BT-Drucksache 18/1679

Inhalte und Zielsetzungen des plurilateralen Dienstleistungsabkommens TiSA

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1679
18. Wahlperiode 04.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin
Binder, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Ralph Lenkert, Niema Movassat, Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Dr. Sahra Wagenknecht, Harald Weinberg, Pia Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Inhalte und Zielsetzungen des plurilateralen Dienstleistungsabkommens TiSA

Weitgehend unbemerkt finden seit letztem Jahr Verhandlungen zum plurilatera-
len Dienstleistungsabkommen TiSA (Trade in Services Agreement) statt. Hier
haben sich bislang 23 Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) (Austra-
lien, Chile, Chinesisch-Taipeh, Costa Rica, die Europäische Union, Hongkong,
Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neu-
seeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, die Schweiz, Türkei und
die Vereinigten Staaten von Amerika) als „Really Good Friends of Services“ zu-
sammengeschlossen, da die Reform des Allgemeinen Abkommens über den
Handel mit Dienstleistungen (GATS – General Agreement on Trade in Services)
im Rahmen der Welthandelsorganisation nicht von der Stelle kommt. Damit sol-
len Dienstleistungsmärkte für ausländische Anbieter geöffnet, der Handel mit
Dienstleistungen angekurbelt und weitere Privatisierungen vorbereitet werden.
So könnte die Wasser- und Energieversorgung, das Finanz-, Gesundheits- und
Bildungswesens weiter dereguliert werden. Nur Dienstleistungen, die explizit
gelistet sind, sollen hiervon ausgeschlossen sein (Negativlisten). Durch die so
genannte Standstill-Klausel soll das gegenwärtige Liberalisierungsniveau fest-
geschrieben werden, über die Ratchet-Klausel sollen alle zukünftigen Liberali-
sierungsschritte von Dienstleistungen automatisch neues Verpflichtungsniveau
werden. Infolge dieser beiden Klauseln wird eine Rekommunalisierung nach ge-
scheiterter Privatisierung per definitionem ausgeschlossen, womit die demokra-
tische Hoheit über die Erbringung und Regulierung für öffentliche Dienste ab-
gegeben wird (www.world-psi.org „TiSA contra öffentliche Dienste“ vom
28. April 2014).
Es gibt zudem einige Parallelen zwischen TiSA und dem transatlantischen Frei-
handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), das
derzeit kontrovers diskutiert wird. So sieht TiSA ebenfalls Investorschutz mit
Schiedsgerichten vor und wird auch geheim verhandelt. Der Bundesminister für
Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel forderte für TTIP ein „Maximum an
Transparenz und Beteiligung“ (Rheinische Post, 14. Mai 2014). Er kritisiert die
Geheimverhandlungen und bewertet das geplante Investitionsschutzabkommen
kritisch, da es „zwischen Rechtsstaaten wie den USA und den Mitgliedsstaaten
der EU […] keiner Sondergerichte für den Schutz von Investoren [bedarf]“.
Fraglich ist, ob diese Maßstäbe auch beim TiSA berücksichtigt werden.

Drucksache 18/1679 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Was hat die Bundesregierung veranlasst, über den Rat der Europäischen

Union dem Ersuchen der Europäischen Kommission zur Aufnahme von
Verhandlungen über ein neues internationales Abkommen über den Handel
mit Dienstleistungen zuzustimmen (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-
13-118_de.htm)?

2. Welche wirtschaftlichen Effekte erwarten die Bundesregierung bzw. nach
Kenntnis der Bundesregierung die Europäische Kommission von TiSA, und
welche Studien und Annahmen bilden dafür die Grundlage?

3. Welche belastbaren Studien zu den Kosten/Nutzen für die Liberalisierung
und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen liegen der Bundesregie-
rung vor?

4. Welche negativen Effekte könnte TiSA nach Ansicht der Bundesregierung
haben?

5. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass öffentliche Dienstleistungen
existenziell wichtige soziale und wirtschaftliche Aufgaben erfüllen und
übernehmen sollen, die bezahlbar sind, universell angeboten werden und
nach Bedarf verfügbar sein sollen (bitte begründen)?

6. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die weitere Privatisierung und
Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen diesen Anforderungen ge-
nügt?
Wenn ja, wie genau werden die aufgezählten Ziele erreicht?

7. Wird TiSA mit der Standstill-Klausel und dem Ratchet-Mechanismus nach
Ansicht der Bundesregierung zukünftige Rekommunalisierung erschweren
oder verhindern, und ist dies gewünscht (bitte begründen)?

8. Welche Studien liegen der Bundesregierung vor, die sich mit den Auswir-
kungen einer Privatisierung öffentlicher Dienste auf Preis und Qualität be-
fassen?

9. Zu welchen Ergebnissen kommen diese Studien, und welche Schlussfolge-
rungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass nach
Information der Fragesteller etwa die Privatisierung der Pariser Wasserver-
sorgung zu einem Anstieg des Wasserpreises um mehr als das Doppelte und
stetig sinkender Wasserqualität führte, weshalb dieser Bereich rekommuna-
lisiert wurde?

