BT-Drucksache 18/3117

Oktoberfest-Attentat - Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Nazi-Hintermännern

Vom 8. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3117
18. Wahlperiode 08.10.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic,
Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar,
Özcan Mutlu, Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Oktoberfest-Attentat – Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Nazi-Hintermännern

Am 26. September 1980 tötete auf dem Münchner Oktoberfestplatz eine ex-
plodierende Bombe 13 Menschen – darunter drei kleine Kinder – und verletzte
211 Menschen, darunter 68 schwer. Auch 34 Jahre später bestehen heute weiter-
hin gewichtige Zweifel am damaligen Ergebnis bayrischer Ermittler und des Ge-
neralbundesanwalts (GBA), wonach der junge Rechtsextremist Gundolf Köhler
die Tat allein geplant und ausgeführt habe (vgl. Ulrich Chaussy, Oktoberfest-
Attentat, Berlin 2014; www.story.br.de/oktoberfest-attentat vom 20. September
2014; www.schorlau.com/muenchen-materialien.html). Bereits im Jahr 2011
forderten daher der Münchner Stadtrat und der bayrische Landtag, der GBA
solle sein Ermittlungsverfahren wieder aufnehmen. Dies beantragt nun – wie
schon in den Jahren 1984 und 2005 – auch der Münchner Rechtsanwalt Werner
Dietrich als Vertreter vieler Opfer und Angehöriger, gestützt auf neue Beweis-
mittel nach Einsicht in lange zurückgehaltene Ermittlungsakten (vgl. SZ-online,
8. September 2014).
Dies geschieht, nachdem im Jahr 2011 offenbar wurde, wie lange Sicherheits-
behörden auch des Bundes andere rechtsextreme Organisationsverbrechen nicht
als solche erkannt hatten, nämlich die des Nationalsozialistischen Untergrundes
(NSU).
Bereits in der Vergangenheit hatte die Bundesregierung Anfragen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Oktoberfest-Attentat beantwortet, u. a. am
17. Mai 1991 (Bundestagsdrucksache 12/560), am 19. Juni 2009 (Bundestags-
drucksache 16/13527) und am 11. Juli 2008 (Bundestagsdrucksache 16/9960,
Schriftliche Frage 3); vgl. ferner zu Waffen-/Munitionsdepots für rechte „Ge-
heimarmee“ Gladio/SBO: Bundestagsdrucksachen 18/1028, 18/1732, 18/1942
und Keßelrings Studie vom 9. September 2014 „Die Organisation Gehlen“).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Warum wurde im Strafermittlungsverfahren auch des Generalbundesanwalts

(27. September 1980 bis 23. November 1982)
a) bisher nicht das Tagebuch berücksichtigt, in dem Gundolf Köhlers Bruder

akribisch nachzeichnete, was der Attentäter in den letzten drei Monaten
vor dem Attentat unternahm und wen er traf (www.story.br.de „Oktober-
fest-Attentat.Spurensuche“),

b) nicht vertieft den mehrfachen Hinweisen des Zeugen Frank L. auf mög-
liche Mittäter nachgegangen, er habe Köhler 30 Minuten vor der Explo-
sion intensiv mit zwei jungen Männern in grünen Parkas diskutieren und

Drucksache 18/3117 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
eine Plastiktüte mit zylinderförmigem Inhalt in einen Mülleimer stellen
sehen (vgl. SZ-online vom 8. September 2014),

c) nicht vertieft der Umstand berücksichtigt, dass jener Frank L. mindestens
bis zum Jahr 1965 beim rechtsextremen Bund Heimattreuer Jugend (BHJ)
„Zweiter Bundesführer“ und „Standortführer“ war, dort als Provokateur
des Verfassungsschutzes verdächtigt sowie ausgeschlossen wurde und sich
danach dem Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS)
anschloss (DER SPIEGEL vom 13. September 2010), diente er tatsächlich
dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) je als Quelle bzw. Aus-
kunftsperson,

