewährleistet ist.

− Den Mitgliedern des PKGr und sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter soll – in Fortentwicklung von deren schon geltendem Einsichts-
recht – auch in elektronische Unterlagen der Dienste erleichterter direkter
Zugang zur EDV der Dienste ermöglicht werden, nach dem Vorbild der
Kontrollgremien des niederländischen Parlaments.

− Zur Wahrung der Vertraulichkeit von PKGr-Beratungen sollen nur die Re-
gierungsvertreter grundsätzlich an PKGr-Sitzungen teilnehmen, die zu
einzelnen Tagesordnungspunkten vortragen sollen. Außerdem sollen Re-
gierungsvertreter anders als bisher grundsätzlich nicht öffentlich oder ge-
genüber Dritten über Inhalte aus den PKGr-Sitzungen berichten dürfen.
Verstöße dagegen sind Dienstvergehen.

− Mitglieder des PKGr-Sekretariats dürfen Dienste- und Regierungsvertre-
tern nicht aus PKGr-Sitzungen berichten.

− Das PKGr-Sekretariat wird personell erheblich verstärkt, auch um Tech-
niker und Nachrichtendienstexperten, so dass das PKGr mit deren Hilfe
vermehrt proaktive Kontrollen durchführen kann. Neben festangestellten
Mitarbeitern sollen für einzelne besondere zeitlich befristete Kontrollauf-
gaben Sachverständige mit ausreichendem Mitarbeiterstab herangezogen
und durch Beschluss des Gremiums eingesetzt werden.

d) Die Zuständigkeit der Fachausschüsse und des Plenums bleibt garantiert
Deren nach § 1 Abs. 2 PKGrG vorbehaltene Mitzuständigkeit für Themen mit
nachrichtendienstlichen Bezügen wird vor Aushöhlungstendenzen geschützt
durch eine gesetzliche Klarstellung, dass keine thematische Primär- oder gar
Alleinzuständigkeit des PKGr besteht (etwa bei Themen mit bloßem Bezug
zu ausländischen Nachrichtendiensten).

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3. Stärkung der Kontrolle der Nachrichtendienste durch die Bundesbeauftragte für

den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI)
− Die Datenschutzkontrolle als wichtiges Element der Kontrolle der Nachrich-

tendienste muss gestärkt werden. Berichtete praktische Behinderungen der
Kontrollarbeit durch die Behörden sind einzustellen. Bisherige gesetzliche
Möglichkeiten der Regierung, Auskünfte beziehungsweise Akteneinsicht ge-
genüber der BfDI zu verweigern, sind zu streichen. Klarstellend ist die Zu-
ständigkeit der BfDI explizit auf den Bereich des G10 sowie ähnlicher Tele-
kommunikationsdatenerfassung und -Verarbeitung zu erstrecken.

− Jegliche Tätigkeiten der Sicherheitsbehörden, insbesondere aber gemeinsame
Abwehrzentren und gemeinsame Dateien von Diensten mit Polizeien, sind
gesetzlich so auszugestalten, dass eine effektive Datenschutzkontrolle auch
des Informationsflusses zwischen Bundes- und Landesbehörden möglich ist.

− Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) muss auch im Bereich der Nachrich-
tendienste für alle Datensammlungen uneingeschränkt praktiziert werden:
Diese dürfen nicht – wie oft heute – ohne Genehmigung der BfDI betrieben
werden. Der BfDI haben die Dienste gemäß dem Gesetz uneingeschränkten
Zugang ohne Behinderungen zu gewähren.

− Die Dienststelle der BfDI ist – auch zwecks Kontrolle der Nachrichtendienste
– erheblich besser personell auszustatten.

