BT-Drucksache 18/3942

Bewertung des Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung

Vom 4. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3942
18. Wahlperiode 04.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Corinna Rüffer, Katja Keul,
Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bewertung des Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung

Am 3. Dezember 2014 hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Neubestimmung
des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthG-E) beschlossen.
Dieser Gesetzentwurf sieht neben Verbesserungen in manchen Bereichen des
Aufenthaltsrechts etliche Verschärfungen vor. Die Verschärfungen betreffen ins-
besondere die Anordnung neuer Einreise- und Aufenthaltsverbote (etwa infolge
der Nichtausreise vor Ablauf einer Ausreisefrist oder der Erfolglosigkeit be-
stimmter Asylverfahren), die Ermächtigung zur ausufernden Abfrage von Daten
in ausländerrechtlichen Verfahren sowie die Abschiebungs- und Zurückschie-
bungshaft. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren diese Vorhaben (vgl.
Stellungnahme von ProAsyl, www.proasyl.de/de/news/detail/news/gesetz_zu_
bleiberecht_und_aufenthaltsbeendigung_massive_verschaerfung_des_
aufenthaltsrechts/). Zudem ist es bei etlichen Regelungen zweifelhaft, ob sie mit
höherrangigem Recht vereinbar sind.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Was bezweckt die Bundesregierung damit, es nach § 11 Absatz 6 und 7

AufenthG-E fortan zu ermöglichen, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot
unabhängig davon anzuordnen, dass ein Ausländer tatsächlich ausreist, und
aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Möglichkeit der
Anordnung eines solchen Einreise- und Aufenthaltsverbots auch dann für
sinnvoll, wenn die Ausreise des Ausländers aus rechtlichen oder tatsäch-
lichen Gründen nicht möglich ist?

2. Hält es die Bundesregierung für gewährleistet, dass die bundeseinheitliche
Anwendung der Bleiberechtsregelungen in §§ 25a und 25b AufenthG-E nicht
dadurch ausgehebelt wird, dass gegen langjährig im Inland lebende Aus-
länderinnen und Ausländer Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Ab-
satz 6 oder 7 AufenthG-E angeordnet werden, sodass ein Aufenthaltstitel
nach § 11 Absatz 1 AufenthG-E mangels abweichender Bestimmung in
§§ 25a und 25b AufenthG-E nicht erteilt werden darf, angesichts dessen, dass
§ 11 Absatz 4 die Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in das
Ermessen der Landesbehörden stellt?
Wenn ja, auf welche rechtlichen Erwägungen stützt die Bundesregierung ihre
Auffassung?
Wenn nein, aufgrund welcher integrationspolitischer Erwägungen hält die
Bundesregierung dies für sinnvoll?

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3. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die
Regelung in § 11 Absatz 6 AufenthG-E für vereinbar mit dem Recht der
Europäischen Union, angesichts dessen, dass nach Artikel 11 Absatz 1
Unterabsatz 1a RL 2008/115/EG die Anordnung eines Einreiseverbots vor-
aussetzt, dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde, ein Hinweis auf
die kraft Gesetzes bestehende Ausreisepflicht jedoch keine Rückkehrent-
scheidung ist?

4. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die
Regelung in § 11 Absatz 7 AufenthG-E für vereinbar mit dem Recht der
Europäischen Union, angesichts dessen, dass nach Artikel 11 Absatz 1
Unterabsatz 1a RL 2008/115/EG die Anordnung eines Einreiseverbots vor-
aussetzt, dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde, die bestands-
kräftige Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet an
sich jedoch ebenso wenig eine Rückkehrentscheidung im unionsrechtlichen
Sinne darstellt, wie die Tatsache, dass ein Asylfolgeantrag oder Asylzweit-
antrag wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens
geführt hat oder dass eine Abschiebungsandrohung erlassen wurde?

5. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für gerechtfer-
tigt, Ausländerinnen und Ausländer, deren Asylantrag nach § 30 Absatz 3
Nummer 1 bis 6 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) abgelehnt wurde,
von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a und 25b
AufenthG-E trotz Erfüllung der dort geregelten Voraussetzungen aus-
zuschließen, angesichts dessen, dass ihnen eine Aufenthaltserlaubnis nach
§ 10 Absatz 3 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mangels Ausge-
staltung der §§ 25a und 25b AufenthG-E als Anspruchsnorm nicht erteilt
werden darf?

