BT-Drucksache 18/1968

Umsatzsteuerbetrug bekämpfen

Vom 2. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1968
18. Wahlperiode 02.07.2014

Antrag
der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus,
Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Dieter
Janecek, Sven-Christian Kindler, Dr. Tobias Lindner, Brigitte Pothmer,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsatzsteuerbetrug bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Problem der Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer besteht seit langem. Insbe-
sondere durch das europäische Mehrwertsteuersystem, das in seinen Grundzügen
seit 1967 besteht, haben organisierte Kriminelle die Möglichkeit, Vorsteuererstatt-
ungen zu erhalten, ohne selber die Steuer zu entrichten. Dadurch verursachen sie in
den EU-Mitgliedstaaten hohe Steuerausfälle. Dieser in der Regel organisierte Be-
trug durch so genannte Umsatzsteuerkarusselle oder -ketten ist die wohl schäd-
lichste, aber bei weitem nicht die einzige Form des Umsatzsteuerbetrugs. Schwarz-
arbeit, geplante Insolvenzen, Abrechnungen zum falschen, zu niedrigen Steuersatz
und nicht angezeigte private Entnahmen aus Unternehmen sind weitere erwäh-
nenswerte Formen des Umsatzsteuerbetrugs.

Hohe Umsatzsteuerausfälle durch Betrug und Schwarzarbeit

Die Europäische Kommission schätzt die Mehrwertsteuerlücke 2011, die auch
legale Steuerausfälle beinhaltet, auf 193 Mrd. Euro in der gesamten EU (EU 2013:
Study to quantify and analyse the VAT Gap in the EU-27 Member States). Für die
Bundesrepublik Deutschland schätzt die Kommission Ausfälle von 27 Mrd. Euro.
Obwohl die Bundesregierung diese Zahlen explizit nicht anerkennt (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 18/568 Antwort auf Frage 26) erscheinen sie im Lichte vorliegen-
der Daten realistisch und kann als Orientierungshilfe für Betrugsausfälle herange-
zogen werden.

Laut Bundefinanzministerium betrugen die umsatzsteuerlichen Niederschlagungen
im Jahr 2012 2,7 Mrd. Euro (davon 1,45 Mrd. Euro aus Insolvenzen). Die Steuer-
fahndung sorgte 2012 für etwa 2 Mrd. Euro bestandskräftige umsatzsteuerliche
Mehreinahmen, Umsatzsteuersonderprüfungen erzielten 2,3 Mrd. Euro Mehrein-
nahmen und aus Betriebsprüfungen kommen weitere 2 Mrd. Euro hinzu. Damit
sind allein 9 Mrd. Euro Umsatzsteuer gar nicht oder nur durch Prüfungen und
Strafverfahren nachträglich erhoben worden. Hinzu kommen die Ausfälle, die
durch Schwarzarbeit entstehen. Offizielle Statistiken gibt es auch dazu nicht. Eine
Studie des Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) Tübingen und der
Universität Linz schätzt den Umsatz der Schattenwirtschaft im Jahr 2013 in der

Drucksache 18/1968 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bundesrepublik Deutschland auf 340 Mrd. Euro. Dabei entstehen weitere signifi-
kante Umsatzsteuermindereinnahmen. Das Finanzministerium aus Nordrhein-
Westfalen hat zudem das Phänomen des Betrugs durch manipulierte Registrierkas-
sen ausgemacht und sieht hier ebenfalls eine Summe von 10 Mrd. Euro als realisti-
schen Steuerausfall, der zu einem guten Teil Umsatzsteuerausfälle umfassen dürfte.
All diese Zahlen sind ein sicheres Indiz, dass die jährliche Umsatzsteuerlücke in
der Bundesrepublik Deutschland deutlich im zweistelligen Milliardenbereich lie-
gen dürfte und die Schätzung der Kommission von 27 Mrd. Euro, anders als vom
BMF bewertet, nicht unrealistisch ist. Ein guter Teil dieser Umsatz- oder Mehr-
wertsteuerlücke entsteht durch Betrug.

Bundesregierung muss aktiver werden

Die Bundesregierung ist damit dringend gefordert, ihren Kampf gegen Umsatz-
steuerbetrug zu verstärken. Bisher sind außer Sonntagsreden nur wenige und sehr
späte Reaktionen auf die bekannten Betrugsfälle zu verzeichnen. Beim Betrug im
Strom- und Gashandel laut Medienberichten in „historischen Dimensionen“ (Süd-
deutsche Zeitung vom 03.03.2014) brauchte die Bundesregierung über drei Jahre
vom Bekanntwerden erster Fälle bis zur Gesetzesänderung (vgl. Bundestagsdruck-
sache 18/568 Antwort auf Frage 11). In Europa laufen insbesondere die Bemühun-
gen der Bundesregierung für sinnvolle Änderungen an der Mehrwertsteuersystem-
richtlinie auf Sparflamme und national verunsichern unsinnige Neuerungen wie die
so genannte Gelangensbestätigung exportorientierte Unternehmen, ohne dabei
signifikant gegen Betrug zu wirken.

