BT-Drucksache 18/3918

Arbeitsförderung neu ausrichten - Nachhaltige Integration und Teilhabe statt Ausgrenzung

Vom 4. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3918
18. Wahlperiode 04.02.2015
Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang-Strengmann-Kuhn, Katja Dörner, Markus Tressel,
Dr. Thomas Gambke, Matthias Gastel, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kai
Gehring, Dr. Tobias Lindner, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg),
Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitsförderung neu ausrichten – Nachhaltige Integration und Teilhabe statt
Ausgrenzung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Förderpolitik für Arbeitslose steckt in einer Sackgasse. Dies drückt sich u. a. in
der anhaltend hohen Langzeitarbeitslosigkeit aus. Betroffen sind mehr als eine Mil-
lion Menschen in Deutschland, von denen die meisten Arbeitslosengeld II beziehen.
Die Bundesagentur für Arbeit spricht inzwischen sogar von einer verhärteten Lang-
zeitarbeitslosigkeit, weil der Anteil derjenigen, der nicht nur ein Jahr, sondern zwei
Jahre und länger arbeitslos ist, überdurchschnittlich steigt. Eine viertel Million Men-
schen sind bereits länger als vier Jahre arbeitslos. Mehr als eine Million Menschen
beziehen dauerhaft Arbeitslosengeld II. Die Zahl der auf Dauer abgehängten Men-
schen wächst. Das Teilhabeversprechen der Gesellschaft gilt für sie nicht mehr.
Auch die jüngst aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende geführte Debatte um das sogenannte Hartz IV hat den Reformbedarf
in der Arbeitsmarktpolitik deutlich gemacht.

Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, hat zwar vor kurzem
eingestanden, dass Langzeitarbeitslose von der konjunkturellen Entwicklung seit
2009 nicht profitiert haben. Trotzdem verweigert sie notwendige Verbesserungen
bei der Arbeitsförderung. Statt auf die gescheiterte Politik für Langzeitarbeitslose
mit einem arbeitsmarktpolitischen Paradigmenwechsel zu reagieren, enthält ihr im
November 2014 vorgestelltes „Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit“ im
Wesentlichen althergebrachte Ansätze und setzt das „Programm-Hopping“ – also
die Auflage immer neuer Programme mit begrenzten Laufzeiten – der Vorgängerre-
gierungen fort. Zu qualitativen und quantitativen Verbesserungen führen diese Vor-
schläge nicht.

Strukturelle Verbesserungen sind aber notwendig, um (nicht nur) Langzeitarbeitslo-
sen neue Perspektiven zu eröffnen. Statt befristeter Sonderprogramme und standar-
disierter Massenmaßnahmen sind passgenaue und individuelle Integrationsstrate-
gien und Teilhabemöglichkeiten für Arbeitslose erforderlich. Die Auffassung, jeder
und jede Arbeitslose könne kurz- bis mittelfristig in den ersten Arbeitsmarkt vermit-
telt werden, hat sich für eine wachsende Gruppe von Menschen als Illusion erwiesen.

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Dem muss auch die Arbeitsförderung Rechnung tragen und für diese Menschen neue
Strategien entwickeln.

Darüber hinaus muss endlich wieder mehr in Arbeitslose und ihre Fähigkeiten in-
vestiert werden. Nicht die rasche und häufig nur kurzfristige, sondern die nachhaltige
Vermittlung in Arbeit gehört in den Fokus der Arbeitsförderung. Neben personell
und materiell gut ausgestatteten Arbeitsagenturen und Jobcentern sind dafür vor al-
lem mehr Qualifizierungsangebote für Arbeitslose notwendig. Mit Aus-, Fort- und
Weiterbildungen in nachgefragten Berufen können vormals Arbeitslose erfolgrei-
cher am Arbeitsmarkt bestehen. Gleichzeitig wird damit nicht nur ein Beitrag zur
Bekämpfung des Fachkräftemangels geleistet, sondern auch endlich das immer noch
uneingelöste Förderversprechen der Hartz-Reformen umgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Voraussetzung für die bessere Förderung und Integration von Arbeitslosen zu
schaffen. Dafür ist es erforderlich, die Arbeitsförderung finanziell und personell
sachgerecht auszustatten. Zudem müssen folgende Grundsätze bzw. Maßnahmen in
der Arbeitsförderung verankert werden:
1. der Aufbau eines verlässlichen Sozialen Arbeitsmarkts auf Basis des Passiv-Ak-

