BT-Drucksache 18/4818

50 Jahre deutsch-israelische diplomatische Beziehungen - Einmaligkeit und Herausforderung

Vom 6. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4818
18. Wahlperiode 06.05.2015
Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck
(Köln), Dr. Frithjof Schmidt, Sven-Christian Kindler, Jürgen Trittin, Claudia Roth
(Augsburg), Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin,
Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

50 Jahre deutsch-israelische diplomatische Beziehungen – Einmaligkeit
und Herausforderung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Is-
rael sind in ihrer Einzigartigkeit für beide Länder von besonderem Wert und bedür-
fen der beständigen gegenseitigen Aufmerksamkeit und Weiterentwicklung.

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Israel am 12. Mai 1965 war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. 20
Jahre nach der Shoah, dem von Deutschen begonnenen und organisierten Völker-
mord an den europäischen Juden, war sie ein Wagnis und ein Meilenstein.

Dass diese Beziehungen vor dem gegebenen geschichtlichen Hintergrund und die-
sem Kontext ihrer Aufnahme sowie der sie begleitenden Herausforderungen und
Schwierigkeiten die heutige Intensität erreicht haben, ist vielen Vertretern und Ver-
treterinnen aus Parlamenten sowie Regierungen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und
Wissenschaft in beiden Staaten zu verdanken. Ohne die vielen Menschen in Deutsch-
land und in Israel, die sich für die Aufnahme und Entwicklung der diplomatischen
Beziehungen zwischen den Staaten und die vielfältigen Beziehungen zwischen bei-
den Gesellschaften mit Energie, gegenseitigem Vertrauen und Beharrungsvermögen
eingesetzt haben, hätten sich die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern nicht
in einem so umfassenden Maße entwickeln können. Dem oft sehr persönlichen Ein-
satz dieser vielen Beteiligten gehört unser gesamtgesellschaftlicher Dank.

Die Sicherheit des Staates Israel zu garantieren ist und bleibt ein Grundsatz deutscher
Außenpolitik. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die deutsche Bundeskanzlerin
vor dem israelischen Parlament bekräftigt hat, die Sicherheit Israels sei nicht ver-
handelbar. Wie diese Sicherheit dauerhaft garantiert werden kann und was für ihre
Sicherheit zuträglich ist, darüber gab und gibt es Diskussionen, u. a. innerhalb Israels
und zwischen Deutschland und Israel.

Um die deutsch-israelischen Beziehungen zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist
eine kritische und selbstkritische Bestandsaufnahme der Geschichte und Umstände

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ihrer Aufnahme und Entwicklung ebenso notwendig wie eine offene und transpa-
rente Debatte um die Herausforderungen, die heute und in Zukunft mit ihrer Gestal-
tung verbunden sind.

Der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen ging ein Annäherungsprozess vo-
raus, der angesichts der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden durch
Deutsche nur schwierig sein konnte. Der 50. Jahrestag der Aufnahme der diploma-
tischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel liegt im
gleichen Jahr wie der 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernich-
tungslagers Auschwitz. Der Name Auschwitz steht symbolisch für die Vernichtung
von sechs Millionen Juden. Sie wurden mit großem logistischem Aufwand aus ganz
Europa in Konzentrationslager und Vernichtungslager deportiert und dort auf grau-
same Weise ermordet. Der Deutsche Bundestag erinnert an die Worte, die Johannes
Rau als Bundespräsident am 16.2.2000 vor der Knesset gesagt hat: „Auch wir Deut-
schen werden in alle Zukunft begleitet werden: von den Bildern der Morde, die Deut-
sche zu verantworten haben. Deutsche und Israelis sind in dieser Erinnerung un-
trennbar verbunden.“

Viele derjenigen, die – oft infolge einer langen Kette von Zufällen – dieses Mensch-
heitsverbrechen überlebten, haben davon berichtet: von ihrem Überleben und von
ihrem Leben nach dem Überleben. Andere können darüber bis heute nicht sprechen.
Auch in diesem Jahr, dem 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Ver-
nichtungslagers Auschwitz, haben Überlebende Zeugnis abgelegt von dem Grauen,
das sie erfahren mussten. Wir sind dankbar für die Begegnungen mit Überlebenden,
denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sie nach Deutschland kommen und be-
reit sind in Schulklassen und anderen Orten öffentlich über ihre traumatischen Er-
fahrungen zu berichten.

