BT-Drucksache 18/3043

Gesellschaftliche Bedeutung von Whistleblowing anerkennen - Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen

Vom 4. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3043
18. Wahlperiode 04.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Karin Binder, Andrej Hunko, Caren Lay, Jan Korte, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-
Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Katrin Kunert, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch,
Thomas Lutze, Petra Pau, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann,
Azize Tank, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Birgit Wöllert, Hubertus Zdebel, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gesellschaftliche Bedeutung von Whistleblowing anerkennen –
Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Hinweisgeben (Whistleblowing) dient dem Verbraucherschutz und den öffent-
lichen Interessen. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Tätigkeit von Hinweisgebe-
rinnen und Hinweisgebern, so genannten Whistleblowern. Sie leisten der Gesell-
schaft mit ihrem Engagement und ihrer Zivilcourage wichtige Dienste, denn sie ent-
hüllen u. a. Korruption, Steuerhinterziehung und andere Verstöße gegen Gesetze und
internationale Abkommen. Sie weisen in ihrem Betrieb, ihrer Behörde oder Organi-
sation bzw. nach außen gegenüber zuständigen Behörden, Dritten oder auch der
Presse auf Risiken und nicht tolerierbare Gefahren hin. Hinweisgeberinnen und Hin-
weisgeber handeln oft zu einem Zeitpunkt, zu dem noch Schaden von Einzelnen und
der Gesellschaft abgewandt werden kann oder weisen aus Gewissensgründen auf
Missstände hin, um diese zu unterbinden. Der Deutsche Bundestag weist daher Aus-
sagen zurück, die Whistleblowing mit Denunziantentum gleichsetzen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Juli 2011 im Fall Heinisch gegen Deutschland
(Beschwerde Nr. 28274/08). Frau Heinisch hatte mit einer Strafanzeige auf katastro-
phale Bedingungen in der Altenpflege aufmerksam gemacht und ihr wurde daraufhin
gekündigt. Der EGMR kam zu dem Schluss, dass in dem Fall das Recht auf freie
Meinungsäußerung verletzt wurde und dass die deutschen Gerichte bei der Abwä-
gung mit den Interessen des Arbeitgebers versagt haben. Der Fall verdeutlicht, dass
neben einer stärkeren Beachtung des europarechtlichen Rahmens durch die deut-
schen Gerichte eine gesetzliche Stärkung und Klärung der Rechte von Hinweisge-
berinnen und Hinweisgebern überfällig ist.
Der Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern und die Anerkennung ihrer
Zivilcourage in Deutschland sind mangelhaft. Im Rahmen einer Anhörung im Bun-
destag am 5. März 2012 (93. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales) hat