d) nicht dem Verdacht nachgegangen (vgl. DER SPIEGEL vom 23. Septem-
ber 2010), dass L. im Auftrag einer Sicherheitsbehörde Köhler länger vor
dem Attentat beobachtete, beauftragte ihn tatsächlich eine Bundes-
sicherheitsbehörde, und wenn ja, welche und womit,

e) nicht die Aussage einer Zeugin berücksichtigt, sie habe Köhler mit einem
weiteren Mann an einem weißen Gegenstand zerren und nach der Explo-
sion letzteren Mann weglaufen gesehen (Thomas Lecorte „Oktoberfest-
Attentat 1980 – Eine Revision“) sowie eine Selbstbezichtigung gegenüber
einem anderen Mann vernommen („Ich wollt’s nicht, ich kann nichts da-
für, bringt’s mich um.“; vgl. Ulrich Chaussy, Oktoberfest-Attentat, 2014,
S. 21),

f) nicht den Hinweisen der inhaftierten Mitglieder der neonazistischen
„Deutschen Aktionsgruppen“ Hörnle und Vorderbrügge schon einen Tag
nach dem Attentat intensiver und schneller gefolgt, dass der rechtsradikale
Heinz Lembke aus seinen zahlreiche Waffenlagern unter Umständen
Sprengstoff für die „Wiesn-Bombe“ geliefert und Attentäter ausgebildet
habe, jedoch die Ermittler jene Depots nahe seines Hauses nicht bei der
Durchsuchung am 29. September 1980, sondern erst ein Jahr später am
26. Oktober 1981 durch Hinweis eines Försters zufällig entdeckten und
die Umgebung erstmals genauer untersuchten (Spur 253, vgl. SZ-online
vom 3. Juni 2014),

g) Lembke nach dem ersten Hinweis vom 27. September 1980 auf ihn zu-
nächst fünf Wochen lang gar nicht intensiv vernommen und auf seine An-
kündigung hin, seine Hintermänner zu nennen, nicht polizeilich wirksam
davor geschützt, unmittelbar tags darauf am 1. November 1981 erhängt in
seiner Gefängniszelle gefunden zu werden (vgl. SZ-online vom 3. Juni
2014),

h) die Hinweise von Hörnle bzw. Vorderbrügge sowie Lembke weder in dem
Schlussbericht des GBA noch in dem Schlussvermerk der Sonderkommis-
sion Theresienwiese überhaupt erwähnt (Chaussy, Oktoberfest-Attentat,
S. 216),

i) die in den Spurenakten befindlichen Hinweise auf weitere Verbindungen
Köhlers zu möglichen rechten Mittätern, wie etwa dem Neonazi Odfried
Hepp, nicht verfolgt und dessen angebliches Alibi eines Libanon-Aufent-
halts zur Tatzeit nie überprüft (vgl. SZ-online vom 8. September 2014),

j) Asservate (u. a. Splitter der Bombe, 48 Zigaretten sechs verschiedener
Marken offenbar mehrerer Raucher aus Köhlers Auto, Teile einer durch
die Explosion abgetrennten, zunächst niemand zuordenbaren Hand) im
Jahr 1997 offenbar im Bundeskriminalamt (BKA) vernichtet, obwohl sie
mit modernen Labormethoden noch hätten ausgewertet werden können
(vgl. SZ vom 3. Juni 2014),

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3117
k) zunächst in einer Lagebesprechung u. a. mit GBA, BKA, BfV sowie bay-
rischen Stellen am 8. Oktober 1980 von mehreren rechtsmilitanten Tätern
ausgegangen, jedoch – ohne nachvollziehbaren Grund und neuere Er-
kenntnis – am 14. Oktober 1980 nicht mehr und seither einseitig statt er-
gebnisoffen nur noch in Richtung eines Einzeltäters ermittelt (vgl. SZ vom
3. Juni 2014),

l) das Sprengwaffenbeseitigungskommando der Bundeswehr die bei
Lembke gefundenen Waffen und Kampfmittel (u. a. 156 Kilo Sprengstoff,
230 Kilo Sprengkörper, 258 Handgranaten, 50 Panzerfäuste und 13 520
Schuss Munitionen in 33 Depots) so schnell vernichtet, ohne sie zuvor mit
der Oktoberfestbombe abgeglichen zu haben (DER SPIEGEL vom 9. No-
vember 1981),

