BT-Drucksache 18/6346

Entwurf eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus

Vom 14. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6346
18. Wahlperiode 14.10.2015

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, Renate
Künast, Irene Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Dr. Konstantin von Notz,
Monika Lazar, Özcan Mutlu und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen
ohne Aufenthaltsstatus

A. Problem

Die aufenthalts- und asylrechtlichen Strafvorschriften kriminalisieren Menschen
ohne Aufenthaltsstatus wegen des bloßen Verstoßes gegen verwaltungsrechtliche
Vorschriften. Die Tatbestände dieses spezifischen Strafrechts können nur Men-
schen erfüllen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Die Vorschriften des
Aufenthaltsgesetzes zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht reichen
aus, um die Einhaltung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften sicherzustellen.
Die Aufenthaltsbeendigung aufgrund der Anwendung dieser Vorschriften hat be-
sonders schwerwiegende Folgen für die Betroffenen, sodass daneben eine straf-
rechtliche Verurteilung oftmals unverhältnismäßig erscheint. Da Strafrecht immer
nur Ultima Ratio sein darf, ist die strafrechtliche Ahndung des unrechtmäßigen
Aufenthalts entbehrlich. Die Vereinbarkeit der ausländerstrafrechtlichen Vor-
schriften mit unions- und völkerrechtlichen Vorgaben ist darüber hinaus zweifel-
haft.

B. Lösung

Spezifische Straf- und Bußgeldvorschriften, deren Voraussetzungen nur Men-
schen erfüllen können, die nicht deutsche Staatsangehörige sind, werden aufge-
hoben. An der Strafbarkeit des Einschleusens von Ausländern wird festgehalten,
sofern Bereicherungsabsicht vorliegt. In Fällen mit geringem Unrechtsgehalt soll
von Strafe abgesehen werden können. Damit werden die unions- und völkerrecht-
lichen Vorgaben eingehalten.

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Durch die weitgehende Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltssta-
tus werden die Staatsanwaltschaften und ihre Hilfsbeamten sowie die Strafge-
richte und weitere mit der Strafrechtspflege unmittelbar oder mittelbar befasste

Drucksache 18/6346 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Behörden deutlich entlastet. Die Ausländerbehörden werden durch den Wegfall
bzw. die Verringerung der bislang notwendigen Zusammenarbeit mit den zuvor
genannten Behörden entlastet. Dadurch werden die Kosten in erheblicher, aber
nicht quantifizierbarer Weise gesenkt, ohne dass erkennbare Mehrkosten entstün-
den.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6346

Entwurf eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen
ohne Aufenthaltsstatus

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das
zuletzt durch Artikel 128 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, wird wie
folgt geändert:

1. § 95 wird wie folgt gefasst:

㤠95

Verletzung ordnungsrechtlicher Vorschriften

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer vollziehbaren Anord-
nung nach § 46 Absatz 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 zuwiderhandelt.“

2. § 96 wird wie folgt gefasst:

㤠96

Einschleusen von Ausländern

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in der Absicht, sich zu
bereichern, einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen.
Ebenso wird bestraft, wer in der Absicht, sich zu bereichern, einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer,
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist, dazu anstiftet oder ihm Hilfe dazu leistet, sich unerlaubt im Bun-
desgebiet aufzuhalten, wenn ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in
den Fällen des Absatzes 1

1. gewerbsmäßig handelt,

2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt,
oder

3. den anderen einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der
Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt.

Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1

1. eine Schusswaffe bei sich führt oder

2. eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In den Fällen des Absatzes 1, in denen sich die Bereicherungsabsicht auf einen geringfügigen Vor-
teil bezieht oder in denen das Unrecht aus anderen Gründen gering ist, kann von Strafe abgesehen werden.

(5) § 73d des Strafgesetzbuches ist anzuwenden.“

Drucksache 18/6346 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. § 97 wird wie folgt gefasst:

㤠97

Einschleusen mit Todesfolge; gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 96 Absatz 1 den
Tod der anderen Person verursacht.

