BT-Drucksache 18/2088

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1 - Kommunales Ausländerwahlrecht)

Vom 11. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2088
18. Wahlperiode 11.07.2014

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, Renate
Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 28 Absatz 1 – Kommunales Ausländerwahlrecht)

A. Problem
Anders als Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ist es Drittstaatsangehörigen auch
nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland verwehrt, das Zusammenleben poli-
tisch mitzugestalten, da sie nicht einmal auf kommunaler Ebene an Wahlen und Ab-
stimmungen teilnehmen dürfen. Das widerspricht dem demokratischen Prinzip und
dem in ihm enthaltenen Freiheitsgedanken, eine Kongruenz zwischen den Inhabern
politischer Herrschaft und den dauerhaft einer Herrschaft Unterworfenen herzustel-
len.

B. Lösung
Durch Ergänzung von Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes soll hier lebenden
Ausländerinnen und Ausländern, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitglied-
staates der Europäischen Union besitzen, nach Maßgabe von Landesrecht das aktive
und passive Wahlrecht bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden eingeräumt werden.
Zudem soll ausdrücklich klargestellt werden, dass von demWahlrecht auch das Ab-
stimmungsrecht auf kommunaler Ebene erfasst wird.
Der Gesetzentwurf entspricht den von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in
vergangenen Wahlperioden eingebrachten Gesetzentwürfen (Bundestagsdrucksa-
chen 16/6628, 17/1150), dem Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz (Bundes-
ratsdrucksache 623/07) und demGesetzentwurf des Bundesrates vom 26. September
1997 (Bundesratsdrucksache 515/97 (Beschluss)), den der Deutsche Bundestag we-
gen des Ablaufs der 13. Legislaturperiode nicht beraten hat.

C. Alternativen
Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.

Drucksache 18/2088 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

E. Erfüllungsaufwand
Keine unmittelbaren Kosten. Mittelbar entstehen den Kreisen und Gemeinden Kos-
ten infolge der Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten.

F. Weitere Kosten
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2088

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 28 Absatz 1 – Kommunales Ausländerwahlrecht)

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2
des Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

In Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I
S. 1), das zuletzt durch … geändert worden ist, wird Satz 3 durch die folgenden Sätze ersetzt:
„Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates
der Europäischen Union besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Union, sowie Personen, die die
Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzen und die ihren ständigen Wohnsitz im Bundesgebiet haben, nach
Maßgabe des Landesrechts wahlberechtigt und wählbar. Die nach Satz 3 wahlberechtigten Personen sind auch
berechtigt, an Abstimmungen in den Kreisen und Gemeinden teilzunehmen.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 23. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/2088 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Der Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 hat allen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern das aktive
und passive Kommunalwahlrecht in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem sie ihren Wohnsitz
haben, eingeräumt. In Deutschland wurde diese Vorgabe noch vor Inkrafttreten des Vertrages durch die Ein-
führung von Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes umgesetzt. Drittstaatsangehörige hingegen sind
weiterhin auch auf kommunaler Ebene von der Teilnahme von Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen.
Wie es das Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen vom 31. Januar 2014 belegt, ist es den Ländern nach über-
wiegender Auffassung verwehrt, eine eigenständige Regelung zu treffen.
Wenn Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die seit drei Monaten in Deutschland gemeldet sind, bei Kom-
munalwahlen wählen dürfen, nicht aber Drittstaatsangehörige, die seit vierzig Jahren in Deutschland leben,
steht dies imWiderspruch zu dem demokratischen Prinzip und dem in ihm enthaltenen Freiheitsgedanken, eine
Kongruenz zwischen den Inhabern politischer Herrschaft und den dauerhaft einer Herrschaft Unterworfenen
herzustellen.1 Millionen von Menschen werden gehindert, über die sie betreffenden Belange – etwa die Ver-
wendung öffentlicher Gelder, die auch durch ihre Steuerzahlungen generiert werden – zu entscheiden und für
die kommunalen Entscheidungen Verantwortung zu tragen. In Stadtteilen mit hohemAusländeranteil entstehen
so regelrecht „demokratiefreie“ Zonen; die Mehrheit wird dort zur Minderheit.
Der Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige steht das von der Ewigkeitsklausel (Ar-
tikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes) geschützte Demokratieprinzip nicht entgegen. Zwar hat das Bundesver-
fassungsgericht in seinen Entscheidungen von 1990 noch behauptet, es gebe einen unauflöslichen Zusammen-
hang zwischen Volkssouveränität und Staatsangehörigkeit.2 Die Einführung des Kommunalwahlrechts für Uni-
onsbürgerinnen und Unionsbürger hat aber bestätigt, dass die Annahme einer Einheitlichkeit der demokrati-
schen Legitimationsgrundlage auf allen Stufen des Staatsaufbaus hinfällig ist.3 Denn wenn Unionsbürgerinnen
und Unionsbürger nun an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, so ergibt sich die Legitimität des Wahlergeb-
nisses nicht mehr aus der deutschen Staatsangehörigkeit der Wählerinnen und Wähler. Dass das Kommunal-
wahlrecht der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger im Einklang mit dem von der Ewigkeitsklausel geschütz-
ten Demokratieprinzip steht, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Dann aber kann auch die Erweiterung des
Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Denn
wenn das Kommunalwahlrecht von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern nicht gegen die Ewigkeitsklausel
verstößt, da diese eine strikte Verbindung zwischen deutscher Staatsangehörigkeit und Wahlrecht nicht ver-
langt, dann kann eine solche strikte Verbindung auch gegenüber Drittstaatsangehörigen nicht ins Felde geführt
werden.4

