BT-Drucksache 18/3553

Sicherheitsabkommen brauchen Standards

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3553
18. Wahlperiode 17.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, Tom
Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja
Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicherheitsabkommen brauchen Standards

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit Jahren verhandelt und schließt die Bundesregierung mit anderen Staaten soge-
nannte Sicherheitsabkommen. Die Aushandlungsprozesse erfolgen unter Federfüh-
rung des Bundesinnenministeriums und sind aus parlamentarischer Sicht völlig in-
transparent. Konkrete Verhandlungspartner sind in der Regel ranghohe Sicherheits-
behörden. Aktuell wird ein solches Sicherheitsabkommen mit der Regierung Mexi-
kos verhandelt.

Nach Angaben der Bundesregierung soll es der „Bekämpfung der organisierten Kri-
minalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung“ die-
nen (vgl. ergänzende Information vom 29. Oktober 2014 zur Mündlichen Frage 18
des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf Bundestagsdrucksache 18/2831). Ein besonde-
rer Fokus soll auf der Rauschgift- und Schleuserkriminalität und dem Menschenhan-
del liegen (Plenarprotokoll 17/107, S. 12280).

Über den genauen Inhalt der Verhandlungen ist ansonsten kaum etwas bekannt. Es
ist jedoch davon auszugehen, dass eindeutige und transparente Kriterien und Instru-
mente zur Fortschrittskontrolle in den Bereichen der Achtung der Menschenrechte,
der Demokratisierung der Sicherheitskräfte sowie der Korruptionsbekämpfung trotz
der Lage vor Ort für das Abkommen mit Mexiko – ebenso wie in allen anderen Si-
cherheitsabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland bisher geschlossen hat –
begleitend nicht vorgesehen sind.

Verhandlungen über Kooperationen im Sicherheitsbereich mit einem Staat, von dem
hinlänglich bekannt ist, dass auch seine Sicherheitskräfte in organisierte Kriminali-
tät, Gewalt und schwerste Menschenrechtsverbrechen wie z. B. Folter, willkürliche
Verhaftungen und Verschwindenlassen verstrickt sind und bei dem sogar der Ver-
dacht besteht, dass auf allen Ebenen, bis zur Staaten- und Bundesregierung, die Ver-
strickung mit der organisierten Kriminalität anhält, werfen jedoch Fragen hinsicht-
lich der Einhaltung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards auf.

Das unterstreichen auch die grausamen Übergriffe in der Nacht vom 26. auf den 27.
September 2014 in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero: 6 Menschen wurden
ermordet und 43 Lehramtsstudenten auf ihrem Weg zu einer Demonstration ver-
schleppt. Sie wurden auf Geheiß des Bürgermeisters von Iguala und dessen Frau von

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der lokalen Polizei der kriminellen Gruppe Guerreros Unidos übergeben und von
dieser ermordet (vgl. auch www.sueddeutsche.de vom 23.10.2014 und www.faz.net
vom 7.12.2014). Das in diesem – für Mexiko beispielhaften – Fall sichtbare Zusam-
menwirken von Behörden, Sicherheitskräften und der organisierten Kriminalität ge-
bietet, das derzeit verhandelte Sicherheitsabkommen unverzüglich auszusetzen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte mit Blick auf die Lage in Mexiko
und die laufenden Verhandlungen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich
bereits 2013 in einem Antrag gefordert, Sicherheitsabkommen zwischen der Bun-
desregierung und anderen Staaten grundsätzlich neu zu gestalten und an konkrete
Bedingungen, vor allem die Einhaltung von menschenrechtlichen Standards zu
knüpfen (Bundestagsdrucksache 17/13237).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Bezug auf Sicherheitsabkommen und andere zwischenstaatliche Abkommen in
den Bereichen der Sicherheitszusammenarbeit, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe
für Polizei und Militär sowie jeglicher sonstiger Unterstützungsmaßnahmen im Si-
cherheitssektor
1. den Deutschen Bundestag schon während der Verhandlungsphase der Abkom-

men ausführlich und transparent über die verhandelten Punkte und Inhalte zu
informieren;

