BT-Drucksache 18/7903

Keine Kumpel zweiter Klasse - Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren

Vom 16. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7903
18. Wahlperiode 16.03.2016
Antrag
der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva
Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Sabine Leidig, Ralph
Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz,
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Hubertus Zdebel, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der
DDR-Braunkohleveredlung wahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In der Deutschen Demokratische Republik (DDR) war die Braunkohle hauptsächli-
cher Energieträger. Durch deren Veredlung wurden wichtige Grundstoffe für die
weiterverarbeitende Industrie, Brennstoffe für energetische Zwecke und die Metal-
lurgie gewonnen. Dies erfolgte aber in Verfahren, die beträchtliche gesundheitliche
Schädigungen mit sich brachten – ähnlich wie die schwere Arbeit unter Tage.
Die in der DDR-Braunkohleveredlung tätigen Bergleute waren durch den Umgang
mit giftigem Gas, Staub und anderen Stoffen starken Belastungen ausgesetzt und
erlitten dadurch sehr häufig gesundheitliche Schäden wie beispielsweise Krebser-
krankungen. Für diese besondere Belastung wurde ihnen in der DDR eine Altersver-
sorgung unter dem Begriff „bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ ge-
währt (vgl. Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozi-
alversicherung der DDR vom 15. März 1968, Gesetzblatt II der DDR Nr. 29, S. 141
und Anordnung Nr. 1 über den Katalog der bergmännischen Tätigkeiten vom
29. Mai 1972, Gesetzblatt der DDR vom 30. Juni 1972, Sonderdruck Nr. 739).
Die Regelungen zur Anerkennung der besonders schweren und gesundheitsgefähr-
denden Arbeit im Bergbau waren in den Renten-Verordnungen der DDR ähnlich
geregelt wie heute im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) der Bundesrepub-
lik Deutschland. Das betrifft insbesondere Regelungen für einen früheren Renten-
eintritt (jeweils fünf Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze) für langjährige Tä-
tigkeit im Bergbau unter Tage.
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz vom 21. Juni 1991, das die Maßgaben des Ei-
nigungsvertrages von 1990 umsetzen sollte, wurden die Ansprüche und Anwart-
schaften aus der DDR in die Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung der
Bundesrepublik eingeordnet. Nach Artikel 2, „Übergangsrecht für Renten nach den
Vorschriften des Beitrittsgebiets“ (vgl. Bundesgesetzblatt I vom 31. Juli 1991,

Drucksache 18/7903 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
S. 1663 ff.) wurden für alle Bestandsrentnerinnen und -rentner die gewährten An-
sprüche gewahrt und für diejenigen, die bis zum 31. Dezember 1996 in Rente ge-
gangen sind, übergangsweise anerkannt, so auch für die Bergleute der Braunkohle-
veredlung.
Bei späterem Renteneintritt entfielen bzw. entfallen aber die Ansprüche auf eine
Rente für „bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“. Seit 1997 können
die Bergleute der Braunkohleveredlung, die fast ausnahmslos arbeitslos und gesund-
heitlich geschädigt sind, nicht mehr ohne Rentenabschlag ab dem 60. Lebens-
jahr (Männer) bzw. dem 55. Lebensjahr (Frauen) in Rente gehen.
Für die Bergleute entstehen durch diesen Wegfall ihrer DDR-Ansprüche beträchtli-
che finanzielle Einbußen. Sie empfinden den Umgang mit ihren Ansprüchen aus
DDR-Zeiten als Enteignung verbriefter Rechte, weil die Ansprüche in den Sozial-
versicherungsausweisen eingetragen und die betroffenen Tätigkeiten zu DDR-Zeiten
in sogenannten Betriebslisten aufgeführt waren. Für die Bergleute der Braunkohle-
veredlung, die seit 1997 in Rente gegangen sind oder noch gehen werden, ist es ein
großer Vertrauensverlust, dass diese in ihren Versicherungsunterlagen dokumentier-
ten Ansprüche bedeutungslos geworden sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis zum 31. Oktober 2016 eine Regelung vorzulegen, die sicherstellt, dass Bergleute
der Betriebe der DDR-Braunkohleveredlung – mit im Sozialversicherungsausweis
nachgewiesenen Zeiten „bergmännische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ – rück-
wirkend ab dem 1. Januar 1992 als „Bergleute unter Tage, gleichgestellt“ im Sinne
der knappschaftlichen Regelungen des SGB VI behandelt werden, um
1. künftig nach Erreichen des 60. Lebensjahres vorzeitig ohne Abschläge in Rente

gehen zu können und
2. bei denjenigen, die seit 1997 bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze in

Rente gegangen sind, den Rentenabschlag rückwirkend abzuschaffen.

