BT-Drucksache 18/494

Menschen- und Bürgerrechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender im Sport wahren

Vom 12. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/494
18. Wahlperiode 12.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck
(Bremen), Özcan Mutlu, Tom Koenigs, Claudia Roth, Luise Amtsberg,
Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Irene Mihalic, Dr. Konstantin
von Notz, Hans-Christian Ströbele, Beate Walter-Rosenheimer und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschen- und Bürgerrechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle
und Transgender im Sport wahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Homophobie ist ein Ausdruck von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Darum ist es unsere Pflicht, Homophobie politisch und gesellschaftlich zu be-
kämpfen. In vielen Bereichen des Sports in Deutschland wird Homosexualität
nach wie vor tabuisiert, im internationalen Sport wird die öffentliche Solidarisie-
rung mit Anliegen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT)
sanktioniert. Der damit verbundenen Ausgrenzung wollen wir uns entgegenstel-
len.
Im deutschen Sport wird das Thema Homophobie von allen Seiten oftmals nur
unzureichend wahrgenommen. In der Antidiskriminierungsarbeit der Sportver-
bände und -vereine selbst haben die Bekämpfung von Homophobie und der Ein-
satz für LGBT-Anliegen oft nur einen untergeordneten Stellenwert. So beendete
etwa die Kommission Nachhaltigkeit des Deutschen Fußballbundes (DFB), wel-
che u. a. die Bekämpfung von Homophobie und Sexismus im Vereinsfußball zum
Ziel hatte, wie geplant im Oktober 2013 ihre Arbeit. Eine Folgeregelung wurde
bisher nicht getroffen, wäre aber wünschenswert.
In anderen Sportarten fehlen vergleichbare Gremien völlig. Von der Bundesregie-
rung geförderte Projekte auf diesem Gebiet liefen ersatzlos aus. Bundespro-
grammen, die die Bekämpfung von Diskriminierung zum Ziel haben, fehlt der
Hinweis auf das Problemfeld Homophobie. Im Nationalen Konzept Sport und
Sicherheit (NKSS) der Innenministerkonferenz taucht der Begriff der Homopho-
bie lediglich in einem Nebensatz auf.
Bei Sportgroßereignissen und deren Vergabe spielen menschen- und bürgerrecht-
liche Aspekte wie etwa der der staatlich geförderten Homophobie nur selten eine
Rolle. Die Sportverbände vergeben ihre Veranstaltungen zuweilen an Staaten und
Orte, ohne menschen- und bürgerrechtliche Aspekte in ausreichender Form ein-
zubeziehen. So auch im Falle der Olympischen Winterspiele 2014 nach Sotschi
durch das Internationale Olympische Komitee (IOC). Trotz der Repressionen, die
Homosexuelle in Russland erleiden, vergab das IOC die Spiele dorthin und hielt
trotz menschenrechtlicher Bedenken an dieser Vergabe fest.

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Das Auswärtige Amt hat seine Reise- und Sicherheitshinweise für Russland an-
gesichts des am 30. Juni 2013 in Kraft getretenen Gesetzes gegen „Propaganda
nicht-traditioneller sexueller Beziehungen„ im Sommer 2013 ergänzt. Dieser
Hinweis gilt auch im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi
(Bundestagsdrucksache 17/14577, S. 1 f.).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. über die Innenministerkonferenz darauf zu drängen, dass das Nationale Kon-
zept Sport und Sicherheit (NKSS) nochmals überarbeitet wird und das The-
ma Homophobie als Schwerpunkt im Bereich der Prävention aufgeführt
wird;

2. die Antidiskriminierungsarbeit im Sport zu stärken, indem Anreize gegeben
werden, Antidiskriminierungsstellen in Sportfachverbänden einzurichten
bzw. auszubauen und LGBT beim Coming-out zu unterstützen;

3. durch die Einrichtung eines entsprechenden Fachbereichs in der Antidiskri-
minierungsstelle des Bundes Konzepte zur Prävention von Homophobie im
Sport zu entwickeln;

