BT-Drucksache 18/7359

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung

Vom 26. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7359
18. Wahlperiode 26.01.2016

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Renate Künast,
Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung

A. Problem
Mit der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung der Zivilprozessordnung
(ZPO) wurden unter anderem die Rechtsmittel neu gestaltet. Ziel war es, eine Ent-
lastung der Gerichte zu erwirken. In diesem Zuge wurde auch § 522 Absatz 2 ZPO
neu eingeführt, der den Umgang mit Berufungen regelt, die aus Sicht des Gerichts
unbegründet sind. In diesen Fällen kann das Berufungsgericht die Berufung ohne
mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen. Aufgrund
der uneinheitlichen Anwendungspraxis des § 522 Absatz 2 ZPO durch die Ge-
richte wurden 2011 mit der erneuten Reform die Kriterien der Zurückweisung
enger gefasst, und es wurde die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichts-
hof gegen den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts eingeführt. Die
mit der Neufassung des § 522 ZPO verfolgten Ziele wurden nicht erreicht, insbe-
sondere nicht die erwartete Entlastung der Gerichte und die einheitliche Anwen-
dung des Zurückweisungsbeschlusses. Die Rechtsunsicherheit und Ungleichheit
im Rechtsmittelrecht, die durch die Einführung des § 522 Absatz 2 ZPO entstan-
den ist, besteht fort.

B. Lösung
Die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung ohne mündliche Verhandlung
durch Beschluss auf der Grundlage des § 522 Absatz 2 ZPO wird aufgehoben.

C. Alternativen
Keine. Auch die Vorgabe engerer Kriterien hat bisher zu keiner Vereinheitlichung
der Anwendung des § 522 Absatz 2 ZPO durch die Gerichte geführt.

D. Kosten
Durch die Abschaffung der Zurückweisungsmöglichkeit durch Beschluss gemäß
§ 522 Absatz 2 ZPO wird es immer zu einer mündlichen Verhandlung kommen,
es sei denn, es liegt eine Verwerfung durch Beschluss wegen Unzulässigkeit vor.
Dadurch kommt es einerseits zu einer Mehrbelastung der Berufungsgerichte. An-
dererseits werden die Gerichte jedoch auch entlastet, da der Vorbereitungsauf-

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wand für den einstimmigen Zurückweisungsbeschluss sowie für den vorgeschal-
teten Hinweisbeschluss entfällt. Die möglicherweise entstehenden Kosten durch
die Differenz kann nicht genau beziffert werden. Durch den Wegfall der Nichtzu-
lassungsbeschwerde nach § 522 Absatz 3 ZPO verringert sich die Belastung des
Bundesgerichtshofs, sodass dort Kosten eingespart werden können.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7359

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202;
2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2018)
geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 522 wird wie folgt geändert:

a) Die Absatzbezeichnung „(1)“ wird gestrichen.
b) Die Absätze 2 und 3 werden aufgehoben.

2. In § 523 werden die Wörter „oder zurückgewiesen“ gestrichen.
3. § 552a wird wie folgt geändert:

a) Satz 2 wird aufgehoben.
b) Die folgenden Sätze werden angefügt:

„Das Revisionsgericht hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Revision und die
Gründe hierfür hinzuweisen und dem Revisionsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit
zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die
Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Der Beschluss nach Satz 1 ist
nicht anfechtbar.“

4. In § 708 Nummer 10 werden die Wörter „oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2“ gestrichen.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 26. Januar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/7359 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