Berlin, den 16. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7903
Begründung

Ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Einheit ist es dringend geboten, dass ostdeutsche Bergleute der
Braunkohleveredlung mit speziellen Rentenansprüchen wegen besonderer Belastungen aus der DDR mit den
westdeutschen Kumpeln gleichgestellt werden, die ähnlichen Belastungen ausgesetzt sind und dafür Sonderre-
gelungen bei der Rente in Anspruch nehmen können.
Das Vorenthalten ihrer in der DDR zugesagten Ansprüche ist für die Betroffenen eine große Ungerechtigkeit
und sie bewerten dies als Nichtanerkennung ihrer Lebensleistung. Auch das Bundesarbeitsgericht stellte in ei-
nem Urteil vom 24. September 2009 (Az.: 8 AZR 444/08 R) eine Gerechtigkeitslücke für den Sachverhalt fest.
Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands und fortgeschrittenen Alters vieler Bergleute ist schnelles Han-
deln wichtig. Obwohl neue Anspruchsberechtigte hinzukommen, hat sich die Zahl der Betroffenen seit 1990
halbiert, am Standort Borna/Espenhain beispielsweise von rund 1000 auf unter 400 Kumpel. Insgesamt ist für
alle Standorte in den verschiedenen Regionen von jeweils wenigen hundert Betroffenen auszugehen.
Die Bergleute haben in den vergangenen 25 Jahren auf vielen Wegen versucht, Gerechtigkeit herzustellen – fast
immer vergeblich. Über Jahre hinweg haben Betroffene beispielsweise die damals vorgeschriebenen namentli-
chen Betriebslisten bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger Knappschaft-Bahn-See hinterlegen lassen,
um ihre Ansprüche wahren zu können. Mit Nachfolgeunternehmen sollten beispielsweise in Borna/Espenhain
oder Rheinbraun für den Standort „Schwarze Pumpe“ oder für „Glück auf“ in Knappenrode spezielle Regelun-
gen erwirkt werden, was allerdings nicht erreicht bzw. umgesetzt wurde. Sehr wenige Betroffene partizipierten
vom Montanunionvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der bei Stilllegung Vertrauens-
schutz für Bergleute vorsieht. Andere Kumpel wiederum versuchten vergeblich, die Wahrung ihrer Ansprüche
über den langen Weg der Gerichtsbarkeit einzuklagen.
Für die Einordnung der Bergleute aus Betrieben der Braunkohleveredlung ist es erforderlich, die entsprechen-
den Paragraphen zu erweitern bzw. aufgrund historisch bedingter Gegebenheiten anzupassen. Das betrifft ins-
besondere § 61 Absatz 2 SGB VI, wo als neuer Punkt 4 die Ansprüche der Bergleute der DDR-Braunkohlever-
edlung hinzuzufügen sind. In § 40 SGB VI bzw. in dem zu den Sonderregelungen zählenden § 238 SGB VI,
„Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute“ sind jeweils die Wartezeiten für die Bergleute
der DDR-Braunkohleveredlung auf nur 15 Jahre zu begrenzen. Zum einen haben die Kumpel der Braunkohle-
veredlung auf diesen Anspruch nach DDR-Recht vertraut. Zum anderen konnten durch die deutsche Einheit
maximal bis 1990 Vermerke im Sozialversicherungsausweis vorgenommen werden. Da die DDR-Regelung
aber erst 1968 geschaffen worden war, sind diesbezügliche Einträge über 25 Jahre nicht möglich gewesen.
Außerdem wurde die Produktion in den meisten Betrieben kurz nach der deutschen Einheit wegen der hohen
Umweltbelastungen eingestellt. Zur rückwirkenden Abschaffung der Abschläge für eine vor Erreichen der Re-
gelaltersgrenze in Anspruch genommene vorzeitige Altersrente ist für die Betroffenen die vorgezogene Alters-
rente nach § 40 SGB VI – in der im Jahr des Renteneintritts jeweils geltenden Fassung – nachträglich anzuwen-
den. Da der auch im DDR-Recht vorhandene Leistungszuschlag für die in der Braunkohleveredlung Tätigen
nicht galt, findet auch die Regelung in § 85 SGB VI, „Entgeltpunkte für ständige Arbeiten unter Tage (Leis-
tungszuschlag)“ keine Anwendung.
Solange ostdeutsche Bergleute, die viele Jahre unter widrigsten Umständen schwere Arbeit geleistet haben,
immer noch Kumpel zweiter Klasse sind, ist die deutsche Einheit nicht erreicht. Deswegen müssen ihre An-
sprüche schnellstmöglich anerkannt werden. Das wäre sozial und vor allem wäre es gerecht.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.