BT-Drucksache 18/2516

Neue Herausforderungen der Wettbewerbspolitik im digitalen Zeitalter - Antworten auf die Marktmacht von global agierenden IT-Unternehmen wie Google, Facebook und Co.

Vom 9. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2516
18. Wahlperiode 09.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Konstantin von Notz,
Dieter Janecek, Markus Tressel, Ulle Schauws, Renate Künast,
Dr. Thomas Gambke, Tabea Rößner, Ekin Deligöz, Matthias Gastel, Kai Gehring,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Stephan Kühn
(Dresden), Nicole Maisch, Irene Mihalic, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Markus Tressel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Herausforderungen der Wettbewerbspolitik im digitalen Zeitalter –
Antworten auf die Marktmacht von global agierenden IT-Unternehmen
wie Google, Facebook und Co.

Die nationale und europäische Wettbewerbspolitik steht bei digitalen, global
agierenden Unternehmen vor neuen Herausforderungen. Die klassischen kartell-
rechtlichen und wettbewerbspolitischen Instrumente stoßen hier an ihre Gren-
zen. Im Angesicht von Unternehmen wie Google oder Facebook, deren Ge-
schäftsmodelle unter anderem auf der Erhebung, Nutzung und dem Weiterver-
kauf personenbezogener Daten basieren, bedarf es neuer Antworten auf Fragen
von Marktmacht und Marktmissbrauch.
Viele Wirtschaftsbereiche sind immer stärker von der Marktmacht global
agierender IT-Unternehmen betroffen. Das aktuelle Verfahren der Europäischen
Kommission gegen Google verdeutlicht exemplarisch damit verbundene Pro-
blematiken. Im EU-Verfahren geht es vor allem um die visuelle Privilegierung
von Google-Suchdiensten für Produkte und Dienstleistungen zum Nachteil un-
abhängiger Wettbewerber. Zudem werden die Geschäftspraktiken von Google
für die Vergabe und Ausgestaltung von Werbeflächen auf wettbewerbsverzer-
rende Elemente hin untersucht.
Die Marktmacht von global agierender IT-Unternehmen wie Google geht weit
über den digitalen Sektor hinaus. Das genaue Wissen um die Präferenzen der
Nutzerinnen und Nutzer ermöglicht auch die Entwicklung und Bewerbung maß-
geschneiderter Produkte der materiellen Wirtschaft. Dieser Wissens- und damit
Wettbewerbsvorteil kann zielgerichtet gegenüber Konkurrenzunternehmen ge-
nutzt werden.
Wenige große, global agierende Firmen haben heute Marktanteile, die die Frage,
ob hier eine kartellrechtlich relevante, marktbeherrschende Stellung vorliegt,
gerechtfertigt erscheinen lässt. Auch stellt sich die Frage, welchen Einfluss die
zielgerichtete Steuerpolitik der USA und einiger Mitgliedstaaten der Europä-
ischen Union für den Aufstieg dieser Unternehmen zu Marktführern hatte und
weiterhin hat. Grundsätzlich ist zu erörtern, ob und wie der Ruf nach einer der-
zeit öffentlich diskutierten verbesserten kartellrechtlichen Regulierung bis hin
zu einer „Zerschlagung“ dieser Unternehmen, die heute zu den größten der Welt

Drucksache 18/2516 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
gehören, mit den – auf bundesdeutscher und europäischer Ebene – zur Verfü-
gung stehenden rechtlichen Mitteln realisierbar wäre und welche Alternativen
dazu sinnvoll und umsetzbar wären.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche global agierenden IT-Unternehmen verfügen nach Einschätzung der

Bundesregierung über eine Marktmacht in Deutschland und der Europä-
ischen Union (EU), die einen funktionsfähigen Wettbewerb gefährdet?

2. Welche Notwendigkeit sieht die Bundesregierung, die Marktmacht global
agierender IT-Unternehmen auf nationaler und europäischer Ebene einzu-
dämmen?

3. Welche nationalen kartell- und/oder wettbewerbsrechtlichen Möglichkeiten
wären nach Einschätzung der Bundesregierung angemessen, realisierbar
und wirksam, um die Marktmacht global agierender IT-Unternehmen auf
nationaler und europäischer Ebene effektiv einzudämmen?

