BT-Drucksache 18/5099

Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen

Vom 10. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5099
18. Wahlperiode 10.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Renate
Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Falle des Todes einer nahestehenden Person haben Hinterbliebene und Angehö-
rige nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Anders als viele
andere europäische (und weitere) Rechtsordnungen gewährt das deutsche Recht kein
Schmerzensgeld für erlittene Seelenqualen, die Angehörige durch den Verlust ei-
nes/einer Angehörigen erleiden. Nur in Ausnahmefällen, in denen Angehörige als
Folge des erlittenen Verlusts eine eigene Erkrankung oder eine schwere seelische
Erschütterung („Schockschaden“) nachweisen können, steht ihnen ein Schadenser-
satz, z. B. nach § 823 Abs. 1 BGB, zu. Hier verlangt die Rechtsprechung aber im-
mer, dass die medizinisch erfassbaren Auswirkungen nach Art und Schwere deutlich
über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige
bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (BGHZ 56, 163). Aber der
Trauerschaden, den eine Person infolge des Todes eines nahen Angehörigen erleidet,
ist in Deutschland nach der derzeitigen Rechtslage nicht ersatzfähig. In vielen an-
deren europäischen Ländern ist ein Angehörigenschmerzensgeld, zum Teil mit fes-
ten Entschädigungssummen, vorgesehen. Auch die Grundregeln des Europäischen
Vertragsrechts sehen in ihren (rechtlich unverbindlichen) Empfehlungen immateri-
elle Verluste von Angehörigen als relevanten Schaden an.

Die Koalitionsfraktionen haben angekündigt, die Rechtslage in Deutschland zu än-
dern. Im Koalitionsvertrag steht dazu: „Menschen, die einen nahen Angehörigen
durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Aner-
kennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein,
der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt.“

Nach dem Absturz der Germanwings-Passagiermaschine am 24. März 2015 haben
die Fluggesellschaften Germanwings und Lufthansa den Hinterbliebenen der Opfer
eine finanzielle Überbrückungshilfe von jeweils bis zu 50.000 Euro zur Verfügung
gestellt.

Einen einklagbaren Anspruch auf ein eigenes Schmerzensgeld hätten die Hinterblie-
benen nach deutschem Recht allerdings bislang nicht.
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Drucksache 18/5099 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzesentwurf vorzulegen mit dem

1. die §§ 253, 823 BGB dahingehend erweitert werden, dass auch den Hinterblie-
benen ein eigener Schmerzensgeldanspruch gegen denjenigen zusteht, der den
Tod eines nahen Angehörigen schuldhaft herbeigeführt hat;

2. in den Fällen der Gefährdungshaftung der gesetzliche Schadensersatzanspruch,
insbesondere in § 833 BGB, § 7 StVG, § 1 HaftpflichtG, § 33 LuftVG, § 1 Um-
wHG, § 1 ProdHaftG, § 84 AMG, § 25 AtomG, § 32 GenTG, § 22 WHG und
§ 29 BJagdG, ebenfalls um ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene erweitert
wird;

3. das Opferentschädigungsgesetz dahingehend ergänzt wird, dass auch Hinter-
bliebene im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Verursachers einen Anspruch ge-
gen den Staat nach diesem Gesetz geltend machen können.

Berlin, den 9. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Das deutsche Schadensersatzrecht weist im Hinblick auf die Hinterbliebenen eine Lücke auf, die weder dem
Gerechtigkeitsempfinden entspricht, noch im internationalen Vergleich üblich und angemessen ist.

Für den Verursacher oder die Verursacherin bzw. dessen/deren Versicherer ist es in bestimmten Konstellatio-
nen bisher wirtschaftlich günstiger, wenn der oder die Verletzte so stark beeinträchtigt ist, dass er oder sie keine
Schmerzen mehr empfinden kann oder eben verstirbt, als wenn dieser/diese bei Bewusstsein bleibt und mit
Beeinträchtigungen überlebt.

Die strikte Ausrichtung des Schadensersatzes an dem Schmerzempfinden des Verletzten lässt den Schmerz des
Verlustes der Hinterbliebenen im Falle des Todes vollständig unberücksichtigt.

Mit einer entsprechenden Erweiterung der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage bei widerrechtlichen Verlet-
zungen von Leib und Leben, § 823 Abs. 1 und 2, S. 253 BGB, lässt sich ein solcher Anspruch der Hinterblie-
benen im BGB einführen und klarstellen.

Auch in den gesetzlich geregelten Fällen der Gefährdungshaftung gelten dieselben Überlegungen. Die Gefähr-
dungshaftung beruht auf dem Gedanken, dass jemand, der zu seinem oder ihrem eigenen Nutzen einen gefähr-
lichen Betrieb eröffnet und unterhält, die Schäden tragen soll, die in Verwirklichung eben genau dieses Risikos
bei anderen eintreten.

Die angemessene Höhe des Schmerzensgeldes sollte wie bisher auch im Einzelfall durch die Gerichte festge-
setzt werden. Bei der Bemessung des Anspruchs im Einzelfall ist auch jeweils der Verwandtschaftsgrad und
die Nähe des oder der Angehörigen mit zu berücksichtigen.

Die bislang üblicherweise angewandten Schmerzensgeldtabellen haben sich bewährt. Auch wenn die in ande-
ren Ländern geltenden Pauschalsummen auf den ersten Blick höher ausfallen können, ist dort die Durchsetzung
häufig deutlich schwieriger als die von Schadensersatzansprüchen nach deutschem Recht.

Es gibt daher keinen überzeugenden Grund, von der bisherigen Systematik des deutschen Schadensersatzrechts
im Falle des Hinterbliebenenschmerzensgeldes abzuweichen.

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