BT-Drucksache 18/3469

Mögliche Unterstützung der Ausreise gewaltbereiter Islamisten durch deutsche Sicherheitsbehörden

Vom 3. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3469
18. Wahlperiode 03.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Katja Keul,
Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Hans-Christian Ströbele,
Dr. Konstantin von Notz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mögliche Unterstützung der Ausreise gewaltbereiter Islamisten
durch deutsche Sicherheitsbehörden

In dem ARD-Magazin „Monitor“ vom 2. Oktober 2014 hat sich ein Beamter des
Bayerischen Landeskriminalamtes wie folgt geäußert: „[Bis] vor einiger Zeit
[…] war man der Meinung, wenn jemand radikalisiert ist und sich radikalisiert
hat und ausreisen möchte, dann hat man natürlich versucht, den auch ausreisen
zu lassen oder auch durch ausländerrechtliche Maßnahmen die Ausreise auch
noch zu beschleunigen.“
Ein solches Vorgehen stünde im diametralen Widerspruch zu allem, was die
Bundesregierung sonst zu diesem Thema verlautbart hat. So äußerte sich etwa
der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, wie folgt: „Wir wollen
nicht, dass aus Deutschland der Tod in den Irak gebracht wird. Der Export von
Terror ist unerträglich und muss unterbunden werden.“ (zitiert nach DER
TAGESSPIEGEL, 18. September 2014)
Tatsächlich hatte die Innenministerkonferenz (IMK) im Juni 2009 in Bremer-
haven unter TOP 3 den Sachstandbericht des Bundesministeriums des Innern
(BMI) und des Freistaats Sachsens über „Verfahren und Maßnahmen bei der
Ausreise von Islamisten“ zur Kenntnis genommen. Dies hatte die IMK aber aus-
drücklich mit der „Maßgabe“ verknüpft, dass sich die „Entscheidung über die
Verhinderung einer Ausreise ergebnisoffen am Einzelfall orientieren“ sollte.
Unklar blieb in diesem Beschluss allerdings, wer nach welcher Maßgabe eine
solche Entscheidung treffen kann oder soll.
Der erwähnte IMK-Bericht enthielt – einem Beschluss (TOP 8) des Arbeitskrei-
ses IV (AK IV) der IMK vom Oktober 2009 zufolge – „neun Einzelmaßnah-
men“. Die „Gesamtkoordination“ solle beim BMI liegen. Es erfolgte auch eine
Evaluation dieses Maßnahmenkatalogs. Dieser wurde im Oktober 2011 von dem
AK II und dem AK IV der IMK zur Kenntnis genommen.
Laut „Monitor“ galt diese Linie der Sicherheitsbehörden – ausreisewillige Ex-
tremisten ggf. in ausländische Ausbildungscamps und Kriegsgebiete ziehen zu
lassen – zumindest „bis Herbst 2013“. Ob bzw. was sich im letzten Jahr an der
Beschlusslage bzw. am Vorgehen der Sicherheitsbehörden des Bundes bzw. der
Länder tatsächlich verändert hat, ist unklar.
Auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
ob, und wenn ja, wie viele, gewaltbereite Islamisten nach Kenntnis der Bundes-
regierung mit Billigung bzw. Zutun deutscher Sicherheitsbehörden seit dem Jahr
2009 aus Deutschland ausreisen konnten, antwortete der Parlamentarische

