BT-Drucksache 18/6153

Schutz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik

Vom 23. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6153
18. Wahlperiode 23.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Omid Nouripour,
Maria Klein-Schmeink, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar,
Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Ulle Schauws,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und
Intersexuellen in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik

Auf der Flucht und als Einwandernde begegnen Lesben, Schwule, Bisexuelle,
Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTTI) besonderen Herausfor-
derungen.

Im Visumverfahren zum Zwecke der Verpartnerung oder des Nachzugs zum Le-
benspartner sind sie gehalten, Informationen über ihre sexuelle Orientierung bzw.
Geschlechtsidentität preiszugeben und müssen insbesondere in Staaten, in denen
LSBTTI immer noch verfolgt bzw. gesellschaftlich stigmatisiert werden, darauf
vertrauen, dass diese Informationen nicht an außenstehende Dritte weitergegeben
werden. Das wird bislang nicht überall gewährleistet.

Nach der Einreise sind Flüchtlinge als LSBTTI auch an vielen Orten in Deutsch-
land weiterhin in besonderem Maße Diskriminierung und sogar gewalttätigen
Übergriffen ausgesetzt. Das ist inakzeptabel. Der Schutz vor Diskriminierung und
gewalttätigen Übergriffen muss unter allen Umständen gewährleistet werden.

Auch im Asylverfahren besteht die Gefahr, dass durch die Zusammenarbeit der
deutschen Behörden mit den Auslandsvertretungen der Herkunftsstaaten die Be-
hörden von Verfolgerstaaten von der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsi-
dentität der Betroffenen erfahren. Das kann verhängnisvolle Folgen im Falle einer
freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehr in das Herkunftsland haben. Die Un-
abhängigkeit der Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie Übersetzerinnen und
Übersetzer im Asylverfahren muss gewährleistet werden. Jeder Flüchtling muss
darauf vertrauen dürfen, dass sein Vorbringen von Dolmetscherinnen oder Dol-
metschern nicht aus Böswilligkeit oder Scham verfälscht wird.

Im Asylverfahren werden oftmals überzogene Anforderungen an die Glaubwür-
digkeit von Asylsuchenden gestellt. Dies ist insbesondere bei LSBTTI ein Pro-
blem. Es muss sichergestellt werden, dass sie nicht aus Scham oder Angst verfol-
gungsrelevante Tatsachen verschweigen. Dafür ist der Ausbau der Asylverfah-
rensberatung notwendig, die Asylsuchende auf die Anhörung vorbereitet.
LSBTTI sollten psychosoziale und wenn nötig psychotherapeutische Beratungs-
angebote in Anspruch nehmen können.

Drucksache 18/6153 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Vorkehrungen treffen das Auswärtige Amt und die deutschen Aus-
landsvertretungen, um den Schutz vertraulicher Informationen von LSBTTI
im Visumverfahren (etwa zum Zwecke der Verpartnerung bzw. des Lebens-
partnernachzugs oder im Rahmen des Resettlements) zu gewährleisten?

2. Gibt es in den Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen besondere
Schalter, an denen gewährleistet ist, dass vertrauliche Informationen von
LSBTTI nicht unbeteiligten Dritten zur Kenntnis gelangen können (Vertrau-
ensschalter)?

Wenn ja,

a) an welchen Standorten gibt es solche Schalter (bitte umfassend auflisten),

b) wer veranlasst die Einrichtung solcher Schalter (z. B. das Auswärtige Amt
oder die deutsche Auslandsvertretung in eigener Zuständigkeit),

c) werden für die Einrichtung solcher Schalter spezifische finanzielle oder
sachliche Mittel bereitgestellt, und ggf. von welcher Stelle und in welcher
Art und Höhe,

d) welches Personal (entsandtes Personal bzw. Ortskräfte) wird an solchen
Schaltern eingesetzt, und welchen Anforderungen muss es genügen,

e) inwiefern wird das eingesetzte Personal und das übrige Personal der Aus-
landsvertretungen für den Einsatz an solchen Schaltern besonders geschult,
und wer führt ggf. solche Schulungen durch,

f) hält es die Bundesregierung unter Berücksichtigung ihrer Antwort auf die
vorstehenden Unterfragen für gewährleistet, dass die Vertraulichkeit bei
Vorsprache an solchen Schaltern gewahrt wird?

Wenn nein, warum nicht, und inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung
deren Einrichtung?

