BT-Drucksache 18/3839

Flüchtlinge willkommen heißen - Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik

Vom 28. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3839
18. Wahlperiode 28.01.2015
Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sigrid Hupach, Caren Lay, Cornelia
Möhring, Sabine Zimmermann (Zwickau), Karin Binder, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Bluhm, Se im Da delen, Nicole Gohlke, Dr. André Hahn, Dr. Rosemarie
Hein, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Norbert
Müller (Potsdam), Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Martina
Renner, Azize Tank, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald
Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel
in der Asylpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Bundestag ist besorgt darüber, dass kriegerische Auseinandersetzungen,
Vertreibungen, politische Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen und exis-
tenzbedrohliche Notlagen in vielen Ländern der Welt immer mehr Menschen
zur Flucht zwingen. Auch in Deutschland steigt die Zahl der Asylsuchenden, im
Jahr 2014 auf etwa 173.000. Dies ist jedoch nur ein Bruchteil der über 50 Milli-
onen Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden. Trotz der zuletzt ge-
stiegenen Zahl von Asylsuchenden hat sich die Gesamtzahl der in Deutschland
lebenden Flüchtlinge und Asylsuchenden in den letzten 15 Jahren mehr als hal-
biert und beträgt etwa 500.000 Menschen. Der Bundestag betont vor diesem
Hintergrund, dass die Bundesrepublik Deutschland als eine der reichsten Indust-
rienationen der Welt für Flüchtlinge offen sein und auch die Aufnahme einer
größeren Zahl von Asylsuchenden menschenwürdig gestalten muss.

2. Der Bundestag will die bisherige Politik der Abschreckung gegenüber Flücht-
lingen konsequent beenden. In den 80er- und 90er-Jahren wurde eine Reihe von
Maßnahmen zur Abschreckung von schutzsuchenden Menschen geschaffen:
Die Zwangsunterbringung in entpersönlichenden Lagern, massive Einschrän-
kungen der Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht) und sozialrechtliche Diskrimi-
nierungen (Arbeitsverbote, Versorgung unterhalb des menschenwürdigen Exis-
tenzminimums, eingeschränkte Gesundheitsversorgung u. v. m.). Der Bundes-
tag begrüßt, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Asylbe-
werberleistungsgesetz im Juli 2012 dieser menschenrechtswidrigen Abschre-
ckungslogik verfassungsrechtlich die Grundlage entzogen hat. Die grundgesetz-
lich garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Dieser Leitsatz muss für alle Gesetze gelten, von denen Asylsuchende und Mig-
rantinnen und Migranten betroffen sind.

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3. Der Bundestag fordert von allen beteiligten Akteuren in Politik und Verwaltung

ein grundlegendes Umdenken im Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Eine offene, menschenwürdige Aufnahme und schnelle Integration müssen
Ziele dieses politischen Wandels sein. Das betrifft die Unterbringung und die
Ausgestaltung der Aufnahme genauso wie die sozialen Rechte, die Hilfen beim
Spracherwerb und der Arbeitssuche sowie eine schnelle und faire Prüfung der
Asylanträge. Dies ist nicht nur aus individueller und menschenrechtlicher Sicht
erforderlich, sondern auch im Interesse der Aufnahmegesellschaft, denn die
Mehrheit der Asylsuchenden wird dauerhaft in Deutschland bleiben. Es gilt, die
vielfältigen Potenziale und Fähigkeiten der Schutzsuchenden positiv zu nutzen
und zu fördern, anstatt die Menschen zu Untätigkeit und in Sozialhilfeabhängig-
keit zu zwingen, was mit einer beruflichen Dequalifizierung und häufig auch
psychischen Erkrankungen verbunden ist. Die gesetzlichen Lockerungen der
letzten Zeit, etwa in Bezug auf Arbeitsverbote, das Sachleistungsprinzip und die
Residenzpflicht, sind unzureichend, halbherzig und bleiben Stückwerk. Erfor-
derlich ist ein Gesamtkonzept, das von einem anderen Denken und grundsätzli-
cher Offenheit getragen ist.