(2) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 96
Absatz 1 als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, ge-
werbsmäßig handelt.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

(4) § 73d des Strafgesetzbuches ist anzuwenden.“

4. § 98 wird wie folgt geändert:

a) Die Absätze 1 und 2 werden aufgehoben.

b) Absatz 2a wird Absatz 1.

c) Absatz 3 wird Absatz 2 und wie folgt geändert:

aa) In Nummer 1 wird das Komma durch das Wort „oder“ ersetzt.

bb) Die Nummern 2 bis 5 werden aufgehoben.

cc) Nummer 6 wird Nummer 2.

dd) Nummer 7 wird aufgehoben.

d) Absatz 4 wird aufgehoben.

e) Absatz 5 wird Absatz 3 und wie folgt gefasst:

„(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu fünf-
hunderttausend Euro, in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro
und in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 mit einer Geldbuße bis zu tausend Euro geahndet werden.“

Artikel 2

Änderung des Asylverfahrensgesetzes

Die §§ 84 bis 86 des Asylverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008
(BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2439) geändert
worden ist, werden aufgehoben.

Artikel 3

Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319),
die zuletzt durch Artikel 151 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, wird
wie folgt geändert:

1. § 100a Absatz 2 Nummer 4 wird aufgehoben.

2. § 100c Absatz 2 Nummer 2 wird aufgehoben.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6346

Artikel 4

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 13. Oktober 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/6346 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Die aufenthalts- und asylrechtlichen Strafvorschriften kriminalisieren Menschen ohne Aufenthaltsstatus wegen
des bloßen Verstoßes gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften. Die Tatbestände dieses spezifischen Strafrechts
können nur Menschen erfüllen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Die Vorschriften des Aufenthaltsgeset-
zes zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht reichen jedoch aus, um die Einhaltung der aufenthalts-
rechtlichen Vorschriften sicherzustellen. Die Aufenthaltsbeendigung hat besonders schwerwiegende Folgen für
die Betroffenen, sodass daneben eine strafrechtliche Verurteilung oftmals unverhältnismäßig erscheint. Da Straf-
recht immer nur Ultima Ratio sein darf, ist die strafrechtliche Ahndung des unrechtmäßigen Aufenthalts entbehr-
lich. Verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Abschiebung auf Kosten der Betroffenen und die Anordnung
von Einreise- und Aufenthaltsverboten bleiben von diesem Gesetzentwurf unberührt.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Spezifische Straf- und Bußgeldvorschriften, deren Voraussetzungen nur Menschen erfüllen können, die nicht
deutsche Staatsangehörige sind, werden aufgehoben. An der Strafbarkeit des Einschleusens von Ausländern wird
festgehalten. Damit stellt dieser Gesetzentwurf eine Fortentwicklung der Position der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN dar, die in den letzten Wahlperioden die Entkriminalisierung der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt aus
humanitären Beweggründen gefordert hat (BT-Drs. 17/6167; 16/445).

III. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Absatz Nummer 1 und 4 des Grundgesetzes.
Die Voraussetzungen von Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes sind erfüllt, da die Wahrung der strafrechtlichen
Rechtseinheit im Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes eine bundesge-
setzliche Regelung erforderlich macht. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil eine große Mehrheit der von
den bestehenden Regelungen betroffenen Personen der bundesweiten Umverteilung gemäß § 15a des Aufenthalts-
gesetzes bzw. §§ 44 ff. des Asylverfahrensgesetzes unterliegen.

IV. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

Die Aufhebung von Strafvorschriften, deren Tatbestände nur von Menschen, die nicht deutsche Staatsangehörige
sind, erfüllt werden können, steht im Einklang mit verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben. Da
solche Strafvorschriften die Betroffenen regelmäßig in ausufernder Weise belasten, erscheint ihre Aufhebung
ebenfalls als Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, zumal die Strafvorschriften als abstrakte Ge-
fährdungsdelikte nicht den Schutz von Grundrechten bezwecken, sondern als Ahndung von Verstößen gegen
Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts gedacht sind.