4. dem von der Bundesregierung geförderten Programm „Zusammenhalt durch
Teilhabe“ eine stärkere Ausrichtung auf das Thema Homophobie zu geben;

5. gemeinsam mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) das Projekt „am Ball
bleiben. Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung“ erneut aufzulegen
und langfristig finanziell abzusichern;

6. sich beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und beim IOC auf die
Implementierung von menschen- und bürgerrechtlichen Standards bei der
Vergabe von Sportgroßveranstaltungen gemäß Bundestagsdrucksache
17/9982 einzusetzen;

7. jede Einschränkung von Bürgerrechten für LGBT bei Sportgroßereignissen,
Olympischen und Paralympischen Spielen öffentlich zu benennen und zu kri-
tisieren und aktuell auf die russische Regierung entsprechend einzuwirken;

8. die eingeschränkten Möglichkeiten des Protests während der Olympischen
Spiele gegenüber der russischen Regierung zu thematisieren und sich dafür
einzusetzen, dass Menschen in unmittelbarer Nähe der olympischen Stätten
für die Anliegen von LGBT demonstrieren dürfen;

9. sich gegenüber dem DOSB und dem IOC dafür einzusetzen, dass im Falle
der öffentlichen Solidarisierung mit LGBT Athletinnen oder Athleten nicht
von den Wettkämpfen ausgeschlossen werden;

10. nach dem Vorbild der USA statt Regierungsmitgliedern eine Delegation
unter anderem aus prominenten ehemaligen Sportlerinnen und Sportlern zu
den Olympischen und Paralympischen Spielen nach Sotschi zu schicken, der
auch homosexuelle Athletinnen und Athleten angehören;

11. die menschen- und bürgerrechtliche Lage im Hinblick auf LGBT während
der und im Anschluss an die Olympischen und Paralympischen Spiele in der
Region Sotschi zu beobachten und dem Deutschen Bundestag hierüber zu be-
richten;

12. sich auf Ebene der EU und des Europarates mit Homophobie im Sport zu
befassen und insbesondere Förderprogramme auf ihre Bekämpfung auszu-
richten.

Berlin, den 12. Februar 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/494

