BT-Drucksache 18/3556

Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport - Menschenrechte achten, Umwelt schützen, Korruption bekämpfen

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3556
18. Wahlperiode 17.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Tom Koenigs, Steffi Lemke,
Tabea Rößner, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Katja Keul,
RenateKünast, Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth
(Augsburg), Hans-Christian Ströbele, Markus Tressel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport –
Menschenrechte achten, Umwelt schützen, Korruption
bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der internationale organisierte Sport steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise. Ausrich-
terstaaten von großen Sportereignissen stehen gemeinsam mit den beteiligten inter-
nationalen Sportverbänden wie IOC und FIFA regelmäßig mit negativen Schlagzei-
len im Fokus der Öffentlichkeit. Die Doppelvergabe der Fußballweltmeisterschaften
2018 und 2022 nach Russland und Katar war eine Fehlentscheidung. Schon die Un-
tersuchungen der FIFA-eigenen Ethikkommission haben viele Unregelmäßigkeiten
aufgezeigt. Die Erklärung der FIFA, dass korrupte Strukturen nicht ausschlaggebend
für die Entscheidung gewesen seien, ist jedoch nicht überzeugend. Stattdessen sollte
sich die FIFA endlich offen gegen die Korruption innerhalb der eigenen Organisa-
tion stellen. Aber auch die Olympischen Spiele haben an Glanz eingebüßt, wie die
Debatten vor und während der Olympischen Winterspiele in Sotschi zu der Zerstö-
rung von Natur und Umwelt wie zu den Bürgerrechtsverletzungen gezeigt haben.
Entsprechend sinkt die Zahl der Bewerberstädte gerade für die Winterspiele von
Ausschreibung zu Ausschreibung, weil in Europa die Bürgerinnen und Bürger der
Bewerberstädte mehrfach eine Ausrichtung der Spiele abgelehnt haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Sportverbände anzuhalten, die verbindliche Einhaltung menschen- und bür-
gerrechtlicher und ökologischer Standards bei der Vorbereitung und Durchfüh-
rung von Sportgroßereignissen verpflichtend zur Voraussetzung von Vergabe-
entscheidungen zu machen und ihre Umsetzung sanktionsbewehrt sicherzustel-
len;

über die Einhaltung aller vereinbarten menschen- und bürgerrechtlichen sowie
ökologischen Standards in regelmäßigen Abständen zu berichten, dabei die re-
levanten Organisationen einzubeziehen und diese Berichte zu veröffentlichen;

Drucksache 18/3556 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
die Sportverbände anzuhalten, analog zur Wirtschaft „Corporate Social Respon-

sibility“-Regeln und -Strukturen in ihrer Organisation zu verankern und ver-
bindlich umzusetzen;

die in der „Berliner Erklärung“ der 5. UNESCO-Weltsportministerkonferenz
(MINEPS V) getroffenen Vereinbarungen zu achten und auf deren verbindliche
Umsetzung hinzuwirken;

die Initiative zu ergreifen, um langfristig in Zusammenarbeit mit Sportorganisa-
tionen und Sportverbänden beginnend mit der europäischen Ebene eine interna-
tionale Konvention für die Vergabe und Durchführung von Sportgroßveranstal-
tungen auszuarbeiten und zu vereinbaren. Dabei sind neben Menschen- und Bür-
gerrechten und der Nachhaltigkeit auch Kriterien wie Transparenz, Korruptions-
bekämpfung und Bürgerbeteiligung zu berücksichtigen;

sich für eine Aufnahme ökologischer Standards in die Satzungen internationaler
Sportverbände einzusetzen;

die Sportverbände anzuhalten, sich an der Entwicklung von Formen der Bürger-
beteiligung für internationale Sportgroßveranstaltungen zu beteiligen und ge-
meinsam mit den Ausrichterstaaten entsprechende Vorhaben durchzuführen;