tiv-Transfers ist unverzüglich einzuleiten. Mit sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung im Sozialen Arbeitsmarkt werden Teilhabe und Integrations-
chancen für jene Arbeitslose gewährleistet, die auch bei einer hohen Arbeits-
kräftenachfrage keine Chance auf eine ungeförderte Beschäftigung haben. Un-
abhängig davon müssen alle Instrumente der öffentlich geförderten Beschäfti-
gung und der Arbeitsförderung so aufeinander abgestimmt und miteinander
kombinierbar werden, dass individuelle und verzahnte Förderketten mit dem
Ziel der mittel- bis langfristigen Arbeitsmarktintegration möglich werden;

2. der geltende Vorrang von Vermittlung vor Weiterbildung muss vor allem für
geringqualifizierte Arbeitslose wegfallen, da sich deren Vermittlung oft als nicht
nachhaltig herausgestellt hat. Mit besseren Qualifikationen und nachgefragten
Kompetenzen steigen ihre Chancen, die Arbeitslosigkeit dauerhaft zu überwin-
den;

3. um Hemmnisse für die Aufnahme einer geförderten Qualifizierung zu überwin-
den und die Zahl der Abbrüche zu vermindern, sind Bildungsprämien für Ar-
beitslose, die sich weiterbilden, erforderlich. Dies kann mithilfe monatlicher
Mehraufwandspauschale bzw. durch Prämien für erfolgreich absolvierte Prü-
fungen erreicht werden. Darüber hinaus muss das Angebot an Teilzeitqualifizie-
rungen und -ausbildungen bedarfsgerecht ausgebaut werden. Damit der Über-
gang in BAföG- oder Meister-BAföG-geförderte Qualifizierungen, Ausbildun-
gen oder Umschulungen nicht mehr an Altersgrenzen oder anderen formalen
Beschränkungen scheitert, ist ein umfassendes Weiterbildungs-BAföG einzu-
führen;

4. Arbeitslose sind passgenau und auf Basis einer fortzuschreibenden Eingliede-
rungsstrategie zu fördern. Die Strategie soll mit den Arbeitslosen gemeinsam
entwickelt werden und die Prinzipien der Mitwirkung, Beratung und des
Wunsch- und Wahlrechts berücksichtigen. Darüber hinaus muss der arbeits-
marktpolitische Instrumentenkasten um die Möglichkeit der sozialpädagogi-
schen, psychologischen und gesundheitsbezogenen Begleitung von Arbeitslosen
erweitert werden, um bei Bedarf die klassische Arbeitsförderung zu ergänzen.
Ebenfalls erforderlich ist der Ausbau des beschäftigungsorientierten Fallmana-
gements mit einem verbesserten Betreuungsschlüssel;

5. für die Nachbetreuung von vermittelten SGB-II-Beziehern wird eine tragfähige
rechtliche Grundlage geschaffen, da zu viele aus Arbeitslosigkeit aufgenom-
mene Beschäftigungsverhältnisse bereits nach kurzer Zeit wieder scheitern;

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6. das Steuerungs- und Controllingsystem muss die Erreichung von Zwischenzie-

len stärker honorieren. Nur so kann das „Creaming“ – also die Bestenauslese bei
der Förderung von Arbeitslosen – vermindert und sichergestellt werden, dass
auch sehr arbeitsmarktferne Personen besser gefördert werden;

7. die Freie Förderung soll als echte Erprobungsklausel ausgestaltet werden, um
auch rechtskreisübergreifende Konzepte im Rahmen der Regelförderung zu er-
möglichen, mit der beispielsweise neue Ansätze zur Vermeidung des Langleis-
tungsbezugs und zur Integration von Langzeitarbeitslosen ausprobiert werden
können;

8. damit die nachgewiesenen sozialen und wirtschaftlichen Potentiale der Förde-
rung von Existenzgründern voll ausgeschöpft werden können, werden die Grün-
dungen aus Arbeitslosigkeit wieder in bedarfsgerechtem Umfang unterstützt.