2. die Vertragsstaaten solcher Abkommen in Form von konkreten Klauseln mit
Überprüfungscharakter zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards, die sich
aus internationalen bzw. europäischen Menschenrechtsabkommen ergeben, so-
wie zur Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien zu verpflichten;

3. folgende formale Anforderungen festzulegen:
a) Die Bundesregierung ist dazu verpflichtet, dem Deutschen Bundestag halb-

jährlich Berichte über Tätigkeiten und Erfahrungen ihrer polizeilichen Ver-
bindungsbeamten sowie über die durchgeführte Ausbildungs-, Ausstat-
tungs- und Beratungshilfe vorzulegen. Die Unterrichtung enthält Angaben
insbesondere über
den Verwendungsauftrag,
den Verwendungszweck,
das Verwendungsgebiet inklusive der dortigen politischen und rechts-

staatlichen Lage,
die rechtlichen Grundlagen der Verwendung,
die Zahl der entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundes

und die geplante Dauer der Verwendung. Der Deutsche Bundestag
kann durch Beschluss verlangen, dass eine Verwendung im Ausland
unverzüglich beendet wird, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vor-
liegen, dass Diensthandlungen im Rahmen einer Verwendung gegen
das Grundgesetz bzw. gegen die Verpflichtungen der Bundesrepublik
Deutschland, die sich aus internationalen bzw. europäischen Men-
schenrechtsabkommen ergeben, verstoßen;

die Kosten sowohl für Personal als auch für Ausstattungshilfe.
b) Anhand klarer und vorab verbindlich festgelegter Kriterien muss über Fort-

oder Rückschritte im Bereich der Menschenrechte und der Korruptionsbe-
kämpfung berichtet werden. Dazu müssen diverse Informationsquellen zur
Analyse herangezogen und die Zivilgesellschaft und Wissenschaft vor Ort
verbindlich in das Monitoring einbezogen werden. Dies wird sichergestellt
durch regelmäßige Anhörungen mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen

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Gruppen. Anhaltend negative Ergebnisse müssen zu einer Aussetzung
und/oder Beendigung des Sicherheitsabkommens führen.

c) Der Austausch von (personenbezogenen) Daten darf deutsche Datenschutz-
standards nicht unterschreiten. Dazu gehört, dass den Empfängerländern
grundsätzlich eine Nachweispflicht obliegt, was mit den Daten geschehen
ist und welche Maßnahmen auf Grundlage der Datenübermittlung getroffen
wurden. Überdies muss den deutschen Stellen auch auf Verlangen Auskunft
über die Datennutzung und daran anschließende Maßnahmen erteilt werden.
Die deutschen Stellen werden zudem verpflichtet, regelmäßig sowie aus ge-
gebenem Anlass zu evaluieren, ob die übermittelten Daten entsprechend
deutschen Standards verwendet wurden und welche Maßnahmen sich aus
der Datenübermittlung ergeben haben. Darüber hinaus müssen die betroffe-
nen Personen einen Auskunftsanspruch haben.

d) Die Übermittlung personenbezogener Daten muss ausgeschlossen sein,
wenn zu befürchten ist, dass dadurch gegen den Zweck eines innerstaatli-
chen Gesetzes verstoßen wird oder schutzwürdige Interessen der betroffe-
nen Person beeinträchtigt sind;

4. bei der Ausbildungsunterstützung Schwerpunkte auf Menschenrechts- und
Rechtsstaatsausbildung, Korruptions- und Geldwäschebekämpfung sowie Er-
mittlungstechniken zur Aufklärung von Straftaten, wie z. B. forensische Tech-
niken oder Tatortsicherung, zu legen;

5. bestehende (auch zivilgesellschaftliche) Kontroll- und Evaluierungsmechanis-
men vor Ort in den Bereichen von Polizei und Sicherheitskräften sowie Behör-
den und Regierung in ihrer Unabhängigkeit und Effektivität nachhaltig zu stär-
ken bzw. neue Mechanismen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu schaf-
fen;

