BT-Drucksache 18/6043

Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen - Mütterrente anerkennen

Vom 22. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6043

18. Wahlperiode 22.09.2015

Antrag

der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus

Ernst, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Katja Kipping, Jutta

Krellmann, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold

(Havelland), Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Katrin Werner,

Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zwar werden Adoptiveltern Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Renten-
versicherung nach denselben Grundsätzen angerechnet wie leiblichen Eltern,
Stief- und Pflegeltern. Mit dem durch das Rentenversicherungs-Leistungsverbes-
serungsgesetz eingeführten zusätzlichen Jahr Kindererziehungszeit („Mütter-
rente“) für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder kann es je nach Zeitpunkt der
Adoption jedoch vorkommen, dass die Kindererziehungszeit gar nicht zur An-
rechnung kommt. Ist für ein vor 1992 geborenes Kind zum 1. Juli 2014 ein Zu-
schlag für die Kindererziehungszeit (gemäß § 307d des Sechsten Buches Sozial-
gesetzbuch (SGB VI) zugeordnet worden, ist eine Anerkennung dieser Zeit für
die Adoptiveltern rechtlich ausgeschlossen, wenn dieses Kind zum Zeitpunkt der
Adoption älter als 12 Monate ist. Dies gilt auch dann, wenn die anspruchsberech-
tigte Person bereits verstorben ist.

Denn der Gesetzgeber wollte aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei Be-
standsrentnerinnen und -rentnern keine individuelle Prüfung bzw. Neuberech-
nung der Rente vornehmen. In diesen Fällen erhalten die leiblichen Mütter die
Kindererziehungszeit als pauschalen Zuschlag von einem persönlichen Entgelt-
punkt. Die Adoptiveltern gehen dagegen leer aus. Sie profitieren somit nicht von
der „Mütterrente“, obwohl sie es waren, die in diesem Zeitraum für die Erziehung
des Kindes verantwortlich waren.

Weil gerade Adoptivkinder einer besonderen Zuwendung bedürfen, ist dies oft-
mals im Rahmen der Erziehungsarbeit nur mit großem Engagement, erheblichen
Belastungen und unter beruflichen Einschränkungen bis hin zur Aufgabe der Er-
werbstätigkeit leistbar. Die im Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsge-
setz („Rentenpaket“) getroffene Pauschalierungsregelung wird deshalb von den
betroffenen Adoptiveltern als ungerecht und diskriminierend empfunden. Viele
der Betroffenen fühlen sich deshalb zu Erziehenden zweiter Klasse degradiert. Es
muss deshalb eine Lösung gefunden werden, damit den Adoptiveltern die (oftmals
besonders schwierige) Erziehungsarbeit ab dem Zeitpunkt der Adoption in vollem
Umfang in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wird.

Drucksache 18/6043 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass auf Antrag Adoptiveltern
für den 13. bis 24. Kalendermonat nach dem Geburtsmonat des Kindes Kinderer-
ziehungszeiten zugeordnet werden können, auch wenn den leiblichen Eltern im
Rahmen des RV-Leistungsverbesserungsgesetz ein Zuschlag an persönlichen
Entgeltpunkten für vor 1992 geborene Kinder („Mütter-Rente“) gemäß § 307d
SGB VI gewährt wurde. Bezieht der so anspruchsberechtigte Adoptivelternteil
bereits eine Rente, wird diese zusätzliche Kindererziehungszeit rückwirkend ab
Rentenbeginn, frühestens jedoch ab 1. Juli 2014 gewährt.

Berlin, den 22. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz wurde ein zusätzliches Jahr Kindererziehungszeit für vor 1992 gebo-
rene Kinder eingeführt. Die ungleiche Honorierung von Kindererziehung in der Rente soll somit verringert wer-
den, weil in früheren Zeiten noch nicht in dem Maße wie heute Kinderbetreuungsmöglichkeiten bestanden, so
dass gerade Mütter und Väter von vor 1992 geborenen Kindern Nachteile in ihrer Alterssicherung hinnehmen
mussten (vgl. Begründungsteil des RV-Leistungsverbesserungsgesetz, Drucksache 18/909, S. 14). Danach wer-
den seit dem 1. Juli 2014 statt 12 die ersten 24 Monate nach der Geburt des Kindes als Kindererziehungszeit
anerkannt.

