BT-Drucksache 18/4090

CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen

Vom 24. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4090
18. Wahlperiode 24.02.2015
Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Sevim len,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Thomas
Lutze, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Dr. Sahra Wagenknecht und
der Fraktion DIE LINKE.

CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA)
wird seit Monaten kontrovers diskutiert. Insbesondere der Investitionsschutz mit ei-
nem Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus (ISDS) ist hoch umstritten. Ak-
tuell ist zu diesem Problemkomplex ein umfangreiches „Reformpapier“ sozialisti-
scher/sozialdemokratischer Regierungs- und Parteichefs vorgelegt worden. Die
Problematik Investitionsschutz findet sich parallel im geplanten Freihandelsabkom-
men zwischen der EU und den USA (TTIP). Gegen beide Abkommen haben sich
bereits mehr als 1,5 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger in einer selbst-
organisierten Initiative ausgesprochen.

Mindestens ebenso problematisch wie der Investitionsschutz ist die im TTIP ge-
plante und im CETA-Vertragstext bereits enthaltene verstärkte regulatorische Ko-
operation zwischen der EU und Kanada in einem noch zu schaffenden, aber nicht
klar definierten Gremium. Hierüber könnte der politische Meinungsbildungsprozess
in den Parlamenten und das Gesetzgebungsverfahren auf nationaler sowie europäi-
scher Ebene stark beeinträchtigt werden.

Der CETA-Vertragstext liegt in der englischen Fassung seit August 2014 vor und
wurde im November 2014 von der EU-Kommission veröffentlicht. Eine deutsche
Übersetzung des vollständigen Textes ist erst nach Abschluss der Rechtsförmlich-
keitsprüfung für das daran anschließende Ratifizierungsverfahren vorgesehen und
wird so erst Ende 2015 vorliegen. Folglich sind der 521 seitige CETA-Vertragstext
und die mehr als 1.000 Seiten langen Anhänge für eine detailliert parlamentarische
Prüfung bis heute kaum nutzbar. Insbesondere eine belastbare Bewertung zentraler
Begriffe und ihrer Abgrenzungen, der jeweiligen Geltungsbereiche der formulierten
Investitions- und Handelsregeln sowie die gesetzgeberischen Folgen sind damit im
Detail kaum möglich.

Drucksache 18/4090 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Nach Sichtung des CETA-Vertragstextes und unter Berücksichtigung von zahlrei-
chen Stellungnahmen aus der Wissenschaft und Politik, von Verbänden und Nicht-
regierungsorganisationen sowie aus den EU-Mitgliedstaaten in den zuständigen Gre-
mien lässt sich generell festhalten, das der Vertragstext den Wortmeldungen von
Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung und der EU-Kommission wider-
spricht. Diese behaupten zu Unrecht, dass europäische Sozial-, Umwelt-, Arbeits-
recht- und Verbraucherschutzstandards vollumfänglich gewahrt werden würden.
Darüber hinaus hebeln die Formulierungen zum Investitionsschutz und Streit-
schlichtungsmechanismus die regulatorische Kompetenzen der Nationalstaaten und
die nationale wie europäische Gerichtsbarkeit aus (Wortprotokoll zur CETA-Anhö-
rung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie am 15.12.2014; Protokoll-Nr. 18/25),
was indirekt das erwähnte jüngste „Reformpapier“ der sozialistischen/sozialdemo-
kratischen Partei- und Regierungschefs bestätigt.

Im vorliegenden Vertragstext findet sich zudem eine Fülle von weit reichenden Libe-
ralisierungsgeboten, die diese Standards entweder gefährden oder aufgrund dehnba-
rer Bestimmungen gar nicht garantieren können (Consolidated CETA Text, p. 184).
Gleichfalls widerspricht der Vertragstext der wiederholt erklärten Absicht, die öf-
fentlichen Dienstleistungen und den Kulturbereich keinem zusätzlichen Privatisie-
rungsdruck auszusetzen. Nur einige wenige Bereiche wie etwa die Erfüllung hoheit-
licher Aufgaben, der Luftverkehr und audio-visuelle Dienstleistungen sind bislang
explizit von den Bestimmungen des Vertragskapitels „Cross-Border Trade in Ser-
vices“ ausgenommen (Consolidated CETA Text, p.188).

Trotz der breiten parlamentarischen, öffentlichen Kritik am Investorenschutz, ent-
hält der CETA-Vertragstext umfangreiche, einseitige Klagerechte von Unternehmen
gegen die Vertragsstaaten und unklare bzw. weitreichende Begriffsbestimmungen.
Die Verankerung der so genannten UNCITRAL-Transparenzregeln im CETA-In-
vestorenschutzkapitel entkräftet in keiner Weise die grundsätzliche Kritik an der
Form und der Notwendigkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS), zumal
den Schiedsgerichten das Recht zugestanden wird, „vertrauliche und geschützte In-
formationen“ zu definieren, die nicht dem Transparenzgebot unterliegen (Consoli-
dated CETA Text, p. 174).

Der CETA-Vertragstext schreibt die seit langem u. a. von zivilgesellschaftlichen
Gruppen, Gewerkschaften, Verbänden und kritischen Handelsexpert/innen kriti-
sierte Praxis fest, „drei Schiedsrichter“ (Consolidated CETA Text, pp. 472-478), die
aus privaten und an reger Klagetätigkeit interessierten Großkanzleien stammen, über
die Klagen ohne Berufungsmöglichkeit entscheiden zu lassen (Consolidated CETA
Text, p. 177). Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben mehrfach
geäußert, dass es keiner ISDS-Verfahren bedarf, wenn Vertragsstaaten über entwi-
ckelte Rechtssysteme verfügen und allen Unternehmen – unabhängig von ihrer Her-
kunft – gleiche Rechte gewähren. Diese Auffassung ist mittlerweile Minimalkonsens
in der Gesellschaft.

Die laufende Rechtsförmlichkeitsprüfung des CETA-Vertragstextes wäre aktiv zu
nutzen, um die umfangreichen Probleme durch detaillierte Nachbesserungen am
Text einzubringen und mit anderen EU-Mitgliedstaaten durchzusetzen. Nach den
vorliegenden Protokollen wird aber genau diese Minimalanforderung von der Bun-
desregierung bis heute gar nicht versucht. Entsprechend verkommt das stets selbst
formulierte Ziel der Wahrung möglichst hoher Sozial-, Umwelt-, Arbeitsrecht- und
Verbraucherschutzstandards zum Lippenbekenntnis.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4090
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Bundestag und den Bundesländern unverzüglich eine deutsche Übersetzung des
Vertragstextes zuzuleiten und den Bundesländern nach Erhalt dieser Überset-
zung hinreichend Zeit für eine qualifizierte Stellungnahme zu geben;

der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten mitzuteilen, dass Deutschland
weder beim CETA-Abkommen mit Kanada noch beim Freihandels- und Inves-
titionsabkommen mit den USA (TTIP) Investor-Staat-Schiedsverfahren akzep-
tieren wird;

sich mit allen politischen und juristischen Mitteln dafür einzusetzen, dass CETA
und im gleichen Sinne auch TTIP als gemischte Abkommen bewertet werden;

sich im Rat einer „vorläufigen Anwendung“ (provisional implementation) des
CETA-Vertragstextes nachdrücklich zu widersetzen.

Berlin, den 24. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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