BT-Drucksache 18/1464

Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1464
18. Wahlperiode 21.05.2014

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg,
Volker Beck (Köln), Katja Keul, Monika Lazar, Irene Mihalic,
Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren

A. Problem
Zentrale gesellschaftliche Bereiche wie insbesondere der Konsum von Lebensmit-
teln und Industrieprodukten, die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, die An-
mietung von Wohnraum, der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Risi-
kovorsorge der Bürgerinnen und Bürger durch Versicherungen, ihre Altersversor-
gung durch Kapitalanlagen sowie die Sicherung einer fairen marktwirtschaftlichen
Ordnung durch Wettbewerbs- und Verbraucherschutz werden heute in weiten Tei-
len in den Strukturen des Privatrechts geregelt.
Das Privatrecht wird jedoch immer noch mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts
durchgesetzt, nämlich mit einem Prozessrecht, das fast ausschließlich auf der indi-
viduellen Rechtsdurchsetzung durch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger beruht
und das der gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung des Privatrechts nicht mehr
gerecht wird.
Die deutsche Zivilprozessordnung hat sich zwar für die individuelle Rechtsdurch-
setzung bewährt, aber um den neuen Herausforderungen und der gesellschaftlichen
Bedeutung des Privatrechts auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung gerecht zu
werden, sind neue Instrumente notwendig.
Durch die Einführung eines Gruppenverfahrens will die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN insbesondere zwei Problemen entgegentreten: Erstens dem Prob-
lem des mangelnden Zugangs zum Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftre-
tenden Individualschäden und – damit verbunden – zweitens dem daraus folgenden
Defizit bei der Rechtsdurchsetzung.
Am 11. Juni 2013 hat die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten die Ein-
führung kollektiver Rechtsschutzverfahren empfohlen, um einen effektiveren Zu-
gang zum Recht zu gewährleisten. Die Empfehlung enthält eine Reihe gemeinsa-
mer, nicht verbindlicher Grundsätze für kollektive Rechtsdurchsetzung, mit der ein
kohärentes allgemeines Konzept in der Europäischen Union ohne Harmonisierung
der Systeme der Mitgliedstaaten gewährleistet werden soll. In der Empfehlung
werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, innerhalb von zwei Jahren geeignete
Maßnahmen einzuführen. Spätestens zwei Jahre nach der Umsetzung der Empfeh-
lung wird die Kommission anhand der Jahresberichte der Mitgliedstaaten den
Stand der Dinge prüfen und entscheiden, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind,
um den in der Empfehlung gewählten allgemeinen Ansatz zu stärken.

Drucksache 18/1464 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

B. Lösung
Der Gesetzentwurf verfolgt drei Ziele: Erstens soll die mit dem Kapitalanleger-
Musterverfahrensgesetz (KapMuG) geschaffene Möglichkeit der Bündelung indi-
vidueller Ansprüche, durch die Einführung eines Gruppenverfahrens, verallgemei-
nert und in die Zivilprozessordnung integriert werden. Zweitens sollen die Zu-
gangsschranken zum Gruppenverfahren gegenüber dem KapMuG abgesenkt wer-
den, um eine stärkere Rechtsdurchsetzungswirkung zu erreichen. Drittens soll ein
angemessener Rahmen geschaffen werden, in dem die Zivilgerichte bei massenhaf-
ten Schadensfällen zu einer angemessenen Konfliktlösung beitragen können.

C. Alternativen
Beibehaltung des bisherigen Zustands.

D. Kosten
Wenn sich Rechtsbruch nicht mehr „lohnt“ und damit die Anwendung rechtswidri-
ger Geschäftsbedingungen, verbraucherschutzwidriger Praktiken, fehlerhafter An-
lageberatung und andere Rechtsverstöße aufgrund effektiverer Rechtsdurchset-
zungsmöglichkeiten zurückgehen, wird das gesamtwirtschaftlich positive Folgen
haben und auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig vorteilhaft
sein.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1464

Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I
S. 1781), die zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 11. März 2013 (BGBl. I S. 434) geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht werden nach der Angabe zu § 605a folgende Angaben eingefügt:

„Buch 6 Gruppenverfahren

Abschnitt 1 Eröffnung des Gruppenverfahrens

§ 606 Zulässigkeit
§ 607 Anwendungsbereich
§ 608 Örtliche Zuständigkeit
§ 609 Antrag auf Eröffnung des Gruppenverfahrens
§ 610 Gegenstand des Gruppenverfahrens
§ 611 Antragsbefugnis
§ 612 Eröffnungsbeschluss
§ 613 Konkurrierende Gruppenverfahren
§ 614 Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung

Abschnitt 2 Teilnahme am Gruppenverfahren

§ 615 Teilnahme
§ 616 Teilnahmeerklärung
§ 617 Verspätete Teilnahmeerklärung
§ 618 Aussetzung anhängiger Verfahren

Abschnitt 3 Durchführung des Gruppenverfahrens

§ 619 Gruppenkläger
§ 620 Teilnehmer
§ 621 Beendigung der Teilnahme
§ 622 Verfahrensregeln
§ 623 Vergleich
§ 624 Genehmigung des Vergleichs
§ 625 Bekanntmachung des Vergleichs; Austritt
§ 626 Wirkung des Vergleichs
§ 627 Urteil
§ 628 Wirkung des Urteils
§ 629 Kosten

Abschnitt 4 Rechtsmittel im Gruppenverfahren

§ 630 Statthaftigkeit
§ 631 Einlegung und Kosten“.

Drucksache 18/1464 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. Das Buch 6 der Zivilprozessordnung wird wie folgt gefasst:
„Buch 6 Gruppenverfahren

Abschnitt 1 Eröffnung des Gruppenverfahrens

§ 606
Zulässigkeit

Ein Gruppenverfahren ist zulässig, wenn und soweit
1. die Mitglieder einer hinreichend bestimmbaren Gruppe Ansprüche oder sonstige Rechtsverhältnisse

geltend machen, die den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen,
2. die Entscheidung über diese Ansprüche oder sonstigen Rechtsverhältnisse von gleichen oder ähnli-

chen tatsächlichen Umständen oder Rechtsfragen abhängen kann,
3. in Anbetracht der konkreten Umstände die Durchführung des Gruppenverfahrens im Vergleich zu

zahlreichen einzelnen Verfahren vorzugswürdig ist und
4. ein Gruppenkläger vorhanden ist, der willens und geeignet ist, das Gruppenverfahren mit Wirkung

für die Gruppe durchzuführen.

§ 607
Anwendungsbereich

In Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet kein Gruppenver-
fahren statt.

§ 608
Örtliche Zuständigkeit

(1) Für ein Gruppenverfahren ist das Gericht ausschließlich zuständig, bei dem der Beklagte im
Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

(2) Hat der Beklagte keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, so kann das Gruppenverfahren
bei jedem Gericht durchgeführt werden, welches für die Entscheidung über den Anspruch mindestens
eines Gruppenmitglieds zuständig wäre.

(3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung für die Bezirke mehrerer
Landgerichte eines von ihnen als Gericht für Gruppenverfahren zu bestimmen; dasselbe gilt entspre-
chend für die Oberlandesgerichte. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjus-
tizverwaltungen übertragen.

§ 609
Antrag auf Eröffnung des Gruppenverfahrens

(1) Eine Klage kann mit dem Antrag verbunden werden, ein Gruppenverfahren durchzuführen.
Dazu müssen die in § 606 genannten Voraussetzungen des Gruppenverfahrens dargelegt werden. Au-
ßerdem sind die Teilnahmeerklärungen von mindestens zehn Mitgliedern der Gruppe beizufügen. Einer
dieser Teilnehmer oder eine Einrichtung gemäß § 611 Nummer 2 ist als Gruppenkläger vorzuschlagen.

(2) Der Antrag ist dem Beklagten zuzustellen.
(3) Ist eine Rechtsstreitigkeit bereits anhängig, so kann vom Kläger unter den Voraussetzungen

des § 606 ein Antrag auf Durchführung eines Gruppenverfahrens gestellt werden. Absätze 1 und 2 gel-
ten entsprechend.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1464

§ 610
Gegenstand des Gruppenverfahrens

(1) Im Gruppenverfahren kann ein Leistungs- oder Feststellungsantrag gestellt werden.
(2) Außerdem können im Gruppenverfahren auch Feststellungen zum Vorliegen oder Nichtvor-

liegen von anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen oder Feststellun-
gen zu Rechtsfragen beantragt werden, soweit die Ansprüche der Gruppenmitglieder von diesen Fest-
stellungen abhängen können.

(3) Die Gruppe kann in Untergruppen unterteilt werden.

§ 611
Antragsbefugnis

Zur Beantragung eines Gruppenverfahrens und zur Durchführung des Verfahrens als Gruppenklä-
ger sind befugt:
1. jedes Mitglied der nach § 606 Nummer 1 bestimmbaren Gruppe

oder
2. eine Einrichtung, die in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagege-

setzes oder in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie
98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen
zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166, S. 51) in der jeweils geltenden Fassung
eingetragen ist.