6. Maßnahmen gegen Korruption und gegen die Verwicklung der Sicherheitskräfte
und sonstigen Behörden in die organisierte Kriminalität sowie zur besseren Aus-
bildung zu unterstützen und auszubauen;

7. die oben genannten Abkommen insbesondere nicht abzuschließen mit Staaten,
die proliferationsverdächtig sind,
in denen Krieg oder Bürgerkrieg herrscht.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die Bundesrepublik Deutschland hat derzeit Sicherheitsabkommen mit 24 Staaten geschlossen: Albanien, Bul-
garien, China, Georgien, Katar, Kirgistan, Kosovo, Kroatien, Kuwait, Litauen, Polen, Rumänien, Russland,
Saudi Arabien, Slowenien, Tschechische und Slowakische Republik (Fortgeltung mit Tschechien und der Slo-
wakei), Türkei, Tunesien, Ukraine, Ungarn, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam. Mit
Ägypten, Bosnien und Herzegowina, Indonesien, Kasachstan, Marokko, Mexiko, Montenegro, Oman, Russ-
land, Serbien, Tadschikistan und Tunesien verhandelt sie über den Abschluss solcher Abkommen bzw. über
Änderungen zu bereits bestehenden Sicherheitsabkommen.

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Unter all diesen Ländern sind eine Reihe, in denen mit staatlicher Beteiligung systematische Menschenrechts-
verletzungen wie Folterungen, willkürliche Verhaftungen und das Verschwindenlassen von Personen stattfin-
den, zudem Oppositionsbewegungen unterdrückt werden und die Todesstrafe verhängt wird.

Als Grundlage für Sicherheitsabkommen dient ein mit verschiedenen Ressorts abgestimmter Standardentwurf,
der sich nach Auffassung der Bundesregierung in der bilateralen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich be-
währt hat (vgl. Drucksache 17/14577).

Dieser Standardtext enthält keinerlei Anforderungen oder Bedingungen im Hinblick auf Menschenrechte oder
rechtsstaatliche Prinzipien.

Dabei ist es dringend geboten klarzustellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland Sicherheits-
abkommen mit Staaten schließen sollte, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden.

Wir fordern daher als Ausgangsbedingung für Sicherheitsabkommen, aber auch für andere zwischenstaatliche
Abkommen in den Bereichen der Sicherheitszusammenarbeit, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizei
und Militär sowie für jegliche sonstigen Unterstützungsmaßnahmen im Sicherheitssektor, die Vertragsstaaten
in konkreten Klauseln verbindlich zur Einhaltung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards zu ver-
pflichten.

Die Bundesregierung selbst beschreibt es als eine ihrer vordringlichen Aufgaben, Menschenrechte zu schützen
und für ihre Achtung weltweit einzutreten. Hier hätte sie ein konkretes Instrument, um diese Aufgabe umzu-
setzen.

Bei der Zusammenarbeit lediglich „der Beachtung der Menschenrechtssituationen in den Empfängerstaaten bei
den Maßnahmen sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung in besonderer Weise Rechnung“ zu
tragen, wie es die Bundesregierung bislang handhabt, reicht nicht aus (Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Ausbildungs- und Ausstattungshilfe der Bundesregierung im Sicher-
heitsbereich für Drittstaaten“ auf Bundestagsdrucksache 16/7699 vom 10.1.2008).

Die Einhaltung bzw. Umsetzung solcher Standards muss mithilfe von Evaluierungsmaßnahmen und Analysen,
die auch zivilgesellschaftliche Gruppen miteinbeziehen, laufend überprüft werden. Für anhaltende Stagnation
oder negative Ergebnisse, über die der Bundestag unterrichtet werden muss, muss es eine Exit-Klausel geben,
die es ermöglichten die Kooperation auszusetzen oder ganz einzustellen.