Drucksache 18/3469 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder, dass „Ausrei-
sen von gewaltbereiten Islamisten, bei denen Tatsachen den Verdacht terroristi-
scher Aktivitäten stützen, mit Billigung bzw. Zutun von Behörden des Bundes
nicht stattfanden (…). Davon zu unterscheiden“ – so führte der Staatssekretär
weiter aus – seien jedoch „solche Personen, die keine Terrorabsicht haben, aber
entsprechend agitieren, insbesondere Hassprediger (…). Diese Personen wollen
wir nicht im Land haben (…); sie gehören selbstverständlich ausgewiesen“
(Plenarprotokoll 18/56, S. 5163 f.).
Der Freistaat Bayern hat im Oktober 2014 jedoch erfolgreich die Ausweisung
des bis dahin in Kempten lebenden gewaltbereiten Islamisten E. A. betrieben.
Dies geschah, obwohl bayerische Behörden E. A. zuvor – wegen seiner öffent-
lich erklärten Absicht, den gewaltsamen Kampf des „Islamischen Staates“ (IS)
unterstützen zu wollen – monatelang mit einem Ausreiseverbot aus Deutschland
belegt hatten. Nunmehr kann E. A. den IS (und damit ggf. auch IS-Aktivitäten
in Deutschland) von der Türkei aus fördern.
Zudem war schon Anfang des Jahres 2014 bekannt geworden, dass deutsche
Grenzschutzbeamte im letzten Jahr die Mutter von zwei – von der Polizei als „is-
lamistische Extremisten“ bezeichneten – Personen die Erlaubnis zur Weiterreise
erteilten, obwohl bei ihr während der Ausreisekontrolle am Flughafen Köln/
Bonn Dutzende Magazine für Sturmgewehre des Typs AK-47 gefunden wurden
(FAZ, 18. Februar 2014). Selbst auf Nachfrage des Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bewertet das BMI diesen Vor-
fall mit kaum zu überbietender Zurückhaltung: So hält das BMI auch heute noch
eine Ausreiseverhinderung bzw. die Sicherstellung der MG-Magazine nicht für
zwingend. Dies hätte lediglich „in Betracht gezogen werden sollen“ (vgl. Deut-
scher Bundestag, Plenarprotokoll 18/19, S. 1510).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung die Aussage des von „Monitor“ befragten Beam-

ten des Bayerischen Landeskriminalamtes bestätigen, dass deutsche Sicher-
heitsbehörden zumindest „versucht“ haben, gewaltbereite Islamisten „ausrei-
sen zu lassen [bzw.] durch ausländerrechtliche Maßnahmen die Ausreise zu
beschleunigen“?
a) Wenn ja,

aa) in wie vielen Fällen sind gewaltbereite Islamisten mit Kenntnis wel-
cher deutschen Behörden aus der Bundesrepublik Deutschland ausge-
reist oder haben versucht auszureisen bzw. wurde deren Ausreise
durch Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) unter-
stützt oder beschleunigt,

bb) wie viele gewaltbereite Islamisten konnten auf diesem Wege – quasi
mit aktiver bzw. passiver Unterstützung deutscher Behörden – aus
Deutschland ausreisen (bitte nach Jahren und den vermuteten Ziellän-
dern bzw. Zielregionen aufschlüsseln),

cc) wie viele dieser Personen besaßen (zumindest auch) die deutsche
Staatsangehörigkeit,

dd) wie vielen dieser Personen war die Ausreise zuvor aufgrund einer
Passversagung bzw. Passentziehung oder einer Anordnung nach § 6
Absatz 7 des Personalausweisgesetzes oder nach dem Aufenthalts-
gesetz verboten worden (bitte nach Jahren und nach Rechtsgrundlage
der Untersagung aufschlüsseln)?

ff) gegen wie viele dieser Personen war im Zeitpunkt der Ausreise Haft-
befehl erlassen worden,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3469
gg) bei wie vielen dieser Personen war im Zeitpunkt der Ausreise die
Vollstreckung einer Strafe auf Bewährung ausgesetzt,

hh) gegen wie viele dieser Personen waren im Zeitpunkt ihrer Ausreise
Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG angeordnet worden
(bitte jeweils nach Jahren aufschlüsseln),

ii) wie viele „kontrollierte bzw. mit Kenntnis deutscher Behörden ausge-
reiste“ gewaltbereite Islamisten sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung wieder nach Deutschland eingereist (bitte nach Jahren auf-
schlüsseln), und inwiefern sind von diesen zurückgekehrten Personen
nach Kenntnis der Bundesregierung Sicherheitsgefährdungen ausge-
gangen,

jj) wie viele dieser zunächst wieder eingereisten Islamisten sind nach
Kenntnis der Bundesregierung anschließend mit dem Ziel der Ein-
reise in Krisen- und Kriegsgebiete aus Deutschland wieder ausgereist
(bitte nach Jahren und den vermuteten Zielländern bzw. Zielregionen
aufschlüsseln)?