Die Vereinbarkeit der bestehenden ausländerstrafrechtlichen Vorschriften mit dem Recht der Europäischen Union
ist zweifelhaft. Ihre Aufhebung dient daher auch der Verwirklichung unionsrechtlicher Vorgaben. Die Richtlinie
2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise
und zum unerlaubten Aufenthalt verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht zur Sanktionierung der unerlaubten Ein-
reise an sich (vgl. Hörich/Bergmann, ZRP 2014, 109). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hingegen
entschieden, dass die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember
2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt-
staatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass sie „der Regelung eines Mitgliedstaats, die
den illegalen Aufenthalt mit strafrechtlichen Sanktionen ahndet, entgegensteht, soweit diese Regelung die Inhaf-
tierung eines Drittstaatsangehörigen zur Strafvollstreckung zulässt, der sich zwar illegal im Hoheitsgebiet dieses

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/6346
Mitgliedstaats aufhält und nicht bereit ist, dieses Hoheitsgebiet freiwillig zu verlassen, gegen den aber keine
Zwangsmaßnahmen im Sinne von Art. 8 dieser Richtlinie verhängt wurden und dessen Haft im Fall einer Inhaft-
nahme zur Vorbereitung und Durchführung seiner Abschiebung noch nicht die höchstzulässige Dauer erreicht
hat“ (EuGH, Urt. v. 06.12.2011, C-329/11 – Achughbabian). Der Gerichtshof hat darüber hinaus entschieden,
dass die Rückführungsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht,
„die vorsieht, dass gegen einen illegalen aufhältigen Drittstaatsangehörigen allein deshalb eine Haftstrafe ver-
hängt, weil er entgegen einer Anordnung, das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats innerhalb einer be-
stimmten Frist zu verlassen, ohne berechtigten Grund in dessen Hoheitsgebiet bliebt“ (EuGH, Urt. v. 28.04.2011,
C-61/11 PPU – El Dridi). An dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof auch in seinem jüngsten Urteil zur
Auslegung der Rückführungsrichtlinie fest: „Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Mitgliedstaat keine straf-
rechtliche Regelung anwenden, die die Verwirklichung der mit der Richtlinie 2008/115 verfolgten Ziele gefährden
und damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben könnte“ (EuGH, Urt. v. 01.10.2015, C-290/14 – Skerdjan
Celaj, Rn. 21) In der deutschen Rechtsprechung ist mittlerweile anerkannt, dass nach den Vorgaben des Europä-
ischen Gerichtshofs eine Verurteilung aufgrund von § 95 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes ausge-
schlossen ist, „wenn und soweit einem Ausländer, dessen Aufenthalt den Ausländerbehörden bekannt ist, illegaler
Aufenthalt nur während des laufenden Rückführungsverfahrens zur Last gelegt wird“ (OLG Hamburg, Beschl.
V. 25.01.2012, BeckRS 2012, 03849). Da die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten zur Durchführung ef-
fektiver Rückführungsverfahren verpflichtet, die strafrechtliche Ahndung des unrechtmäßigen Aufenthalts aber
geeignet ist, das Rückführungsverfahren zu verzögern, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertreten,
dass darüber hinaus die Strafnormen des § 95 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 3, Absatz 2 Nummer 1 des Aufenthalts-
gesetzes weitestgehend mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang zu bringen sind (Hörich/Bergmann,
ZRP 2014, 109; dies., Asylmagazin 2013, 146; dies., NJW 2012, 3339; s.a. Hörich, Abschiebungen nach europä-
ischen Vorgaben, Baden-Baden 2015, S. 283 ff.).