m)nicht die Herkunft des verwendeten Sprengstoffs geprüft,
n) die Kontakte Köhlers zur Wehrsportgruppe Hoffmann und deren bundes-

weite Delikte – v. a. durch Bundesbehörden – nie systematisch untersucht,
bevor Hinweise darauf in 80 Aktenordnern routinemäßig an das bayrische
Hauptstaatsarchiv abgegeben, welches erst die Brisanz erkannte und die
Akten zum Ausermitteln zurücksandte (vgl. SZ-online vom 8. September
2014),

o) der dem Opferanwalt erst im Jahr 2014 bekannt gewordene Zeuge R. O.,
dem vor der Explosion mehrere nicht wie Festbesucher aussehende Män-
ner in Köhlers Nähe aufgefallen waren, erst sechs Wochen nach dem
Attentat überhaupt nur knapp fünf Minuten vernommen und bezüglich
jener Männer explizit nicht (vgl. SZ-online vom 8. September 2014)?

2. a) War Lembke ein V-Mann einer (gegebenenfalls welcher) Sicherheits-
behörde des Bundes oder – nach Kenntnis der Bundesregierung – eines
Landes?

b) Warum steht in den Spurenakten ein Vermerk („Erkenntnisse über
Lembke sind nur zum Teil gerichtsverwertbar“), wie er laut Anwalt sonst
nur bezüglich V-Leuten oder anderen verdeckten Mitarbeitern von Ge-
heimdiensten angefertigt würde (vgl. SZ-online vom 3. Juni 2014)?

3. a) Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Lembke
die bei ihm aufgefundenen Waffen und den Sprengstoff, die zum Teil
mit Aufklebern einer Firma Dr. B. in Karwitz/Ortsteil Dragahn/Kreis
Lüchow-Dannenberg versehen waren, von einem dort tätigen Mitarbeiter
erhielt (vgl. DER SPIEGEL vom 9. November 1981)?

b) Wie viele Einheiten je Waffen, Sprengstoff bzw. Munition ließ die deut-
sche „Stay Behind Organisation“ (SBO) bzw. „Lehr- und Ausbildungs-
gruppe für das Fernspähwesen der Bundeswehr“ (LAFBw 404/III) in Nie-
dersachsen, konkret in der Munitions-Delaborierungsanlage bei Dragahn,
oder wo sonst jeweils delaborieren, insbesondere 1979?

c) Wieviel Waffen, Sprengstoff bzw. Munition jeweils kamen dabei ohne
Nachweis geordneter Unschädlichmachung abhanden (bitte differenzierte
Auflistung mit Mengen- und Kilo-Angaben)?

d) Welche Beziehungen unterhielt Lembke nach Kenntnis der Bundesregie-
rung zur SBO bzw. LAFBw?
Wird die Bundesregierung dies nun durch den Generalbundesanwalt wei-
ter aufklären lassen?

e) Wann ließ die Bundesregierung je welche Teile der SBO bzw. LAFBw
vollständig auflösen (bereits ab dem Jahr 1972, wie das Bundesverteidi-
gungsministerium – BMVg – Ende des Jahres 1990 mitteilte – vgl. DER

Drucksache 18/3117 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
SPIEGEL vom 19. November 1990 und Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 17/13615 –,
oder erst durch Verfügung des BMVg-Staatssekretär Dr. Joachim Hiehle
im Jahr 1978 – vgl. „Geheimarmee Stay Behind“, Bayrischer Rundfunk
4. bzw. 5. Oktober 2014: http://bit.ly/1pGxz4m)?

f) An welche Privatpersonen gelangten nach Kenntnis der Bundesregierung
die Waffen, Munition, Sprengstoffe und andere Depotbestände von der SBO
bzw. der LAFBw ?