4. Reichen die derzeit existierenden Mechanismen der Wettbewerbspolitik
nach Ansicht der Bundesregierung aus, um Marktkonzentrationen und
Marktmissbrauch global agierender IT-Unternehmen auf nationaler und
europäischer Ebene effektiv zu begegnen, und falls dies nicht der Fall ist,
welche Reformen des nationalen und europäischen Wettbewerbsrechts sieht
die Bundesregierung als notwendig an, um den neuen Herausforderungen
der digitalen Wirtschaft zu begegnen?

5. Welche konkreten Vorschläge hat die Bundesregierung zur „kartellrechts-
ähnlichen Regulierung“ bzw. „Entflechtung“ von Google, wie sie der Bun-
desminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ in Aussicht gestellt hat (www.faz.net vom 15. Mai
2014)?

6. Welche konkreten Initiativen plant die Bundesregierung in dieser Legis-
laturperiode, um die Fragen von Marktmacht und Marktmissbrauch global
agierender IT-Unternehmen auf nationaler und europäischer Ebene anzuge-
hen (bitte hierfür einen konkreten Zeitplan angeben)?

7. Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um
die deutsche Digitalwirtschaft zukünftig zu stärken und für das hierfür not-
wendige Innovations- und Investitionsklima zu sorgen?

8. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem derzeit laufenden
Wettbewerbsverfahren der Europäischen Kommission gegen Google für die
Instrumente der Wettbewerbspolitik auf europäischer und nationaler Ebene,
und wie beurteilt sie die bisherigen Ergebnisse?

9. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Position verschiedener Unterneh-
merinnen und Unternehmer der digitalen Wirtschaft, wonach die bisher vor-
geschlagenen Vereinbarungen zwischen der Europäischen Kommission und
Google die Marktmacht Googles nicht behebt, sondern sogar noch weiter
verschärft (vgl. „Search Neutrality.org“)?

10. Haben Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach
Kenntnis der Bundesregierung politischen Einfluss auf die Entscheidungen
der Generaldirektion für Wettbewerb der Europäischen Kommission in Be-
zug auf Google genommen, war die Bundesregierung darunter, und inwie-
weit unterstützt die Bundesregierung eine solche Einflussnahme im Hin-
blick auf die beispielsweise in Deutschland bestehenden Prinzipien, nach
denen die Wettbewerbsaufsicht durch das Bundeskartellamt unabhängig ist?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2516
11. Sieht die Bundesregierung angesichts der Beschwerde von zwölf deutschen
Verlagen beim Bundeskartellamt gegen die Firma Google aufgrund einer
möglichen missbräuchlichen Ausnutzung seiner Marktmacht die Notwen-
digkeit, auf bundesdeutscher und europäischer Ebene bestehende gesetz-
liche Grundlagen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Zielgenauigkeit zu
überprüfen, und wenn ja, welche, und wie?

12. Sieht die Bundesregierung angesichts der Beschwerde von IMPALA, einem
europäischen Independent-Verband, gegen das zu Google gehörende Video-
portal YouTube bei der Europäischen Kommission aufgrund seiner miss-
bräuchlichen Marktmacht gegen unabhängige Musikunternehmen und
Künstlerinnen und Künstler die Notwendigkeit, auf bundesdeutscher und
europäischer Ebene bestehende gesetzliche Grundlagen hinsichtlich ihrer
Wirksamkeit und Zielgenauigkeit zu überprüfen, und wenn ja, welche, und
wie?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung unter wettbewerbspolitischen Aspekten
das Geschäftsmodell zur Personenbeförderung des Unternehmens „Uber“,
an dem das Unternehmen Google finanziell beteiligt ist, und ist dieses nach
Auffassung der Bundesregierung mit den bestehenden deutschen Rechts-
vorschriften vereinbar (beispielsweise mit der Verordnung über den Betrieb
von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr)?

14. Welche Unternehmensbeteiligungen bzw. -übernahmen Googles betrachtet
die Bundesregierung aus wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten als kri-
tisch, und bezüglich welcher Unternehmen sieht die Bundesregierung sich
heute bereits abzeichnende, ähnlich gelagerte Probleme aus regulatorischer
Sicht (bitte auflisten und einzeln begründen)?

15. Sieht die Bundesregierung angesichts der Grenzen der europäischen Wett-
bewerbspolitik, die Marktmacht global agierender digitaler Unternehmen
zu beschränken, die Notwendigkeit, in einen bilateralen Dialog mit den
USA zu treten bzw. pluri- oder multilateral neue Lösungen für die Begren-
zung der Marktmacht solcher Unternehmen zu finden, und wenn ja, welche
Schritte wurden hierfür bisher konkret unternommen?