Die Aufhebung der ausländerstrafrechtlichen Vorschriften dient im Übrigen der Umsetzung der Vorgaben von
Artikel 5 des Protokolls vom 15. November 2000 gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und
Luftweg zum Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität („Palermo-Protokoll“),
wonach geschleuste Ausländerinnen und Ausländer nicht wegen der Schleusung strafrechtlich belangt werden
dürfen.

Die Beibehaltung der Strafbarkeit des Einschleusens von Ausländern setzt die Vorgaben von Artikel 1 der Richt-
linie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durch-
reise und zum unerlaubten Aufenthalt um und entspricht den Vorgaben von Artikel 6 des Palermo-Protokolls
sowie der Forderung des Europäischen Parlaments (Entschließungsantrag vom 09.09.2015 zum Thema „Migra-
tion und Flüchtlinge in Europa“ (2015/2833(RSP)).

Die Beibehaltung der Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen vollziehbare Anordnungen nach § 46 Absatz 2
Satz 1 oder 2 oder § 47 Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes dient der effektiven Durchsetzung
von Maßnahmen, die getroffen werden, um insbesondere die Ausreise von gewaltbereiten Islamistinnen und Is-
lamisten in die Kriegs- und Krisengebiete des Nahen und Mittleren Ostens zu verhindern. Die strafrechtliche
Ahndung von Verstößen gegen in diesem Zusammenhang ergangene Anordnungen ist angesichts des Zwecks
dieser Anordnungen, die Begehung von schwerwiegenden Verbrechen, zu deren Ahndung die Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet ist (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) zu verhindern,
verhältnismäßig. Zur effektiven Verhinderung der Ausreise von Menschen, die beabsichtigen, im Ausland derar-
tige Verbrechen zu begehen, ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der völkerrechtlich verbindlichen Re-
solution 2178/2014 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verpflichtet.

V. Gesetzesfolgen

Durch die weitgehende Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus werden die Staatsanwaltschaf-
ten und ihre Hilfsbeamten sowie die Strafgerichte und weitere mit der Strafrechtspflege unmittelbar oder mittelbar
befasste Behörden deutlich entlastet. Derzeit müssen die Behörden, die an das Legalitätsprinzip gebunden sind,
unzählige Verfahren wegen des Verstoßes gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften einleiten, bei denen von vorn-
herein absehbar ist, dass sie eingestellt werden müssen, weil die Tatverdächtigen Flüchtlinge im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention sind und deshalb nicht wegen der illegalen Einreise bestraft werden dürfen (Artikel 31 der
Genfer Flüchtlingskonvention). Die Absurdität dieses Vorgangs wird besonders deutlich, wenn man sich vor Au-
gen führt, was dies – wie im Sommer 2015 – im Falle der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge aus Syrien am selben

Drucksache 18/6346 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Tag bedeutet. Deshalb fordert auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Entkriminalisierung der illegalen
Einreise (www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-kripogewerkschaft-will-illegale-einreise-entkrimina-
lisieren-a-1050152.html, Stand 09.09.2015). Damit würden zudem Fehlanreize für die Betroffenen beseitigt, sich
nach der Einreise aus Furcht vor Strafverfolgung nicht bei den zuständigen Behörden registrieren zu lassen.

Im Jahr 2013 wurden aufgrund der bisherigen Strafvorschriften in § 95 des Aufenthaltsgesetzes 6707 Personen
verurteilt; aufgrund der Strafvorschriften des Asylverfahrensgesetzes waren es 649 Personen (Strafverfolgungs-
statistik 2013, S. 84, 184). Der Verwaltungsaufwand, der mit der Strafverfolgung einhergeht, dürfte sich in Zu-
kunft drastisch verringern, da von diesen Straftatbeständen nach diesem Gesetzentwurf lediglich der bisherige
§ 95 Absatz 1 Nummer 4 als neugefasster § 95 beibehalten wird. Die Ausländerbehörden werden durch den Weg-
fall bzw. die Verringerung der bislang notwendigen Zusammenarbeit mit den zuvor genannten Behörden entlastet.
Dadurch werden die Kosten in erheblicher, aber nicht quantifizierbarer Weise gesenkt, ohne dass erkennbare
Mehrkosten entstünden.

