BT-Drucksache 18/2056

Wirksame Sanktionierung von Rechtsverstößen in Unternehmen

Vom 3. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2056
18. Wahlperiode 03.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Keul, Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksame Sanktionierung von Rechtsverstößen in Unternehmen

Korruption und andere Formen der Wirtschaftskriminalität sind Straftaten, die
verheerende Auswirkungen auf den Wettbewerb und den freien Markt und damit
auch für Unternehmen, Betriebe und Beschäftigte haben können. Durch korrup-
tes Verhalten erlangte Vorteile im freien Wettbewerb wirken sich zu Lasten ehr-
licher Mitbewerber und deren Belegschaften aus. Während sich der ganz über-
wiegende Teil der in Deutschland tätigen Unternehmen rechtskonform verhält,
richten diejenigen, die gegen Gesetze verstoßen, immense Schäden an. Das gilt
nicht nur für den Bereich der Korruption, sondern auch für andere Problem-
bereiche, wie Verletzungen von Verbraucherschutznormen, Menschenrechtsver-
letzungen durch Nutzung ausbeuterischer Arbeitsbedingungen oder Umwelt-
schädigungen. Das Vertrauen in den Rechtsstaat leidet, wenn Straftaten und
andere Rechtsverstöße, die aus Unternehmen heraus begangen werden und auf
ihren wirtschaftlichen Nutzen abzielen, nicht effektiv geahndet werden.
In Deutschland existiert kein Unternehmensstrafrecht im engeren Sinne. Die
Ahndung von Wirtschaftskriminalität, die nicht einzelnen bestimmten Personen
zugeordnet werden kann, findet mit Hilfe des Ordnungswidrigkeitenrechts statt.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat kürzlich einen Entwurf zur Einführung eines
Unternehmensstrafrechts vorgelegt. Dieser hat eine öffentliche Diskussion da-
rüber ausgelöst, wie Wirtschaftskriminalität und Korruption künftig wirksamer
eingedämmt werden können und welchen gesetzgeberischen Nachsteuerungsbe-
darf es gegebenenfalls im deutschen Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht
gibt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die den Strafverfolgungs- und

sonstigen Behörden bisher zur Verfügung stehenden Instrumente im Straf-
und Ordnungswidrigkeitenrecht zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminali-
tät bewährt, und wo sieht die Bundesregierung Nachbesserungsbedarf?

2. Sind Compliance-Systeme nach Ansicht der Bundesregierung dazu geeignet,
in Unternehmen klarere Verantwortungsstrukturen zu schaffen, oder besteht
die Gefahr, dass Entscheidungswege noch schwerer nachzuverfolgen sind?

3. Sind Compliance-Systeme aus Sicht der Bundesregierung ein präventiv wir-
kendes Instrument, das auch für kleinere und mittlere Unternehmen auch im
Hinblick auf deren wirtschaftliche Möglichkeiten effektiv nutzbar gemacht
werden kann?

Drucksache 18/2056 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Führen Compliance-Systeme nach Ansicht der Bundesregierung dazu, das
(nachweisbare) Verantwortung für Rechtsverstöße von der obersten Füh-
rungsebene auf untere Ebenen verlagert werden kann?

5. Strebt die Bundesregierung die Förderung von Compliance-Systemen
durch die Änderung rechtlicher Regelungen mit Unternehmensbezug (sei es
im Ordnungswidrigkeitenrecht, sei es im Strafrecht) an?

6. Verfügen die Strafverfolgungs- und sonstigen Behörden nach Ansicht der
Bundesregierung über ausreichend Mittel und qualifiziertes Personal, um
Bußgeldverfahren nach den §§ 130, 30 des Gesetzes über Ordnungswidrig-
keiten (OWiG) zu betreiben, und wie kann sichergestellt werden, dass die
Verfahren nicht lediglich aus einem Mangel an Ressourcen nicht oder nicht
vollständig verfolgt werden?

7. Welche Gründe sprechen nach Ansicht der Bundesregierung dafür und wel-
che dagegen, auf die §§ 130, 30 OWiG künftig das Legalitätsprinzip an-
stelle des Opportunitätsprinzip anzuwenden, um eine durchgängigere Ahn-
dung von Wirtschaftsdelikten zu erreichen, und wie könnte dies gesetzge-
berisch am besten umgesetzt werden?

8. Welche Unterschiede gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in der
Ausübung des Opportunitätsermessens zwischen den einzelnen Bundeslän-
dern bei der Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Wege
der §§ 130, 30 OWiG, und welche Gründe sind dafür nach Ansicht der Bun-
desregierung ausschlaggebend?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen der
letzten Erhöhung des Bußgeldrahmens in § 30 OWiG, und welche Schlüsse
zieht sie daraus?

10. Plant die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative, um den Bußgeldrahmen
weiter zu erhöhen?

11. Welche Möglichkeiten gibt es nach Auffassung der Bundesregierung, Ele-
mente des Öffentlichkeitsprinzips im Prozessrecht auf Bußgeldverfahren
nach den §§ 130, 30 OWiG zu übertragen?

12. Welcher Anteil an Verfahren wird nach Kenntnis der Bundesregierung im
Rahmen der §§ 29a, 30, 130 OWiG durch eine Verständigung zwischen den
Verfahrensbeteiligten (Deal) beendet oder beschränkt?
Falls hierzu keine Zahlen verfügbar sind, wie hoch schätzt die Bundesregie-
rung diesen Anteil ein?

13. Welche Auswirkungen auf die Verfahren hätte es nach Auffassung der Bun-
desregierung im Hinblick auf größere Transparenz und andere Aspekte,
wenn für Fälle des § 130 OWiG eine § 257c der Strafprozessordnung (StPO)
und § 243 Absatz 4 bzw. § 273 Absatz 1a StPO entsprechende Regelung zu
Absprachen ins Ordnungswidrigkeitenrecht eingeführt würde?