Evaluierung und Monitoring der einzelnen Maßnahmen der Zusammenarbeit bieten zudem die Chance, die
Beratungs- und Ausbildungsangebote entsprechend den Gegebenheiten und Entwicklungen im Partnerland an-
zupassen und somit tatsächlich positive Veränderungen anzustoßen. Gut ausgearbeitete Evaluierungsprinzipien
und –leitlinien, auf die man hier zurückgreifen kann, werden bereits beispielsweise in der deutschen bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit angewendet. Bei der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich müssen sie glei-
chermaßen erst recht zur Anwendung kommen.

Das Einbeziehen der Zivilgesellschaft in diese Prozesse ist entscheidend, „denn letztendlich scheitert jedes
Sicherheitskonzept an fehlender gesellschaftlicher Teilhabe derjenigen, welche die Folgen mittragen müssen“,
wie die Generalsekretärin von Amnesty International, Selmin

Zuverlässige Quellen für die Menschenrechtslage vor Ort sind vor allem Nichtregierungsorganisationen aus
der Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit.

Als Klarstellung zu den geltenden innerstaatlichen Vorschriften im Bereich Datenschutz und Übermittlung
personenbezogener Daten muss nachverfolgt werden können, was mit übermittelten Daten geschieht und wel-
che Maßnahmen der empfangende Staat daraus ableitet. Eine dem Empfängerstaat obliegende dahingehende
Nachweispflicht soll verhindern, dass die Übermittlung personenbezogener Daten im Empfängerland beispiels-
weise zu willkürlichen Verhaftungen oder Folter führt. Deutsche Stellen sind zudem verpflichtet, regelmäßig
zu evaluieren, ob die übermittelten Daten entsprechend deutschen Standards verwendet wurden und welche
Maßnahmen sich aus der Datenübermittlung ergeben haben. Darüber hinaus müssen die betroffenen Personen
einen Auskunftsanspruch haben.

Die Übermittlung personenbezogener Daten muss ausgeschlossen sein, wenn zu befürchten ist, dass dadurch
gegen den Zweck eines innerstaatlichen Gesetzes verstoßen wird oder schutzwürdige Interessen der betroffe-
nen Person beeinträchtigt sind.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3553
Ohne im Bereich der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften – der zumeist Bestandteil von Sicherheits-
abkommen ist – einen Schwerpunkt auf Menschenrechts- und Rechtsstaatsausbildung sowie Korruptions- und
Geldwäschebekämpfung zu legen, wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Sicherheitszusammenarbeit zu
keinerlei sichtbarer Verbesserung in Vertragsstaaten mit korruptem und unterwandertem Sicherheitsapparat
beitragen können. Im Gegenteil: Die Weitergabe von technischem Know-How an staatliche Institutionen, die
mit der organisierten Kriminalität aktiv verquickt oder zum Teil von ihr unterwandert sind, birgt das Risiko,
dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht gegen, sondern für kriminelle Belange eingesetzt werden könnten.

In bestimmten Fällen sollte die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich gänzlich ausgeschlossen sein, insbe-
sondere, wenn Staaten proliferationsverdächtig oder in einen (Bürger-)Krieg verwickelt sind.

Statt auf Ausbildungs- und Beratungshilfe im Sicherheitsbereich zu setzen, sollten dann die Kontrollinstanzen
des betreffenden Staates wie beispielsweise Parlament, Gerichte, freie Presse und Zivilgesellschaft unterstützt
und gestärkt werden.

Nicht zuletzt die eingangs erwähnten Ereignisse in Iguala in Mexiko sollten die Bundesregierung nachdenklich
stimmen und für sie Ansporn sein, ihre Sicherheitszusammenarbeit grundsätzlich neu zu gestalten und auszu-
richten. So könnte sie beweisen, dass es ihr ein ernstes Anliegen ist, sich für Menschenrechte und Rechtsstaat-
lichkeit in anderen Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten einzusetzen und dass Sicherheitsabkommen nicht
doch nur als Türöffner für neue Absatzmärkte deutscher Sicherheitstechnologie und Waffen fungieren.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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