Ein weiterer positiver Effekt der Entkriminalisierung weiter Teile des bestehenden Ausländerstrafrechts ist, dass
auf diese Weise Zeugen für Verfahren wegen Schleuserdelikten gewonnen werden können. Bislang konnten sich
nämlich illegal einreisende Personen auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Absatz 1 der Strafprozess-
ordnung berufen, da ihnen selbst wegen des betreffenden Sachverhalts Strafverfolgung drohte. An der Verweige-
rung der Auskunft der Betroffenen scheitert aber ein Verfahren wegen Schleuserdelikten oftmals.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (AufenthG)
Zu Nummer 1 (§ 95)

Die Strafbarkeit der Beteiligung an der Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 46 Absatz 2
Satz 1 oder 2 oder § 47 Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes dient der effektiven Durchsetzung
von Maßnahmen, die getroffen werden, um insbesondere die Ausreise von gewaltbereiten Islamistinnen und Is-
lamisten in die Kriegs- und Krisengebiete des Nahen und Mittleren Ostens zu verhindern. Zur effektiven Verhin-
derung der Ausreise dieser Personen ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der völkerrechtlich verbindli-
chen Resolution 2178/2014 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verpflichtet. Die Entwicklung geeigneter
und rechtsstaatlicher Maßnahmen zur Ausreiseverhinderung hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie-
derholt eingefordert (vgl. BT-Drs. 18/4711; siehe auch BT-Drs. 18/2542; 18/3232; 18/4133). Die strafrechtliche
Ahndung von Verstößen gegen solche Anordnungen ist verhältnismäßig, da sie die Verhinderung der Begehung
von schwerwiegenden Verbrechen, zu deren Ahndung die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist (Genozid,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) bezwecken.

Zu Nummer 2 (§ 96)

Das Einschleusen von Ausländern bleibt nach diesem Gesetzentwurf strafbar, sofern die Täterinnen und Täter in
Bereicherungsabsicht handeln. Strafbar macht sich mithin, wer die unerlaubte Grenzüberschreitung nicht als un-
eigennützig agierender Fluchthelfer fördert, sondern in Bereicherungsabsicht handelt. Damit werden die Vorga-
ben von Artikel 6 des Palermo-Protokolls und von Artikel 1 der Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. No-
vember 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt
umgesetzt.

Strafbar macht sich wie bisher insbesondere, wer ein über die Teilnahme an der Verletzung von verwaltungs-
rechtlichen Regelungen hinausgehendes Unrecht verwirklicht. Dies ist etwa der Fall, wenn jemand bei der An-
stiftung zur unerlaubten Einreise bzw. bei der Hilfeleistung zur unerlaubten Einreise eine Schusswaffe bei sich
führt oder eine andere Waffe, die er beabsichtigt zu verwenden, oder wenn er den Betroffenen einer das Leben
gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheits-
schädigung aussetzt. In diesen Fällen werden nämlich Schutzgüter der Betroffenen von herausragender Bedeutung
tangiert. Körperliche Unversehrtheit und Leben sind verfassungsrechtlich, unionsrechtlich und völkerrechtlich
besonders geschützte Rechtsgüter; zur Ahndung von unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen ist die
Bundesrepublik Deutschland im Übrigen aufgrund der UN-Antifolterkonvention verpflichtet.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/6346
Von Strafe kann hingegen abgesehen werden, wenn sich die Bereicherungsabsicht nur auf einen geringfügigen
Vorteil bezieht oder das Unrecht aus anderen Gründen gering ist. Damit wird eine unverhältnismäßige Strafver-
folgung in alltäglichen Situationen vermieden, in denen etwa Verkehrs- und Taxiunternehmen beim grenzüber-
schreitenden Verkehr auch dann die für ihre Dienstleistung übliche Vergütung verlangen, wenn sie billigend in
Kauf nehmen, dass ihr Passagier nicht zum Grenzübertritt berechtigt ist.