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sich die Mehrheit der Sachverständigen aus Gründen der Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit für weitergehende gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Der deut-
sche Whistleblowerschutz beschränkt sich auf vereinzelte Vorschriften, die in ihrer
Anwendung in weiten Teilen unklar, intransparent und stark beschränkt sind (siehe
Länderreport der EU-weiten Studie „Whistleblowing in Europe: Legal Protection for
Whistleblowers in the EU“; http://whistleblower-net.de).
Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber erfahren bis heute Benachteiligungen wie
Kündigung, Zwangspensionierung, Karriereeinbußen oder Mobbing. Der Deutsche
Bundestag fordert Konsequenzen aus einer im September 2014 veröffentlichten ver-
gleichenden Studie zur Situation des Whistleblowerschutzes in den G20-Staaten
(vgl. „Whistleblower Protection Laws in G20 Countries. Protection for Action”,
September 2014; https://blueprintforfreespeech.net). Diese Studie verdeutlicht die
Mängel und Defizite des Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern in
Deutschland sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Deutschland hinkt
im internationalen Vergleich deutlich hinterher.
Auch auf internationaler Ebene wird die Bedeutung von Whistleblowing betont. Das
Europäische Parlament hat sich im Oktober 2013 im Rahmen von Maßnahmen zur
Bekämpfung organisierter Kriminalität für einen besseren Whistleblowerschutz aus-
gesprochen (Entschließung 2013/2107/INI). Der Deutsche Bundestag begrüßt die
Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 29. April
2010 (Entschließung 1729 (2010)) zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hin-
weisgebern sowie deren aktuelle Arbeit zu den Snowden-Enthüllungen und zum
Whistleblowerschutz. Er unterstützt die Empfehlung des Ministerates des Europara-
tes vom 30. April 2014, in der Regeln für einen effektiven Whistleblowerschutz auf-
gestellt wurden (www.coe.int). Er begrüßt ferner die im November 2009 unter Lei-
tung von Transparency International entwickelten Grundsätze für einen effektiven
Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (vgl. www.transparency.org,
Recommended draft principles for whistleblowing legislation), die von 78 Nichtre-
gierungsorganisationen unterstützt werden und weist darauf hin, dass sich die G20-
Staaten (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) auf ihrer Ta-
gung im November 2010 in Seoul im Rahmen des Aktionsplans zur Korruptionsbe-
kämpfung darauf verständigt hatten, bis Ende 2012 Regelungen für einen gesetzli-
chen Whistleblowerschutz zu erlassen und umzusetzen. Den anschließenden Akti-
onsplan „G20 Anti-Corruption Action Plan 2013 – 2014“ ignoriert Deutschland trotz
klarer Kritik der G20-Staaten und der OECD (Organisation for Economic Co-ope-
ration and Development). Darüber hinaus fordert Art. 33 UNCAC (Übereinkommen
der Vereinten Nationen gegen Korruption, BGBl. III Nr. 47/2006) den Schutz von
Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern.
Die Bundesregierung hat bis heute keine Regelungen zum Whistleblowerschutz in
ihre Gesetzentwürfe aufgenommen. Weder aus der Anhörung im Bundestag, den in-
ternationalen und europäischen Empfehlungen und Vorgaben noch aus den bisher
eingebrachten parlamentarischen Initiativen der Fraktionen DIE LINKE. (Bundes-
tagsdrucksache 17/6492), SPD (Bundestagsdrucksache 17/8567) und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/9782) hat die Bundesregierung Kon-
sequenzen für einen besseren Whistleblowerschutz gezogen.
Die Debatte um Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber hat sich weiter zugespitzt:
Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die rechtswidrige,
massenhafte Datensammlung der USA und die aktive Mitarbeit von deutschen Stel-
len haben die überfälligen Debatten erst ermöglicht, die seit einem Jahr international
und in Deutschland geführt werden. Der Fall Snowden verdeutlicht im besonderen
Maße die Notwendigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern sowie ihres
rechtlichen Schutzes. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass Deutschland dem po-
litisch Verfolgten Edward Snowden kein Asyl angeboten hat.
Auch die Operation „Eikonal“, bei der der deutsche Geheimdienst datenrechtlich
geschützte Informationen an die USA weitergab, wurde von Mitarbeiterinnen und

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Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes bereits intern als Verstoß gegen Grund-
rechte bewertet (www.sueddeutsche.de). Es ist bedauerlich, dass keiner der Betei-
ligten aus Deutschland die rechtswidrige Praxis öffentlich gemacht hat, nachdem in-
terne Wege ausgeschöpft waren. Whistleblowing darf nicht in Widerspruch zu staat-
lichen Geheimhaltungsvorschriften in Militär und Geheimdiensten gestellt werden,
wenn dadurch Verletzungen von Völkerrecht, Menschenrechten oder deutschen
Rechts öffentlich gemacht werden. Der Bundestag unterstützt den Vorschlag aus der
im Auftrag des Europäischen Parlaments erarbeiteten Studie „National Programmes
for Mass Surveillance of Personal Data in EU Member States and their Compatibility
with EU Law“, das Potential für einen systematischen Schutz von Hinweisgeberin-
nen und Hinweisgebern im EU-Rechtsrahmen inklusive garantierter Immunitäten
und Asylrechte zu untersuchen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf zum Schutz und zur Förderung der Tätigkeit von
Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern vorzulegen, der folgende Schwerpunkte be-
inhaltet:
1. Ziel des Gesetzes ist, eine positive kulturelle Einstellung und gesellschaftliche

Anerkennung gegenüber Whistleblowerinnen und Hinweisgebern zu befördern
und deren Tätigkeit von der Diffamierung als Denunziantentum zu befreien.