3. Haben externe Dienstleister, die an der Durchführung des Visumverfahrens
beteiligt sind, nach Kenntnis der Bundesregierung Vertrauensschalter einge-
richtet?

Wenn ja,

a) an welchen Standorten ist dies der Fall (bitte umfassend auflisten),

b) wer veranlasst die Einrichtung solcher Schalter (z. B. das Auswärtige Amt,
die jeweils zuständige deutsche Auslandsvertretung in eigener Zuständigkeit
oder der externe Dienstleister),

c) werden für die Einrichtung solcher Schalter spezifische finanzielle oder
sachliche Mittel bereitgestellt, und ggf. von welcher Stelle und in welcher
Art und Höhe,

d) welches Personal wird an solchen Schaltern eingesetzt, und welchen Anfor-
derungen muss es genügen,

e) inwiefern wird das eingesetzte Personal für den Einsatz an solchen Schaltern
besonders geschult, und wer führt ggf. solche Schulungen durch,

f) inwiefern beaufsichtigt die Bundesregierung die externen Dienstleister bei
der Einrichtung von Vertrauensschaltern und die Einhaltung entsprechender
Schutzvorkehrungen, und inwiefern ist die Einrichtung von Vertrauens-
schaltern Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen mit den externen
Dienstleistern,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6153

g) hält es die Bundesregierung unter Berücksichtigung ihrer Antwort auf die
vorstehenden Unterfragen für gewährleistet, dass die Vertraulichkeit bei
Vorsprache an etwaigen Vertrauensschaltern bei externen Dienstleistern ge-
wahrt wird?

Wenn nein, warum nicht, und inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung,
die Einrichtung solcher Schalter bei externen Dienstleistern zu veranlassen?

4. In wie vielen Fällen hat nach Kenntnis der Bundesregierung der Vermerk
„Begründung Lebenspartnerschaft“ im Visum

a) zur Ausreiseverweigerung,

b) zur Ausreiseverzögerung,

c) zur Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen,

d) zur Einleitung von Verwaltungsmaßnahmen,

e) zu sonstigen Maßnahmen

(bitte ausführen) durch die Behörden des Herkunftsstaates geführt (bitte nach
Herkunftsstaaten für die Jahre 2010 bis 2014 sowie das erste Halbjahr 2015
aufschlüsseln), und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Bundesregierung hieraus?

5. Nach welchen Kriterien werden Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie
Übersetzerinnen und Übersetzer ausgewählt, mit denen die Auslandsvertre-
tungen im Rahmen von Visumverfahren zusammenarbeiten bzw. deren
Dienste sie Antragstellerinnen und Antragstellern empfehlen, und welchen
Anforderungen müssen diese Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie
Übersetzerinnen und Übersetzer genügen?

6. Inwiefern ist es gewährleistet, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher so-
wie Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen deutsche Auslandsvertretun-
gen zusammenarbeiten bzw. deren Dienste sie empfehlen, schutzbedürftige
Informationen von LSBTTI nicht an die Behörden des Herkunftslandes oder
andere Dritte weitergeben, und inwiefern werden etwaige Verstöße gegen
etwaige Verschwiegenheitspflichten sanktioniert?

7. Inwiefern werden die deutschen Auslandsvertretungen ihrer Beratungs-
pflicht aus § 25 des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Hinblick auf die be-
sonderen Bedürfnisse von LSBTTI, die ein Visum beantragen, gerecht, und
inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, dieses Beratungsangebot auszu-
bauen und an die tatsächlichen und rechtlichen Entwicklungen in Deutsch-
land und im Herkunftsland anzupassen?

8. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass der Flüchtlingshoch-
kommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), insbesondere in Resettle-
ment-Verfahren, LSBTTI unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürf-
nisse berät, und inwiefern unterstützt die Bundesregierung den UNHCR da-
bei finanziell und/oder in anderer Weise?

9. Wird einem Umverteilungsantrag von Asylsuchenden, die infolge einer Ver-
partnerung eine Aufenthaltserlaubnis gem. §§ 27 ff. des Aufenthaltsgesetzes
erhalten können und zu ihrem Lebenspartner in ein anderes Bundesland zie-
hen wollen, nach Kenntnis der Bundesregierung in allen Ländern stattgege-
ben, und wenn nein, warum nicht, und inwiefern beabsichtigt die Bundesre-
gierung, hier für eine bundesweit einheitliche Regelung zu sorgen, die das
familiäre Zusammenleben gewährleistet?

