BT-Drucksache 18/2604

Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA zurückweisen

Vom 24. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2604
18. Wahlperiode 24.09.2014
Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,

Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Thomas
Lutze, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Dr. Sahra Wagenknecht und
der Fraktion DIE LINKE.

Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA zurückweisen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Verhandlungsdelegationen von EU-Handelskommissar Karel de Gucht und dem
kanadischen Handelsminister Ed Fast haben ihre weitgehend im Geheimen erfolgten
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union
und Kanada (CETA) abgeschlossen. Das Verhandlungsergebnis soll nach jetzigem
Informationsstand Ende September 2014 während des EU-Kanada-Gipfels para-
phiert werden. Der finalisierte CETA-Text ist am 13. August 2014 in der englischen
Fassung auf der Internetseite der ARD-Tagesschau veröffentlicht worden. Eine deut-
sche Übersetzung ist erst nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung für das
Ratifizierungsverfahren vorgesehen und wird daher vermutlich erst 2015 vorliegen.

Die 521 Seiten lange englische Fassung des CETA-Vertragstextes und die ebenfalls
nur auf Englisch verfügbaren, rund 1 000 Seiten umfassenden Anhänge enthalten
Investitions- und Handelsregeln für nahezu alle Wirtschaftsbereiche. Der Ver-
tragstext widerspricht den wiederholten Erklärungen des EU-Handelskommissars
de Gucht, dass europäische Sozial-, Umwelt-, Arbeitsrecht- und Verbraucherschutz-
standards vollumfänglich gewahrt werden sollen. Vielmehr findet sich im Ver-
tragstext eine Fülle von weit reichenden Liberalisierungsgeboten, die diese Stan-
dards entweder gefährden oder aufgrund dehnbarer Bestimmungen nicht garantieren
(Consolidated CETA Text, S.184). Gleichfalls widerspricht der Vertragstext der so-
wohl von der EU-Kommission als auch von der Bundesregierung wiederholt erklär-
ten Absicht, die öffentlichen Dienstleistungen und den Kulturbereich keinem zusätz-
lichen Privatisierungsdruck auszusetzen. Nur einige wenige Bereiche wie etwa die
Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, der Luftverkehr und audiovisuelle Dienstleistun-
gen sind explizit von den Bestimmungen des Vertragskapitels „Cross-Border Trade
in Services“ ausgenommen (Consolidated CETA Text, S.188).

Trotz der breiten zivilgesellschaftlichen und auch von Mitgliedern der Bundesregie-
rung, geäußerten Kritik am einseitigen Investorenschutz, der, so das Bundeswirt-
schaftsministerium, „in Übereinkommen mit OECD-Staaten grundsätzlich (…)
nicht erforderlich“ sei (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage
7 auf Bundestagsdrucksache 18/412), enthält der CETA-Vertragstext umfangreiche,
Drucksache 18/2604 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
einseitige Klagerechte von Unternehmen gegen die Vertragsstaaten. Die Veranke-
rung der so genannten UNCITRAL-Transparenzregeln im CETA-Investorenschutz-
kapitel entkräftet in keiner Weise die grundsätzliche Kritik an der Form und der Not-
wendigkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS), zumal den Schiedsgerich-
ten das Recht zugestanden wird, „vertrauliche und geschützte Informationen“ zu de-
finieren, die nicht dem Transparenzgebot unterliegen (Consolidated CETA Text, S.
174).

Der CETA-Vertragstext schreibt die seit langem u. a. von zivilgesellschaftlichen
Gruppen, Gewerkschaften, Verbänden und kritischen Handelsexpert/-innen kriti-
sierte Praxis fest, „drei Schiedsrichter“ (Consolidated CETA Text, S. 472-478), die
aus privaten und an reger Klagetätigkeit interessierten Großkanzleien stammen, über
die Klagen ohne Berufungsmöglichkeit entscheiden zu lassen (Consolidated CETA
Text, S. 177). Angesichts der Erfahrung mit weltweit 568 bekannt gewordenen
ISDS-Klagefällen (Stand: Ende 2013), bei denen es vielfach zu grotesken, grund-
sätzlich nicht anfechtbaren Urteilen kam, ist zu befürchten, dass auch das im CETA-
Vertragstext enthaltene Exklusiv-Klagerecht von international tätigen Unternehmen
für milliardenschwere Klagen genutzt wird.

Vertreter der Bundesregierung haben mehrfach geäußert, dass es keiner ISDS-Ver-
fahren bedarf, wenn Vertragsstaaten über entwickelte Rechtssysteme verfügen und
allen Unternehmen – unabhängig von ihrer Herkunft – gleiche Rechte gewähren.
Diese Auffassung kann, wie die seit Monaten anhaltende ISDS-Debatte zeigt, als
Minimalkonsens einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit gelten.

Aufgrund der Bedeutung der beiden geplanten Freihandelsabkommen der EU mit
Kanada beziehungsweise mit den USA (TTIP) für nahezu alle Politikbereiche ist die
sorgfältige Prüfung der Verhandlungsergebnisse unabdingbar. Völlig unangemessen
ist es deshalb, den Bundesländern nur eine Frist von drei Wochen für eine Stellung-
nahme zu dem 1 500-seitigen und bislang nur auf Englisch vorliegenden CETA-
Verhandlungsergebnis zu gewähren. Die Bundesregierung habe den CETA-Text mit
der Anmerkung weitergeleitet, „dass umfassende Änderungsanträge nicht mehr ziel-
führend wären“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 23./24.
August 2014.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das finalisierte CETA-Verhandlungsergebnis vor der Paraphierung sowohl in
den EU-Gremien als auch in der Öffentlichkeit als nicht annehmbar zurückzu-
weisen und sich im Rat für eine Ablehnung des Verhandlungsergebnisses der
Kommission einzusetzen;

der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten mitzuteilen, dass Deutschland
weder beim CETA-Abkommen mit Kanada noch beim Freihandels- und Inves-
titionsabkommen mit den USA (TTIP) Investor-Staat-Schiedsverfahren akzep-
tieren wird;

sich mit allen politischen und juristischen Mitteln dafür einzusetzen, dass CETA
und im gleichen Sinne auch TTIP als gemischte Abkommen bewertet werden;

sich im Rat einer „vorläufigen Anwendung“ (provisional implementation) des
CETA-Vertragstextes nachdrücklich zu widersetzen;

dem Bundestag und den Bundesländern unverzüglich eine deutsche Überset-
zung des Vertragstextes zuzuleiten und den Bundesländern nach Erhalt dieser
Übersetzung hinreichend Zeit für eine qualifizierte Stellungnahme zu geben.

Berlin, den 23. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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