4. Die geflüchteten Menschen dürfen nicht die Leidtragenden jahrelanger politi-
scher Versäumnisse sein. Auf den kontinuierlichen Anstieg der Flüchtlingszah-
len ist nicht bzw. nur unzureichend und zu spät reagiert worden. Aufgrund dieser
Planungsmängel stehen viele Bundesländer und Kommunen aktuell vor beson-
deren Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Notlösungen
und vorläufige Unterbringungen verstoßen häufig gegen menschenwürdige
Mindeststandards. Vor dem Hintergrund dieses selbst verschuldeten Notstands
wurden gesetzliche Änderungen zur erleichterten Unterbringung von Asylsu-
chenden auch in Gewerbegebieten und in Außenrandbereichen beschlossen. Da-
mit wurden die falschen Weichenstellungen vorgenommen, denn statt einer des-
integrierenden Unterbringung in abgelegenen Massenunterkünften und einer
Absenkung diesbezüglicher Standards ist eine möglichst dezentrale Unterbrin-
gung von Flüchtlingen in Wohnungen oder kleinen Wohneinheiten in Wohnge-
bieten erforderlich, um ihre Integration zu erleichtern, aber auch um die Kon-
fliktpotentiale, z. B. aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Orientierung,
zu minimieren.“

5. Der Bundestag betont, dass die Aufnahme und Versorgung Asylsuchender eine
gesamtstaatliche Aufgabe ist, die aus internationalen und europäischen Ver-
pflichtungen zum Flüchtlingsschutz resultiert. Diese Aufgabe darf nicht in erster
Linie den Kommunen aufgebürdet werden, zumal zahlreiche Kommunen ange-
sichts steigender Asylzahlen hiermit überfordert sind. Die Kosten der Aufnahme
müssen den Kommunen effektiv erstattet werden. Wenn eine gute Aufnahme
von Flüchtlingen nicht gewährleistet ist, entsteht ein gefährlicher Nährboden für
rassistische Protestbewegungen und Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft in
der Bevölkerung werden gefährdet. Bundeseinheitliche Regelungen sind erfor-
derlich, um verbindliche Mindeststandards für die Aufnahme und Unterbrin-
gung von Flüchtlingen in allen Bundesländern gleichermaßen zu garantieren.
Die Interessen von begleiteten und unbegleiteten Minderjährigen müssen dabei
im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention eine besondere Rolle spielen, der
Vorrang der Kinder- und Jugendhilfe muss sichergestellt werden. Den Belangen
von Menschen mit Behinderungen ist entsprechend den Anforderungen aus der
UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung zu tragen. Unter den Asylsuchen-
den sind viele Familien, deren besondere Bedürfnisse bei der Aufnahme und
Unterbringung berücksichtigt werden müssen.

6. Der Bundestag ist erfreut über die Vielzahl aktiver Menschen, die sich in unter-
schiedlicher Weise für eine offene Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlin-
gen vor Ort einsetzen. Dies beginnt mit Lernhilfen und Angeboten für Kinder,
geht über Besuche, Spenden und Unterstützungsangebote und endet nicht bei

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Solidaritätskundgebungen und Schutz vor rassistischen Übergriffen. Diese Ini-
tiativen engagierter Bürgerinnen und Bürger, von Flüchtlings- und antirassisti-
schen Gruppen, von Kirchengemeinden, Verbänden und Vereinen müssen ma-
teriell und ideell unterstützt und ermutigt werden. Mit großer Sorge beobachtet
der Bundestag zugleich eine zunehmende rassistische Mobilisierung gegen
Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte, die durch unzureichende staatliche
Aufnahmebedingungen bestärkt wird. Die Misshandlungen von Asylsuchenden
durch private „Sicherheitskräfte“ in Aufnahmeeinrichtungen sind auch ein Aus-
druck der strukturellen Ohnmacht und Situation des Ausgeliefertseins von hil-
febedürftigen Menschen in großen Massenunterkünften. Rassismus darf nicht
als ein Phänomen am Rande der Gesellschaft verharmlost werden, gerade Asyl-
suchende stoßen weiterhin auf starke Vorurteile innerhalb der Bevölkerung. An-
tirassistische Präventionsarbeit muss deshalb ein selbstverständlicher Teil des
bürgerschaftlichen Engagements und der staatlichen Aufnahmepolitik sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in enger Abstimmung und nach Beratung mit Flüchtlings- und Menschenrechts-
organisationen, Wohlfahrtsverbänden und allen maßgeblichen Akteurinnen und
Akteuren auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene die notwen-
digen gesetzlichen, administrativen und gegenebenfalls verfassungsändernden
Schritte für einen grundlegenden Wandel in der Aufnahmepolitik gegenüber
Asylsuchenden einzuleiten und hierzu einen Entwurf für ein neu zu schaffendes
Flüchtlingsaufnahmegesetz vorzulegen, in dem insbesondere folgende Punkte
geregelt sind:
a) Bund übernimmt vorrangig die Kosten der Flüchtlingsaufnahme