Zudem leiden steuerehrliche Unternehmen neben neuer bürokratischer Anforde-
rungen unter Wettbewerbsverzerrungen zugunsten Unternehmen, die Steuerzah-
lungen vermeiden. Sie laufen außerdem Gefahr, dass ihnen der Vorsteuerabzug
versagt wird, sofern Sie in eine Betrugskette oder ein Umsatzsteuerkarussell verwi-
ckelt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. national die Daten- und Bewertungsgrundlage des Gesetzgebers durch mehr
Kompetenzen für Bundesbehörden zu verbessern, dabei insbesondere gemein-
same Datenbanken und Steuerstatistiken mit gleichen Zugriffsrechten für
Bund und Länder zu schaffen;

2. die Hinweise auf Betrug mit manipulierten Registrierkassen ernst zu nehmen
und an dieser Stelle einen Gesetzentwurf vorzulegen;

3. die Anregung des Bundesrechnungshofs aufzunehmen (Bundestagsdrucksa-
che 17/7600) und für differenzbesteuerte Umsätze eine gesonderte Auswei-
sung einzuführen;

4. die Regelungen zur Gelangensbestätigung auf ihre Wirksamkeit und
Administrierbarkeit zu überprüfen und nachzubessern;

5. in Zukunft sofort auf aufgetretene Betrugsfälle wie etwa im Bereich der
Edelmetalle und unedlen Metalle (vgl. Drucksache 18/568 Antwort auf Frage
14) zu reagieren und wenn nötig hier das Reverse-Charge-Verfahren einzu-
führen;

6. auf Ebene der Europäischen Union weiter für einen Systemwechsel hin zu
einem generellen Reverse-Charge-Verfahren im Business-to-Business-
Bereich einzutreten;

7. auf Ebene der EU die Initiative der Europäischen Kommission für ein be-
trugssicheres europäisches Mehrwertsteuersystem zu unterstützen, dabei ins-
besondere die Vorhaben einer verbesserten innergemeinschaftlichen Zusam-
menarbeit der nationalen Steuerbehörden und den Ausbau funktionierender

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1968

Datenbanken zu unterstützen sowie darauf zu dringen, Ermäßigungen nur in
einem durch die EU gesteckten engen Rahmen (Mehrwertsteuersystemrichtli-
nie) möglich zu machen und weitestgehend zu harmonisieren.

Berlin, den 1. Juli 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Drucksache 18/1968 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

zu 1) Kontrolle und Vollzug der Umsatzsteuer erfolgen in den Bundesländern. Die Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag haben demnach keinen oder nur schlechten Zugang zu Daten und Statistiken (das gilt
insgesamt für den Steuerbereich). Auch die Bundesländer untereinander arbeiten nicht immer effektiv zu-
sammen, z. B. weil sie unterschiedliche Softwaresysteme in den Finanzverwaltungen verwenden. Da Geset-
zesänderungen insgesamt und insbesondere Reaktionen auf Betrugsfälle auf Basis schneller und umfassender
Informationen erfolgen müssen, ist die Grundlage für die Betrugsbekämpfung im Bereich der Umsatzsteuer
eine bessere Zusammenarbeit und Kommunikation der Finanzbehörden von Bund und den Ländern unterei-
nander.

zu 2) Die Manipulierbarkeit von Registrierkassen ist bekannt (vgl. Berichterstattung DIE WELT 04.04.2014
und Handelsblatt 23.04.2014). 2013 hat die OECD auf das Problem hingewiesen (OECD 2013: Umsatzver-
kürzung mittels elektronischer Kassensysteme, eine Bedrohung für die Steuereinnahmen). Die Landesregie-
rung aus Nordrhein-Westfalen hat auf Grundlage dieser Studie Steuerausfälle in Höhe von 10 Mrd. Euro für
die Bundesrepublik Deutschland geschätzt. Die OECD zeigt Möglichkeiten auf, das Problem zu beheben,
etwa durch manipulationssichere Kassen. Hier müssen gesetzliche Vorgaben gemacht werden. Diese Forde-
rung hat auch die Finanzministerkonferenz im Mai 2014 an die Bundesregierung gerichtet.

zu 3) Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass im Bereich von Waren, die der Differenzbesteuerung
unterliegen, Betrugsanfälligkeit besteht. Um Kontrolle und damit Prävention im Bereich der Differenzbesteu-
erung nach § 25a UStG zu erleichtern, regt der Bundesrechnungshof eine gesonderte Ausweisung differenz-
besteuerter Waren an. Dies ist im Sinne der leichteren Überprüfbarkeit dieser Umsätze durch Finanzbehör-
den zu unterstützten.

zu 4) Es ist unklar, ob die Einführung der Gelangensbestätigung Betrug verhindert. Das einseitige Dokument
ist mindestens ebenso fälschungsanfällig wie andere Belege. Zusätzlich gibt es in der betrieblichen Praxis
weiterhin Probleme in der Handhabung, etwa durch fehlende Übersetzungen des Dokuments in alle Amts-
sprachen der EU oder bei so genannten Abholfällen von Waren.

zu 5) Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass im Bereich der Edel- und unedlen Metalle vermehrt Betrugs-
fälle registriert wurden. Dennoch hat sie zunächst abgewartet und erst auf Aufforderung des Bundesrats rea-
giert. Die sofortige Einführung von Reverse-Charge in derartigen Fällen ist alternativlos, um Steuerausfälle
zu vermeiden und muss in Zukunft die Regel sein.

zu 6) Die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens im Unternehmensbereich ist in der Ver-
gangenheit am Widerstand anderer EU-Länder gescheitert. Dennoch kann durch diesen Schritt die Betrugsan-
fälligkeit der Mehrwertsteuer spürbar gesenkt werden. Deswegen sollte die Bundesregierung hier weiter aktiv
werben.

zu 7) Für Europa gilt das gleiche wie für die Bundesrepublik Deutschland. Nur durch eine bessere Zusam-
menarbeit und ein bessere Informations- und Datenlage kann schnell auf Betrug reagiert werden. Durch we-
niger Ermäßigungstatbestände kann Betrug mit zu niedrig ausgewiesenen Steuersätzen eingeschränkt werden,
weil die Rechtslage zwischen den Staaten angeglichen wird. Ermäßigungen sind optional und damit kann
nicht immer nachvollzogen werden, welche Rechtslage und welcher Steuersatz in jedem EU-Staat gilt.

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