BT-Drucksache 18/4321

Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen

Vom 17. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4321
18. Wahlperiode 17.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, Nicole
Gohlke, Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij,
Katrin Kunert, Caren Lay, Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold, Martina
Renner, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Dr. Axel Troost,
Kathrin Vogler, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer
durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Seit nahezu 60 Jahren gilt der Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher bzw.
gleichwertiger Arbeit für Frauen und Männer in der Europäischen Union. Seit
bald 20 Jahren ist Deutschland durch den Amsterdamer Vertrag zur Sicherstel-
lung der Entgeltgleichheit verpflichtet. Und seit fast zehn Jahren verbietet auch
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Entgeltdiskriminierung zwi-
schen den Geschlechtern. Dennoch liegt der Verdienstabstand zwischen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland seit über 15 Jahren auf einem
konstant hohen Niveau von über 20 Prozent. Während andere europäische Län-
der ihren Gender Pay Gap erfolgreich schmälern, rangiert Deutschland inzwi-
schen auf dem drittletzten Platz – nur in Österreich und Estland werden Frauen
beim Lohn noch mehr diskriminiert. Weder Appelle zum jährlichen „Equal Pay
Day“ noch Selbstverpflichtungen haben daran etwas geändert. Deshalb ist es
dringend erforderlich, verpflichtende Maßnahmen zur Beseitigung der Entgelt-
ungleichheit zwischen Frauen und Männern festzulegen.

2. Nur ein kleinerer Teil von 7 bis 9 Prozent beruht dabei auf einer direkten Dis-
kriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt. Diese „bereinigte Entgeltlücke“
wird durch Gegenüberstellung der Gehälter von Frauen und Männern mit glei-
chen Berufen in gleichen Branchen bei gleicher Arbeitszeit etc. berechnet. Der
restliche Teil der „unbereinigten Entgeltlücke“ lässt sich unter anderem durch
die vermehrte Teilzeitbeschäftigung und teilweise prekäre Beschäftigung in
schlechter bezahlten typisch weiblichen Branchen und auf niedrigeren Entgelt-
stufen in oft nichttarifgebundenen Betrieben von Frauen erklären, aber nicht
rechtfertigen. Es handelt sich hierbei um eine mittelbare Form der Geschlech-
terdiskriminierung, die zwar schwieriger zu erkennen, aber ebenso unzulässig
ist wie die direkte.

3. Deswegen müssen sowohl direkte als auch mittelbare Diskriminierungen auf
Grund des Geschlechts ausgeschlossen werden. Gleiche und gleichwertige Ar-
beit muss gleich bezahlt werden. Die Herstellung gerechter Entlohnungssysteme

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ist auch eine Aufgabe der Tarifpartner. Die Tarifvertragsverhandlungen der ver-
gangenen Jahrzehnte haben am Einkommensunterschied zwischen Frauen und
Männern nichts geändert. Die Tarifvertragsparteien und Unternehmen müssen
bei zukünftigen Tarifverträgen – unter Beachtung der Tarifautonomie – ver-
pflichtet werden, ihren Entgeltsystemen diskriminierungsfreie Arbeitsbewer-
tungsverfahren zugrunde zu legen.

4. Die Entgeltungleichheit trägt zur geschlechtsspezifischen Verantwortungstei-
lung in Partnerschaften bei und schafft so einen Teufelskreis. Gleichzeitig prägt
das familienpolitische Leitbild der 1950er-Jahre weiterhin die Erwerbsverläufe
von Frauen und Männern. Das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitver-
sicherung des Ehepartners in der Familienversicherung speziell bei Minijobs
halten insbesondere Frauen von einer Steigerung ihrer Erwerbstätigkeit ab und
tragen so zur fortwährenden Ungleichheit in der Erwerbsbeteiligung und der
Entlohnung bei.

5. Der ausgebaute Niedriglohnsektor und die darin sichtbare gesellschaftliche Ar-
beitsteilung, in der vorwiegend Frauen geringer entlohnt tätig sind, verstärkt das
Problem. Neben einer besseren Bezahlung und der stetigen Erhöhung des Min-
destlohns braucht es Maßnahmen für eine geschlechtergerechte Umverteilung
von Sorge- und Pflegearbeiten und mehr öffentliche Verantwortung.

6. Das einzige verbindliche Vorhaben der Bundesregierung zur Überwindung der
Entgeltgleichheit sind ein individueller Auskunftsanspruch der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer und die Verpflichtung von Unternehmen ab 500 Beschäf-
tigten, im Lagebericht nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) auch zur Frauenför-
derung und Entgeltgleichheit nach Maßgabe gesetzlicher Kriterien Stellung zu
nehmen. Es ist zu befürchten, dass von diesem Auskunftsrecht in nennenswerter
Zahl Gebrauch gemacht werden wird. Auch ändert die Kenntnis von der Ent-
geltdiskriminierung in einem Betrieb noch nicht die Praxis. Die Schaffung von
Transparenz allein genügt daher nicht.