Für die Phase des Asylverfahrens und eine zeitlich noch genauer zu definie-
rende Übergangszeit übernimmt der Bund die Kosten der Aufnahme, Ver-
sorgung und Unterbringung von Flüchtlingen; Länder und Kommunen blei-
ben in der Verantwortung, indem sie die Mittel für die Betreuung und lokale
Integration der Asylsuchenden und anerkannten Schutzberechtigten zur
Verfügung stellen, ein besonderes Augenmerk soll dabei Kindern und Ju-
gendlichen, insbesondere solchen ohne Begleitung durch Eltern oder andere
nahe Verwandte, gelten, die Jugendhilfe ist so zu stärken, dass sie ihrer be-
sonderen Verantwortung nachkommen kann; ebenso muss auf die Bedürf-
nisse von Menschen mit Behinderungen eingegangen werden; für aner-
kannte Flüchtlinge werden durch die Agentur für Arbeit zielgruppenspezi-
fische Programme für eine bessere Eingliederung in den Arbeitsmarkt ent-
wickelt, Asylsuchende werden bei der Arbeitsaufnahme gemeinsam durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Arbeitsagentur unter-
stützt. Den Kommunen werden die Kosten der Unterbringung für abge-
lehnte Flüchtlinge erstattet.

b) Schnelle Integration und Vorrang der Wohnungsunterbringung

Bei der Aufnahme muss der Grundsatz einer Integration von Beginn an gel-
ten, in Bezug auf die Unterbringung gilt der Vorrang einer privaten, dezent-
ralen Unterbringung; möglichst viele Asylsuchende sollen möglichst
schnell in Wohnungen untergebracht werden, wie dies in zahlreichen Städ-
ten bereits geschieht. Hierbei muss insbesondere der bestehende Wohnungs-
leerstand genutzt werden, etwa durch spezielle Programme zur Nutzbarma-
chung leer stehender Wohnungen für Flüchtlinge; der öffentlich geförderte
soziale Wohnungsbau muss insgesamt, aber auch mit Blick auf die Gruppe
geflüchteter Menschen deutlich gestärkt werden; Asylsuchende sollen einen
Zugang zu einem geschützten Marktsegment (städtischer Wohnungsgesell-
schaften) erhalten und bei der Wohnungssuche aktiv unterstützt werden

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(Kautionsübernahme, Beratung und Begleitung), auch um Vorurteilen und
Diskriminierungen bei der Wohnungsvergabe zu begegnen; die sozialpsy-
chologische Betreuung und rechtliche Beratung von dezentral untergebrach-
ten Flüchtlingen muss durch aufsuchende Sozialarbeit und ein gutes und
transparentes Beratungsnetzwerk gesichert werden.

c) Gegen Lagerzwang und Zwangsverteilung

Das rigide Zwangsverteilungs- und Unterbringungssystem von Asylsuchen-
den muss überwunden, familiäre und private Kontakte und karitative Unter-
stützungs- und Unterbringungsangebote dagegen müssen genutzt werden;
die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer bestimmten Erstaufnahme-
einrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft entfällt, wenn Asylsuchende o-
der Geduldete eine angemessene Unterkunft bei Verwandten, Bekannten o-
der unterstützenden Vereinen, Kirchen oder Privatpersonen nachweisen o-
der nach einer bundesweiten Suche eine Wohnung privat anmieten können;
eine vom Königsteiner Schlüssel abweichende Verteilung Asylsuchender
durch die Nutzung privater Unterbringungsmöglichkeiten ist wegen der
Übernahme der Kosten durch den Bund unproblematisch bzw. ist insgesamt
mit Einsparungen zu rechnen, da die Zwangsunterbringung in Gemein-
schaftsunterkünften kostenintensiver ist und z. B. familiäre Ressourcen
nicht genutzt werden können; soweit mittelfristig eine ungleiche Verteilung
der Aufnahmekosten in Bezug auf anerkannte Flüchtlinge entstehen sollte,
ist der Königssteiner Schlüssel zu einem Orientierungsmaß für einen ent-
sprechenden finanziellen Ausgleich zwischen Bund und Ländern fortzuent-
wickeln; im Übrigen sind bei einer Verteilung nach dem Königssteiner
Schlüssel, soweit keine privaten Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfü-
gung stehen, die individuellen Wünsche der Betroffenen und bestehende fa-
miliäre Bindungen weitestmöglich zu berücksichtigen und das System ent-
sprechend zu flexibilisieren.

