BT-Drucksache 18/8108

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/6988, 18/8102 - Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Vom 13. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8108
18. Wahlperiode 13.04.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Annette Groth, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Ralph Lenkert, Michael
Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Dr. Petra Sitte,
Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit
Wöllert, Hubertus Zdebel, Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/6988, 18/8102 –

Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Liberalisierung des Marktes für Bodenabfertigungsdienste war auf europäischer
Ebene eines der strittigsten verkehrspolitischen Projekte der letzten Jahre. Nach Pro-
testen von Gewerkschaften sowie Flughafenverbänden zog die EU-Kommission ih-
ren Verordnungsentwurf „Über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union
und zur Aufhebung der Richtlinie 96/67/EG“ (KOM(2011) 824) zurück, durch den
die europäischen Flughäfen zur Zulassung eines dritten Anbieters im Bereich der
Bodenabfertigungsdienste verpflichtet werden sollten.
Auch der Deutsche Bundestag lehnte den Verordnungsentwurf entschieden ab:
„Qualität, Effizienz und Sicherheit bei der Bodenabfertigung an den deutschen Flug-
häfen befinden sich im internationalen Vergleich auf hohem Niveau. Die Erbringung
der Bodenabfertigungsdienste ist in Deutschland bereits heute wettbewerblich aus-
gestaltet. Eine Erhöhung der Zahl von Drittanbietern würde keine weiteren Quali-
tätsverbesserungen bewirken, sondern die vorhandenen Standards eher gefährden.
Die hohen Standards in Bezug auf Qualität und Sicherheit bei den Bodenabferti-
gungsdiensten in Deutschland können nur gewährleistet werden, wenn es zu keiner
inakzeptablen Absenkung des Lohnniveaus und der sozialen Absicherung für das in
diesen Bereichen beschäftigte Personal kommt. Eine Verbilligung von Bodenabfer-
tigungsdiensten durch Lohnkürzungen oder die Absenkung von Ausbildungsstan-
dards oder durch die Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse ist abzulehnen“ (Bun-
destagsdrucksache 17/8617).