Mit der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung der Zivilprozessordnung wurden unter anderem die
Rechtsmittel neu gestaltet. Ziel war es eine Entlastung der Gerichte zu erwirken. In diesem Zuge wurde auch
§ 522 Absatz 2 ZPO neu eingeführt, der den Umgang mit – aus Sicht des Gerichts – unbegründeten Berufungen
regelt. In diesen Fällen muss das Berufungsgericht die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch einstimmi-
gen Beschluss zurückweisen, wenn die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache
keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht gebo-
ten ist. Das Berufungsgericht hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die
Gründe hierfür hinzuweisen und der Berufungsführerin bzw. dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden
Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Gemäß § 522 Absatz 3 ZPO steht dem Berufungsführer gegen den Zurückweisungsbeschluss seit 2011 das
Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre. Das bedeutet, dass gegen die Entscheidung
die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof erhoben werden kann, wenn der Wert der Beschwer
20.000 Euro übersteigt. Für unter 20.000 Euro liegende Werte bleibt der zurückweisende Beschluss des Beru-
fungsgerichts nach § 522 Absatz 2 ZPO unanfechtbar.
Ein Grund für die erneute Reform des § 522 ZPO im Jahre 2011 war es, der uneinheitlichen Anwendungspraxis
der Gerichte des Beschlusses nach § 522 Absatz 2 ZPO entgegenzuwirken. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Aus
Daten des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass 2014 an den Oberlandesgerichten (OLG) in Deutschland
insgesamt 14,0 Prozent der Berufungssachen durch Beschluss nach § 522 Absatz 2 ZPO erledigt wurden, davon
am OLG Saarbrücken nur 3,4 Prozent, am OLG Celle dagegen 21,6 Prozent. Diese Divergenzen unterscheiden
sich nicht maßgeblich von den Zahlen vor der Reform (beispielsweise wurden 2005 am Rostock 23,1 Prozent
aller erledigten Berufssachen nach § 522 Absatz 2 ZPO entschieden, am OLG Saarbrücken waren es dagegen nur
4,3 Prozent). Für Berufungsverfahren an den Landgerichten ergibt die Datenerhebung des Statistischen Bundes-
amtes von 2014 ein ähnliches uneinheitliches Bild: Im OLG-Bezirk Karlsruhe wurden 6,2 Prozent der Berufungs-
sachen durch Zurückweisungsbeschluss erledigt, im OLG-Bezirk Koblenz 22,6 Prozent. Dabei ist zu beachten,
dass das Statistische Bundesamt für die Landgerichte die Erledigungen nur nach OLG-Bezirken aufschlüsselt; an
den einzelnen Landgerichten in den OLG-Bezirken kommt es wiederum zu Schwankungen. So wurden beispiels-
weise nach Forschungsergebnissen der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen anhand anonymisier-
ter Erhebungen an den bayrischen Landgerichten an einem bayrischen Landgericht fast ein Viertel aller Beru-
fungssachen (24,5 Prozent) durch Beschluss nach § 522 Absatz 2 ZPO erledigt, an einem anderen bayrischen
Landgericht kein einziges (0 Prozent).
Diese Abweichungen zwischen den Berufungsgerichten lassen sich nicht mit einer divergierenden Rechtsmitte-
leinlegungs- oder -begründungspraxis erklären. Den Bürgerinnen und Bürgern wird ihr Anspruch auf gleichen
Zugang zu Gericht verwehrt. Die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof bei Zu-
rückweisungsbeschlüssen der Berufungsgerichte konnte das Problem des eingeschränkten Zugangs zum Recht
nicht lösen.
Zum einen wird bei der Beschwerde zum Bundesgerichtshof eine Berufungsinstanz übersprungen, da die Be-
schwerdeführerin bzw. der Beschwerdeführer nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde unmittelbar in das
Revisionsverfahren eintritt. Dieses ist daher mit der Sprungrevision zu vergleichen. Es besteht jedoch ein grund-
legender Unterschied hierzu. Bei der Sprungrevision liegt das Überspringen der Berufungsinstanz im Sinne der
Klägerin bzw. des Klägers, bei der Nichtzulassungsbeschwerde ist dieses nicht der Fall. Der Beschwerdeführerin
bzw. dem Beschwerdeführer geht es nicht um eine Grundsatzentscheidung durch den Bundesgerichtshof, sondern
sie bzw. er möchte allein die Überprüfung der individuellen rechtlichen Angelegenheit erreichen.
Zum anderen ist gemäß § 522 Absatz 3 ZPO, § 26 Nummer 8 EGZPO die Nichtzulassungsbeschwerde erst ab
einem Wert der geltend gemachten Beschwer von 20.000 Euro zulässig. Zurückweisungsbeschlüsse über darunter
liegende Werte sind nur vor dem Bundesverfassungsgericht angreifbar. Das Bundesverfassungsgericht musste