2. Das Gesetz soll vor allem jene schützen, die wegen eigener Hinweise oder Un-
terstützungshandlungen fremder Hinweistätigkeit Vergeltungsmaßnahmen be-
fürchten müssen. Davon können Personen sowohl aus dem öffentlichen als auch
dem privaten Sektor einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte und Ge-
heimdienste betroffen sein. Geschützt werden müssen auch Personen außerhalb
klassischer Arbeitsverhältnisse wie z. B. unabhängige Beraterinnen und Berater,
Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer, Praktikantinnen und Praktikanten,
Freiwillige, vorübergehend Beschäftigte, Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter,
ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Arbeitssuchende und andere.

3. Whistleblowing wird im Gesetz als die gutgläubige Weitergabe von Informati-
onen, insbesondere über widerrechtliche Handlungen, Fehlverhalten oder allge-
meine Gefahren, die eine Bedrohung für Gesundheit, Leben, Freiheit, Umwelt
oder andere berechtigte Interessen der Einzelnen oder der Gesellschaft darstel-
len, definiert. Gutgläubigkeit liegt vor, wenn zum Zeitpunkt des Hinweises die
Überzeugung besteht, dass die Informationen wahr sind.

4. Das Gesetz muss insbesondere einschlägige Probleme in folgenden Rechtsge-
bieten lösen:
a) Im Arbeits- und Beamtenrecht ist insbesondere der Schutz gegen ungerecht-

fertigte Entlassungen und andere Formen von arbeitsplatzbezogenen Ver-
geltungsmaßnahmen (z. B. Strafversetzungen, Mobbing, Verlust von Posi-
tionen, Funktionen oder Bezügen) sicherzustellen. Dem Arbeitgeber muss
die Beweislast obliegen, dass die genannten Maßnahmen, die zum Nachteil
eines Hinweisgebers bzw. einer Hinweisgeberin ergriffen wurden, aus an-
deren Gründen als dem Whistleblowing erfolgen. Für Fälle, in denen ar-
beitsrechtliche Ansprüche zum Beispiel durch Insolvenz des Arbeitgebers
(infolge der bzw. im Anschluss an die Informationsweitergabe) ausfallen,
muss ein staatlicher Entschädigungsanspruch eingerichtet werden.

b) Im Strafrecht steht insbesondere der Schutz vor Strafverfolgung wegen üb-
ler Nachrede oder der Verletzung des Amts- oder Geschäftsgeheimnisses
im Fokus. Auch die Veröffentlichung militärischer und geheimdienstlicher
Informationen muss erlaubt sein, wenn sie Verletzungen von Menschen-
rechten, des internationalen oder des deutschen Rechts betreffen und nach

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begründeter Einschätzung des Hinweisgebers bzw. der Hinweisgeberin in-
terne Berichtswege keine Aussicht auf Erfolg versprechen. Wenn Hinweis-
geberinnen und Hinweisgeber in geregelten Verfahren Anzeigen erstatten
oder als Zeuginnen bzw. Zeugen auftreten, müssen sie hinreichenden Schutz
einschließlich des Rechts auf Nichtweitergabe ihrer personenbezogenen Da-
ten haben.

c) Im Medienrecht – insbesondere der Schutz von Medien und anderen Publi-
zierenden wie z. B. WikiLeaks, anderen Leak-Plattformen und Bloggern so-
wie der Schutz von journalistischen Quellen. Journalistinnen und Journalis-
ten, Medienschaffende sowie sonstige Personen, die Verschlusssachen er-
halten und verbreiten, dürfen dafür nicht haftbar gemacht werden.