4. Stärkung der Kontrolle durch die G10-Kommission
− Die gesamte Telekommunikationsüberwachung durch deutsche Nachrichten-

dienste muss erheblich beschränkt werden, v. a. auch die sog. strategische
Fernmeldeüberwachung (Rasterfahndung) des BND. Dabei ist sicherzustel-
len, dass die Dienste Meta-, Verkehrs- wie Inhaltsdaten im In- wie im Ausland
nicht ohne hinreichend konkrete und bestimmte gesetzliche Grundlage erhe-
ben, übermitteln und verarbeiten, sondern auch im Ausland sowie gegenüber
Ausländern alle gesetzlichen, grund-, menschen- sowie völkerrechtlichen
Verpflichtungen einhalten und mindestens EU-Bürger Deutschen gleichge-
stellt werden. Das Telekommunikationsgeheimnis nach dem Grundgesetz gilt
auch gegenüber allen Ausländerinnen und Ausländern, da die Erfassung
und/oder Verarbeitung der Daten in der Regel durch eine deutsche Behörde,
den BND, im Inland erfolgt. Ferner müssen für Nicht-EU-Bürger mindestens
internationale Konventionen beachtet werden wie die Europäische Men-
schenrechtskonvention (EMRK) und die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte (AEMR). Denn das Post- und Fernmeldegeheimnis schützt nicht
nur Deutsche, sondern ist ein universelles Menschenrecht und bindet die Bun-
desregierung auch im Ausland. Die Ausland-Ausland-Aufklärung des BND
muss denselben Genehmigungs- und Kontrollpraktiken durch die G10-Kom-
mission unterworfen werden, wie dies bisher beim Inland-Ausland-Verkehr
nach G10 erfolgt. Soweit Überwachungsmaßnahmen das G10 zugrunde liegt,
das für die Rechtsanwender schon jetzt schwer verständlich ist, muss dieses
mindestens erheblich reformiert, wenn nicht neu geschrieben werden.

− Vorab soll aber jedenfalls die im G10 geregelte G10-Kommisssion rasch ge-
stärkt werden. Die G10-Kommission ist ein parlamentsnahes Kontrollgre-
mium, das an der Anordnung und Durchführung vor allem von Kommunika-
tionsüberwachung durch Nachrichtendienste mitwirkt. Es soll versucht wer-
den, die Wirksamkeit dieser proaktiven Nachrichtendienstkontrolle durch die
G10-Kommission so zu steigern, dass diese Ausnahme von der in der Verfas-
sung prinzipiell garantierten gerichtlichen Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG:
sog. Rechtsweggarantie) im Bereich v. a. der Telekommunikationsüberwa-
chung angesichts der Bedeutung dieses Grundrechts verfassungsrechtlich und
-praktisch noch zu rechtfertigen ist. (Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass

Drucksache 18/8163 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

alternativ die Einrichtung gerichtlicher Spezialkammern für diesen Kontroll-
bereich wohl längere Vorlaufzeit erfordern würde und deren größere Wirk-
samkeit zudem nicht gesichert wäre).

− Die Zuständigkeit der G10-Kommisssion bei Anordnung und Durchführung
von Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) soll
erstreckt werden auf ähnlich intensive heimliche Grundrechtseingriffe, von
denen die Betroffenen regelmäßig nicht oder nur sehr verzögert erfahren.
Deshalb haben sie keinen individuellen Rechtsschutz dagegen. Dies betrifft
nicht nur sonstige kabel- oder satellitengestützte Erfassungen von Metadaten
und Telekommunikation inkl. sog. Routine-Verkehre von Ausländern nach
bisheriger BND-Praxis nicht G10-Geschützter. Auch der Einsatz von V-Leu-
ten, langfristige Observationen, das Keyloggen nicht vernetzter Computer
und ähnliche Datenerhebungen werden Betroffenen nicht mitgeteilt oder we-
gen Gefährdung des Eingriffszwecks von der Mitteilung langfristig ausge-
schlossen (§ 9 Abs. 3 BVerfSchG). Auch bei diesen Themen ist statt des (aus-
bleibenden) gerichtlichen Rechtsschutzes wenigstens die Mitwirkung der
G10-Komisssion bei der Anordnung der Maßnahmen angezeigt sowie eine
Nachprüfungsmöglichkeit durch sie. Gerade der Einsatz von V-Leuten ist
häufig ein stärkerer Grundrechtseingriff und bedarf einer strikten Kontrolle,
bei der alle Einzelheiten offengelegt werden.

− Das Genehmigungs- und Überprüfungsverfahren in der G10-Komission ist
auszugestalten als kontradiktorisches Verfahren, worin ein Ombudsmann/An-
walt die Bürgerrechte der Betroffenen vertritt.