6. Welche Behörde soll nach Auffassung der Bundesregierung fortan für die
Aufhebung oder nachträgliche Befristung eines Einreiseverbots nach § 11
Absatz 7 AufenthG-E zuständig sein, und woraus ergibt sich diese Zustän-
digkeit angesichts dessen, dass sie im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich ge-
regelt ist?

7. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für sinnvoll,
diese Zuständigkeit nicht ausdrücklich zu regeln?

8. Hält die Bundesregierung die Schaffung einer Aufenthaltserlaubnis zur An-
erkennung ausländischer Berufsqualifikationen für eine hinreichende Maß-
nahme zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte angesichts dessen, dass die
Bundesregierung ausweislich der Gesetzesbegründung damit rechnet, dass
lediglich „zusätzlich 300 Ausländer eine Bildungsmaßnahme … im Inland
durchführen werden“?

9. Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Erwartung der Bundesregierung,
dass 300 Personen von der Möglichkeit des § 17a AufenthG-E Gebrauch
machen werden?

10. Inwiefern hält es die Bundesregierung für systematisch kohärent, Inhabe-
rinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 17a AufenthG-E im
Gegensatz zu Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 16 AufenthG lediglich die Beschäftigung bis zu zehn Stunden pro Woche
zu erlauben?

11. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in
§ 48a AufenthG-E für vereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmt-
heitsgebot, angesichts dessen, dass sie die Abfrage der Zugangsdaten von
Mobiltelefonen und Computern entgegen der Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts (vgl. BVerfG 1 BvR 1299/05, Rz. 184) weder durch Benen-
nung einer Eingriffsschwelle beschränkt noch den Kreis der berechtigten
Behörden und den Zweck der Datenerhebung eingrenzt?

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12. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in
§ 48 Absatz 3a AufenthG-E für verhältnismäßig im verfassungsrechtlichen
Sinne?

13. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für entbehrlich,
im Rahmen des § 48 Absatz 3a AufenthG-E ein Verbot der Weitergabe von
Daten an andere Behörden (wie z. B. in § 113 Absatz 1 des Telekommuni-
kationsgesetzes – TKG) sowie den besonderen Schutz von Daten, die dem
Telekommunikationsgeheimnis unterfallen, zu regeln?

14. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für verfas-
sungsrechtlich zulässig, bei der Abfrage von PIN bzw. PUK aufgrund von
§ 48 Absatz 3a AufenthG-E sowie der Verwertung der erlangten Daten auf
einen gesetzlich geregelten Richtervorbehalt zu verzichten?

15. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für entbehrlich,
das Auskunftsverlangen nach § 48a Absatz 1 AufenthG-E unter einen Rich-
tervorbehalt zu stellen, angesichts dessen, dass die Parallelregelung in
§ 100j Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) einen Richtervorbe-
halt vorsieht?

16. Ist die Aufzählung der abwägungsrelevanten Belange in §§ 54, 55
AufenthG-E nach Auffassung der Bundesregierung abschließend?
Wenn ja,
a) welche rechtliche Erwägungen haben die Bundesregierung veranlasst,

bei der Ausgestaltung des neuen Ausweisungsrechts von der im Ord-
nungsrecht üblichen Kombination von Abwägung und Ermessenser-
mächtigung abzuweichen, angesichts dessen, dass die abzuwägenden
Belange im Gesetz abschließend geregelt sind, es aber denkbar ist, dass
bei einer Ausweisung darüber hinaus noch weitere Gesichtspunkte zu
berücksichtigen sind,

b) warum hält es die Bundesregierung unter anderem nicht für relevant, im
Rahmen einer Ausweisungsentscheidung zu berücksichtigen, dass ein
Ausländer im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, Träger einer Auszeich-
nung für besondere Verdienste in der Bundesrepublik ist, oder als hoch-
qualifizierte Fachkraft in einem sog. Mangelberuf beschäftigt ist,

wenn nein, woraus ergibt sich das?
17. Wie begründet die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung, dass die Ausge-

staltung des § 53 AufenthG-E als gebundene Entscheidung zu einer schnel-
leren Rechtssicherheit beiträgt, angesichts dessen, dass – abweichend von
der Auffassung der Bundesregierung – eine Ausweisungsentscheidung als
belastender Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage (und nicht der
Verpflichtungsklage) angegriffen wird und die Gerichte die Ausländerbe-
hörden daher nicht zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Auffas-
sung des Gerichts verurteilen können?

18. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für verhältnis-
mäßig, dass ausgewiesene Ausländerinnen und Ausländer bereits vor Voll-
streckbarkeit einer Ausweisungsverfügung überwacht werden können,
obwohl die Ausweisungsverfügung in der Regel von den Behörden für
sofort vollziehbar erklärt werden kann und damit die Vollstreckbarkeit ohne
weiteres sofort eintritt?

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19. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hat die Bundesregierung davon
abgesehen, Familienangehörige von Deutschen in § 53 Absatz 3 AufenthG-E
in gleicher Weise wie Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge, Berech-
tigte nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei und Inhaberinnen und
Inhaber einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU vor der Ausweisung zu
schützen?

20. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass ein nicht nur vereinzelter oder
geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder be-
hördliche Entscheidungen oder Verfügungen (§ 54 Absatz 2 Nummer 9
AufenthG-E) gleichermaßen ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse
begründet wie die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens einem Jahr (§ 54 Absatz 2 Nummer 1 AufenthG-E)?

21. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass nach dem Wortlaut des § 2
Absatz 14 Nummer 2 AufenthG-E die Täuschung eines Ausländers über
seine Identität auch dann als konkreter Anhaltspunkt für die Annahme von
Fluchtgefahr gelten soll, wenn sie nicht im Zusammenhang mit einer bevor-
stehenden Abschiebung steht?

22. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die
Regelung in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E für vereinbar mit den Vor-
gaben der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union, angesichts dessen, dass sie zur Inhaf-
tierung von Schutzsuchenden führen kann, deren Rückführung in den nach
den Regelungen der Dublin-III-Verordnung zuständigen Staat aus men-
schenrechtlichen Gründen verboten ist?

23. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die
Regelung in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E für vereinbar mit dem Be-
stimmtheitsgebot, angesichts dessen, dass die Inhaftierung unter Heranzie-
hung dieser Vorschrift von einer Prognoseentscheidung abhängt, nämlich
dass „Umstände […] konkret darauf hindeuten, dass [der Betroffene] den
zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will“?

24. Warum hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf davon abgesehen,
Alternativen zur Abschiebungshaft gesetzlich vorzusehen?

25. Wie unterscheidet sich der Ausreisegewahrsam nach § 62b AufenthG-E
von der Unterbringung in einer Ausreiseeinrichtung nach § 61 Absatz 2
AufenthG, und aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung
daran fest, beide Vorschriften nebeneinander bestehen zu lassen?

26. Sollen nach Auffassung der Bundesregierung auf Grundlage des § 62b
AufenthG-E Minderjährige in Gewahrsam genommen werden können?
Wenn ja, aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Inge-
wahrsamnahme von Minderjährigen für vereinbar mit der UN-Kinder-
rechtskonvention?
Wenn nein, wie wird dies rechtlich abgesichert?

27. Wer trifft nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidung, ob und
ggf. wo eine Einrichtung zur Vollziehung des Ausreisegewahrsams ge-
schaffen wird, und wer trägt die Kosten für den Betrieb einer solchen Ein-
richtung?

28. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die durch die Schaffung solcher Ein-
richtungen entstehenden Kosten für den Bund, die Länder und ggf. die Be-
treiber von Flughäfen ein?

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29. Wird der Bund die Kosten für den Betrieb solcher Einrichtungen über-
nehmen?
Wenn ja, in welcher Höhe, nach welchen Modalitäten, und auf welcher
rechtlichen Grundlage?
Wenn nein, warum nicht?

30. Trifft es zu, dass die Europäische Kommission die Bundesregierung darauf
hingewiesen hat, dass ein Rundschreiben des Auswärtigen Amts an die
Auslandsvertretungen zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Ge-
richtshofs vom 10. Juli 2014 in der Rechtssache Dogan (C-138/13), mit dem
das Erfordernis des Nachweises einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegat-
tennachzug mit dem Assoziationsrecht EWG-Türkei für unvereinbar erklärt
wurde, nicht genüge, sondern eine Gesetzesänderung erforderlich sei?

31. Warum hat die Bundesregierung davon abgesehen, in ihrem Gesetzentwurf
das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 in der Recht-
sache Dogan (C-138/13) umzusetzen und das Erfordernis des Nachweises
einfacher Deutschkenntnisse im Visumsverfahren beim Ehegattennachzug
ganz oder zumindest entsprechend des Urteils des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2015 (OVG 7 B 22.14) beim Nachzug
zu Berechtigten nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei aufzuhe-
ben?

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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