Zu Nummer 3 (§ 97)

Als Qualifikation des § 96 ist das Einschleusen mit Todesfolge und das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen
wie im bisherigen Recht ausgestaltet. Dies entspricht der Systematik der Strafbarkeit des Raubes und seiner Qua-
lifikationen (§§ 249 ff. StGB).

Zu Nummer 4 (§ 98)

Die Auswirkungen der verwaltungsrechtlichen Entscheidungen über die Aufenthaltsbeendigung sind für die Be-
troffenen regelmäßig derart schwerwiegend, dass die zusätzliche Ahndung des fehlenden Aufenthaltsstatus als
Ordnungswidrigkeit dem Übermaßverbot in gleicher Weise zuwiderläuft wie dessen Ahndung als Straftat. Für die
effektive Durchsetzung der etwaigen Ausreisepflicht ist die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nicht erforderlich,
sondern vielmehr hinderlich, da die Einleitung des entsprechenden Verfahrens geeignet ist, die Ergreifung und
Durchsetzung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen durch die zuständige Behörde zu verzögern. Wie vorstehend
ausgeführt, steht dies in einem Spannungsverhältnis zu den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union. Zudem
dürfte das Wissen, dass ein Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen nicht nur die (zwangsweise)
Durchsetzung dieser Bestimmungen, sondern darüber hinaus die Ahndung als Ordnungswidrigkeit zur Folge ha-
ben kann, geeignet sein, die potenziell Betroffenen davon abzuhalten, ihre freiwillige Ausreise oder die Legali-
sierung ihres Aufenthalts zu betreiben. Denn im Falle einer freiwilligen Ausreise kann die Einleitung eines Ver-
fahrens sogar noch durch die mit dem Grenzschutz betrauten Bundespolizei veranlasst werden; die Legalisierung
eines unrechtmäßigen Aufenthalts ist nach geltendem deutschen Recht nur in bestimmten Ausnahmekonstellati-
onen möglich und in aller Regel mit Unwägbarkeiten hinsichtlich des Verfahrensausgangs belastet, die das Risiko
einer Ahndung als oftmals nicht unerheblich erscheinen lassen (vgl. http://sas-space.sas.ac.uk/5698/1/RLI_Wor-
king_Paper_No_8.pdf, Stand 23.09.2015).

Die vorstehenden Erwägungen gelten dort nicht, wo als Ordnungswidrigkeit Verstöße gegen Pflichten geahndet
werden, die einerseits eine effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit und andererseits die effektive Wahrnehmung
von Verantwortung für ausländische Minderjährige bezwecken. Die entsprechenden Vorschriften bleiben daher
bestehen.

Zu Artikel 2 (AsylVfG)

Ebenso wie die Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes können die Straftatbestände des Asylverfahrensgesetzes
entweder nur von Menschen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind, erfüllt werden (§§ 85 und 86) oder aber
setzen sie voraus, dass ein rechtlicher Vorteil für einen Menschen, der nicht deutscher Staatsangehöriger ist, an-
gestrebt wird (§§ 84 und 84a). Der Unrechtsgehalt wird in vielen Konstellationen der §§ 84 bis 85 des Asylver-
fahrensgesetzes auch von Strafvorschriften des allgemeinen Strafrechts erfasst – etwa Urkundsdelikte nach §§ 267
ff. oder falsche Versicherung an Eides statt nach § 156 des Strafgesetzbuches (BeckOK-Hohoff, § 84 AsylVfG
Rn. 9, 7. Aufl. 2015). Damit wird der Zweck des Strafrechts bereits erfüllt.

Bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des § 84 wurde erkannt, dass der Nachweis, ein Asylsuchen-
der sei nicht politisch Verfolgter, von den Strafverfolgungsbehörden nur mit äußerst aufwändigen Ermittlungen
geführt werden könne. Daher wurde auf die Strafbarkeit des Asylsuchenden selbst verzichtet. Dieselben Erwä-
gungen sprechen aber ebenso gegen die Strafbarkeit von Dritten, da ein Asylantrag jedenfalls dann nicht miss-
bräuchlich sein kann, wenn der Antragsteller politisch Verfolgter ist. (vgl. BeckOK-Hohoff, 7. Aufl. 2015, § 84
AsylVfG; MüKoStGB-Schmidt-Sommerfeld, 2. Aufl. 2013, § 84 AsylVfG Rn. 2). Gegen die Beibehaltung der
Strafvorschrift spricht auch, dass von der Strafbarkeit – auch und gerade in den besonders schweren Fällen des
Absatzes 2 – in erheblichem Maße Anwältinnen und Anwälte betroffen sind, deren pflichtgemäße Tätigkeitsaus-
übung allein schon durch den Verdacht der Begehung von Straftaten und der unter Umständen damit einherge-
henden Ermittlungsmaßnahmen auf empfindliche Weise beeinträchtigt wird. Dieselben Erwägungen sprechen
gegen die Beibehaltung des Qualifikationstatbestandes des § 84a.

Drucksache 18/6346 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Vereinbarkeit der in § 85 geregelten Straftatbestände mit dem Ultima-Ratio-Prinzip wird allgemein bezwei-
felt (vgl. BeckOK-Kluth/Heusch, 7. Aufl. 2015, § 85 AsylVfG Rn. 1 m.w.N.). Die erfassten Handlungen stehen
allesamt im Zusammenhang mit Verwaltungsentscheidungen und sind immer von untergeordneter Bedeutung.
Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass der Unrechtsgehalt von Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz
oder dem Asylverfahrensgesetz – etwa in § 25b Absatz 2 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes – auch bei einer
Verurteilung zu derselben Strafe geringer ist als der Unrechtsgehalt von Straftaten nach dem allgemeinen Straf-
recht.

Mit der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit langer Zeit geforderten und vorangetriebenen weitgehenden Ab-
schaffung der sog. Residenzpflicht wurde die Grundlage der Strafbarkeit nach § 85 Nummer 2, 3 und 4 des Auf-
enthaltsgesetzes erheblich modifiziert. Vor diesem Hintergrund ist es unangemessen, die verbleibenden Fälle von
Verstößen gegen die europaweit weiterhin einzigartige Aufenthaltsbeschränkung von Asylsuchenden und Gedul-
deten strafrechtlich zu ahnden.

Mit der Aufhebung der Strafvorschriften des § 85 werden auch die Probleme beseitigt, die sich immer stellen,
wenn die Strafbarkeit einer Handlung von der Wirksamkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts abhängt.
Insbesondere ist die Frage umstritten, welche Auswirkungen die Aufhebung eines Verwaltungsakts – etwa infolge
einer Anfechtungsklage – auf die Strafbarkeit hat (s. BeckOK-Kluth/Heusch, 7. Aufl. 2015, § 85 AsylVfG Rn. 3
m.w.N.). Da es sich bei der Aufenthaltsbeschränkung um einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des
Betroffenen handelt, sind solche Zweifel bei der Anwendung einer Strafnorm unerträglich.

Auch in den verbleibenden Fällen der sog. Residenzpflicht scheint es unangemessen, Verstöße gegen räumliche
Aufenthaltsbeschränkung mit Bußgeldern zu bewehren. Daher wird die Vorschrift des § 86 aufgehoben.

Zu Artikel 3 (StPO)

Zu Nummer 1

Folgeänderung zu Artikel 2.

Zu Nummer 2

Folgeänderung zu Artikel 2.

Zu Artikel 4

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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