in allen Fragen der Einschätzung der politischen Dimension von Sportgroßver-
anstaltungen die Expertise von Nichtregierungsorganisationen, insbesondere
von Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, einzubeziehen;

auf die Umsetzung der angekündigten Reformen des Staates Katar sowie die
Abschaffung des sogenannten „Kafala-Systems“ hinzuwirken;

dem Gedanken, dass Sport positive gesellschaftliche Veränderungsprozesse an-
stoßen könnte, verstärkt dadurch Rechnung zu tragen, dass ein internationaler
Sportaustausch auf lokaler Ebene gefördert und insbesondere in diesem Kontext
die Visavergabepraxis deutscher Auslandsvertretungen durch Nutzung vorhan-
dener Spielräume in den EU-Bestimmungen gelockert wird;

frühzeitig anzukündigen, unter welchen Bedingungen Mitglieder des Kabinetts
in das Ausrichterland reisen werden und dabei auch die menschen- und bürger-
rechtliche wie ökologische Situation vor Ort zu berücksichtigen;

in der Frage der Steuerregeln für internationale Sportorganisationen und -ver-
bände Initiativen für eine Harmonisierung des Steuerrechts auf den Weg zu brin-
gen, die insbesondere die zunehmende Kommerzialisierung des Sports und von
Sportgroßveranstaltungen berücksichtigt;

zwischen den EU-Staaten abzustimmen, dass in allen Bewerberstaaten aus der
EU dieselben Voraussetzungen bei der Besteuerung vorliegen, so dass diese
nicht gegeneinander ausgespielt werden können, und dass in Zukunft keine
Steuerbefreiungen für Sportorganisationen und -verbände bei internationalen
Sportgroßveranstaltungen gewährt werden;

sich für die freie Äußerung von Meinungen von Sportlerinnen und Sportlern bei
Sportgroßveranstaltungen im Sinne der Präambel der Olympischen Charta ein-
zusetzen und deutlich zu machen, dass keine Sportlerin und kein Sportler wegen
Meinungsäußerungen von den sportlichen Wettkämpfen ausgeschlossen werden
darf oder einen sonstigen Nachteil erleidet;

den bestehenden Handlungsbedarf zur Korruptionsbekämpfung im Sport anzu-
erkennen und Strategien zu entwickeln, wie auch Sportorganisationen und -ver-
bände an der Aufklärung beteiligt werden können;

dem Deutschen Bundestag einen jährlichen Bericht vorzulegen über die Maß-
nahmen, die internationale Sportorganisationen und -verbände ergriffen haben.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3556
Berlin, den 16. Dezember 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die Duldung von Menschenrechtsverletzungen, Gigantomanie, Umwelt- und Naturvernichtung, Korruption,
Intransparenz und Vetternwirtschaft sind Stichworte, die das Bild von Sportgroßveranstaltungen in der Öffent-
lichkeit in den letzten Jahren maßgeblich mitbestimmt haben. Diese Entwicklung lässt den Sport in den Hin-
tergrund treten und schadet ihm insgesamt. Um den Sport wieder in den Vordergrund zu rücken, bedarf es eines
Bündels grundlegender Reformen, auch in den Weltsportverbänden.

Wenn wirklich strenge Maßstäbe angelegt werden, könnten nach heutigem Stand nur in einer Minderheit der
Staaten sportliche Großereignisse stattfinden. Und durch die ablehnende Haltung in der Bevölkerung einiger
demokratischer Gesellschaften droht die Gefahr, dass Sportgroßveranstaltungen einfacher an Autokratien und
Diktaturen vergeben werden. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, ist es auch Aufgabe der Politik, sich
dafür einzusetzen, dass Sportgroßveranstaltungen zukünftig nach einem transparenten, demokratischen und
international anerkannten Maßstab vergeben und durchgeführt werden.