− Alle Übermittlungen von Kommunikationsdaten (egal ob Inhalts- oder Meta-
daten) durch Dienste an ausländische Stellen sind der G10-Kommisssion zu
melden und in deren öffentliche Tätigkeitsberichte aufzunehmen. Derartige
Übermittlungen ohne gesetzliche Grundlagen sind ebenso auszuschließen wie
die Entgegennahme solcher Daten durch deutsche Dienste von ausländischen
Stellen.

− Das Sekretariat der G10-Kommissison (derzeit gemeinsam mit dem des
PKGr) ist erheblich besser personell auszustatten.

− Jeder Fraktion des Bundestages soll ein personelles Vorschlagsrecht für die
G10-Kommission gesetzlich zustehen. Grundsätzlich soll jeder Fraktion auch
ein „Grundmandat“ zustehen. Aktuelle MdB sollen nicht Mitglied der Kom-
mission sein, um Konflikte mit ihren originär legislativen Kontrollaufgaben
zu vermeiden. Anzustreben ist, u. a. auch Informationstechniker und Juristen
in die Kommission zu entsenden.

− Statt die Mitglieder der Kommission wie bisher vom PKGr wählen zu lassen,
erscheint vorzugswürdig eine Wahl durch das Plenum des Bundestages.

− Die gerichtliche Kontrolle soll dadurch gestärkt werden, dass die Betroffenen
von G10- Maßnahmen früher als bisher benachrichtigt werden und die G10-
Kommission zur Begründung ihrer Entscheidungen verpflichtet wird. Die
G10-Kommission soll enger mit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit (BfDI) und mit den anderen Kontrollgremien ko-
operieren.

5. Verschlusssacheneinstufung darf keine Kontrolle verhindern
− Die Klassifizierung von Regierungsdokumenten als Verschlusssachen (VS)

hoher Grade darf nicht weiter ausufern. Die parlamentarischen Kontrollmög-
lichkeiten werden dadurch eingeschränkt. Stattdessen sollte eine permanente
unabhängige Kontrollinstanz durch den Bundestag geschaffen werden, die die
Regeln und praktische Handhabung zur Einstufung von Dokumenten und
Vorgängen überprüft und korrigieren hilft. Bei der Prüfung der Einstufungs-
praxis sind der Schutz von Persönlichkeitsrechten und die Notwendigkeit der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8163

Vertraulichkeit von Sicherheitsvorgängen abzuwägen unter Berücksichtigung
des öffentlichen Interesses an transparentem Regierungshandeln.

− Die Bundesregierung darf die Vergabe hoher VS-Grade sowie weitere Aufla-
gen nicht dazu nutzen, um praktische parlamentarische Kontrolle zu erschwe-
ren und dieser ggf. einfach „peinliche“ Vorgänge vorzuenthalten.

6. Mehr Transparenz der Nachrichtendienste auch gegenüber Bürgern
− Die Voraussetzungen, unter denen Bürger von den Diensten Auskunft verlan-

gen können über ihre dort gesammelten Daten, sollen erleichtert werden.
− Nachrichtendienste sollen nicht länger insgesamt und von vornherein ausge-

nommen sein aus dem Geltungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes,
auch damit Bürger Ablehnungen von Auskunftsanträgen gerichtlich überprü-
fen lassen können.

− Zu erwägen sind – neben den klassischen Kontrollgremien – zwecks größerer
Transparenz auch turnusmäßige Rechenschaftsberichte der Dienste über ihre
Tätigkeit einschließlich ihrer Mittelverwendung gegenüber dem Bundestags-
plenum bzw. schriftlich als öffentliche Bundestagsdrucksache.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Aufsicht und Verantwortung bezüglich der Nachrichtendienste innerhalb der Be-
hörden und Bundesministerien wirksamer zu gestalten und wahrzunehmen:
− Dazu sollen Führungskräfte in Behörden durch geeignete organisatorische Si-

cherungen und intensivere Aufsicht Fehlverhalten vermeiden helfen, ggf.
konsequent ahnden und ungeeignete Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen fern-
halten.