Angesichts der Hypothek dieses Menschheitsverbrechens war die Aufnahme diplo-
matischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel vor 50
Jahren alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In der Bundesrepublik Deutsch-
land fand viele Jahre lang fast keine kritische, keine selbstkritische Auseinanderset-
zung mit den von Deutschen begangenen Verbrechen gegen Juden und anderer Op-
fer des nationalsozialistischen Deutschlands statt. Das Verhältnis zur eigenen Ge-
schichte war geprägt durch Verdrängung, Vergessenheit und Leugnung und auch
durch berufliche Kontinuitäten der NS-Täter in der Bundesrepublik Deutschland.
Das galt für Institutionen wie die Justiz und das Auswärtige Amt ebenso wie für
große Teile der Bevölkerung. Hinzu kam ein falsches Selbstbewusstsein infolge der
wirtschaftlichen Erfolge beim Wiederaufbau des eigenen Landes. Aus diesen Erfol-
gen meinten viele das Recht abzuleiten, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.

Auf parlamentarischer Ebene konnte das 1952 unterzeichnete Abkommen über Re-
stitution und Entschädigung, dem der irreführende und euphemistische Name „Wie-
dergutmachungsabkommen“ gegeben wurde, nur mit den Stimmen der oppositionel-
len SPD verabschiedet werden.

Mehrere Bundesregierungen wiederum hatten sich im Kontext des Kalten Krieges
im Beziehungsgeflecht des Nahen Ostens verheddert. Beispielsweise halfen deut-
sche Raketentechniker, darunter solche, die bereits für die Nazis gearbeitet hatten,
Ägypten bei der Aufrüstung, die sich gegen Israel richtete. Als 1965 geheime Waf-
fenlieferungen aus Deutschland an Israel öffentlich wurden und eine Einladung
Ägyptens an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Ulbricht nicht mehr zu verhindern
war, entschloss sich die deutsche Bundesregierung zu dem Schritt der Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel. Sie ist also gleichsam in diese Bezie-
hungen hineingestolpert, statt sie überlegt und dem historischen Hintergrund ange-
messen sorgfältig vorzubereiten und anzustreben.

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Gleichzeitig gab und gibt es in Deutschlands Politik und Zivilgesellschaft Personen
und Gruppen, die jenseits der Kategorien von Alter, politischer Ausrichtung und so-
zialem Status die deutsch-israelischen Beziehungen mehr oder weniger starken Be-
lastungen ausgesetzt haben.

In allen Bundestagsfraktionen gab es im Laufe der deutschen Nachkriegsgeschichte
Abgeordnete, die Verständnis für die Politik israelischer Regierungen äußerten und
solche, die israelische Politik auf der Grundlage der Bejahung des Staates Israel kri-
tisierten. Es gab aber auch einzelne Abgeordnete, die die israelische Politik im Na-
hen Osten in einer Art und Weise kritisierten, dass an ihrer grundsätzlichen Bejahung
des Staates Israel gezweifelt werden konnte.

Deutschland insgesamt geriet zu Recht in die Kritik, als sich herausstellte, dass der
irakische Präsident Saddam Hussein mit Hilfe deutscher Firmen sein Rüstungspo-
tential erweitert hatte, das er teilweise im Golfkrieg von 1991 gegen Israel einsetzte.

Zur Belastung der Beziehungen trug auch die Politik der DDR bei. Reparationsfor-
derungen von Seiten Israels hatte sie aus ihrem Selbstverständnis als Staat der Anti-
faschisten stets abgelehnt und Juden tauchten als eigenständige Gruppe in der Erin-
nerungskultur nicht auf. Im Kontext des Kalten Krieges entwickelte die DDR enge
Beziehungen zu den arabischen Staaten und zur Palästinensischen Befreiungsorga-
nisation PLO, der auch bei der militärischen Ausbildung geholfen wurde und das zu
einem Zeitpunkt als die PLO den Staat Israel noch grundsätzlich ablehnte. Erst in
den letzten Jahren der DDR und dann nach der Friedlichen Revolution änderte sich
die strikt anti-zionistisch ausgerichtete Politik.

Trotz der Schwierigkeiten entwickelten sich viele Aspekte der deutsch-israelischen
Beziehungen hin zu großer, von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägter,
Intensität. Städtepartnerschaften, Jugendaustausch, wirtschaftliche Beziehungen,
Wissenschaftszusammenarbeit, auch Zusammenarbeit im militärischen Bereich – es
gibt viele Bereiche die von Intensität und Kontinuität geprägt sind. Hinzu kommt in
jüngster Zeit die große Anziehungskraft, die ausgerechnet Berlin vor allem auf jün-
gere Israelis ausübt.

Dennoch wird immer wieder zurecht beklagt, in der deutschen Bevölkerung seien
anti-israelische Einstellungen verbreitet und würden auch stärker – unter anderem
auf der Grundlage eines konstanten Anteils antisemitischer Einstellungen. Diese Si-
tuation ist eine andauernde Herausforderung für alle, die die deutsch-israelischen
Beziehungen stärken und ausbauen wollen. In dieser Hinsicht ist der zentrale Lack-
mustest, ob sich Juden in unserem Land sicher und heimisch fühlen.