Die häufig vor allem von Sportverbänden vorgetragene Vorstellung eines politisch neutralen Sports ist ein
zentraler Grund für die Glaubwürdigkeitskrise im Weltsport. Denn Sportgroßveranstaltungen haben immer
auch eine politische Dimension. Menschen- und Bürgerrechte, aber auch Fragen der Nachhaltigkeit und des
Natur- und Umweltschutzes haben bei den Vergabeentscheidungen in der Vergangenheit kaum eine Rolle ge-
spielt. Dies muss sich ändern. Der organisierte Sport muss gemeinsam mit den Ausrichterstaaten die Verant-
wortung für die Folgen der Sportgroßveranstaltungen übernehmen und entsprechend bei der Vorbereitung und
Durchführung sportlicher Großereignisse menschenrechtliche Standards – wie beispielsweise die VN-Leitprin-
zipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Ruggie-Leitprinzipien) oder die Kernarbeitsnormen der Internatio-
nalen Arbeitsorganisation (IAO) – verbindlich einhalten. Die satzungsgemäße Gemeinnützigkeit von IOC und
FIFA darf kein Argument dagegen sein, internationale Steuerungsinstrumente zur Umsetzung menschenrecht-
licher Verantwortung von Unternehmen auf diese anzuwenden. Mit den jüngsten Spielen sind viele fragwür-
dige Details der Vergabe, insbesondere über die Bedingungen der sogenannten Host-City-Verträge und die
Folgen von Sportgroßveranstaltungen bekannt geworden. Details, die den Sport überlagern: Knebelverträge,
Einschränkung von Bürgerrechten, Kostenexplosion und Ausgabenrekorde, Arbeitssklaven, Häuserräumun-
gen, Verdrängung, Umweltzerstörung, Ausschluss der lokalen Bevölkerung von den Sportveranstaltungen wie
bei der Fußball-WM in Brasilien, gnadenloser Kommerz.

Auch Medien und Sponsoren tragen hier eine Mitverantwortung. Deren Ausgaben für Übertragungs- und Ver-
marktungsrechte machen den zentralen Anteil an den Einnahmen der FIFA und des IOC in Milliardenhöhe aus
und finanzieren damit indirekt auch die mit den Sportevents einhergehenden Probleme mit. Und gerade der
öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich damit auseinandersetzen, ob er mit Mitteln aus der Haushaltsabgabe
Sportgroßveranstaltungen unterstützen sollte, die derart in der Kritik stehen. Kritische Berichterstattung im
Umfeld der Sportübertragungen wie auch der Verweis auf die Zuschauerquote entlasten die Sender nicht. Die
Entscheidung der Absetzung der Tour de France hatte hier beispielsweise Vorbildcharakter.

Oftmals waren mit der Vergabe von Sportereignissen auch Hoffnungen verbunden, dadurch Einfluss auf eine
Demokratisierung in den Austragungsländern und auf eine günstige Sportentwicklung zu nehmen. Die Erfah-
rungen der letzten Jahre zeigen aber, dass diese Erwartungen oft überhöht waren. Die Olympischen Sommer-
spiele in Peking 2008 oder die Winterspiele in Sotschi 2014 sind Beispiele dafür, dass Sportgroßveranstaltun-
gen nicht notwendigerweise zu einer verbesserten Menschenrechtslage vor Ort beitragen, sondern eher das
Gegenteil bewirken können. Zudem wurden in Sotschi entgegen der Ankündigung der Organisatoren, „grüne
Spiele“ durchzuführen, die Natur- und Umweltbelange mit Füßen getreten. Gleichzeitig versuchen Staaten,
Sportgroßveranstaltungen zu nutzen, um sich auf internationaler Ebene positiv darstellen zu können. Das trifft
auf demokratische wie autoritäre Staaten gleichermaßen zu.
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Drucksache 18/3556 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Während autoritäre Staaten Sportgroßveranstaltungen als Instrument der Propaganda nutzen wollen, hat sich
vor allem in den Demokratien Europas der Widerstand der Menschen gegen den unverhältnismäßigen Eingriff
von IOC, FIFA und Co. in die örtlichen Strukturen verstärkt. In Deutschland wurde dies bei der klaren Ableh-
nung der Olympiabewerbung Münchens und Garmisch-Partenkirchens für die Olympischen Winterspiele 2022
durch Volksentscheide in den vier betroffenen Gemeinden deutlich. Auch in Krakau und im schweizerischen
Graubünden hat sich eine überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegen Olympische Spiele aus-
gesprochen. Die Stadt Oslo hat ihre Bewerbung sogar aufgrund der vom IOC diktierten Vergabebedingungen
selbst zurückgezogen.