d) Verpflichtende Mindeststandards für die Flüchtlingsunterbringung bundes-
weit

Bei der Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden müssen durch
bundesweite Mindeststandards verbindliche Vorgaben gemacht und wirk-
same Beschwerde- und Kontrollmechanismen geschaffen werden, um eine
menschenwürdige Aufnahme auch in der Praxis zu garantieren; soweit sich
die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft für eine befristete An-
fangszeit nicht vermeiden lässt, sind diese Einrichtungen auf die Bedürf-
nisse von Flüchtlingen in ihrer besonderen Situation auszurichten, dies ist
bereits bei der Bauplanung zu berücksichtigen (ebenso mögliche Alterna-
tivnutzungen für den Fall zurückgehender Asylzahlen); bei der Standortbe-
stimmung von Gemeinschaftsunterkünften muss eine gute Eingliederung
und Integration der Flüchtlinge gewährleistet werden (in Bezug auf die all-
gemeine Infrastruktur, Verkehrs- und Internetanbindung, Schulnähe, Ein-
kaufsmöglichkeiten, Kultur-, Sport- und Freizeitangebote usw.); die Auf-
nahme in einer Erstaufnahmeeinrichtung muss auf die unbedingt erforderli-
che Zeit begrenzt werden und darf sechs bis 12 Wochen nicht überschreiten;
weitere Gemeinschaftsunterkünfte sind in ihrer Größe zu beschränken (ma-
ximal 50 Personen), um Probleme, die mit einer größeren Unterkunft ver-
bunden sind, zu vermeiden (interne Konflikte, Akzeptanzprobleme, Kon-
trollmaßnahmen usw.); für lesbische, schwule, bi-, transsexuelle, transgen-
der und intersexuelle Flüchtlinge und Frauen, die Opfer sexueller Gewalt
wurden, muss eine geschützte Unterbringung bis zu einer schnellen Ver-
mittlung eigener Wohnungen gewährleistet werden; in Gemeinschaftsunter-
künften muss die Privatsphäre der Menschen gewahrt werden (abgeschlos-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3839

sene Wohneinheiten, familieneinheitliche Unterbringung, Kochgelegenhei-
ten und sanitäre Einrichtungen in ausreichender Anzahl und Qualität), das
Kindeswohl ist besonders zu schützen (Spiel- und Sportmöglichkeiten,
Rückzugs- und Ruheorte), eine qualifizierte soziale und rechtliche Bera-
tung, ein Zugang zu Angeboten von Kinder- und Jugendhilfe und eine um-
fassende Gesundheitsversorgung sind zu garantieren; die Bewohnerinnen
und Bewohner müssen auf die nähere Ausgestaltung der Wohn- und Le-
bensbedingungen in einer Gemeinschaftsunterkunft Einfluss nehmen kön-
nen (Beiräte); die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge (al-
leinstehende Frauen, allein erziehende Mütter oder Väter, Menschen mit
Behinderungen, traumatisierte, ältere oder kranke Menschen usw.) müssen
wirksam berücksichtigt werden, hierzu gehört auch ein geregeltes System
der sensiblen Feststellung der besonderen Schutzbedürftigkeit; innovative
Modellprojekte eines gemeinsamen Wohnens und Lebens von Schutzsu-
chenden und bereits länger hier lebender Menschen oder im Rahmen sozia-
ler Kulturkonzepte (z. B. „Grandhotel Cosmopolis“ in Augsburg) sind zu
unterstützen; Gemeinschaftsunterkünfte privater (nicht gemeinwohlorien-
tierter) Betreiber werden nicht genutzt, weil profitorientierte Einrichtungen
mit der Gefahr einer Unterschreitung von Mindeststandards aus Gründen
der Kostenersparnis verbunden sind, wie skandalöse Unterbringungsbedin-
gungen in solchen Einrichtungen immer wieder zeigen – die staatliche Ver-
pflichtung zur menschenwürdigen Aufnahme Schutzsuchender ist nicht pri-
vatisierbar.

e) Aufnahmebereitschaft stärken

Die Aufnahme von Flüchtlingen muss unter Beteiligung nichtstaatlicher
Fachorganisationen längerfristig, realistisch und transparent geplant wer-
den, Kommunen und Anwohnerinnen und Anwohner müssen frühzeitig
über die Unterbringung Asylsuchender informiert und eingebunden werden;
„Willkommens“-Initiativen vor Ort müssen wirksam unterstützt und mit den
Aktivitäten und Angeboten von Kommunen und freien Trägern vernetzt
werden. Die Bundesregierung wirbt öffentlichkeitswirksam für das Anlie-
gen einer offenen und menschenwürdigen Aufnahme und Unterbringung
von Asylsuchenden.