7. Die bisher ausschließlich einzeln und im eigenen Namen möglichen Klagen ge-
gen diskriminierende Entgeltsysteme oder Bewertungsverfahren haben sich in
der Praxis nicht bewährt. Es sind deshalb gesetzgeberische Maßnahmen erfor-
derlich, diesen individuellen Klageweg durch andere geeignete, auch kollektive
Klagemöglichkeiten zu ergänzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und entsprechende Gesetzesinitiativen
einzubringen, um die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern durchzusetzen. Da-
bei sind mindestens folgende Punkte zu berücksichtigen:
1. die umfassende Verankerung eines EU-rechtskonformen Lohnmessinstruments

wie zum Beispiel eg-check, das von der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt
wurde, um eine Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Arbeitsentgelt
sichtbar zu machen;

2. ein Gesetzentwurf zur Verbesserung der individuellen und kollektiven Klage-
möglichkeiten bei direkter und indirekter Lohndiskriminierung ist vorzulegen.
Dabei sind
a) Verbände zu berechtigen, im Namen und mit Einverständnis der Betroffe-

nen zu klagen (Prozessstandschaft);
b) ein echtes Verbandsklagerecht einzuführen, das Verbände befähigt, auch

ohne individuell klagewillige Betroffene Klage zu erheben;
c) den Untersuchungsgrundsatz in arbeitsrechtlichen Prozessen mit AGG-Be-

zug zu erweitern, um das Gericht zu verpflichten, sowohl im Beschlussver-
fahren als auch im Urteilsverfahren mittelbare Diskriminierungstatbestände

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4321

– z. B. die diskriminierende Wirkung von Arbeitsbewertungssystemen oder
die Gleichwertigkeit konkreter Tätigkeiten – von Amts wegen zu überprü-
fen bzw. Arbeitsbewertungsgutachten der Beschlussfassung zugrunde zu le-
gen;

d) die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Klagerecht auszustatten und
sie zu einer unabhängigen, institutionell geförderten Stelle außerhalb des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
umzustrukturieren;

3. den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das der Tarifvertragsparteien verpflich-
tet, diskriminierende Entgeltsysteme abzubauen und dafür zeitliche und inhalt-
liche Vorgaben zur konkreten Umsetzung zu geben. Dieser sollte folgende Eck-
punkte beinhalten:
a) die Verpflichtung der Tarifpartner zur diskriminierungsfreien Arbeitsbe-

wertung,
b) die Überprüfung bestehender Entgeltsysteme durch die Tarifpartner anhand

folgender Verfahrensregelungen:

In einem kollektiven Verhandlungsverfahren wird ein zeitlich abgestufter
Entgeltgleichheitsplan erstellt, der auf die zügige völlige Gleichstellung der
Geschlechter innerhalb der Tarifstruktur zielt.

Für den Fall, dass sich die Tarifparteien nicht auf ein Verfahren einigen kön-
nen, erfolgt die Einsetzung einer Entgeltgleichheitskommission durch das
Arbeitsgericht, der auch beide Tarifparteien als Beisitzer angehören;

4. ein Gesetzentwurf zur Erweiterung der kollektiven Mitbestimmungsrechte von
Betriebs- und Personalräten zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und
des Bundespersonalvertretungsgesetzes bei Fragen mittelbarer und unmittelba-
rer Entgeltdiskriminierung vorzulegen. Dazu sind unter anderem in
§ 80 Abs. 1 Nr. 2a und in § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz sowie
in § 68 Abs. 1 Nr. 5a und in § 75 Personalvertretungsgesetz Mitbestimmungs-
rechte zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Män-
nern bei der Entlohnung explizit aufzunehmen.

5. ein Entwurf für ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft vorzulegen,
welches Betriebe zu gleichstellungspolitischen Maßnahmen und Maßnahmen
zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verpflichtet, die die Ent-
geltlücke zwischen den Geschlechtern schließen.

6. die finanziellen Voraussetzungen zur Aufwertung frauentypischer Beschäfti-
gungsverhältnisse in Erziehung und Pflege durch eine bessere Ausstattung der
Sozialversicherungen und der öffentlichen Hand zu schaffen.

Berlin, den 17. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zum Einkommensabstand zwischen Frauen und Männern tragen eine Vielzahl von Faktoren bei. Auch wenn
es immer noch Formen unmittelbarer Lohndiskriminierung gibt, sind gegenwärtig die Formen mittelbarer Dis-
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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kriminierung von größter Bedeutung. Dazu gehören auch die tariflichen und betrieblichen Systeme der Ent-
geltfestlegung, die geschlechtsneutral formuliert sind und auf den ersten Blick nur schwer als diskriminierend
identifiziert werden können. Ein Beispiel sind Kriterien innerhalb von Arbeits- und Leistungsbewertungssys-
temen zu Ungunsten von Frauen, denen gesellschaftliche, hierarchische Bewertungen von Tätigkeiten zu-
grunde liegen, die traditionell als „weiblich“ und „männlich“ gelten und in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung
sichtbar sind.

