BT-Drucksache 18/4972

Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben

Vom 20. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4972
18. Wahlperiode 20.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, Caren
Lay, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin
Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Sa-
bine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas
Lutze, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit
Wöllert, Hubertus Zdebel, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim
Übergangszuschlag beheben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem RRV-Leistungsverbesserungsgesetz wird die Erziehung vor 1992 gebore-
ner Kinder, die bisher mit einem Entgeltpunkt in der Rente berücksichtigt wurde,
künftig mit zwei Entgeltpunkten honoriert (die so genannte „Mütterrente“). Aller-
dings werden Frauen, die ihre Kinder in Ostdeutschland geboren haben, auch wei-
terhin gegenüber westdeutschen Müttern benachteiligt. Während Frauen pro Kind
im Westen ab dem 1. Juli 2015 29,21 Euro mehr Bruttorente im Monat erhalten, sind
es im Osten lediglich 27,05 Euro. Den betroffenen ostdeutschen Müttern ist diese
Ungleichbehandlung nicht mehr vermittelbar. Jedes Kind muss der Gesellschaft
gleich viel wert sein, und zwar unabhängig von seiner geografischen Herkunft. Dies
gilt selbstverständlich auch für die Bewertung der bereits anerkannten und zukünfti-
gen Kindererziehungszeiten.

Zugleich bringt die Überführung der Alterssicherungssysteme der DDR in das bun-
desdeutsche Recht mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) von 1991 bis heute
ungerechte Sachverhalte hervor. Ostdeutsche Frauen werden mit dem niedrigeren
Rentenwert (Ost) nicht nur generell bei der Mütterrente schlechter gestellt, sondern
auch wenn die Mütterrente mit dem als Bestandsschutz gedachten Übergangszu-
schlag zusammentrifft.

Bei Müttern, die beim Inkrafttreten der neuen Regelungen bereits in Rente sind, wer-
den die anrechenbaren Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden,
als Zuschlag (differenziert nach Kinderzahl und Rentenwert) gezahlt. Allerdings
wird dieser Zuschlag bei denjenigen Müttern in Ostdeutschland, die noch einen
Übergangszuschlag haben, ganz oder teilweise getilgt. Bei denjenigen Müttern hin-
gegen, die einen Auffüllbetrag oder einen Rentenzuschlag haben, wird der Zuschlag
aus der zusätzlichen Kindererziehungszeit, also faktisch der verbesserten Mütter-
rente, nicht vom geschützten Zahlbetrag der Rente abgeschmolzen.

Drucksache 18/4972 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die vergleichbaren Regelungen Auffüllbetrag, Rentenzuschlag und Übergangszu-
schlag geben denjenigen ostdeutschen Müttern einen Bestandsschutz, die bis 1996
in Rente gegangen und heute folglich fast 80 Jahre oder älter sind. Dieser Schutz
sichert den Zahlbetrag der Rente nach DDR-Recht, falls dieser höher ist als der Zahl-
betrag nach dem Recht der bundesdeutschen Rentenversicherung.

Es darf nicht hingenommen werden, dass nun einige ostdeutsche Mütter mit einer
neuen Ungerechtigkeit konfrontiert sind und wegen ungleicher Schutzregelungen
trotz nachgebesserter Mütterrente leer ausgehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz-
buch (SGB VI) vorzulegen,
1. der die rechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, dass Kindererziehungszeiten

und andere pauschal bewertete Versicherungszeiten rückwirkend zum 1. Juli
2014 – und damit vor Abschluss einer rasch vorzunehmenden stufenweisen An-
gleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) an den aktuellen Rentenwert – mit
dem aktuellen Rentenwert, der im Westen des Landes gilt, bewertet werden;

2. der § 319b SGB VI (Übergangszuschlag) so ändert, dass auch hier – wie bei
Auffüllbeträgen nach § 315a SGB VI und Rentenzuschlägen nach § 319a SGB
VI – jeweils nur die jährlichen Rentenanpassungen, nicht aber das Ergebnis
substanzieller Änderungen des Rentenrechts, wie etwa die Erhöhung der Kin-
dererziehungszeiten, den Übergangszuschlag mindern.

Berlin, den 20. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Im 25. Jahr der deutschen Einheit wird bei der Bewertung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen
Rentenversicherung noch immer nach Ost und West unterschieden. Praktisch heißt das: Pro Kind wird in West-
deutschland derzeit ein Entgeltpunkt in Höhe von 28,61 Euro (ab dem 1. Juli 2015 - 29,21 Euro) auf das Ren-
tenkonto der Frauen gutgeschrieben, im Osten Deutschlands dagegen pro Kind ein Entgeltpunkt mit einem
Wert von derzeit 26,39 Euro (ab 1.7.15 - 27,05 Euro). Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht zu recht-
fertigen und hat allein fiskalische Gründe. Geld darf aber kein Hinderungsgrund dafür sein, dass dem Staat
jedes Kind auf dem Rentenkonto von Mutter oder Vater gleich viel wert sein muss, egal, ob das Kind in Dresden
oder in Köln geboren wurde. Aus Gerechtigkeitsgründen ist die unterschiedliche Bewertung der Kindererzie-
hung in Ost und West als erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem bundeseinheitlichen Rentenrecht
umgehend aufzugeben und durch eine einheitliche Bewertung auf Westniveau zu ersetzen.

Mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) wurden Sachverhalte, die für die Betroffenen nach DDR-Recht
günstiger als im bundesdeutschen Rentenrecht geregelt waren, zeitlich begrenzt unter Vertrauensschutz ge-
stellt. Für Renten, die zum Zeitpunkt der Gesetzgebung 1991 bereits gezahlt wurden, sollte der Auffüllbetrag
nach § 315a SGB VI einen nach DDR-Recht höheren Zahlbetrag schützen. Er sollte explizit ab 1996 sukzessiv
abgeschmolzen werden. Für die Rentenzugänge der Jahre 1992 und 1993 sollte der Rentenzuschlag nach § 319a
SGB VI den gleichen Schutzmodus bieten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4972
In Artikel 2 RÜG – Übergangsrecht – von 1991 wurden verschiedene DDR-Regelungen unter Vertrauensschutz
gestellt, allerdings bis Rentenbeginn 1996. Mit dem Rentenüberleitungsergänzungsgesetz (RÜ-ErgG), das
überwiegend Änderungen bei Artikel 3 RÜG – Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) –
im Fokus hatte, wurde daher § 319b SGB VI (Übergangszuschlag) neu eingeführt, der einen höheren Zahlbe-
trag nach Übergangsrecht für die Renten mit Rentenbeginn bis 1996 regeln sollte. Geschrieben steht dort, dass
bei jeder Erhöhung der Rente nach SGB VI immer die Differenz zwischen beiden Renten als Übergangszu-
schlag gezahlt wird.

Diese Gesamtkonstellation führt dazu, dass derzeit bei den verbesserten Kindererziehungszeiten, der sogenann-
ten Mütterrente, denjenigen Müttern, die bis 1993 in Rente gegangen und über Auffüllbetrag und Rentenzu-
schlag de facto geschützt sind, folglich die Erhöhung voll zugutekommt, während die Erhöhung der Kinderer-
ziehungszeiten bei denjenigen Müttern, die von 1994 bis 1996 in Rente gegangen sind, voll auf den sie schüt-
zenden Übergangszuschlag angerechnet wird.

Im Einzelfall führt das bei einer heute fast 80jährigen Frau, die sechs Kinder geboren hat und 1996 in Rente
gegangen ist, dazu, dass die ihr zustehende Erhöhung von monatlich 158,34 Euro auf den noch höheren Über-
gangszuschlag angerechnet wird und sie leer ausgeht. Insgesamt sind mehr als 6500 hochbetagte Frauen von
dieser Regelung betroffen.

Das ist eine massive Ungleichbehandlung zwischen ostdeutschen Müttern, die von den Betroffenen als Ver-
trauensbruch empfunden wird. Die Bundesregierung hatte nämlich bei der Gesetzgebung zur sogenannten Müt-
terrente öffentlich angekündigt, dass alle Mütter, die bereits in Rente sind, den Betrag für die Kindererzie-
hungszeiten zusätzlich zum bisherigen Rentenzahlbetrag erhalten.

Es ist allerdings fraglich, ob der Gesetzgeber diese ungleiche Behandlung von Auffüllbetrag, Rentenzuschlag
und Übergangszuschlag mit der Ergänzung von 1993 im RÜ-ErgG beabsichtigt hatte. Denn in der Begründung
wurde die Einfügung von § 319b SGB VI damit erläutert, dass der bisherige Artikel 2 § 45 RÜG – Übergangs-
recht –, der generell das Zusammentreffen von Leistungen regeln sollte, nach Aussagen der Rentenversiche-
rungsträger schwer umsetzbar war. Da § 319a SGB VI auf den Zeitraum bis zum Rentenbeginn bis 1993 be-
grenzt war, musste überhaupt erst einmal für die bestandsgeschützten Renten bis Rentenbeginn 1996 eine An-
rechnungsregelung getroffen werden. Die damaligen Ausführungen zu Unzulänglichkeiten bei der Anwendung
von Artikel 2 § 45 RÜG legten nahe, dass es sich um eine überwiegend redaktionelle Änderung handelte.

Außerdem ist fraglich, ob der Gesetzgeber 1993 bei dieser Gesetzesergänzung den gesamten zukünftigen Zeit-
raum bis zur Gegenwart im Blick hatte. Das ist auch ein Aspekt, den das Bundessozialgericht bei seinem Urteil
von 2005 zu der ersten Verbesserung der Mütterrenten im Jahre 1998 fixierte (B 13 RJ 17/04 R vom 20.07.05),
indem es hervorhob, dass der Gesetzgeber beim Abschmelzmechanismus explizit von Rentenanpassungen ge-
sprochen habe und damit die jährlichen beziehungsweise im Osten noch halbjährlichen Rentenanpassungen
gemeint haben müsse und nicht substanzielle Veränderungen. Andere Rentensteigerungen als die Anpassungen
seien angesichts der angespannten finanziellen Lage der Rentenversicherung damals auch nicht absehbar ge-
wesen.

Außerdem herrschte bei der Gesetzgebung zur Rentenüberleitung 1991 die Annahme vor, dass sich der Ost-
West-Angleichungsprozess rasch vollziehen würde – von fünf Jahren war damals die Rede.

Es ist ungerecht, dass vom Wesen vergleichbare Regelungen (§§ 315a, 319a und 319b SGB VI), die eine für
die Betroffenen günstigere Rente nach Übergangsrecht im Zahlbetrag sichern sollen, unterschiedlich behandelt
werden. Rund 25 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit müssen ungerechte Gesetzeswirkungen
korrigiert werden.
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