2. faire und schnelle Asylprüfungen, Reformen im Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) einzuleiten:

Die Asylverfahren müssen unter Wahrung hoher Verfahrensstandards und im
Interesse einer schnellen Klarheit und Aufenthaltssicherheit für die Betroffenen
deutlich beschleunigt werden. Damit wird auch einer Demotivation, Dequalifi-
zierung und Desintegration der Asylsuchenden während des Verfahrens entge-
gengewirkt. Hierzu sind insbesondere folgende Maßnahmen erforderlich:

a) Das Personal im BAMF im Bereich der Asylprüfung muss entsprechend der
gestiegenen Antragszahlen und Anforderungen über die jüngst neu geschaf-
fenen 650 Stellen hinaus aufgestockt werden, die Stellenzahl muss so be-
messen sein, dass die Zielvorgabe maximal dreimonatiger Asylprüfungen
erreicht und zugleich eine Sicherung der Qualität der Entscheidungen und
Weiterbildungsmaßnahmen für Bedienstete im Asylbereich sichergestellt
werden können.

b) Die bisher obligatorischen Asyl-Widerrufsprüfungen drei Jahre nach einer
Anerkennung werden abgeschafft, sie binden unnötig Kapazitäten im
BAMF und verunsichern anerkannte Flüchtlinge; die Möglichkeit individu-
ell begründeter Widerrufe und Rücknahmen ist ausreichend.

c) Beschleunigte Anerkennungsverfahren für Flüchtlinge aus Ländern mit ho-
hen Anerkennungschancen (ohne aufwändige Anhörung, im schriftlichen

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Verfahren) sollten ausgeweitet werden, wobei es zu keinen Einschränkun-
gen der Rechte der Betroffenen kommen darf.

d) Angesichts von über 169.000 anhängigen Asylverfahren beim BAMF Ende
2014 ist eine einmalige „Altfallregelung“ für bereits mehr als ein Jahr an-
dauernde behördliche Asylverfahren (dies ist das Vierfache der derzeit an-
gestrebten Maximaldauer) zu treffen, die das BAMF wieder voll arbeitsfä-
hig machen und überlange Verfahren beenden soll; den Betroffenen wird
ein Aufenthaltsstatus angeboten, der einem subsidiären Schutz vergleichbar
ist. Davon unbeschadet bleibt das Recht der Asylsuchenden, die Vorausset-
zungen für eine Flüchtlingsanerkennung prüfen zu lassen. Asylsuchende,
deren Prüfverfahren bereits länger als drei Jahre andauern, erhalten einen
Aufenthaltsstatus, der anerkannten Flüchtlingen entspricht – ein weiteres
Abwarten oder eine Ausreise ist nach einem derart langen Prüfverfahren
nicht mehr zumutbar.

3. Aufhebung ausgrenzender Vorschriften und Gesetze einzuleiten:

Entwürfe zur Änderung derjenigen Gesetze, die einer schnellen Integration von
Asylsuchenden entgegenstehen, sollen vorgelegt werden; erforderlich ist insbe-
sondere:

a) Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes als diskriminierendes
Sondergesetz, insbesondere des Sachleistungsprinzips und der nur einge-
schränkten Gesundheitsversorgung, und Einbeziehung der Betroffenen in
das allgemeine System der sozialen Sicherung nach den Sozialgesetzbü-
chern einschließlich der Gesundheitsversorgung,

b) konsequente Aufhebung der so genannten Residenzpflicht,
c) Abschaffung sämtlicher Arbeitsverbote, Beschränkungen und Nachrangig-

keitsregelungen beim Arbeitsmarktzugang,
d) verbesserte Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und

Qualifikationen; aktive Förderung von Nachqualifikationen und Weiterbil-
dungen mit entsprechender finanzieller Unterstützung,

e) Zugang zu Integrationskursen für Asylsuchende und Geduldete und ergän-
zende Entwicklung von spezifischen Sprach- und Orientierungskursen für
Asylsuchende in ihrer besonderen Aufnahmesituation,

f) Verhandlung mit den Bundesländern, um ein bundesweites Recht auf Bil-
dung in Regelschulen für alle Flüchtlinge unabhängig vom Aufenthaltssta-
tus zu verankern und entsprechende einheitliche Qualitätsstandards zu ver-
einbaren.

Berlin, den 28. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3839
Begründung

Die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland steigt, zugleich ist die Not und Schutzbedürftigkeit der Flücht-
linge nicht zuletzt in Anbetracht der besonders brutal geführten Kriege und Vertreibungen in Syrien und im
Irak offenkundiger denn je. Dies spiegelt sich in der so genannten bereinigten Asyl-Gesamtschutzquote wieder:
2014 wurde in 48,5 Prozent der inhaltlich entschiedenen Fälle durch das BAMF ein Schutzstatus gewährt
(Pressemitteilung des BMI vom 14.1.2015, eigene Berechnung). Hinzu kommt, dass mehr als zehn Prozent der
Asylsuchenden, die gegen einen ablehnenden Bescheid klagen, Schutz durch die Verwaltungsgerichte erhalten
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/3055, Antwort zu Frage 11).

Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden voraussichtlich dauerhaft in Deutschland
bleiben wird und deshalb von Beginn an auf ihre Integration hingearbeitet werden muss. Auch abgelehnte
Flüchtlinge können wegen rechtlicher oder tatsächlicher Abschiebungshindernisse häufig nicht abgeschoben
werden. Die negativen Folgen einer Politik, die gegenüber Asylsuchenden und Geduldeten auf Abschreckung,
Verbote und Entrechtung setzt, sind anhand der Gruppe der über Jahre und Jahrzehnte lediglich geduldeten
Flüchtlinge eindrucksvoll zu beobachten: Arbeitsverbote und die Verweigerung eines rechtmäßigen Aufent-
halts haben diese Menschen systematisch desintegriert. Bleiberechtsregelungen, die ausreichende Deutsch-
kenntnisse und eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung voraussetzen, laufen auch deshalb häufig ins
Leere.

Die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Flüchtlinge mit unterschiedlichen Aufenthaltsstatus hat sich in
den letzten 15 Jahren halbiert: Ende 2013 lebten rund 500.000 Flüchtlinge in Deutschland (0,6 Prozent der
Bevölkerung), etwa 300.000 anerkannte Flüchtlinge oder Personen mit einem humanitären Schutzstatus und
200.000 Asylsuchende und Geduldete. Ende 1997 betrug die Gesamtzahl der hier lebenden Flüchtlinge dem-
gegenüber noch über eine Million (vgl. Bundestagsdrucksachen 18/1033 und 16/8321). Dies belegt, dass die
Aufnahme weiterer Flüchtlinge für die Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich und moralisch ver-
pflichtend, sondern in gesamtgesellschaftlicher Perspektive auch zu leisten ist. Aktuelle Probleme bei der Un-
terbringung sind bewältigbar, durch eine positive Ausgestaltung der Aufnahme von Flüchtlingen wird die Bun-
desrepublik Deutschland vielmehr von der Tatkraft und den Ideen der geflüchteten Menschen in vielerlei Hin-
sicht profitieren können. Diffusen Ängsten, Rassismus und sozialchauvinistischer Ablehnung in der Bevölke-
rung müssen Politik, Staat und Gesellschaft gemeinsam und offensiv entgegentreten.

Eine finanzielle Entlastung der Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung durch den Bund
erhöht auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. So werden die Kommunen in die Lage versetzt, bürgerschaft-
liches Engagement für die Flüchtlingsaufnahme zu stärken, besondere Angebote in Kindertagesstätten, Schulen
und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu schaffen und integrative Projekte zu fördern. Die Kommu-
nen sollen durch die angestrebte Kostenentlastung also nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, sondern in
ihrer integrativen Arbeit vor Ort gestärkt werden. Die von Bund und Ländern Ende November 2014 erzielte
Verständigung zur Aufnahme von Asylsuchenden, die unter anderem einen Bundeszuschuss in Höhe von 1
Mrd. Euro für die Jahre 2015 und 2016 vorsieht (wovon die Länder 250 Mio. Euro langfristig zurückzuzahlen
haben), ersetzt nicht den mit diesem Antrag vorgeschlagenen grundlegenden konzeptionellen Wandel in der
Asylaufnahmepolitik.

Eine menschenwürdige und offene Aufnahmepolitik ist überdies mit Einsparungen verbunden. So ist die Un-
terbringung in Massenunterkünften im Durchschnitt teurer als Kostenübernahmen der Miete für Privatwoh-
nungen. Nirgendwo sonst sind die Ausgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) pro Person so
hoch wie in Bayern, das in besonderem Maße auf die Abschreckung von Flüchtlingen gesetzt hat: Sie betrugen
im Jahr 2013 9.415 Euro pro Jahr und lagen damit um 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt in Höhe von
6.743 Euro pro Person – und dies, obwohl in Bayern nur vier Prozent der Leistungsberechtigten höhere Leis-
tungen nach § 2 AsylbLG erhalten (16 Prozent im Bundesdurchschnitt; www.destatis.de). Die Versorgung mit
Sachleistungen und die Unterbringung in Massenunterkünften sind nicht nur menschenunwürdig, sondern we-
gen des Bürokratie- und Kontrollaufwands auch mit Mehrkosten verbunden. Ohnehin werden öffentliche So-
zialhilfekosten für Asylsuchende durch den uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und entsprechende
Fördermaßnahmen sinken.

Das jetzige System der Aufnahme belastet nicht nur die Kommunen einseitig und übermäßig, die Aufnahme-
kosten sind auch zwischen den Bundesländern ungleich verteilt: So war die Zahl der Leistungsberechtigten
nach dem AsylbLG pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und

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Berlin mit 65 bis 51 Personen doppelt bis dreimal so hoch wie in den wirtschaftsstarken Ländern Baden-Würt-
temberg und Bayern mit 22 bzw. 20 Personen (Bundesdurchschnitt: 0,28 Prozent der Bevölkerung). Ein Aus-
gleich der damit verbundenen unterschiedlichen Ausgaben findet nicht statt.