§ 612
Eröffnungsbeschluss

(1) Das Gericht entscheidet über die Eröffnung des Gruppenverfahrens durch Beschluss aufgrund
mündlicher Verhandlung.

(2) Liegen die Voraussetzungen des § 606 vor, eröffnet das Gericht das Gruppenverfahren. Der
Eröffnungsbeschluss enthält mindestens
1. den im Gruppenverfahren zu behandelnden Antrag,
2. eine knappe Darstellung des dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden gleichen Lebenssachver-

halts,
3. Angaben zur Bestimmung der Mitglieder der Gruppe und
4. die Ernennung des Gruppenklägers mit dessen Name und Anschrift sowie Name und Anschrift sei-

nes Prozessbevollmächtigten.
(3) Liegen die Voraussetzungen des § 606 nicht vor, weist das Gericht den Antrag auf Durchfüh-

rung eines Gruppenverfahrens ab.
(4) Gegen den Beschluss gemäß Absatz 2 oder 3 sind die sofortige Beschwerde und die Rechtsbe-

schwerde statthaft.

§ 613
Konkurrierende Gruppenverfahren

(1) Sind mehrere Anträge auf Durchführung von Gruppenverfahren anhängig, die den gleichen
Lebenssachverhalt betreffen, so kann das Gericht den jeweiligen Antragstellern vor der Beschlussfas-
sung gemäß § 612 zunächst eine Einigungsfrist setzen. Gelingt eine Einigung nicht, so kann das Gericht
die konkurrierenden Anträge verbinden und gemäß § 612 entscheiden.

(2) Unter mehreren möglichen Gruppenklägern trifft das Gericht eine Auswahl nach billigem Er-
messen im Hinblick auf die Eignung des Gruppenklägers, das Verfahren unter Berücksichtigung der In-
teressen der Gruppe angemessen zu führen. Dabei können insbesondere die Höhe des dem Gruppenver-

Drucksache 18/1464 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

fahren zugrunde liegenden Anspruchs des Gruppenklägers sowie die Höhe und Anzahl der Ansprüche
der Teilnehmer, die sich auf diesen Gruppenkläger geeinigt haben, Berücksichtigung finden.

(3) Ist bereits ein Gruppenverfahren durch Beschluss gemäß § 612 eröffnet, so ist eine weitere
Gruppenklage aufgrund des gleichen Lebenssachverhalts insoweit unzulässig, als die Mitglieder der
Gruppe auf die Möglichkeit der Teilnahme an dem bereits eröffneten Gruppenverfahren verwiesen wer-
den können.

§ 614
Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung

(1) Das Gericht macht den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses sowie die Teilnahmeerklärungen im
Klageregister unter Angabe des Aktenzeichens öffentlich bekannt.

(2) Mit der Bekanntmachung im Klageregister setzt das Gericht eine angemessene Frist, innerhalb
derer weitere Gruppenmitglieder ihre Teilnahme am Gruppenverfahren erklären können. Die Frist be-
trägt in der Regel drei Monate.

(3) Die Bekanntmachung enthält außerdem eine Belehrung über Form, Inhalt und Kosten der
Teilnahmeerklärung, über die rechtlichen Folgen der Teilnahme am Gruppenverfahren sowie über den
Höchstbetrag der vom Teilnehmer zu tragenden Kosten gemäß § 629 Absatz 2.

(4) Das Gericht, das die Bekanntmachung veranlasst, trägt die datenschutzrechtliche Verantwor-
tung für die von ihm im Klageregister bekannt gemachten Daten, insbesondere für die Rechtmäßigkeit
ihrer Erhebung, die Zulässigkeit ihrer Veröffentlichung und die Richtigkeit der Darstellung.

(5) Die im Klageregister gespeicherten Daten sind nach Rechtskraft des Urteils im Gruppenver-
fahren oder nach dessen sonstiger Beendigung unverzüglich zu löschen.

(6) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestim-
mungen über Inhalt und Aufbau des Klageregisters, insbesondere über Eintragungen, Änderungen, Lö-
schungen, Einsichtsrechte, Datensicherheit und Datenschutz zu treffen. Dabei sind Löschungsfristen
vorzusehen sowie Vorschriften, die sicherstellen, dass die Bekanntmachungen unversehrt, vollständig
und aktuell bleiben sowie jederzeit ihrem Ursprung nach zugeordnet werden können.