Drucksache 18/8108 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Obwohl die Marktöffnung durch die Bodenverkehrsdienste-Verordnung (BADV)
begrenzt wurde, in deren Anlage 5 die Anzahl zuzulassender Anbieter für Boden-
verkehrsdienstleistungen auf Flughäfen mit einer jährlichen Passagierzahl von mehr
als zwei Millionen festgelegt und somit der Wettbewerb eingeschränkt wird, sind die
Beschäftigungsverhältnisse in diesem Segment bereits zunehmend prekär geworden.
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) waren
bereits im Jahr 2012 im Bereich der Bodenverkehrsdienste die „Beschäftigten kaum
noch in der Lage ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und zu 40 Prozent auf staatliche
Unterstützung angewiesen“ (www.presseportal.de/pm/44169/2263299). Eine aktu-
elle Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bezeugt, dass der Arbeitsalltag
der Beschäftigten zudem von hoher physischer wie auch psychischer Belastung ge-
prägt ist (siehe http://verdi-airport.de/187). Darüber hinaus greifen auch in dieser
Branche Leiharbeit und Befristungen um sich. Dies führt zu einer hohen Fluktuation
in der Belegschaft, was angesichts der komplexen Arbeitsabläufe die Sicherheit auf
dem Flughafenvorfeld gefährden kann.
Trotz dieser fatalen beschäftigungspolitischen Wirkung der Liberalisierung beab-
sichtigt die Bundesregierung, durch Änderung der Anlage 5 zur BADV die unlängst
erfolgte Marktöffnung für Bodenverkehrsdienste an den Standorten Düsseldorf und
Schönefeld abzusegnen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/6988). Auf beiden Flughä-
fen sollen zukünftig drei statt zwei Lizenzen für Drittabfertiger in den beschränkten
Bereichen, u. a. der Gepäckabfertigung, den Vorfelddiensten, den Betankungsdiens-
ten sowie der Fracht- und Postabfertigung vergeben werden können.
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. bestätigte die
Bundesregierung, dass die jeweiligen dritten Lizenzen bereits vergeben worden sind,
obwohl dies durch die BADV nicht gedeckt war (Bundestagsdrucksache 18/7260).
Dabei überzeugen die Ausführungen der Bundesregierung, mit der sie die Rechtmä-
ßigkeit dieser Vergaben begründet, nicht. Sie seien zulässig, da die „Anlage 5 (…)
nur Mindestzahlen enthalte“ und „eine Begrenzung und Verweigerung der Erhöhung
durch einen nationalen Gesetz- bzw. Verordnungsgeber (…) rechtsmissbräuchlich
und letztlich EU-rechtswidrig“ wäre (ebd.). Die Richtlinie 96/67/EG sieht in Art. 6
Abs. 2 jedoch dezidiert die Möglichkeit nationaler Begrenzungen der Marktöffnung
vor, wobei wie im Fall Österreichs die Anzahl zuzulassender Drittanbieter sogar
pauschal für alle Flughäfen auf „2“ beschränkt werden kann. Auch die BADV nor-
miert gemäß § 3 Abs. 2 Beschränkungen der Marktöffnung, da sich für die großen
deutschen Verkehrsflughäfen die Anzahl der im Einzelnen berechtigten Selbstabfer-
tiger und Dienstleister ergibt.
Eine die Marktöffnung beschränkende Funktion der BADV wird neben den Gewerk-
schaften und der ADV selbst vom Verband der Fluggesellschaften (BDF) anerkannt:
„Die Erbringung der Bodenverkehrsdienste durch Dienstleister ist an den Flughäfen
teilweise beschränkt. In Deutschland ist bei den beschränkten Diensten neben dem
Dienstleister des Flughafens maximal nur ein weiterer Anbieter erlaubt. Die Umset-
zung der EU-Richtlinie 96/67/EG durch die deutsche Bodenabfertigungsdienst-Ver-
ordnung (BADV) bildet hierfür den rechtlichen Rahmen“ (www.bdf.aero/the-
men/bodenverkehrsdienste/).
Nach Rechtsauffassung aller relevanten Akteure hätte die Bundesregierung, welche
die Dienst- und Fachaufsicht über die für die Vergabe von Drittabfertigerlizenzen
zuständigen Landesluftfahrtbehörden hat, daher alle Vergaben von Lizenzen über
das in Anlage 5 der BADV festgelegte Maß hinaus unterbinden bzw. rückgängig
machen müssen.
Die in diesem Sinne rechtswidrigen Vergaben von Abfertigungslizenzen verschärfen
den Wettbewerb an den betroffenen Flughäfen zu Gunsten von Billigfluggesell-
schaften wie Ryanair, welche ihre Präsenz nach der Lizenzvergabe am Flughafen
Schönefeld erheblich ausweitete (vgl. www.airliners.de/ryanair-basis-berlin-schoe-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8108
nefeld/37042) und dies auch für den Flughafen Düsseldorf anstrebt (www.derwes-
ten.de/wirtschaft/ryanair-will-von-duesseldorf-abheben-aimp-id11193703.html) –
zu Lasten der dort im Bereich der Bodenverkehrsdienstleistungen tätigen Beschäf-
tigten.
Gemäß ihrer Interpretation der BADV hält die Bundesregierung jedwede Vergabe
von Lizenzen für Drittabfertiger für rechtmäßig, womit sie den Markt für Bodenver-
kehrsdienstleistungen für vollends liberalisiert erklärt und somit über die Forderun-
gen des auf EU-Ebene gescheiterten Liberalisierungsprojektes hinausgeht.
Um eine weitere Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der Bo-
denverkehrsdienste zu verhindern, muss die Lizenzvergabe an den Flughäfen Düs-
seldorf und Schönefeld aufgehoben sowie einer unkontrollierten umfassenden
Marktöffnung, welche durch die Rechtsauffassung der Bundesregierung hinsichtlich
der BADV begünstigt wird, ein Riegel vorgeschoben werden. Darüber hinaus Bedarf
diese Branche vielmehr dringend eines allgemeinverbindlichen Branchentarifvertra-
ges, der die Arbeitsbedingungen dem Preisdruck durch die Fluggesellschaften ent-
zieht und die Branche für die Zukunft absichert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass die von den zuständigen Landesluftfahrtbehörden er-
teilten Genehmigungen an den Standorten Düsseldorf und Schönefeld zurück-
genommen werden,

2. die Fach- und Rechtsaufsicht über die Landesluftfahrtbehörden effektiver aus-
zuüben und zukünftig Lizenzvergaben über das in der BADV festgelegte Maß
hinaus zu verhindern,