So arbeiten in Berufen mit hohen Bruttojahresverdiensten deutlich mehr Männer, in schlecht bezahlten Berufen
überwiegend Frauen. Der Anteil der Frauen im Niedriglohnsektor liegt in Deutschland bei 70 Prozent.

Ein weiterer Grund für die Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern liegt in der hohen und überwiegend
unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigungsrate und das Festsitzen in Minijobs von Frauen.

Für eine erfolgreiche Durchsetzung des Rechts auf gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit sind Informationen
über vergleichbare Gehälter im gleichen Betrieb erforderlich. Deshalb ist das Vorhaben der Bundesregierung,
hier mehr Transparenz zu schaffen, zu begrüßen. Mitnichten genügt dies aber, um die genannten Ursachen der
Entgeltungleichheit zu bekämpfen und eine andere Praxis zu erreichen. Dafür ist eine Erweiterung der kol-
lektiven Mitbestimmungsrechte erforderlich.

Die seit Langem von der LINKEN geforderte Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns war überfällig und
ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Niedrig- und Niedrigstlöhnen, die hauptsächlich Frauen betreffen.
Auch dies ist aber nur ein erster kleiner Schritt, zumal der derzeitige gesetzliche Mindestlohn weiter kein aus-
reichendes Einkommen und ein Alter ohne Armut ermöglicht. Dringend erforderlich und gesellschaftlich ge-
boten ist die Aufwertung typischer Frauenjobs wie etwa die verantwortungsvolle und anstrengende Arbeit in
Erziehung und Pflege.

Die Gesetzgebung muss darüber hinaus nicht nur die Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Teilhabe
von Frauen am Erwerbsleben sicherstellen und die individuellen wie kollektiven Klagemöglichkeiten verbes-
sern, sondern auch die Tarifpartner bei Beachtung der Tariffreiheit zur diskriminierungsfreien Entgeltbewer-
tung in Tarifverträgen verpflichten. Sie kann sich nicht mit dem Verweis auf die Tarifautonomie seiner eigenen
Verpflichtung zum Schutz von Frauen vor Diskriminierung nach Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz
(GG) entziehen. Sie ist nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG sogar verfassungsrechtlich explizit verpflichtet, beste-
hende Benachteiligungen von Frauen zu beseitigen. Seiner Schutzpflicht kann der Staat – ohne Art. 9 Abs. 3
GG zu tangieren – durch eine verfahrensmäßige Absicherung des Verbotes, wegen des Geschlechts zu diskri-
minieren, nachkommen.

Neben der Konkretisierung bestehender Rechtsvorschriften bedarf es eines gesonderten Gesetzes zur Durch-
setzung der Entgeltgleichheit in Kollektivverträgen. Dies soll gleichsam als Leitfaden für die Privatwirtschaft
und den öffentlichen Dienst zur Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher und gleich-
wertiger Arbeit gelten. Schließlich müssen starke und unabhängige Institutionen mit eigenen Beratungs- und
Untersuchungskompetenzen den Tarifvertragspartnern zur Seite gestellt werden.

Entgeltgleichheit in Betrieben kann in Deutschland zurzeit auf zwei Wegen durchgesetzt werden, durch Klagen
der Betroffenen und durch Tarifpolitik. Individualklagen einzelner diskriminierter Personen sind nicht im-
stande, den Grundsatz der Entgeltgleichheit flächendeckend durchzusetzen. Es bestehen hohe Zugangsbarrie-
ren und Risiken bei der Rechtsmobilisierung. Die Rechtsprechung kann durch ihre Einzelfallentscheidungen
die diskriminierende Wirklichkeit der kollektiven Entgeltsysteme nicht entscheidend ändern, denn ihre Ent-
scheidungen gelten nicht unmittelbar für alle Betroffenen. Die individuelle Rechtsdurchsetzung führt auch zu
Rechtsunsicherheit nicht nur auf Seite der Verbände, sondern auch auf Seite der Arbeitgeber.

Daher bedarf es neben einer schnellen Anpassung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes an europa-
rechtliche Mindestvorgaben der Einführung eines Verbandsklagerechts sowie einer institutionellen Unterstüt-
zung der betroffenen Einzelpersonen im Vorfeld von Klagen durch eine unabhängige und mit eigenem Klage-
recht ausgestattete Antidiskriminierungsstelle des Bundes ebenso wie erweiterter Untersuchungspflichten der
Gerichte bei Verdacht auf mittelbare Diskriminierungstatbestände, die auf strukturellen und systemischen Ur-
sachen beruhen.

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