10. Wenn keine belastbaren Studien vorliegen, auf welcher Grundlage positio-
niert sich die Bundesregierung dann?

11. Hat die Bundesregierung die Länder und Kommunen konsultiert, ob sie ein
Abkommen befürworten, das Rekommunalisierung erschwert oder verhin-
dert?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?

12. Will die Bundesregierung ihre Regulierungshoheit für Dienstleistungen für
bereits privatisierte Bereiche auf unbestimmte Zeit und unkonditioniert auf-
geben (bitte begründen), und welches Mandat hat sie dafür von Bundeslän-
dern und Kommunen erhalten?

13. Wäre nach Ansicht der Bundesregierung die Gesundheitsreform in den
USA („ObamaCare“) bei schon vertraglich bindendem TiSA-Abkommen
erlaubt gewesen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1679
14. Lehnt die Bundesregierung entsprechend ihrer in der Vorbemerkung der
Fragesteller dargestellten Forderungen beim TTIP auch bei TiSA eine
Investitionsschutzklausel mit Streitschlichtungsmechanismus ab?

15. Wenn die Bundesregierung sich entsprechend skeptisch bis ablehnend
positioniert, warum hat sie dann über den Europäischen Rat dem TiSA Ver-
handlungsmandat zugestimmt, das laut Wirtschaftskammer Österreich einen
Streitschlichtungsmechanismus beinhalten soll (www.wko.at/Content.Node/
service/aussenwirtschaft/fhp/wto/Das-multilaterale-Dienstleistungsabkommen-
TISA.html)?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die weitere Liberalisierung des
Handels mit Dienstleistungen und die Privatisierung öffentlicher Dienstleis-
tungen nationalen politischen Handlungsspielraum begrenzt, und befürwor-
tet die Bundesregierung dies (bitte begründen)?

17. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Sorge, dass durch TiSA „Regulierungsmöglichkeiten des Staates
wie z. B. der Lizenzierung von Gesundheitseinrichtungen, Kraftwerken und
Abfallentsorgungsanlagen sowie die Akkreditierung von Schulen und Uni-
versitäten, eingeschränkt werden“ (www.world-psi.org/sites/default/files/
documents/research/de_tisapaper_final_web.pdf)?

18. Warum unterstützt die Bundesregierung ein Abkommen, das bei der Inlän-
derbehandlung („National Treatment“) einen Negativlistenansatz vorsieht,
vor dem Hintergrund, dass sie – wie sie auf diverse schriftliche Anfragen der
Fragesteller dargestellt hat – beim TTIP eine Positivliste favorisiert?

19. Was für neue bzw. verbesserte „Regulatory Disciplines“ soll TiSA enthalten
(www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/wto/Das-multila-
terale-Dienstleistungsabkommen-TISA.html), und welche Vor- und Nach-
teile könnten diese haben?

20. Soll im TiSA festgelegt werden, dass „ausländische Exporteure kommer-
zieller Dienstleistungen und Investoren eine ,Entschädigung‘ erhalten
müssen, wenn ein Land neue öffentliche Dienste anbietet oder beste-
hende erweitert“ (www.world-psi.org/sites/default/files/documents/research/
de_tisapaper_final_web.pdf), und wie positioniert sich die Bundesregierung
zu diesem Ansatz?

21. Wie wird TiSA nach Ansicht der Bundesregierung innerstaatliche Regelun-
gen tangieren, und sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass nationale
Regulierungen durch TiSA eingeschränkt werden (bitte begründen)?

22. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur weiteren Deregulierung bei
Finanzdienstleistungen im TiSA angesichts der Finanzkrise 2007/2008 und
ihrer Auswirkungen?

23. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die Modus-4-Verpflichtungen
die Arbeitnehmer bei der Erbringung von Dienstleistungen vom guten Wil-
len der Arbeitgeber abhängig machen, da sie das Gastland sofort verlassen
müssen, falls sie ihre Arbeit verlieren?

24. Welche Arbeitsrechte und Arbeitsnormen würden für die Arbeitskräfte nach
Modus 4 gelten?

25. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, dass eine Bedarfsprüfung
vor Rekrutierung ausländischer Fachkräfte nicht mehr notwendig sein soll
(bitte begründen)?

26. Wie wirkt sich TiSA nach Kenntnis der Bundesregierung voraussichtlich
auf die Möglichkeit der sinnvollen, ökonomisch notwendigen Subventionen
öffentlicher Dienste aus?

Drucksache 18/1679 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
27. Muss jede Subvention, wenn sie nicht explizit von den TiSA-Bestimmun-
gen ausgenommen wird, in gleicher Weise privaten gewinnorientierten
Dienstleistungserbringern zur Verfügung gestellt werden, und soll ein sol-
cher Automatismus nach Ansicht der Bundesregierung festgelegt werden?

28. Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Öffentlichen Konsultation der
Europäischen Kommission zur Mandatserstellung des TiSA und den
Verhandlungen bekannt (http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/may/
tradoc_152464.pdf), und wie positioniert sich die Bundesregierung zu den
einzelnen Kritikpunkten der Nichtregierungsorganisationen (S. 9 ff.)?

29. Welche inhaltlichen Überschneidungen gibt es zwischen TTIP und TiSA?
30. Setzt sich die Bundesregierung entsprechend ihrer in der Vorbemerkung der

Fragesteller dargestellten Forderungen auch bei TiSA für eine breite Ver-
öffentlichung des Verhandlungsmandates ein, das laut Wirtschaftskammer
Österreich (www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/wto/
Das-multilaterale-Dienstleistungsabkommen-TISA.html) seit März 2013 vor-
liegt, ein (bitte begründen)?

31. Welche Punkte enthält das Verhandlungsmandat?
32. Ist der Bundesregierung bekannt, dass etwa die Schweiz ihre Anfangsofferte

veröffentlicht hat (www.seco.admin.ch/themen/00513/00586/04996/index.
html?lang=de), und setzt sich die Bundesregierung entsprechend ihrer
Transparenz forderung für eine breite Veröffentlichung der EU-Anfangs-
offerte ein (bitte begründen)?

33. Welche Bereiche ist die Europäische Union laut ihrer Anfangsofferte (mar-
ket access offer) bereit zu öffnen, und unterstützt die Bundesregierung jeden
dieser Punkte?

34. Welche Ausnahmen von der Liberalisierung will die Bundesregierung
durchsetzen, und welche Dienstleistungsbereiche sind davon konkret be-
troffen?

35. Wie will die Bundesregierung bei TiSA Transparenz gewährleisten – insbe-
sondere, wo aktuell nur ein Eintrag zu TiSA auf der Internetseite des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie zu finden ist, die Verhandlun-
gen aber schon seit Anfang des Jahres 2013 laufen?

36. Werden die Themen und Ergebnisse der einzelnen Verhandlungsrunden von
der Bundesregierung oder nach Kenntnis der Bundesregierung der Europä-
ischen Kommission veröffentlicht (bitte begründen)?

37. Wird TiSA nach Einschätzung der Bundesregierung ein gemischtes Abkom-
men sein und werden die EU-Mitgliedstaaten zustimmen müssen?

38. Sind der Bundesregierung die TiSA-Verhandlungstexte bekannt, und setzt
sie sich dafür ein, dass diese breit veröffentlicht werden (bitte begründen)?

39. Wie ist die Bundesregierung in den Verhandlungsprozess eingebunden?
40. Wie und zu welchem Zeitpunkt werden das Europäische Parlament und die

nationalen Parlamente eingebunden?
41. Wie läuft der Ratifizierungsprozess in der EU, sofern der Verhandlungspro-

zess erfolgreich abgeschlossen wird?
42. Wie ist der weitere bisherige Zeitplan zum Verhandlungs- und Ratifizie-

rungsprozess des TiSA?
43. Wie wird die Öffentlichkeit eingebunden, und ist nach Ansicht der Bundes-

regierung eine ausgeglichene Beteiligung von Dienstleistungsindustrie und
Zivilgesellschaft gegeben, insbesondere da vor allem Industrievertreter im

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Umfeld der Verhandlungen präsent sind (vgl. www.dfat.gov.au/trade/
negotiations/services/trade-in-services-agreement.html)?

44. Welche Rolle spielten die „Global Services Coalition“ und die „US Coalition
of Service Industries (CSI)“ nach Kenntnis der Bundesregierung beim Zu-
standekommen und der Vorbereitung der TiSA-Verhandlungen, und welche
Rolle spielen sie im laufenden Verhandlungsprozess?

45. Welche Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteure sind von der Bun-
desregierung und nach Kenntnis der Bundesregierung der Europäischen
Kommission im Vorfeld der Mandatserteilung für das TiSA konsultiert wor-
den?

46. Aus welchem Grund und nach welcher Regel hatten nach Kenntnis der Bun-
desregierung bisher nur die USA, die EU und Australien den Vorsitz bei den
Verhandlungsrunden, und wird das weiterhin der Fall sein und von der Bun-
desregierung unterstützt?

47. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die USA eine über fünf Jahre dauernde
Geheimhaltung ihrer Verhandlungspositionen verlangen, und inwiefern ent-
spricht solch eine Forderung nach Auffassung der Bundesregierung demo-
kratischen Prinzipien?

48. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das plurilaterale Abkom-
men TiSA den Multilateralismus schwächt, da es außerhalb der WTO ver-
handelt wird und zumindest anfänglich neben dem GATS koexistieren soll,
und inwiefern ist das nach Ansicht der Bundesregierung wünschenswert
(bitte begründen)?

Berlin, den 4. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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