5. Das Gesetz muss die Einrichtung verlässlicher Berichtswege garantieren:
a) Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber müssen frei zwischen interner und

behördlicher Offenlegung ihres Wissens wählen können. Sie müssen weiter
das Recht erhalten, sich an die Öffentlichkeit oder die einzurichtende Om-
budsstelle zu wenden, insbesondere wenn die Warnungen intern oder ge-
genüber der Behörde erfolglos geblieben sind oder es sich um eine Notfall-
situation handelt. Ihnen soll es jederzeit freistehen, eine Petition bei den zu-
ständigen Stellen einzureichen. Die Petentinnen und Petenten sind vor Be-
nachteiligungen durch Dritte effektiv zu schützen.

b) Unternehmen, Behörden und Organisationen werden verpflichtet, ein inter-
nes Hinweissystem einzurichten. Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern
muss es möglich sein, eine angemessene Untersuchung einer Beschwerde
und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen erreichen zu können.

c) Es soll eine unabhängige Ombudsstelle für Hinweisgeberinnen und Hin-
weisgeber eingerichtet werden. Diese Einrichtung wird damit beauftragt,
Beschwerden über Benachteiligungen und/oder unsachgemäße Untersu-
chungen von Hinweisen entgegenzunehmen und hierzu Ermittlungen vor-
zunehmen. Sie muss über angemessene Durchsetzungs- und Weiterverfol-
gungsmechanismen verfügen.

d) Die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber müssen das Recht auf Informa-
tion über den Fortgang, den zeitlichen Ablauf und das Ergebnis der Unter-
suchungen nach ihrer Offenlegung haben.

6. Anonymes Whistleblowing ist zu ermöglichen. Die Identität von Hinweisgebe-
rinnen und Hinweisgebern ist zu schützen und vertraulich zu behandeln. Sie darf
nicht ohne Zustimmung der Betroffenen offenbart werden.

7. Das Gesetz muss einen Anspruch auf Ersatz von Schäden durch erlittene Re-
pressalien oder Vergeltungsmaßnahmen infolge des rechtmäßigen Whistleblo-
wings gegenüber den Verursachern beinhalten. Dieser sollte sich auch auf im-
materielle Schäden und zu erwartende Folgeschäden einschließlich Rechtsver-
folgungskosten wie z. B. Mediation und Anwaltsleistungen erstrecken. Für Hin-
weisgeberinnen und Hinweisgeber, die vor Inkrafttreten des Gesetzes betroffen
waren, sind adäquate Lösungen zu finden. Hinweisgeberinnen und Hinweisge-
bern muss es außerdem möglich sein, alle nach verständiger Würdigung als
rechtswidrig eingeschätzte Tätigkeiten zu verweigern.

8. Das Gesetz muss Handlungen, die Hinweise durch Hinweisgeberinnen und Hin-
weisgeber stören oder bestrafen, wirksam sanktionieren. Dieses Verhalten soll
selbst als Fehlverhalten angesehen werden und straf-, zivil- und arbeitsrechtliche
Konsequenzen nach sich ziehen können. Eine zum Nachteil des Hinweisgebers
von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarung ist gesetzlich für
unwirksam zu erklären.

9. Durch das Gesetz wird eine unabhängige öffentliche Einrichtung für Whist-
leblowing geschaffen, die zum Whistleblowing berät, die Wirksamkeit der

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Whistleblowing-Maßnahmen beobachtet und regelmäßig überprüft. Dabei sind
Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und zivilgesellschaftliche Organisatio-
nen einzubeziehen. Zu ihren Aufgaben gehört es außerdem, die Umsetzung und
die Auswirkung des Gesetzes auf das Whistleblowing zu überwachen und in
regelmäßigen Abständen zu bewerten. Sie sollte ein öffentliches Bewusstsein
für Whistleblowing fördern, damit die Rechte umfassend genutzt werden und
sich eine breitere kulturelle Akzeptanz solcher Handlungen etabliert.