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Den zehnten Jahrestag der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) nahmen viele Insti-
tutionen und Arbeitsmarktfachleute zum Anlass Bilanz zu ziehen. Nahezu unisono wurde dabei erheblicher
Reformbedarf festgestellt. Dieser umfasst neben der Leistungsseite (vgl. dazu die Initiativen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den Bundestagdrucksachen 17/12389 und 18/1963) vor allem die Förderpo-
litik für Arbeitslose. Anspruch und Wirklichkeit bei der Förderung insbesondere von Langzeitarbeiten klaffen
immer noch weit auseinander. Dieses Ungleichgewicht führt nicht nur zu einer mangelnden Akzeptanz von
Hartz IV, sondern auch zu unzureichenden Ergebnissen der Arbeitsmarktpolitik. Das zeigt sich an der fehlen-
den Nachhaltigkeit von Arbeitsmarktintegrationen genauso wie an der anhaltend hohen Langzeitarbeitslosig-
keit. Zudem ist es für bestimmte Gruppen wie ältere oder alleinerziehende Arbeitslose nach wie vor besonders
schwer, ihre Arbeitslosigkeit zu beenden.

Die Arbeitsmarktpolitik seit 2009 war vor allem durch drastische Mittelkürzungen geprägt. Gleichzeitig hat
die letzte Instrumentenreform die Fördermöglichkeiten für Arbeitslose deutlich verschlechtert. Die Bedingun-
gen im Bereich geförderter Beschäftigung wurden beispielsweise so beschränkt, dass längerfristig angelegte
Förderstrategien für besonders Benachteiligte nicht mehr möglich sind. Dadurch wird die nachhaltige Integra-
tion von Arbeitsuchenden massiv erschwert. Notwendige Neuerungen wie die Einrichtung eines verlässlichen
Sozialen Arbeitsmarkts wurden nicht in die Wege geleitet und die Förderung der Gründungen aus Arbeitslo-
sigkeit stark beschränkt.

Die negativen Folgen dieses Kurses sind erheblich:

Die Mittel für Qualifizierung und Förderung von Arbeitsuchenden wurden seit 2010 um 40 Prozent ge-
kürzt, das Verwaltungskostenbudget um 8 Prozent. Zuletzt ist eine knappe halbe Milliarde Euro, die ei-
gentlich für die Förderung von Arbeitslosen vorgesehen war, in die Finanzierung von Verwaltungskosten
geflossen.

Die Förderung von Arbeitslosen durch Maßnahmen ist stark zurückgegangen. Der jahresdurchschnittliche
Anteil der aktiv geförderten Arbeitslosen an allen Arbeitslosen ist von 26,1 Prozent im Jahr 2009 auf 17,5
Prozent in den Jahren 2013 und 2014 gefallen.

Die Aktivierungsquote von Langzeitarbeitslosen lag schon immer deutlich unter der allgemeinen Aktivie-
rungszahlen. Trotzdem sind die Chancen von Langzeitarbeitslosen auf aktive Förderung durch Ar-

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beitsagenturen und Jobcenter innerhalb der letzten fünf Jahre weiter gesunken. Befand sich 2009 im Jah-
resdurchschnitt noch knapp jeder siebte Langzeitarbeitslose in einer Maßnahme zur Verbesserung seiner
Arbeitsmarktchancen, so war es 2013 nicht mal einmal mehr jeder zehnte.

Standen 2010 im Jahresdurchschnitt noch 344.000 Personen in einem öffentlich geförderten Beschäfti-
gungsverhältnis, waren es im Jahresdurchschnitt 2013 nur noch 151.000. Das entspricht einem Rückgang
von 56 Prozent.