Zum 50. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Israel sind diese Beziehungen vor dem Hinter-
grund der deutschen Geschichte sowohl vor 1945 wie auch nach 1945 besondere
Beziehungen. Sie stehen zudem vor erheblichen Herausforderungen. Nicht nur gibt
es 22 Jahre nach dem hoffnungsvollen Oslo-Prozess keine israelisch-palästinensi-
schen Verhandlungen. Derzeit gibt es kaum eine Aussicht auf eine zeitnahe Wieder-
aufnahme von Verhandlungen. Zudem verblasst die Perspektive der Regelung des
israelisch-palästinensischen Konfliktes in der Struktur von zwei nebeneinander exis-
tierenden Staaten zunehmend. Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass
auf Dauer die Existenz Israels in anerkannten und sicheren Grenzen ohne einen ei-
genständigen und lebensfähigen demokratischen Staat Palästina im Rahmen einer
Zwei-Staaten-Regelung nicht vorstellbar ist. Diese Perspektive wird aber nach wie
vor von der internationalen Staatengemeinschaft als einzige Perspektive unterstützt
und gefordert, die die Fortexistenz des Staates Israel ebenso ermöglicht wie die Ver-
wirklichung ihres Selbstbestimmungsrechts für die Palästinenser. Die Rückschläge
und Erstarrungen auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Regelung haben nicht zuletzt
auch zu den wiederholten militärischen Konfrontationen zwischen Israel und der pa-
lästinensischen Hamas im Gaza-Streifen und den Angriffen auf Israel aus dem Gaza-
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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Streifen geführt. Sie sind eine Bedrohung des Staates Israel wie eine Einschränkung
des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser.

Unterschiedliche Vorstellungen zwischen den Regierungen und Teilen der Parla-
mente Deutschlands und Israels gibt es nicht nur hinsichtlich der Fortdauer der isra-
elischen Besatzung und der israelischen Siedlungspolitik, sondern auch im Blick da-
rauf, wie man mit der großen Gefahr des iranischen Atomprogramms umgehen
sollte.

Solidarität mit und Verantwortung für Israel schließt das offene Benennen politi-
scher Differenzen daher nicht aus, sondern ist die Grundlage für ein konstruktiv
kritisches Miteinander unserer Staaten und Gesellschaften.

In Deutschland gehören zum innergesellschaftlichen Diskurs immer wieder und im-
mer neu die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte sowie die Auseinan-
dersetzung mit Antisemitismus in Teilen unserer Gesellschaft. Das gilt in einer Ein-
wanderungsgesellschaft selbstverständlich für alle, die hier leben. Der Deutsche
Bundestag begrüßt die Worte, die unser Bundespräsident Joachim Gauck in seiner
Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar
2015 gefunden hat: „Hier ist jemand eingetreten in eine Verantwortungsgemein-
schaft, die nicht aus einer Erfahrungsgemeinschaft herrührt. Aber wir finden uns
wieder in einem gemeinsamen Willen.“

Die Aussage des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi „Es ist geschehen und folg-
lich kann es wieder geschehen“, verweist darauf, dass es einen „Schlussstrich“ weder
geben kann, noch geben darf. Erinnerung und Verantwortung sind für die Nachge-
borenen keine Strafe, sondern ein Auftrag.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. sich weiterhin dem Gedenken an die Shoa und der Verantwortung Deutschlands
für Israel zu verpflichten und für die Fortsetzung der Erinnerungsarbeit und der
notwendigen Entschädigungsleistungen und verwandter Leistungen für die Op-
fer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik Sorge zu
tragen;

2. sich weiterhin für das unverhandelbare Existenzrecht und die legitimen Sicher-
heitsinteressen des Staates Israel einzusetzen und diese zu unterstützen;

3. sich gegenüber allen Akteuren in der Region dafür einzusetzen, dass sie das
Existenzrecht Israels anerkennen;

4. sich mit den nötigen Mitteln dafür zu engagieren, dass die bilateralen Beziehun-
gen weiter vertieft werden. Dies gilt nicht nur für die diplomatischen und parla-
mentarischen Beziehungen. Der Austausch in Wissenschaft, Kultur, der Jugend-
austausch und die Versöhnungs- und Begegnungsarbeit verdienen besondere
Aufmerksamkeit und Förderung;

5. sich mit Nachdruck für Friedensgespräche und für die Umsetzung einer Zwei-
Staaten-Regelung einzusetzen, die die Selbstbestimmung und Sicherheit des
Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger ebenso gewährt wie die Selbst-
bestimmung und Sicherheit der Palästinenserinnen und Palästinenser.

Berlin, den 5. Mai 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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