4. a) Ist der Bundesregierung bekannt, dass der bayrische Innenminister den
Opfer-Anwalt Dietrich über weitere Unterlagen seiner nachgeordneten
Behörden zum „Wiesn-Attentat“ sowie zu möglichen Hintermännern,
etwa der WSG-Hoffmann, lange nicht informierte und diese Unterlagen
zur Einsicht angeboten hat und deren Existenz erst am 13. Juni 2014
offenbarte (vgl. SZ-online vom 8. September 2014)?

b) Welche Bundesbehörden haben unter Umständen ebenso noch derartige
Unterlagen, die sie Rechtsanwalt Dietrich noch nicht mitteilten und zur
Einsicht anboten?
Um welche Unterlagen handelt es sich gegebenenfalls?

5. Was geschah mit den Resten der abgerissenen Hand, die am Tatort gefunden
wurde und die zu keiner der Leichen passte, auch nicht zu Gundolf Köhler?

6. Welche Personen haben nach Kenntnis der Bundessicherheitsbehörden kurz
vor dem Attentat am Nachmittag und am Abend des 26. September 1980
Gundolf Köhler begleitet bzw. Kontakt mit ihm gehabt?

7. Wer verschaffte nach Kenntnis der Bundesregierung Gundolf Köhler den
beim Attentat verwendeten Sprengstoff, welcher nicht in dessen so genannter
Bombenwerkstatt im Keller seiner Eltern zu finden war?

8. Inwieweit trifft die Schilderung des Magazins „DER SPIEGEL“ vom 24. No-
vember 2011 (nach Sichtung von 46 000 Seiten Ermittlungsakten) zu, dass
a) Köhler schon als Jugendlicher mit Wissen der Sicherheitsbehörden NPD-

Veranstaltungen besuchte, die Judenvernichtung öffentlich begrüßte und
der militant-rechten Wiking-Jugend beitrat, deren Mitglieder in den Jah-
ren 1977 bzw. 1978 Soldaten in mindestens drei Bundeswehreinrichtun-
gen bewaffnet überfielen und ihnen Waffen sowie Munition stahlen (vgl.
DER SPIEGEL vom 15. Mai 1978),

b) Köhler auch als Student in Tübingen die Nähe eines rechtradikalen Stu-
dentennetzes suchte, das ihm auf Hoffmanns Weisung hin helfen sollte,
dort eine Wehrsport-Ortsgruppe zu eröffnen (vgl. DER SPIEGEL vom
24. Oktober 2011),

c) Sicherheitsbehörden auch des Bundes schon vor dem Attentat Köhlers
Kontakte zur WSG-Hoffmann kannten,

d) etwa der Militärische Abschirmdienst (MAD) über bis heute geheim ge-
haltene entsprechende Korrespondenz verfügt (vgl. DER SPIEGEL,
a. a. O.)?
Worum handelt es sich dabei genau?
Wird die Bundesregierung dies nun umgehend den Fragestellern und dem
Opferanwalt Dietrich zugänglich machen?

9. a) Wird die Bundesregierung sich nun gegenüber dem GBA für eine Wieder-
aufnahme der Ermittlungen einsetzen, was dieser bereits zu prüfen begann
(vgl. SZ-online vom 9. September 2014)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3117
b) Wird insbesondere Bundesminister Heiko Maas mit diesem Ziel nun un-
verzüglich ein Gespräch mit dem GBA suchen, nachdem der Minister am
15. Januar 2014 der bayrischen Landtagsabgeordneten Margarete Bause
versprochen hatte, dass „beim Vorliegen neuer Erkenntnisse die Ermitt-
lungen wieder aufgenommen werden“ (SZ-online vom 9. September
1981)?

10. Wird die Bundesregierung bei Wiederaufnahme der Ermittlungen darauf
dringen,
a) die Akten der Untersuchungskommission „Terrorismus und Massaker“

des italienischen Senats (1994 bis 2000) beiziehen zu lassen, worin sich
Aussageprotokolle dreier deutscher Rechts-Militanten über ihre Verbin-
dungen zum Oktoberfest-Attentat und deutsche Waffenlieferungen be-
finden (DER SPIEGEL vom 11. April 2005),

b) dass der Opferanwalt bzw. die Opferanwälte rechtzeitig und vollständig
Akteneinsicht erhalten?

Berlin, den 8. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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