16. Falls die Bundesregierung bzw. die Europäische Kommission bereits in
einem solchen Dialog steht, welche Ergebnisse wurden hierbei bisher
erzielt, und welche Ergebnisse strebt die Bundesregierung bzw. die Euro-
päische Kommission nach Kenntnis der Bundesregierung an?

17. Welche Rolle spielt nach Ansicht der Bundesregierung die Steuerpolitik der
USA bzw. einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Union beim Aufstieg
zur Marktführerschaft global agierender IT-Konzerne, und welche Schluss-
folgerungen und Konsequenzen zieht sie aus dieser Politik?

18. Teilt die Bundesregierung die Forderung von Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel, einen Mindeststeuersatz für Unternehmen in Europa einzu-
führen und dafür zu sorgen, dass digitale Unternehmen ihre Steuern am Ort
der Wertschöpfung zahlen und nicht in Steueroasen verschieben können
(www.faz.net vom 15. Mai 2014)?

19. Falls die Bundesregierung diese Forderung von Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel teilt, welche konkreten Initiativen plant sie hierzu in dieser
Legislaturperiode, und gibt es innerhalb der Bundesregierung bereits Über-
legungen, wie hoch dieser Steuersatz sein soll?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Diskussions-
papier „Tax Challenges of the Digital Economy“ der Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und aus dem Exper-
tenbericht der Europäischen Kommission zur Besteuerung der Digitalen
Wirtschaft?

Drucksache 18/2516 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
21. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die deutsche Steuerpolitik,
das deutsche Außensteuerrecht und/oder die deutschen Doppelbesteue-
rungsabkommen im Hinblick auf die besonderen Probleme bei der Besteue-
rung der Digitalen Wirtschaft anzupassen, und wenn ja, welche Anpassun-
gen will sie diesbezüglich vornehmen?

22. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Definition der Betriebs-
stätte („permanent establishment“) im Hinblick auf die besondere Proble-
matik der Besteuerung der Digitalen Wirtschaft anzupassen, und wenn ja, in
welcher Weise?

23. Sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, digitale Dienstleistungen
mit einer Quellensteuer zu belegen, und wenn ja, wie müsste eine solche
Quellensteuer ausgestaltet sein?

24. Inwieweit spielen wettbewerbsrechtliche Fragen im Hinblick auf Beschrän-
kungen von Monopolen und Kartellen eine Rolle in den derzeitigen Ver-
handlungen für das Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA
(TTIP)?

25. Haben nach Ansicht der Bundesregierung die in völkerrechtlichen Verträ-
gen wie TTIP oder CETA (europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen)
enthaltenen Verpflichtungen zum Respekt vor intellektuellem Eigentum er-
schwerende Auswirkungen auf künftige Verfahren zur Bekämpfung von
Monopolen und Vormachtstellungen digitaler Unternehmen?
a) Könnten sich nach Auffassung der Bundesregierung diese Unternehmen

aufgrund solcher Verpflichtungen leichter gegen Konkurrenten wehren?
b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Auswirkungen?

26. Stellt es nach Ansicht der Bundesregierung ein Problem dar, dass sich Kar-
tellbehörden aufgrund der bestehenden Rechtslage bei Internetdienstleistern
vorrangig mit Wettbewerbsproblemen zum Nachteil von (kommerziellen)
Inhalteanbietern und Werbetreibenden befassen (primäre Marktebene),
während etwaige Probleme des Zugriffs auf die Nutzerdaten (sekundäre
Marktebene) bislang nur sehr mittelbar adressiert wurden (vgl. Zwanzigstes
Hauptgutachten der Monopolkommission), und welche Lösungsansätze
verfolgt die Bundesregierung hierbei, beispielsweise hinsichtlich einer ver-
stärkten Zusammenarbeit von Monopolkommission und Datenschutzauf-
sicht?

27. Sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit der wettbewerbsrechtlichen
Regulierung sogenannter Plattformmärkte wie Facebook oder Ebay, deren
Attraktivität mit der Anzahl der Nutzer steigt und in De-facto-Monopolen
mündet, und falls ja, welche wettbewerbspolitischen Instrumente würden
sich aus Sicht der Bundesregierung hierfür eignen?

Berlin, den 8. September 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.