In der Folge stagnierte der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Von 2010 bis 2013 ging die Zahl der Langzeit-
arbeitslosen offiziell um etwa 7 Prozent zurück. Nimmt man allerdings die (nach § 53a SGB II) aus der Statistik
gefallenen Langzeitarbeitslosen hinzu, dann ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen von 2010 bis 2013 nur um
0,6 Prozent gesunken, also praktisch gleich hoch geblieben. Für das Jahr 2014 weist die Statistik der Bunde-
sagentur für Arbeit neben den jahresdurchschnittlich fast 1,1 Millionen offiziell Langzeitarbeitslosen weitere
165.000 Menschen aus, die zwar langzeitarbeitslos waren, in der offiziellen Arbeitslosenstatistik aber nicht
mehr auftauchen.

Die frühere schwarz-gelb geführte Bundesregierung hat einseitig auf die konjunkturelle Entwicklung des Ar-
beitsmarkts und den daraus resultierenden Abbau der Arbeitslosigkeit gesetzt. Strukturelle Probleme wurden
nicht in Angriff genommen. Die Grenzen dieses Ansatzes sind offensichtlich und eindeutig zu Lasten der Ar-
beitslosen gegangen. An ihnen ist der Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre vorbeigegangen.

Trotz dieser mehr als ernüchternden Bilanz hat die neue schwarz-rote Bundesregierung keinen arbeitsmarkt-
politischen Politikwechsel eingeleitet. Die Arbeitsmarktpolitik bleibt strukturell unterfinanziert, einen verläss-
lichen Sozialen Arbeitsmarkt wird es genauso wenig geben wie die Erprobung des Passiv-Aktiv-Transfers.
Selbst die angekündigte Entbürokratisierung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) wurde auf Eis
gelegt. Die zwingend erforderliche Verbesserung der Arbeitsförderung nimmt die Bundesregierung nicht in
Angriff. Dies ist unverantwortlich und sowohl zum Schaden der betroffenen Arbeitslosen als auch des Arbeits-
markts angesichts des wachsenden Fachkräftebedarfs.

Zu den Forderungen im Einzelnen:

Zu 1:

Geschätzt 200.000 bis 400.000 arbeitslose Menschen in Deutschland haben auch bei einer guten Arbeitskräf-
tenachfrage mittel- bis langfristig keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Für diese Menschen ist die Einrichtung
eines verlässlichen Sozialen Arbeitsmarkts erforderlich, der überwiegend durch den sogenannten Passiv-Aktiv-
Transfer finanziert wird. Erforderlich sind dafür ein sorgfältiges Auswahlverfahren, die regelmäßige Überprü-
fung der Anspruchsvoraussetzungen, die Feststellung der erreichten Zwischenziele sowie Maßnahmen, die eine
sozialpädagogische Begleitung, Mentoring, Coaching, Beratung, Gesundheitsförderung und Qualifizierung
von besonders benachteiligten Arbeitslosen ermöglichen. Es soll ein Lohnkostenzuschuss in Höhe von bis zu
100 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelts ermöglicht werden (vgl. dazu ausführlich den
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 17/11076). Unabhängig
von der Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarkts müssen zudem bestehende Restriktionen – z. B. die zeitliche
Begrenzung der Förderung in den §§ 16d und 16e SGB II – bei der öffentlich geförderten Beschäftigung be-
seitigt werden, damit auch längerfristig angelegte individuelle Förderstrategien mit aufeinander aufbauenden
oder ergänzenden Instrumenten nicht weiter daran scheitern können. Die Kriterien Zusätzlichkeit, öffentliches
Interesse und Wettbewerbsneutralität müssen vom Prinzip des lokalen Konsenses abgelöst werden.