PRO ASYL hat die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen, Kostenerstattungssysteme und Unterbrin-
gungsbedingungen von Flüchtlingen in den einzelnen Bundesländern in einer Studie analysiert
(www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Laendervergleich_Unterbringung_2014-09-23_01.pdf).

Für die meisten Kommunen sind die Erstattungspauschalen der Bundesländer für die Aufnahme von Flüchtlin-
gen nicht kostendeckend, nur wenige Bundesländer sehen eine Erstattung aller entsprechenden Kosten vor
(„Spitzabrechnung“). Dies führt zu Defiziten bei der Aufnahme, insbesondere zu ungenügenden und unhygie-
nischen Unterbringungsbedingungen in oft maroden Gebäuden, die krank machen. PRO ASYL fordert deshalb
Konzepte für eine Integration statt Ausgrenzung von Asylsuchenden, Möglichkeiten des Spracherwerbs und
der unbeschränkten Erwerbstätigkeit, die Aufhebung des Lagerzwangs, eine Reaktivierung des sozialen Woh-
nungsbaus und Hilfen bei der Vermittlung von privaten Wohnungen an Flüchtlinge.

Standards und Ziele einer guten Aufnahmepolitik, an die die Gesetzgebung anknüpfen kann, insbesondere den
Grundsatz einer möglichst frühzeitigen Unterbringung in Wohnungen und konkrete Mindestkriterien für Ge-
meinschaftsunterkünfte, hat auch die Diakonie im August 2014 in einem Positionspapier formuliert
(www.diakonie.de/07-2014-positionen-zur-aufnahme-von-fluechtlingen-15656.html).

Schließlich sprach das Deutsche Institut für Menschenrechte in einem Policy Paper vom Dezember 2014
(„Menschenrechtliche Verpflichtungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen“; www.institut-fuer-men-
schenrechte.de) Empfehlungen aus, die den Forderungen dieses Antrags weitgehend entsprechen.

Eine Handreichung mit vielen Informationen, Tipps und positiven Beispielen für Initiativen zum Thema „Will-
kommenskultur“ haben PRO ASYL und die Amadeu-Antonio-Stiftung erstellt (www.amadeu-antonio-stif-
tung.de/w/files/pdfs/broschuere_willkommen.pdf). Solche Initiativen und das Engagement von Bürgerinnen
und Bürgern vor Ort müssen politisch und finanziell unterstützt werden.

Die aktuellen Asylverfahrensdauern beim BAMF sind inakzeptabel. Obwohl im Koalitionsvertrag eine maxi-
male Dauer von drei Monaten vereinbart worden war, dauert es bis zu einer behördlichen Entscheidung derzeit
im Durchschnitt 8,4 Monate (9,7 Monate, wenn die Länder des Westbalkans nicht berücksichtigt werden).
Asylsuchende aus Ländern mit zum Teil sehr hohen Anerkennungschancen wie Eritrea, Afghanistan, Somalia,
Nigeria, Irak, Pakistan und Russische Föderation müssen sogar 10 bis 18 Monate auf eine Entscheidung warten
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/3055, Fragen 4 und 17). Dem Kindeswohl widerspricht, dass die Asylverfahren
ausgerechnet bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen überdurchschnittlich lange dauern, im Durch-
schnitt 12,3 Monate, was in diesem Lebensalter eine unerträglich lange Zeit der Ungewissheit bedeutet.

Zugleich ist das BAMF im Asylbereich mit Aufgaben belastet, die weitgehend überflüssig und integrations-
hemmend sind. Dazu gehören die europaweit einmaligen, obligatorischen Überprüfungen des einmal gewähr-
ten Schutzstatus drei Jahre nach einer Anerkennung. Diese Verfahren verunsichern die Betroffenen und bleiben
im Regelfall folgenlos: Nur in etwa fünf Prozent der Fälle erfolgt ein Widerruf, von denen wiederum nur etwa
ein Drittel gerichtlich bestätigt wird (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3055, Fragen 5 und 11). Nach jahrelangem
Aufenthalt (allein die gerichtliche Überprüfung eines Widerrufs dauert im Durchschnitt knapp zwei Jahre) be-
stehen aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Integration zudem oft Aufenthaltsgründe unabhängig vom
Flüchtlingsstatus. Es widerspricht dem Ziel einer schnellen Integration von Flüchtlingen, wenn diese sich ihres
weiteren Aufenthaltsrechts in Deutschland selbst nach einer Anerkennung nicht sicher sein können. Die Be-
troffenen können selbst am besten einschätzen, ob und wann ihnen eine freiwillige Rückkehr in ihr Herkunfts-
land möglich ist und ob sie sich dies zutrauen. Auf den Widerruf eines Schutzstatus mit der Begründung einer
geänderten Lageeinschätzung sollte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und der Integration der aufgenom-
menen Flüchtlinge verzichtet werden. Wegen der derzeit hohen Zahl von Anerkennungen droht ansonsten mit
einer zeitlichen Verzögerung von drei Jahren eine Vielzahl entsprechender Widerrufsverfahren.

