BT-Drucksache 18/4933

Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen

Vom 19. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4933
18. Wahlperiode 19.05.2015

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, Nicole
Gohlke, Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein, Susanna Karawanskij, Katja Kipping,
Caren Lay, Sabine Leidig, Norbert Müller (Potsdam), Petra Pau, Harald Petzold
(Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank,
Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gesetzlichen Vorgaben für das Gebot der Entgeltgleichheit existieren schon lange:

Nach Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG muss der Staat die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern und auf die Beseitigung beste-
hender Nachteile hinwirken.

Art. 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechte-Charta)
besagt, dass die Gleichheit von Männern und Frauen auch im Bereich des Arbeitsent-
gelts sicherzustellen ist.

Art. 157 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
verpflichtet jeden Mitgliedstaat, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Ent-
gelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen.

Nach Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG müssen bei gleicher Arbeit oder einer Arbeit,
die als gleichwertig anerkannt wird, unmittelbare und mittelbare Diskriminierung auf-
grund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedin-
gungen beseitigt werden.

Das seit 2006 geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schreibt in
§ 2 Abs. 1 Nr. 2 vor, dass Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt unzulässig sind und verhindert oder
beseitigt werden müssen.

In Deutschland liegt das von Frauen erzielte Entgelt immer noch um 22 Prozent unter
dem der Männer. Es steht damit an drittletzter Stelle im Vergleich aller 27 Mitglied-
staaten der Europäischen Union. Selbst bei gleicher Tätigkeit in der gleichen Branche
bei gleichem Leistungsumfang etc. bleibt noch eine direkte Entgeltdiskriminierung
von sieben Prozent bestehen.

Drucksache 18/4933 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Weg, die einzelne Person, die von Entgeltdiskriminierung betroffen ist, auf ihr
individuelles Beschwerde- und Klagerecht zu verweisen, hat sich als ungeeignet er-
wiesen, um Entgeltdiskriminierung zu verhindern oder zu beseitigen. Auch ein Infor-
mationsanspruch ohne echte Durchsetzungsmaßnahmen wird daran nichts ändern.
Auch das zur Prüfung von Entgeltgleichheit vom Bundesministerium geförderte
Selbsttestinstrument Logib-D ist nicht geeignet, die Ungleichbehandlung von Frauen
beim Arbeitsentgelt zu beseitigen.

Die zwar verbotene, aber tatsächlich existierende Ungleichbehandlung von Frauen und
Männern beim Entgelt stellt ein gravierendes Unrecht dar. Zur Beseitigung braucht es
endlich verbindliche gesetzliche Vorgaben zur Durchsetzung des nationalen und euro-
parechtlichen Gebots des gleichen Entgelts für Frauen und Männer.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Entgeltgleichheit vorzulegen, der sowohl die Betriebe der
Privatwirtschaft als auch den öffentlichen Dienst und die Tarifvertragsparteien erfasst
und die folgenden Punkte zur tatsächlichen Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebo-
tes berücksichtigt:
1. Die Durchsetzung der Entgeltgleichheit erfordert Transparenz über die Entloh-

nungspraxis. Damit Entgeltdiskriminierung erkannt werden kann, muss es einen
umfassenden Auskunftsanspruch über die betriebliche Entlohnung geben. Hierzu
gehören das Gehalt und die angelegten Kriterien der Lohngestaltung. Arbeitsver-
tragliche Klauseln, die Beschäftigten Stillschweigen über ihr Entgelt vorschrei-
ben, sollen für nichtig erklärt werden. Die Auskunft wird anonymisiert und unter
Wahrung des Datenschutzes erteilt.

2. Transparenz ist auch über die Bewertungsmaßstäbe für gleichwertige Arbeit er-
forderlich. Dazu gehört die umfassende Verankerung eines EU-rechtskonformen
Lohnmessinstrumentes (z. B. EG-check) Die Prüfinstrumente sollen von der An-
tidiskriminierungsstelle (bei Aufstockung ihrer Mittel) zertifiziert und in den Be-
trieben – unabhängig von der Betriebsgröße - regelmäßig eingesetzt werden.

3. In regelmäßigen Abständen sollen betriebliche Prüfungen der Entgeltgleichheit
durchgeführt werden. Wurde bei dieser betrieblichen Prüfung Entgeltdiskriminie-
rung festgestellt, soll eine Einigungsstelle für Entgeltgleichheit zur Beseitigung
dieser Entgeltdiskriminierung gebildet werden. Sie ist wie bei anderen betriebli-
chen Einigungsstellenverfahren nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
beziehungsweise dem Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) einzusetzen.
Die Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten sind am Verfahren zu beteiligen.

4. Stellt sich bei der betrieblichen Prüfung heraus, dass die Entgeltdiskriminierung
auf tarifvertraglichen Regelungen beruht, die gleichwertige Arbeit unterschied-
lich bewerten, sind zur Änderung dieser Regelungen nur die Tarifvertragsparteien
selbst befugt. Bis die Tarifvertragsparteien die diskriminierenden Regelungen
durch diskriminierungsfreie ersetzt haben, ist die Einigungsstelle zu berechtigen,
bei Gericht eine einstweilige Regelung zu beantragen, nach der für die Beschäf-
tigten der durch die Diskriminierung benachteiligten Gruppe die günstigeren Re-
gelungen anzuwenden sind.

5. Das Ergebnis der eigenverantwortlichen Überprüfung der Tarifverträge durch die
Tarifvertragsparteien wird einer inhaltlichen Kontrolle der Beachtung der gesetz-
lichen Entgeltdiskriminierungsverbote unterzogen. Hierzu werden unter Wah-
rung der Tarifautonomie die Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle (ADS) in
§ 28 AGG zu diesem Zweck so erweitert, dass ihr der Gerichtsweg eröffnet wird.
Auch für die Überprüfung der Entgeltgleichheit in betriebsratslosen Betrieben
kann die ADS gleichermaßen tätig werden. Ihr sind alle erforderlichen Unterla-
gen auf Verlangen auszuhändigen.

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6. Um effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ist für Klagen wegen Entgeltdiskrimi-

nierung darüber hinaus ein Verbandsklagerecht einzuführen, denn bei der Ent-
geltdiskriminierung handelt es sich um eine strukturelle Benachteiligung von
Frauen, nicht um Einzelschicksale. Das Verbandsklagerecht könnte in § 23 AGG
eingefügt werden.

7. Verstöße gegen das Gesetz sind durch Geldbußen in Höhe von bis zu 500.000
Euro zu ahnden.

Berlin, den 19. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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