b) Wenn nein,
aa) schließt die Bundesregierung aus, dass gewaltbereite Islamisten, die

der Unterstützung terroristischer Aktivitäten verdächtig waren, mit
Billigung bzw. Zutun deutscher Behörden aus Deutschland ausgereist
sind,

bb) schließt die Bundesregierung aus, dass Islamisten mit Billigung bzw.
Zutun von Behörden des Bundes aus Deutschland ausgereist sind, de-
ren Gewaltbereitschaft unstreitig war, hinsichtlich derer aber keine
hinreichenden Tatsachen bekannt waren, die den Verdacht terroristi-
scher Aktivitäten begründeten,

cc) wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die in
der Vorbemerkung der Fragesteller genannte Erlaubnis der Bundes-
polizei zur Weiterreise für eine Mutter zweier „islamistische[r] Extre-
misten“ (mit Dutzenden AK-47-Magazinen im Gepäck)?

dd) wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die in
der Vorbemerkung der Fragesteller genannte Ausweisung eines ge-
waltbereiten Unterstützers des IS aus Kempten in die Türkei,

ee) hält es die Bundesregierung für denkbar, dass die Ausreise von ge-
waltbereiten Islamisten durch Landesbehörden aktiv oder passiv
gefördert wird, ohne dass der Bundesnachrichtendienst oder das
Bundesamt für Verfassungsschutz vorab konsultiert werden?

2. In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkraft-
treten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 sog. Hassprediger nach § 55
Absatz 2 Nummer 8 Buchstabe b des Zuwanderungsgesetzes aus Deutsch-
land rechtskräftig ausgewiesen?
a) Wie viele wurden tatsächlich in welches Zielland abgeschoben (bitte nach

Jahren und Zielländern aufschlüsseln)?
b) Wie viele leben mit welchem Aufenthaltsstatus weiterhin in Deutschland?
c) Gegen wie viele wurden Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG

angeordnet, und in wie vielen Fällen werden solche Maßnahmen gegen-
wärtig noch durchgeführt?

3. Wann hat sich die IMK bzw. einer ihrer Arbeitskreise mit der aktiven oder
passiven Unterstützung der Ausreise gewaltbereiter Islamisten aus Deutsch-
land in mögliche Trainings- oder Einsatzgebiete befasst (bitte unter Hinweis
auf die jeweilige Tagung)?

Drucksache 18/3469 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Wurden auf der IMK jemals Beschlüsse gefasst, die vorsahen bzw. es er-
möglichten, die Ausreise gewaltbereiter Islamisten aus Deutschland in mög-
liche Trainings- oder Einsatzgebiete passiv oder aktiv zu unterstützen, und
wenn ja, wann wurden welche Berichte beschlossen, und was sahen diese
Beschlüsse genau vor (bitte nach Beschlüssen aufschlüsseln und ausfüh-
ren)?

5. Welche Maßnahmen sah der IMK-Bericht über „Verfahren und Maßnahmen
bei der Ausreise von Islamisten“ für die Jahre 2009 bis 2013 vor?

6. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass ein IMK-Bericht im Hinblick auf
das Verfahren bei der Ausreise von Islamisten – zumindest im Jahr 2009 –
„neun Einzelmaßnahmen“ beinhaltete?
a) Wenn ja, um welche Maßnahmen handelte es sich (bitte ausführen)?
b) Wenn nein, wie viele Maßnahmen sah dieser IMK-Bericht in diesem Be-

reich vor?
7. Inwiefern sind Behörden des Bundes bei einer „ergebnisoffenen“ Prüfung

bzw. Entscheidung über die Zulassung oder Verhinderung einer Ausreise
gewaltbereiter Islamisten involviert?