Drucksache 18/6153 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

10. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung spezifische Anlaufstellen, an die
sich Asylsuchende und Flüchtlinge wenden können, wenn sie als LSBTTI
Diskriminierung erfahren oder von gewalttätigen Übergriffen betroffen sind
(bitte nach Bundesländern aufschlüsseln), und inwiefern fungieren das Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge bzw. andere Stellen des Bundes in die-
sem Zusammenhang als Ansprechpartner?

11. Welche Schutzmaßnahmen können die Behörden des Bundes und nach
Kenntnis der Bundesregierung der Länder zugunsten von Flüchtlingen tref-
fen, die als LSBTTI diskriminiert werden oder von gewalttätigen Übergriffen
betroffen sind, und welche Schutzmaßnahmen werden in der Praxis ergrif-
fen?

12. Bestehen Bundesprogramme und nach Kenntnis der Bundesregierung Lan-
desprogramme, um Asylsuchende über die Rechte von LSBTTI in Deutsch-
land und Europa aufzuklären und Diskriminierung und gewalttätigen Über-
griffen präventiv entgegenzuwirken?

Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg dieser Programme,
und inwiefern beabsichtigt sie, sich für den Ausbau dieser Programme ein-
zusetzen?

Wenn nein, warum nicht, und inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung,
die Schaffung solcher Programme zu unterstützen und voranzutreiben?

13. Stehen LSBTTI nach Kenntnis der Bundesregierung in den Erstaufnahme-
einrichtungen und Kommunen spezifische Beratungsangebote zur Verfü-
gung (bitte nach Ländern und ggf. Erstaufnahmeeinrichtungen und Kommu-
nen aufschlüsseln)?

Wenn ja,

a) wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg dieser Beratung, und inwiefern
beabsichtigt sie, den Ausbau solcher Beratungsangebote zu unterstützen und
voranzutreiben,

b) inwiefern werden Asylsuchende durch solche Beratungsangebote nach
Kenntnis und Auffassung der Bundesregierung angemessen darauf vorbe-
reitet, dass es im Asylverfahren entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der
Antragstellerinnen und Antragsteller und ihrer antragsbegründenden Aus-
führungen ankommt,

c) wie viele Personen haben nach Kenntnis der Bundesregierung solche Bera-
tungsangebote in den Jahren 2010 bis 2015 in Anspruch genommen (bitte
nach Jahren und für das Jahr 2015 nach Monaten sowie nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

Wenn nein, warum nicht, und inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung,
die Schaffung solcher Beratungsangebote zu unterstützen und voranzutrei-
ben?

14. Welche spezifischen psychosozialen und psychotherapeutischen Angebote
bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung für LSBTTI-Flüchtlinge (bitte
nach Ländern unter Angabe des jeweiligen Trägers und der Höhe der Bun-
deszuwendungen aufschlüsseln)?

15. Nach welchen Kriterien wählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie Übersetzerinnen und Übersetzer
aus, mit denen es im Rahmen von Asylverfahren zusammenarbeitet bzw. de-
ren Dienste es empfiehlt, und welchen Anforderungen müssen diese Dolmet-
scherinnen und Dolmetscher sowie Übersetzerinnen und Übersetzer genü-
gen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6153

16. Inwiefern ist gewährleistet, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie
Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge zusammenarbeitet bzw. deren Dienste es empfiehlt, Infor-
mationen über schutzwürdige Belange von LSBTTI nicht an die Behörden
des Herkunftslandes oder andere Dritte weitergeben, und inwiefern werden
etwaige Verstöße gegen etwaige Verschwiegenheitspflichten sanktioniert?

17. Arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit den Auslandsver-
tretungen der Herkunftsländer bei der Bestellung von Dolmetscherinnen und
Dolmetschern sowie Übersetzerinnen und Übersetzern zusammen?

Wenn ja,

a) mit welchen Behörden welcher Staaten erfolgt diese Zusammenarbeit (bitte
aufschlüsseln), und wie gestaltet sie sich im Einzelnen,

b) wie gewährleistet die Bundesregierung, dass es dadurch nicht dazu kommt,
dass die Behörden der Herkunftsstaaten Kenntnis von vertraulichen Infor-
mationen von LSBTTI erhalten,

c) inwiefern ist diese Praxis nach Auffassung der Bundesregierung mit den
Vorgaben des europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts vereinbar?

Wenn nein, inwiefern ist es nach Auffassung der Bundesregierung rechtlich
gewährleistet, dass eine solche Zusammenarbeit nicht erfolgen darf?

Berlin, den 23. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.