14. Hält die Bundesregierung die strafrechtliche Ahndung einer Tat rechtstech-
nisch für möglich, ohne die Anknüpfung an eine konkret festgestellte
Schuld eines Individuums?

15. Inwieweit sieht die Bundesregierung über § 30 Absatz 2 bzw. § 17 OWiG
hinaus einen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD angespro-
chenen Konkretisierungsbedarf bei den Zumessungsregeln für Unterneh-
mensgeldbußen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2056
16. Inwieweit sieht die Bundesregierung darüber hinaus einen Bedarf, das
Ordnungswidrigkeitenrecht, wie im Koalitionsvertrag angesprochen, im
Hinblick auf Straftaten im Unternehmensbereich auszubauen?
Sieht sie im Hinblick auf die Anknüpfung der §§ 30, 130 OWiG an Straf-
taten und Ordnungswidrigkeiten auch einen Ausbaubedarf im Hinblick auf
entsprechende Verstöße, die nicht Straftaten, sondern Ordnungswidrigkei-
ten sind?

17. Erwägt die Bundesregierung die Einführung eines Unternehmensstraf-
rechts?
Wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, erwägt die Bundesregierung, solche Regelungen wie im Koali-
tionsvertrag angesprochen auf multinationale Konzerne zu beschränken?
Welche Gründe sieht sie hierfür?
Wäre eine Ungleichbehandlung verschiedener Unternehmen verfassungs-
und europarechtlich zulässig, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Wie würde die Bundesregierung multinationale Konzerne von anderen
Unternehmen abgrenzen?
Sieht die Bundesregierung die Gefahr der Verantwortungsdiffusion nur bei
Konzernen?
Inwiefern sieht die Bundesregierung diese Gefahr auch bei nationalen Kon-
zernen gegeben?

18. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung bisher ergriffen, um
Unternehmen, die korruptiv oder anders wirtschaftskriminell auffällig ge-
worden sind, wirksam von der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschlie-
ßen, und welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um einen
solchen Ausschluss zukünftig durchzusetzen?
a) Erwägt die Bundesregierung hierzu die Einführung eines bundeszen-

tralen „Korruptionsregisters“, wie es von der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN in der 17. Wahlperiode vorgeschlagen (Bundestagdruck-
sache 17/11415) wurde?

b) Wenn nein, wieso lehnt die Bundesregierung ein bundeszentrales Kor-
ruptionsregister ab?

19. Wie häufig wurden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen den Jah-
ren 2009 und 2014 Verfahren gemäß § 130 Absatz 1 OWiG eingeleitet?
a) Wie viele der Verfahren wurden nach Kenntnis der Bundesregierung mit

einem Bußgeld abgeschlossen?
b) Was waren nach Kenntnis der Bundesregierung sich wiederholende

Gründe für die Einstellung von Verfahren?
c) In wie vielen der Verfahren wurde nach Kenntnis der Bundesregierung

ein Bußgeld gegen einen juristische Person gemäß § 30 OWiG verhängt?
d) In welchem Verhältnis stand nach Kenntnis der Bundesregierung das

verhängte Bußgeld zu dem durch die Ordnungswidrigkeit oder Straftat
erlangten wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmens?

e) Welche Gründe gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung dafür, wenn
Behörden, in eigentlich einschlägigen Fallkonstellationen, von einem
Verfahren gemäß § 130 Absatz 1 OWiG absehen?

Drucksache 18/2056 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
20. Wie viele Geldbußen gemäß § 30 OWiG wurden nach Kenntnis der Bun-
desregierung zwischen den Jahren 2009 und 2014 gegen juristische Perso-
nen verhängt?
a) Wie hat sich die Höhe der verhängten Geldbußen nach Kenntnis der

Bundesregierung in diesem Zeitraum entwickelt?
b) Für welche Arten von Delikten wurden nach Kenntnis der Bundesregie-

rung die höchsten Geldbußen verhängt?
c) In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die von

den Behörden verhängten Bußgeldbescheide gerichtlich überprüft und
gegebenenfalls aufgehoben?

d) In welcher Relation standen nach Kenntnis der Bundesregierung die ver-
hängten Geldbußen zu dem jeweiligen Unternehmensgewinn?

e) Welche Gründe gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung dafür, wenn
Behörden, in eigentlich einschlägigen Fallkonstellationen, von einem
Bußgeld gemäß § 30 OWiG absehen?

21. Sieht die Bundesregierung Ausbaubedarf bei der Regelung des Verfalls in
§ 29a OWiG?
Wenn ja, in welcher Hinsicht?

22. Wie oft wird nach Kenntnis der Bundesregierung § 29a OWiG bei Straftaten
und Ordnungswidrigkeiten mit Wirtschaftsbezug bzw. Korruptionsbezug
angewendet?
a) Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der als Verfall in An-

wendung des § 29a OWiG dem Staat zugeflossene Betrag (insgesamt
und nach Bundesländern aufschlüsseln) in den letzten fünf Jahren?
Wie häufig findet nach Kenntnis der Bundesregierung § 29a OWiG An-
wendung bei Straftaten, die im Unternehmensinteresse begangen wer-
den, bei denen aber kein individueller Täter festgestellt werden kann?

b) Wie häufig findet nach Kenntnis der Bundesregierung § 29a OWiG An-
wendung bei Verfahren gemäß § 130 OWiG?

c) Welche Probleme treten nach Kenntnis der Bundesregierung bei der An-
wendung in der Praxis typischerweise auf?

Berlin, den 1. Juli 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.