8. Wurde dem BMI im Hinblick auf die Umsetzung dieses Berichts die „Ge-
samtkoordination“ übertragen, und ist das BMI ggf. weiterhin mit dieser
Aufgabe betraut?
a) Was beinhaltet diese Gesamtkoordination genau?
b) Welche Behörden des Bundes bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung

der Länder müssen hierbei koordiniert werden?
c) Beteiligt(e) sich das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)

an dieser Koordinationsaufgabe?
Wenn ja, inwiefern, und im Rahmen welcher Arbeitsgruppen?
Wenn nein, warum nicht?

9. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die IMK im Jahr 2011 eine Eva-
luation des IMK-Berichts zur Kenntnis genommen hat?
Wenn ja,
a) aufgrund welcher Erkenntnisse kam diese Evaluation damals zu welchen

Schlussfolgerungen bzw. Empfehlungen,
b) welche Behörde hatte diese Evaluation damals vorgenommen bzw. zu

verantworten?
10. Gibt es weitere Evaluationen dieses Berichts?

Wenn ja, wann, und inwiefern unterscheiden sich die jeweiligen Schlussfol-
gerungen und Empfehlungen von denen aus dem Jahr 2011?

11. Bestand nach Kenntnis der Bundesregierung die Praxis der Ausreiseunter-
stützung für gewaltbereite Islamisten im Herbst 2013 weiterhin (vgl. „Mo-
nitor“-Bericht)?

12. Ist es im vergangenen Jahr zu einer Veränderung der diesbezüglichen Praxis
gekommen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja,
a) welche Änderungen wurden seither vorgenommen (bitte ausführen),

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3469
b) für welche Behörden des Bundes bzw. nach Kenntnis der Bundesregie-
rung der Länder sind welche Änderungen wirksam geworden,

c) wurde die diesbezügliche Änderung der Praxis innerhalb der IMK bzw.
der Arbeitskreise der IMK abgestimmt, und wenn ja, auf welche Be-
schlüsse ist diesbezüglich hinzuweisen?

13. In welchem inhaltlichen Zusammenhang stehen die „Vorschläge zum poli-
zeilichen Umgang mit dem Personenpotenzial der Ausreisewilligen und
Rückkehrer (insbesondere im Hinblick auf Gefährdung, eine Kategorisie-
rung und mögliche Maßnahmen)“ der AG Kripo innerhalb der IMK und der
IMK-Bericht zu „Verfahren und Maßnahmen bei der Ausreise von Islamis-
ten“ (vgl. Beschlussprotokoll des AK II vom 15./16. Oktober 2014)?

14. Welche Änderungen im polizeilichen Umgang mit Ausreisewilligen und
Rückkehrern hat die AG Kripo vorgeschlagen?

15. Welchen Handlungsbedarf meint die AG Kripo an den diesbezüglichen
rechtlichen Rahmenbedingungen zu erkennen, bzw. wann wird sich die
IMK selber mit den Vorschlägen der AG Kripo beschäftigen?

16. Entsprechen die Ausweisung eines gewaltbereiten Unterstützers des IS aus
Kempten in die Türkei und die polizeiliche Erlaubnis zur Weiterreise für
eine Mutter von „islamistischen Extremisten“ (mit Dutzenden AK-47-Ma-
gazinen im Gepäck) der derzeitigen Beschlusslage im Hinblick auf den in
Rede stehenden IMK-Bericht über „Verfahren und Maßnahmen bei der
Ausreise von Islamisten“?
a) Wenn ja, inwiefern?
b) Wenn nein, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung dar-

aus?
17. Wurde das Parlamentarische Kontrollgremium oder der Innenausschuss des

Deutschen Bundestages (bzw. die zuständigen Berichterstatterinnen und
Berichterstatter) über die wesentlichen Inhalte, die Evaluation bzw. mög-
liche Veränderungen des IMK-Berichts über „Verfahren und Maßnahmen
bei der Ausreise von Islamisten“ unterrichtet?
a) Wenn ja, wann, und in welcher Form?
b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 2. Dezember 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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