Überflüssig sind auch aufwändige Prüfverfahren bei Personen mit offensichtlichem Schutzbedarf. Erst seit
kurzem gibt es die Möglichkeit einer Anerkennung ohne mündliche Anhörung, nach einer Pilotprojektphase
gibt seit Anfang November 2014 beschleunigte Verfahren für Asylsuchende aus Syrien und dem Irak, die der-
zeit eine über 99-prozentige Anerkennungschance haben. Bereinigte Gesamtschutzquoten von über 70 Prozent
gab es zuletzt auch bei Flüchtlingen aus Eritrea, Afghanistan und Somalia, die somit ebenfalls für ein beschleu-
nigtes Verfahren in Frage kämen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3055, Frage 1b). Schnelle und unkomplizierte

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Anerkennungen bringen den Flüchtlingen Klarheit und Sicherheit in Bezug auf ihren Status und weiteren Auf-
enthalt, zugleich entlasten sie die staatlichen Asylprüfungs- und Aufnahmesysteme.

Die deutsche Asylpolitik ist eingebettet in das Gemeinsame Europäische Asylsystem. Dieses gibt in Bezug auf
die Aufnahmebedingungen jedoch nur Mindeststandards vor, die nach menschenrechtlichen Kriterien und in
Hinblick auf eine schnelle Integration der Flüchtlinge positiv ausgestaltet werden müssen – dies ist auch bei
der anstehenden Umsetzung der neu gefassten EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU vom 26.6.2013) zu be-
rücksichtigen. Vorschläge für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union
hat die Fraktion DIE LINKE. zuletzt auf der Bundestagsdrucksache 18/288 gemacht, insbesondere auch zu
einem anderen System der Verantwortungsteilung innerhalb der EU (Dublin III-Verordnung).

Das derzeitige Dublin-System hat strukturell eine ungerechte Verteilungswirkung und die Inhaftierung, ge-
waltsame Verschiebung und Illegalisierung vieler Schutzsuchender zur Folge. Es führt auch zu einer steigenden
Arbeitsbelastung im BAMF: Die Rekonstruktion des Reisewegs von Flüchtlingen, die Ermittlung des zustän-
digen Mitgliedstaats und die Organisation und Durchsetzung entsprechender Überstellungen in andere EU-
Länder nehmen – ebenso wie eine zunehmende Zahl diesbezüglicher Rechtsstreitverfahren – viel Zeit in An-
spruch, die besser für eine gründliche und schnelle inhaltliche Prüfung der Asylanträge verwandt werden sollte.
Dies gilt umso mehr, als den über 35.000 Übernahmeersuchen im Jahr 2013 im Endeffekt weniger als 5.000
reale Überstellungen gegenüberstanden (13,4 Prozent, Bundestagsdrucksache 18/705, Frage 5). Damit ist das
Dublin-System auch aus Sicht seiner Befürworter faktisch gescheitert. Seine konsequente Durchsetzung würde
allerdings zum Kollaps der EU-Mitgliedstaaten führen, über die Flüchtlinge vor allem in die EU einreisen, wie
die Beispiele Griechenlands oder Italiens zeigen. So oder so geht das Dublin-System zulasten der schutzsu-
chenden Menschen. Statt schnell Schutz zu gewähren, wird um formale Zuständigkeiten gestritten und Flücht-
linge werden gegen ihren Willen und mit Gewalt von einem EU-Land ins andere verbracht. Das derzeitige
System erweist sich für die Betroffenen als ein Integrationshemmnis erster Güte, denn sie befinden sich in
einem extrem unsicheren Schwebezustand, solange nicht einmal geklärt ist, dass sie ihr Asylverfahren in
Deutschland betreiben können. Nach der geltenden Dublin-Verordnung können vorhandene Sprachkenntnisse
und soziale Beziehungen zu bestimmten Mitgliedstaaten, die eine Integration wesentlich erleichtern, genauso
wenig berücksichtigt werden wie die Frage der aktuellen Aufnahme- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ei-
nem Land.
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