Zu 2:

Fast die Hälfte der Arbeitslosen verfügt über keine bzw. nur über eine veraltete Ausbildung. Bei ihnen erweist
sich der gesetzlich festgeschriebene Vorrang der unmittelbaren Vermittlung vor Unterstützungsmaßnahmen oft
als kontraproduktiv, da sie nach kurzer Zeit wieder arbeitslos sind. Fast 30 Prozent der neu eingegangenen
Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden enden vor Ablauf von drei Monaten, knapp
40 Prozent vor Ablauf von sechs Monaten. Weniger als die Hälfte der Arbeitsaufnahmen führte zur Überwin-
dung des Leistungsbezugs. Bei Vermittelten ohne Schul- bzw. Berufsausbildung liegen die Werte deutlich un-
terhalb derer von Menschen mit Schul- bzw. Berufsabschluss. Um diesen Negativkreislauf zu durchbrechen ist
es notwendig, für diese Personengruppe mit grundlegenden und abschlussorientierten Qualifizierungen die Ba-
sis für eine stabilere Beschäftigungsaufnahme zu legen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3918
Zu 3:

Häufig sind Geldprobleme von Arbeitslosen verantwortlich dafür, dass eine Weiterbildung gar nicht erst be-
gonnen oder – auch wegen nur kurz andauernder Jobs – vor Erreichen des Abschlusses abgebrochen wird.
Letzteres betrifft mehr als jede fünfte geförderte Weiterbildung. Um diesem Problemen zu begegnen, muss
sichergestellt werden, dass Arbeitslose sich eine Qualifizierung leisten können. Eine finanzielle Unterstützung
bei einer Weiterbildung kann die Teilnahmebereitschaft und das Durchhaltevermögen erhöhen, dies zeigen
u. a. Modellversuche in Thüringen und Niedersachsen im Rahmen der Initiative „Spätstarter gesucht“. Darüber
hinaus sollte im Einzelfall auf die vorgeschriebene Verkürzung einer Umschulung verzichtet werden können,
wenn dies den Voraussetzungen der Arbeitslosen entgegenkommt und ihre Aussicht auf den erfolgreichen Ab-
schluss einer Qualifizierung damit wächst. Insbesondere Eltern und Alleinerziehende können die Anforderun-
gen einer Weiterbildung nicht ohne weiteres mit ihren Eltern- und Betreuungspflichten in Einklang bringen.
Qualifizierungen und Ausbildungen in Teilzeit oder mit begleitender Kinderbetreuung können helfen, diese
Schwierigkeiten zu überwinden. Manche Umschulungen von Arbeitslosen scheitern auch, weil das Arbeitslo-
sengeld II als „nachrangige“ Leistung nicht mehr gezahlt wird, wenn eine Ausbildung dem Grunde nach
BAföG-förderfähig wäre. Diese Regelung gilt aber selbst dann, wenn Arbeitslose z. B. aus Altersgründen gar
kein BAföG mehr beziehen können. Statt beim beruflichen Neustart unterstützt zu werden, werden die Be-
troffenen vor die Wahl – Lebensunterhalt oder Lernen – gestellt. Das ist absurd und falsch, denn immer mehr
Menschen werden zukünftig Bedarf an Umschulungen und Fortbildung haben, auch wenn sie älter als 35 Jahre
sind. Mit einem Weiterbildungs-BAföG (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3412, Punkt 9) kann die bestehende
Lücke geschlossen werden. Grundsätzlich müssen Übergänge – auch aus Arbeitslosigkeit und Grundsiche-
rungsbezug – in Aus- und Weiterbildung so gestaltet werden, dass es zu keinen Brüchen und daraus entstehen-
den finanziellen Notlagen kommt.

Zu 4:

Das SGB II hat vielfältige soziale Zielsetzungen. Insbesondere soll die Kompetenz von Arbeitsuchenden ge-
zielt gefördert werden, um sie zu befähigen, ihre Situation zu überwinden. Dieser Gedanke wird bislang unge-
nügend umgesetzt. So erfordern etwa die zunehmend komplexer werdenden Problemlagen von Arbeitsuchen-
den individuelle und passgenaue Integrationsstrategien, die über die klassischen Instrumente der Arbeitsförde-
rung hinausgehen. Für Letzteres fehlt bisher die rechtliche Grundlage. Darüber hinaus bestehen nach wie vor
in der Praxis große Defizite bei der passgenauen Förderung von Arbeitsuchenden. Die Ursachen dafür sind
vielfältig. Sie liegen in der hohen personellen Fluktuation, der mangelnden finanziellen Ausstattung der Job-
center, dem unzureichenden Vergaberecht, den Mängeln in der Versorgung mit sozialintegrativen kommunalen
Angeboten wie zum Beispiel der Schuldnerberatung. Der Weg zurück in Erwerbstätigkeit hängt wesentlich
von der Motivation der Arbeitsuchenden selbst ab. Motivation und Selbstbestimmung stehen dabei in einem
engen Wechselverhältnis. Deshalb muss ein Wunsch- und Wahlrecht der Arbeitslosen zukünftig zentrale
Grundlage der Beratung, Betreuung und Vermittlung werden. Darüber hinaus muss das beschäftigungsorien-
tierte Fallmanagement, das den Fachkräften mehr Freiheiten einräumt und einen besseren Betreuungsschlüssel
vorsieht, bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Zu 5:

Die Nachbetreuung von in Beschäftigung vermittelten Arbeitslosen hat sich in Modellprojekten als erfolgreiche
Integrationsstrategie erwiesen. Die nach ihrer Vermittlung weiter von Arbeitsagentur oder Jobcenter Betreuten
blieben nach Angaben der Bundesagentur häufiger und länger in Beschäftigung als solche ohne Nachbetreu-
ung. Eine gesetzliche Grundlage für diese Betreuung existiert bislang nicht, so dass sie bisher nur in Ausnah-
mefällen angewendet werden kann. Des Weiteren sollte geprüft werden, ob und in welcher Art weitere Instru-
mente der Arbeitsförderung für bereits Vermittelte in der Nachbetreuung geöffnet werden können, beispiels-
weise das Programm WeGebAU.

Zu 6:

Die bisherige Steuerungslogik führt dazu, dass eher arbeitsmarktnahe Personen gefördert werden. Andere Ar-
beitslose, deren Integration in den Arbeitsmarkt aufwändiger ist und nur schrittweise vorankommt, werden
hingegen seltener unterstützt. Die Erreichung von Zwischenzielen wird vom System nicht honoriert; es zählt
vor allem die Arbeitsmarktintegration. So wird eine Bestenauslese unter den Arbeitslosen begünstigt, die z. B.

Drucksache 18/3918 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
vom Bundesrechnungshof kritisiert wurde. Um dies zu ändern, müssen Zwischenziele auf dem Weg zur Be-
schäftigungsaufnahme als Erfolgskriterien in das Steuerungssystem aufgenommen werden. Damit wird sicher-
gestellt, dass auch die Personen gefördert werden, bei denen der Bedarf besonders hoch ist.

Zu 7:

Immer wieder scheitern vor allem schnittstellen- und sozialgesetzbuchübergreifende Ansätze an den zu starren
Vorgaben der Gesetzgebung. Insbesondere im Bereich verhärteter Arbeitslosigkeit, aber auch bei präventiven
Konzepten können innovative Ansätze deshalb nicht verfolgt werden. Um hierfür mehr Spielräume zu schaffen,
muss die Freie Förderung nach § 16f SGB II praxistauglich und regelkreisübergreifend überarbeitet werden.

Zu 8:

Arbeitslose sind eine ausgesprochen heterogene Gruppe, für deren erfolgreiche Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt ein flexibles und breites Spektrum an Fördermöglichkeiten zur Verfügung stehen muss. Die
Gründungsförderung aus Arbeitslosigkeit gehörte bis 2012 unbestritten zu den erfolgreichsten Förderinstru-
menten mit einer „doppelten Dividende“. Viele der geförderten Neugründerinnen und Neugründer haben nicht
nur für sich selbst einen existenzsichernden Arbeitsplatz geschaffen, sondern auch darüber hinaus weitere Ar-
beitsplätze aufgebaut. Dies hat die Evaluierung des Instruments eindrucksvoll belegt. Die Wirkung wurde im
Zuge der letzten Instrumentenreform nahezu zunichte gemacht. Dieser Fehler muss rückgängig gemacht und
die seit 2012 stark eingeschränkte Förderung von Gründungen aus Arbeitslosigkeit wieder bedarfsgerecht aus-
gebaut werden.
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