Für eine Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige spricht auch, dass sich die körper-
schaftliche Legitimation der kommunalen Selbstverwaltung von der staatsrechtlichen Legitimation von Ho-
heitsgewalt unterscheidet. Denn das von Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes geschützte Selbstverwaltungs-
recht der Kommunen soll im Wesentlichen sicherstellen, dass Menschen, die von den Angelegenheiten der
örtlichen Gemeinschaft betroffen sind, diese auch selbst regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
betreffen aber alle Einwohnerinnen und Einwohner einer Kommune, unabhängig von ihrer Staatsangehörig-
keit.5

1 vgl. abw. Meinung der Richterin Prof. Dr. Sacksofsky zum Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen vom 31. Januar 2014 – St 1/13; Gutachten
von Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich K. Preuß zum Bericht und Dringlichkeitsantrag des nichtständigen Ausschusses „Ausweitung des Wahlrechts“
der Bremischen Bürgerschaft vom 16. Januar 2013, Anlage 4 zu Drs. 18/731; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5.
November 1993, BR-Drs. 800/93, S. 98.

2 BVerfGE 83, 37; 83, 60.
3 Gutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich K. Preuß zum Bericht und Dringlichkeitsantrag des nichtständigen Ausschusses „Ausweitung des

Wahlrechts“ der Bremischen Bürgerschaft vom 16. Januar 2013, Anlage 4 zu Drs. 18/731.
4 vgl. abw. Meinung der Richterin Prof. Dr. Sacksofsky zum Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen vom 31. Januar 2014; Stellungnahme von

Dr. Felix Hanschmann in der Öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages vom 22. September 2008, Ausschuss-
drucksache 16(4)495 F; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. November 1993, BR-Drs. 800/93, S. 98.

5 vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig in der Öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages vom
22. September 2008, Ausschussdrucksache 16(4)495 A.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2088

Schließlich steht die fehlende Möglichkeit der politischen Partizipation von Drittstaatsangehörigen in einem
unauflösbaren Widerspruch zu dem überparteilichen integrationspolitischen Konsens. Um den gesellschaftli-
chen Zusammenhalt zu wahren, zu stärken und zu gestalten, müssen Integration und Partizipation Hand in
Hand gehen. Die Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige würde die Integrationsbe-
mühungen von Drittstaatsangehörigen unterstützen und damit im Interesse der gesamten Gesellschaft liegen.6

Die Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige findet zahlreiche Unterstützer in der Zi-
vilgesellschaft. In anderen Staaten ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige bereits Realität. Dazu
gehören 16 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Teilweise ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsan-
gehörige von einer gewissen Aufenthaltsdauer abhängig, teilweise wird es aufgrund bilateraler Verträge ge-
währt, wenn beide Vertragsstaaten den jeweiligen Staatsangehörigen das Kommunalwahlrecht einräumen.7 In
Island und Norwegen bestehen ähnliche Regelungen, ebenso in manchen Kantonen der Schweiz. Gleiches gilt
für etliche Staaten außerhalb Europas, etwa Chile, Neuseeland und Uruguay.8

B. Besonderer Teil

Die Änderung von Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes ermöglicht die Beteiligung aller Einwohne-
rinnen und Einwohnern an den Kommunalwahlen.
Der neue Artikel 28 Absatz 1 Satz 4 des Grundgesetzes stellt klar, dass Ausländerinnen und Ausländern neben
demKommunalwahlrecht auch das Abstimmungsrecht auf kommunaler Ebene besitzen. Damit werden bislang
bestehende Zweifel bei der Auslegung von Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes ausgeräumt. In den Ländern,
in denen keine plebiszitären Elemente auf kommunaler Ebene existieren, findet Artikel 28 Absatz 1 Satz 4
keine Anwendung.

6 vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. Klaus Sieveking in der Öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages vom 22. Sep-
tember 2008, Ausschussdrucksache 16(4)495 E.

7 http://mediendienst-integration.de/artikel/kommunalwahlrecht-auslaender-schleswig-holstein.html (Stand 26.05.2014).
8 vgl. Sieveking, Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige – „kosmopolitische Phantasterei“ oder Integrationsrecht für Einwanderer?,

ZAR 2008, 121 (122) m.w.N., Protokoll Nr. 16/74 der Öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages vom 22. Sep-
tember 2008, S. 9 und 12.

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