Begründung

Homophobie als Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist auch im Sport noch immer beson-
ders präsent. Ungeachtet der Coming-Outs prominenter Sportlerinnen und Sportler wie Nadine Müller,
Nadine Angerer oder Thomas Hitzlsperger sind auf institutioneller Ebene längst nicht alle Möglichkeiten
ausgeschöpft, um einen nachhaltig von Homophobie unbelasteten gesellschaftlichen Diskurs zu gewährleis-
ten. Allein der Ausdruck „schwul“ als abwertender Kommentar im sprachlichen Alltag in Sportvereinen
und auf Zuschauerrängen ist noch immer weit verbreitet. So ist auch die European Union Agency for Fun-
damental Rights 2009 zum Ergebnis gekommen, dass im Vergleich zur Antirassismusarbeit von Sportorga-
nisationen dem Phänomen der Homophobie ein vergleichsweise niedriger Stellenwert eingeräumt wird.
In der öffentlichen Anhörung des Sportausschusses zum Thema „Homosexualität im Sport“ vom 13. April
2011 wiesen die geladenen Sachverständigen darauf hin, dass noch immer wenig Sensibilität innerhalb des
Sports für dieses Thema vorhanden ist. So wird Heterosexualität im Sport als normal wahrgenommen und
Homosexualität als identitätsverletzender Regelbruch angesehen. Für den Bereich des Spitzensports weisen
Experten zudem auf eine hohe Drop-Out-Rate von Sportlerinnen und Sportlern hin, die aufgrund ihrer eige-
nen sexuellen Orientierung eine Karriere im aktiven Profisport nicht weiterverfolgen.
Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi sind die Berichte über Homophobie in Russland
alarmierend. Die russische Staatsduma hat im Sommer 2013 ein Gesetz verabschiedet, das die „Propaganda
nicht-traditioneller Beziehungen“ unter Minderjährigen unter Strafe stellt. Mit dem Gesetz kann de facto
jegliche positive Darstellung der Homosexualität in der Öffentlichkeit verboten werden. Privatpersonen und
Beamten drohen Geldstrafen zwischen umgerechnet ca. 100 und 4 500 Euro. Ausländer können für 15 Tage
festgehalten und ausgewiesen werden. Auch Organisationen können mit Geldstrafen bis zu 23 000 Euro
und zeitweiser Stilllegung bestraft werden.
Es kommt zudem in Russland immer wieder zu tätlichen Angriffen auch mit Todesfolge auf Menschen mit
nichtheterosexueller Orientierung, die seitens der russischen Justiz nicht als homophob motivierte Taten
beurteilt werden oder bei denen sogar regelmäßig überhaupt keine Strafverfolgung erfolgt.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der ihm angeschlossene Deutsche Olympische Sport-
bund (DOSB) haben in den Vorbereitungen auf die Olympischen und Paralympischen Winterspiele in
Sotschi besondere Maßnahmen getroffen. Der DOSB als Dachverband des organisierten Sports in Deutsch-
land hat auf die Entscheidung des IOC, auf das Zeigen der Regenbogenflagge auf dem olympischen Gelän-
de zu verzichten, reagiert, indem er einen Leitfaden zum politisch korrekten Verhalten vor der Gesetzeslage
in Russland herausgab.
Als einzig möglicher Ort des Protests bei den Olympischen Spielen soll, wie z. B. bei den Olympischen
Sommerspielen in Peking 2008 auch, eine Demonstrationszone eingerichtet werden, innerhalb derer Men-
schen nach vorheriger Anmeldung für menschen- und bürgerrechtliche Anliegen demonstrieren können.
Außerhalb dieser Zone, welche nach jetzigem Stand 18 Kilometer von den olympischen Stätten entfernt
gelegen ist, ist es untersagt, bspw. Solidarität mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT)
zu zeigen.
Die menschen- und bürgerrechtliche Lage in Russland ist mit der Olympischen Charta in eklatanter Weise
nicht vereinbar. Laut den grundlegenden Prinzipien der Olympischen Charta muss jeder Mensch die Mög-
lichkeit haben, Sport ohne Diskriminierung jeglicher Art ausüben zu können. Weiter ist „jede Form von
Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus
sonstigen Gründen […] mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“ Auf diesen Wi-
derspruch sollten Menschen während der Olympischen Winterspiele in Sotschi auch öffentlich hinweisen
dürfen. Weder IOC noch DOSB haben sich hierzu klar geäußert. Die Einrichtung eines „Pride House
Sochi“ als Ausdruck der Vielfalt wurde von der russischen Regierung untersagt.
Einige Staatsoberhäupter haben ihre Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Winter-
spiele in Sotschi am 7. Februar 2014 abgesagt. Hierzu zählen Bundespräsident Joachim Gauck und US-
Präsident Barack Obama. Der französische Staatspräsident François Hollande, die litauische Präsidentin
Dalia Grybauskaite und die EU-Kommissarin Viviane Reding werden, teilweise unter Verweis auf die be-
denkliche Lage der Menschenrechte in Russland, ebenfalls nicht nach Sotschi reisen. Es ist zu begrüßen,
dass es der russischen Regierung auf diese Weise nicht gelingt, die Olympischen Spiele durch den Besuch
ausländischer Staatsgäste zu missbrauchen, um im In- und Ausland den Eindruck zu erwecken, dass die
menschen- und bürgerrechtliche Situation in Russland unproblematisch sei.
Drucksache 18/494 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Schon während der Leichtathletik-WM in Moskau im August 2013 hat die Situation von LGBT in Russland
öffentliche Aufmerksamkeit erlangt, als sich die für Schweden antretende Hochspringerin Emma Green
Tregaro als Zeichen der Solidarität mit Lesben und Schwulen die Fingernägel in Regenbogenfarben lackiert
hatte. Der finnische Minister für Kultur und Sport, Paavo Arhinmäki, hat zudem während der Weltmeister-
schaft die Regenbogenfahne auf der Ehrentribüne des Moskauer Stadions geschwenkt.

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