10. Das Gesetz soll öffentliche und private Einrichtungen ermächtigen, Hinweisge-
berfälle öffentlich zu machen und regelmäßig über dadurch bekannt gewordene
oder vermiedene Schäden, Verfahren und deren Ergebnisse einschließlich Scha-
densausgleichs- und Rückforderungen unter Beachtung datenschutzrechtlicher
Belange zu berichten.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiter auf,

die gesetzlichen Neuregelungen mit einem Maßnahmenpaket zu flankieren, das
mindestens folgende Aspekte beinhaltet:
1. Mehr Zivilcourage in Ausbildung, Privatleben und Beruf fördern und unterstüt-

zen. Die Gesellschaft braucht eine neue Kultur des Hinschauens und des Sich-
einmischens.

2. Öffentlich darüber aufklären, welchen Stellenwert das persönliche Engagement
des und der Einzelnen in einer Demokratie besitzt und dass der kritische Blick
und der verantwortungsvolle Beitrag zur Verhinderung und Aufklärung von
Straftaten und anderen Missständen ausdrücklich gewünscht sind. Whistleblo-
wing muss klar von der Unterstellung der Denunziation abgegrenzt werden.

3. Die Verdienste Edward Snowdens anerkennen und ihn durch das Angebot, Asyl
und Schutz in Deutschland zu garantieren, unterstützen.

4. Grundsätze für interne Hinweisgebersysteme, die sicher und leicht zugänglich
sind und eine gründliche, rechtzeitige und unabhängige Untersuchung von Hin-
weisen sicherstellen, erarbeiten.

5. Interne Hinweisgebersysteme als „best practice“ für Unternehmensführungen
im Rahmen des Deutschen Corporate Governance Kodex und in den Führungs-
leitlinien (Codes of Conduct) möglichst aller Wirtschaftsunternehmen veran-
kern.

6. Informationskampagnen, Forschungstätigkeiten und die Sammlung sowie Ver-
öffentlichung von Daten zum Nutzen von Whistleblowing für die Allgemeinheit
unterstützen.

7. Weitergehende Maßnahmen, die die Kontrolle und Transparenz in der globali-
sierten Lieferkette von Erzeugnissen und Produkten stärken, ergreifen.

8. Nichtstaatliche Organisationen, die zur positiven Entwicklung der allgemeinen
Einstellung gegenüber der Tätigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern
beitragen und ein Beratungsangebot für Unternehmen, Behörden und Organisa-
tionen, die ein internes Verfahren für Whistleblowing etablieren wollen, finan-
ziell unterstützen.

9. EU-rechtliche Absicherung von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern inklu-
sive eines Rechts auf Immunität und Asyl im Falle politischer Verfolgung un-
terstützen.

Berlin, den 4. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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Begründung

In Deutschland deckten Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber millionenfache Steuerhinterziehung auf. Ohne
den Hinweis eines LKW-Fahrers wären verdorbene Schlachtabfälle zu Lebensmitteln verarbeitet und an Ver-
braucherinnen und Verbraucher verkauft worden. Durch das Einschreiten einer Tierärztin wurden die ersten
BSE-Fälle öffentlich. Altenpflegerinnen und Altenpfleger wiesen auf Notstände in einzelnen Pflegeheimen und
die unzureichende Pflege und Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen hin. Eine Berliner Ärztin themati-
sierte den Versorgungsnotstand in Krankenhäusern. Trotz ihrer unbestrittenen Verdienste für die Gesellschaft
mussten alle Personen in den genannten Fällen Repressalien bis hin zum Arbeitsplatzverlust sowohl in der
privaten Wirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst erleiden. Weitere Fälle in Deutschland hat die Ausstellung
„Hinweisgeber in Deutschland“ fundiert aufgearbeitet und zusammengetragen.