− Eine liberale doch kritischere Fehlerkultur soll die Mitarbeiter ermuntern,
statt Korpsgeist im „Schweige-Kartell“ eigene Fehler einzuräumen und initi-
ativ auf Missstände und Fehler Dritter hinzuweisen. Das Personal muss für
den Fall gegen dienstliche Nachteile abgesichert werden, dass es Kontrollin-
stitutionen auf Missstände hinweist.

− Die ministerielle Aufsicht gegenüber den Diensten einerseits sowie deren Lei-
tungen gegenüber den Arbeitsebenen andererseits soll umgehend jeweils ein
wirksames, umfassendes, nachvollzieh- und -prüfbares Melde- und Berichts-
wesen organisieren und nachhalten, innerhalb dessen die meldepflichtigen
Vorgänge sowie Meldewege präzise umschrieben werden und sichergestellt
ist, dass wichtige Weisungen, Berichte, Meldungen an den richtigen Adressa-
tenkreis bis hin zur Bundeskanzlerin gelangen und dort auch real zur Kenntnis
genommen werden.

− Mitarbeiter aus der ministeriellen Fachaufsicht über die Dienste sowie aus
deren Koordination im Kanzleramt sollen künftig hernach nicht in die Spitzen
der Dienste wechseln dürfen und auch nicht umgekehrt, da andernfalls die
jeweiligen Aufgaben kaum unbefangen nur der Sache verpflichtet ohne Rück-
sicht auf persönliche Laufbahnaussichten ausgeübt werden können;

2. Gesetzesnovellen zum G10 sowie zu den Nachrichtendienstgesetzen vorzulegen,
worin die vorstehend beschriebenen Schlussfolgerungen aus den während der
letzten Jahre bekannt gewordenen Fehlleistungen, Übergriffen und dem Versa-
gen der Nachrichtendienste gezogen werden.

Berlin, den 15. März 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/8163 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Vorstehender Antrag greift z. T. bestehende Ansätze und frühere Vorschläge auf zu besserer Kontrolle von
Nachrichtendiensten, Datenschutz, Verschlusssachen-Einstufung etc., etwa:
1. Die antragstellende Fraktion brachte bereits zuvor in den Bundestag ein: etwa Antrag vom 8.3.2006 für bes-
sere Nachrichtendienst-Kontrolle (BT-Drs. 16/843); Gesetzentwurf vom 4.3.2009 zur PKGr-Reform
(17/12189); ferner Antrag vom 22.4.2015: http://gruenlink.de/z2z „Für eine Zäsur und einen Neustart in der
deutschen Sicherheitsarchitektur“ (BT-Drs. 18/4690); Entschließungsantrag vom 1.7.2015 anlässlich der Ver-
fassungsschutzgesetz-Novelle: BT-Drs. 18/5431: http://gruenlink.de/12ew ).
2. Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muiznieks, empfahl in seinem neuen Bericht zu
Deutschland vom 1.10.2015 u. a. die Stärkung der parlamentarischen Aufsicht durch das PKGr, „indem man
dessen Mitarbeiterstab und dessen technische Fachkenntnisse erheblich erweitert“ (vgl. Bericht des Menschen-
rechtskommissars, S. 3f., 18-21: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Da-
teien/Europarat_Dokumente/Bericht_Menschenrechtskommissar_Deutschland_2015_de.pdf ).
3. Vorstehender Vorschlag unter I.5, unberechtigt hohe Einstufungen von Verschlusssachen intensiver zu über-
prüfen, fußt auf der geltenden Verschlusssachen-Anweisung (VS-A) des BMI. Nach deren § 42 Abs. 1 haben
die Geheimschutzbeauftragten aller Bundesbehörden „stichprobenartig in angemessenen Zeitabständen unan-
gekündigte Kontrollen durchzuführen, ob in der Dienststelle hergestellte VS offensichtlich ungerechtfertigt oder
unrichtig eingestuft sind.“
Wie in dieser Ziffer des o. a. Antrags forderten die Informationsfreiheitsbeauftragten des Bundes und der Län-
der, „den Umgang mit Verschluss-Sachen gesetzlich in der Weise zu regeln, dass die Klassifizierung von Un-
terlagen als geheimhaltungsbedürftig regelmäßig von einer unabhängigen Instanz überprüft, beschränkt und
aufgehoben werden kann“ (Entschließung der 27. Konferenz am 28.11.2013: http://gruenlink.de/14k2).

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