Zwar werden Adoptiveltern Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach denselben
Grundsätzen angerechnet wie leiblichen Eltern, Stief- und Pflegeltern. Für Bestandsrentnerinnen und -rentner, die
bis zum 30. Juni 2014 in Rente gegangen sind, hat sich der Gesetzgeber aus verwaltungspraktikablen Überlegun-
gen dafür entschieden, dass die „Mütterrente“ in vereinfachter und pauschaler Form als Zuschlag an persönlichen
Entgeltpunkten gezahlt wird. Die Pauschalierungsregelung nach § 307d SGB VI kann dazu führen, das Adoptiv-
eltern für ein vor 1992 geborenes Adoptivkind die zusätzlichen Kindererziehungszeiten nicht bekommen (gemäß
§ 249 Abs. 8 Satz 2 SGB VI). Die leibliche Mutter, die am 1. Juli 2014 bereits eine Rente bezog, erhält dagegen
zusätzlich zu den ersten 12 Monaten nach dem vereinfachten Verfahren auch den vollen Zuschlag an Kinderer-
ziehungszeit, insgesamt für dann 24 Monate. Wer also wann für die Erziehung des Kindes verantwortlich war,
wird demnach nicht individuell geprüft.

Anders verhält es sich bei leiblichen Eltern, die nach dem 1. Juli 2014 in Rente gegangen sind oder noch keine
Rente beziehen. Unter der gleichen Konstellation (Erziehung bis zum 12. Monat durch die leibliche Mutter) be-
ginnt die Kindererziehungszeit der Adoptiveltern ab dem Folgemonat, an dem der/die Erziehende die Vorausset-
zungen für die Berücksichtigung erfüllt. Diese Unterscheidung des an sich gleichen Sachverhaltes hat bei den
betroffenen Adoptiveltern zusätzlich zu erheblichem Unverständnis beigetragen.

Dabei wusste die Bundesregierung bereits vor dem Gesetzgebungsprozess um die Probleme, die sich aus der
rentenrechtlichen Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten bei Adoptiveltern ergeben können. Bereits am
22. Januar 2014 bemängelte der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD), dass das vereinfachte
Verfahren viele Erziehende benachteilige (vgl. Die Welt vom 9. Juni 2015: „Kind adoptiert und heute Mutter
zweiter Klasse“). Zudem hatte der Petitionsausschuss in einer Beschlussempfehlung schon im September 2005
zu der generellen Problematik der Kindererziehungszeiten bei Adoptiveltern deutlich Stellung bezogen: „Der [Pe-
titions-]Ausschuss hält es aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für gerechtfertigt, Eltern, die bereit sind, ältere

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6043
Kinder zu adoptieren, vom Anspruch auf Kindererziehungszeiten auszugrenzen bzw., diesen Anspruch einzu-
schränken (Pet 3-15-15-8214-0134953).“ Auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat sich im
September 2006 der Sache angenommen und ebenfalls die Berücksichtigung der Erziehungsleistung bei der An-
nahme älterer Kinder eingefordert (Kommissionsdrucksache 16/05 vom 27. September 2006).

Auch wenn die Forderungen der damaligen Petition weit über die aktuelle Forderung der Antragstellenden hin-
ausgingen, wusste die Bundesregierung doch um die Sensibilität des Themas bei den betroffenen Adoptiveltern.
Gleichwohl hat sie mit der Pauschalierungsregelung lieber den (verwaltungstechnischen) günstigsten und
schnellsten Regelungsweg beschritten, statt nach einer gerechten Regelung für möglichst alle zu suchen. Dabei
schreibt selbst die Bundesregierung auf ihrem Portal zum Rentenpaket, dass die „Mütterrente“ eine Anerkennung
für die erbrachte Erziehungsleistung sei (www.rentenpaket.de). Viele betroffene Adoptiveltern, zumeist Mütter,
fragen sich nun, ob die Erziehung ihres adoptierten Kindes weniger wert ist, nur weil sie es nicht selbst zur Welt
gebracht haben. Die Bundesregierung ist im Interesse der mehreren tausend betroffenen Adoptiveltern deshalb
gut beraten, deren Erziehungsleistung anzuerkennen, damit alle von der „Mütterrente“ profitieren – so wie sie es
versprochen hat.

Darüber hinaus wäre auch im Sinn des Rechtsfriedens die Bundesregierung gut beraten, schnellstmöglich zu han-
deln. In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung hatte der 4. Senat des Bundessozialgerichts im Jahr 2000
geurteilt, (Urteil vom 31.08.2000 - B 4 RA 28/00 R), dass auch bei den vor dem 1. Januar 1992 zurückgelegten
Erziehungszeiten es vorrangig darauf ankommt, wer das Kind im maßgeblichen Zeitraum nach objektiven Ge-
sichtspunkten tatsächlich überwiegend erzogen hat. Seitdem prüfen die Rentenversicherungsträger, wer für die
zurückgelegten Erziehungszeiten den überwiegenden Erziehungsanteil übernommen hat. Schon allein aus der lo-
gischen Konsequenz dieser Rechtsprechung hätte der Gesetzgeber beim vereinfachten Verfahren Ausnahmetat-
bestände berücksichtigen müssen.

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