3. einen Vorschlag für ein transparentes Antragsverfahren zur Vergabe von Li-
zenzen an Selbstabfertiger und Drittabfertiger vorzulegen, in dem anhand klarer
Kriterien über die Vergabe entschieden wird. Hierbei sind sicherheitstechni-
schen und beschäftigungspolitischen Aspekten Vorrang vor dem Interesse der
Fluggesellschaften an niedrigen Abfertigungskosten einzuräumen,

4. das Arbeitnehmerentsendegesetz dergestalt zu reformieren, dass das Instrument
der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtert wird,
um perspektivisch die Durchsetzung eines Branchentarifvertrages für die Bo-
denverkehrsdienste zu befördern. Zu diesem Zweck sind Tarifverträge vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich zu erklä-
ren, wenn sie das Kriterium der Repräsentativität erfüllen. Bei der Feststellung
der Repräsentativität werden Kriterien herangezogen, die in § 7 Abs. 2 des Ar-
beitnehmerentsendegesetzes definiert sind. Tarifverträge, die höhere Entgelte
beinhalten, bleiben weiterhin gültig.

Berlin, den 12. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/8108 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Zu 1)
Die Auffassung der Bundesregierung zur Vergabe der Lizenzen an den Flughäfen Düsseldorf und Schönefeld
ist rechtsfehlerhaft. Daher sind die diesbezüglichen von den Landesluftfahrtbehörden erteilten Genehmigungen
zurückzunehmen.

Zu 2)
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/8007 konnte die Bundesregierung keine
Angaben darüber machen, ob es bereits in der Vergangenheit zu Lizenzvergaben für Drittabfertiger kam, die
über das in Anlage 5 zur BADV festgelegte Maß hinausgehen (siehe Antwort zu Frage 9). Dies bedeutet, dass
die Bundesregierung, welcher die Rechts- und Fachaufsicht über Flugplätze gegenüber den Landesluftfahrtbe-
hörden obliegt, nicht jederzeit über die Anzahl vergebener Lizenzen in den beschränkten Bereichen informiert
ist. Die Kontrolle der Bundesregierung bezüglich der Entscheidungen der nachgeordneten Luftverkehrsbehör-
den muss daher effektiver gestaltet werden, um die Einhaltung rechtlicher Vorgaben des Bundes zu garantieren.

Zu 3)
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/8007 führte die Bundesregierung aus,
die Vergabe einer dritten Lizenz für Drittabfertiger sei erfolgt, denn „Vom Flughafen Düsseldorf wurde vor-
getragen, dass neben dem Abfertiger des Flughafens aktuell nur ein weiterer Drittabfertiger tätig ist und dieser
über einen monopolartigen Marktanteil von 85 Prozent verfügt“ (ebd., Antwort zu Frage 18). Einziger Grund
der Vergabe war demnach die Kostenstruktur im Bereich der Bodenabfertigung; Belange der Betriebssicherheit
und des Schutzes der Beschäftigten wurden überhaupt nicht berücksichtigt, welche jedoch als vorrangig zu
erachten sind.

Zu 4)
Die Abwärtsspirale bei den Beschäftigungsverhältnissen an deutschen Flughäfen kann nur durch einen Bran-
chentarifvertrag umgekehrt werden. Um die Allgemeinverbindlichkeitserklärung unabhängig vom politischen
Willen der jeweiligen Bundesarbeitsministerin oder des jeweiligen Bundesarbeitsministers und auch unabhän-
gig von der Position der Spitzen- oder Fachverbände der Arbeitgeber zu erleichtern, wird das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales verpflichtet, Tarifverträge ohne Vetorecht für Arbeitgeber(-verbände) für allge-
meinverbindlich zu erklären, sofern der Tarifvertrag ausreichend repräsentativ ist entsprechend der Regelung
in § 7 Absatz 2 AEntG. Entscheidend ist im Vergleich zu anderen Tarifverträgen der Branche in seinem Gel-
tungsbereich zum einen die höhere Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die bei den jeweils tarif-
gebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind, und zum anderen die größere Zahl von Mitgliedern der Gewerk-
schaft, die den Tarifvertrag geschlossen hat. Die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages ist ausschließ-
lich anzuordnen für Tarifentgelte oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns, Tarifverträge mit höheren Entgelten
behalten ihre Wirksamkeit. Nur so kann Lohndumping durch Missbrauch des Instruments der Allgemeinver-
bindlichkeitserklärung verhindert werden.

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