Potenzielle Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber verzichten oftmals aus Angst vor Arbeitsplatzverlust oder
Schadensersatzandrohung auf die Offenlegung ihres Wissens. Häufig sehen sie keine Chance, etwas zu verän-
dern oder leben in einem Umfeld, in dem Whistleblowing als etwas Verwerfliches betrachtet wird. In einer
demokratischen Öffentlichkeit besteht jedoch ein Anspruch auf Offenlegung und kritische Überprüfung solcher
Informationen.

Weder § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 84 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) noch das Beamten-
recht (vgl. § 37 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – und §§ 60 ff. Bundesbeamtengesetz – BBG) bieten in
Deutschland einen wirksamen Schutz für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber gegenüber ihren Arbeitgebe-
rinnen und Arbeitgebern. Die Normen sind intransparent, unklar und bieten keine Rechtssicherheit. Die Situa-
tion in Deutschland verdeutlicht die im November 2013 veröffentlichte EU-weite Studie „Whistleblowing in
Europe: Legal Protection for Whistleblowers in the EU“, finanziell gefördert durch die Europäische Kommis-
sion und in Auftrag gegeben von Transparency International (www.transparency.org und http://whistleblower-
net.de).

Für Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte im öffentlichen Dienst ist die Situation besonders schwierig,
da ihre Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichten quasi Verfassungsrang haben. Ein Gutachten des Wissen-
schaftlichen Dienstes des schleswig-holsteinischen Landtages, in dem die Spielräume für Whistleblowerschutz
auf Landesebene für Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte des Landes und der Kommune untersucht
wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass „[…] in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage, die die Zulässig-
keitsvoraussetzung des Whistleblowing normiert, eine Rechtsunsicherheit verbleibt.“ (Umdruck 18/3198 vom
22. Juli 2014 sowie Heribert Prantl, Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 12. August 2014 „Pfeifen ver-
boten“: www.sueddeutsche.de).

Das Aufkommen von Internetplattformen wie WikiLeaks ist letztlich vor allem eine Reaktion auf das Versagen
klassischer Ansprechpartner im Umgang mit Whistleblowern. Wo Organisationen nicht verantwortlich mit in-
ternen Hinweisgeberinnen und Whistleblowern umgehen, staatliche Stellen nicht hinreichend ermitteln, das
Recht keinen hinreichenden Schutz bietet und auch investigativer Journalismus vor allem aufgrund ökonomi-
scher Zwänge ein Schattendasein führt, suchen verzweifelte Hinweisgeberinnen und Whistleblower nach an-
deren Möglichkeiten mit ihrer Botschaft gehört zu werden. Enthüllungsplattformen müssen auch rechtlich vor
Übergriffen und Verfolgungen, gleich ob durch öffentliche oder private Stellen, geschützt werden.

In Großbritannien und den USA wurden nach mehreren Katastrophen, bei denen Menschen starben, Gesetze
zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Whistleblowern erlassen. Die Untersuchungen der Fälle hatten erge-
ben, dass es bereits im Vorfeld der Katastrophen interne Warnungen gegeben hatte, die jedoch nicht beachtet
oder nicht wahrgenommen wurden. Einige Länder haben mittlerweile unabhängige Organisationen eingerich-
tet, die für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber Ansprechpartner und Berater sind (z. B. PCAW (Public Con-
cern at Work) in Großbritannien oder FAIR (Federal Accountability Initiative for Reform) einer kanadischen
Whistleblowing Organisation).

Eine gute Whistleblowing-Gesetzgebung benötigt immer mehrere Beschwerdealternativen. Geschlossene Sys-
teme führen oft zum Nachteil der öffentlichen Interessen. Problematisch ist vor allem, wenn die internen Hie-
rarchien in Unternehmen oder Behörden die Weitergabe von Missbrauchsanzeigen nicht zulassen oder der Be-
trug zum Geschäftsmodell eines Unternehmens zählt.

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