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bereits wiederholt Beschlüsse nach § 522 Absatz 2 ZPO bei einer Beschwer von unter 20.000 Euro aufheben,
z. B. wegen Verstoßes gegen den Justizgewährungsanspruch des Beschwerdeführers und die Rechtsschutzgaran-
tie aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes (BVerfG, Beschluss vom
25. März 2015 – 1 BvR 2811/14), wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013
– 1 BvR 1018/13) oder wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot durch das Berufungsgericht (BVerfG, Be-
schluss vom 12. September 2013 – 1 BvR 744/13; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 BvR 163/15).
Ein weiteres Ziel der Einführung des § 522 Absatz 2 ZPO im Zuge der Zivilprozessrechtsreform war die Be-
schleunigung der Rechtsmittelverfahren sowie die Entlastung der Justiz. Dieses Ziel ist jedoch nicht wie erwartet
erreicht worden; die Annahme der Bundesregierung, dass 50 Prozent aller Berufungsverfahren im Beschlussver-
fahren nach § 522 Absatz 2 ZPO erledigt werden könnten, hat sich nicht bestätigt. Der bundesweite Durchschnitt
lag im Jahr 2009 bei 16,1 Prozent, 2014 bei 13,9 Prozent. In der Praxis wurde zudem die Erfahrung gemacht, dass
Verfahren gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zeitlich länger dauern als normale Berufungsverfahren. Als eine Erklärung
wird genannt, dass die Berichterstatterin bzw. der Berichterstatter nicht durch einen anberaumten Verhandlungs-
termin zeitlich unter Druck gesetzt ist. Außerdem erfordert ein Verfahren mit einem einstimmigen gerichtlichen
Hinweisbeschluss, der Auswertung des daraufhin neu erfolgenden Parteivortrags und die Abfassung des einstim-
migen Zurückweisungsbeschlusses ebenfalls einen erheblichen Aufwand und bietet gegenüber der Durchführung
einer mündlichen Verhandlung keine wesentliche Arbeitserleichterung für die Justiz. Zusätzlich kommt es nun,
nach der Einführung nach § 522 Absatz 3 ZPO, zu weiteren Verzögerungen beim Abschluss des Rechtsstreites,
wenn die Berufungsführerin oder der Berufungsführer Beschwerde zum Bundesgerichthof erhebt.
Darüber hinaus konterkariert § 522 Absatz 2 ZPO die Bemühungen des Gesetzgebers, den Gerichten und den
gerichtlichen Entscheidungen einen bürgernahen Charakter zu geben. Für die Berufungsführerin oder den Beru-
fungsführer stellt es einen großen Unterschied dar, ob ihre bzw. seine Berufung im schriftlichen Verfahren oder
nach einer mündlichen Verhandlung zurückgewiesen wird, in der sich die bevollmächtigte Rechtsanwältin oder
der bevollmächtigte Rechtsanwalt äußern konnte. In einer mündlichen Verhandlung findet ein offener Diskurs
zwischen den Richterinnen und Richtern auf der einen Seite sowie den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten
auf der anderen Seite statt. In einem solchen Diskurs können Argumente besser ausgetauscht, Missverständnisse
ausgeräumt sowie gütliche Einigungen erzielt werden.
Sieht das Berufungsgericht die Berufung bereits beim Aktenstudium als offensichtlich unbegründet an, kann es
die Berufungsführerin bzw. den Berufungsführer zudem durch einen entsprechenden Hinweis vor dem Termin
darauf aufmerksam machen. Die Praxis hat gezeigt, dass ein solcher Hinweis in vielen Fällen dazu führt, dass die
Berufungsführerin bzw. der Berufungsführer – auch aufgrund ihrer bzw. seiner Beratung durch ihren bzw. seinen
Rechtsbeistand – einlenkt und die Berufung zurücknimmt.
Die Aufhebung des § 522 Absatz 2 ZPO kann zu einer stärkeren personellen Belastung an den Rechtsmittelge-
richten führen. Der gleiche Zugang zum Recht und die Wahrung des Rechtsfriedens sind jedoch bedeutende
Rechtsgrundsätze, die an dieser Stelle nicht hinter Einsparargumente zurücktreten dürfen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung)
Zu Nummer 1 (§ 522)
Durch die Aufhebung der Absätze 2 und 3 ist nunmehr eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Allein bei
der Unzulässigkeit der Berufung ist nach Absatz 1 weiterhin die Verwerfung durch Beschluss möglich. Gegen
diesen Beschluss besteht die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln.

Zu Nummer 2 (§ 523)
Hierbei handelt es sich um eine Folgeänderung, die aufgrund der Aufhebung der Absätze 2 und 3 des § 522 er-
forderlich geworden ist.

Zu Nummer 3 (§ 552a)
Hierbei handelt es sich um eine Folgeänderung, die aufgrund der Aufhebung der Absätze 2 und 3 des § 522 er-
forderlich geworden ist.

Drucksache 18/7359 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zu Nummer 4 (§ 708 Nummer 10)
Hierbei handelt es sich um eine Folgeänderung, die aufgrund der Aufhebung der Absätze 2 und 3 des § 522 er-
forderlich geworden ist.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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