Diese Situation wird darüber hinaus durch den Umstand verschärft, dass sich die Weltsportverbände IOC und
FIFA von gemeinnützigen Vereinen – mit Sitz in der Schweiz – zu weltweit operierenden Sportkonzernen mit
Milliardenumsätzen fortentwickelt haben, ohne dass angemessene und in anderen Unternehmen selbstverständ-
liche Kontrollstrukturen entwickelt worden sind.

Um den Sport wieder in den Vordergrund zu bringen, braucht es eine rückhaltlose Aufklärung der Korrupti-
onsvorwürfe in den Sportorganisationen und darüber hinausgehende umfassende Reformen. Es ist nicht nach-
vollziehbar, warum für Sportverbände nicht dieselben Regeln gelten, denen sich auch international handelnde
Unternehmen unterwerfen müssen. Menschen- und Bürgerrechtsstandards sowie Arbeitsrechtsstandards müs-
sen zwingend auch für die vorbereitenden Maßnahmen von Sportgroßereignissen gelten. Sie müssen in den
vertraglichen Vereinbarungen mit den ausrichtenden Staaten und Städten verbindlich fixiert und im Fall der
Nichteinhaltung mit Sanktionen bis zum Entzug der Veranstaltung versehen werden. Bei der Festlegung dieser
Kriterien sollten die von den VN bzw. ihren Unterorganisationen entwickelten Standards für Menschenrechte
wie für Arbeiterrechte und Nachhaltigkeit Anwendung finden (z. B. Ruggie-Prinzipien, IAO-Kriterien).

Die ausrichtenden Weltsportverbände müssen für ihre Einhaltung ebenso Sorge tragen wie die ausrichtenden
Staaten selbst. Es geht um Nachhaltigkeit als Prozess, nicht als Projekt. Nur auf dieser Grundlage können die
Vergabe von Sportgroßveranstaltungen zukünftig politisch legitimiert und gesellschaftliche Mehrheiten er-
reicht werden. Kurzlebige Mediendebatten und spontane Boykottaufrufe im direkten Vorfeld einer Veranstal-
tung sind hingegen meist nicht zielführend.

Auf längere Sicht sollten allgemein anerkannte und verbindliche Regeln für die Durchführung von Sportgroß-
veranstaltungen entwickelt werden. Dazu muss auf internationaler Ebene in Zusammenarbeit mit Sportorgani-
sationen und Sportverbänden und unter Beteiligung von Nichtregierungs-, Menschenrechtsorganisationen so-
wie Naturschutz- und Umweltverbänden eine Konvention für die Vergabe und Durchführung von Sportgroß-
veranstaltungen ausgearbeitet und vereinbart werden. Ansätze, wie die in der „Berliner Erklärung“ der 5.
UNESCO-Weltsportministerkonferenz (MINEPS V) getroffenen Vereinbarungen, gibt es bereits. Nachhaltige,
ökologische und sozial ausgewogene Spiele sind möglich und müssen das Ziel sein, auch und insbesondere für
die Weltsportverbände. Nur so lässt sich auch der kulturelle Wert von Sportgroßveranstaltungen erhalten. Es
muss einen glaubwürdigen strukturellen Neuanfang im internationalen Sport geben. Transparenz in Vergabe-
und Durchführungsverfahren bei Sportgroßveranstaltungen sind dafür unabdingbar.

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