Abschnitt 2 Teilnahme am Gruppenverfahren

§ 615
Teilnahme

Jedes Mitglied der Gruppe kann durch Schriftsatz an das Gericht oder durch elektronische Eingabe
in das Klageregister seine Teilnahme am Gruppenverfahren erklären. Der Teilnehmer muss sich anwalt-
lich vertreten lassen. Die Teilnahme kann frühestens mit Stellung des Antrags auf Durchführung eines
Gruppenverfahrens erklärt werden.

§ 616
Teilnahmeerklärung

(1) Die Teilnahmeerklärung muss folgende Angaben enthalten:
1. die Bezeichnung des Teilnehmers und seiner gesetzlichen Vertreter,
2. das Aktenzeichen des Gruppenverfahrens, sofern ein solches bereits vergeben ist, ansonsten Bezug-

nahme auf den Schriftsatz, mit dem die Durchführung des Gruppenverfahrens beantragt wurde,
3. die Erklärung, am Gruppenverfahren teilnehmen zu wollen,
4. die Bezeichnung von Grund und Höhe des der Teilnahme zugrunde liegenden Anspruchs oder ent-

sprechende Angaben zu dem sonstigen Rechtsverhältnis, welches der Gruppenklage zugrunde liegt
und

5. die Bezeichnung des Beklagten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1464

(2) Die Teilnahmeerklärung wird im Klageregister eingetragen und ist dem Beklagten zuzustel-
len.

§ 617
Verspätete Teilnahmeerklärung

Eine Teilnahmeerklärung, die nach Ablauf der gemäß § 614 Absatz 2 bestimmten Frist eingeht, ist
zuzulassen, es sei denn, dies ist nicht sachdienlich. Nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Ver-
handlung ist eine Teilnahmeerklärung nicht mehr möglich.

§ 618
Aussetzung anhängiger Verfahren

(1) Ist ein Gruppenverfahren durch Beschluss nach § 612 eröffnet, so wird ein anderes anhängiges
Verfahren von Amts wegen ausgesetzt, wenn der Kläger in dem auszusetzenden Verfahren zugleich im
Gruppenverfahren Gruppenkläger oder Teilnehmer ist und die Entscheidung des Rechtsstreits von den
im Gruppenverfahren zu treffenden Feststellungen abhängen kann.

(2) Das ausgesetzte Verfahren wird auf Antrag einer Partei fortgesetzt, wenn das Gruppenverfah-
ren beendet ist oder wenn der Kläger in dem ausgesetzten Verfahren nicht mehr am Gruppenverfahren
teilnimmt.

Abschnitt 3 Durchführung des Gruppenverfahrens

§ 619
Gruppenkläger

(1) Das Gruppenverfahren wird mit Wirkung für die Gruppe durch den Gruppenkläger geführt.
(2) Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern

des Gruppenverfahrens.
(3) Auf Antrag eines Teilnehmers kann das Gericht den Gruppenkläger abberufen und durch ei-

nen neuen ersetzen, wenn der bisherige Gruppenkläger das Gruppenverfahren offensichtlich nicht im In-
teresse der Gruppe führt.

(4) Beabsichtigt der Gruppenkläger die Rücknahme der Klage nach Eröffnung des Gruppenver-
fahrens, so bedarf es dazu der Einwilligung des Beklagten gemäß § 269 Absatz 2. Liegt diese vor oder
gilt sie als erteilt, so setzt das Gericht den Teilnehmern des Gruppenverfahrens eine angemessene Frist
zur Benennung eines neuen Gruppenklägers und bestellt diesen, sofern er geeignet ist. Die Vorschriften
des § 613 Absatz 2 und des § 620 Absatz 2 finden entsprechende Anwendung. Wird innerhalb der ge-
setzten Frist kein neuer Gruppenkläger vorgeschlagen oder ist die vorgeschlagene Person nicht geeignet,
so wird die Rücknahme der Klage wirksam.

§ 620
Teilnehmer

(1) Die Teilnehmer des Gruppenverfahrens werden durch das Gericht über den Fortgang des
Gruppenverfahrens informiert, insbesondere über sämtliche Schriftsätze und Zwischenentscheidungen.

(2) Die Information gemäß Absatz 1 erfolgt in der Regel über ein elektronisches Informationssys-
tem, welches nur den Teilnehmern, dem Gruppenkläger und dem Beklagten zugänglich ist. Die im elekt-
ronischen Informationssystem gespeicherten Daten sind nach rechtskräftigem Abschluss oder sonstiger
Beendigung des Gruppenverfahrens unverzüglich zu löschen.

(3) Die Teilnehmer können mit Ausnahme der in § 619 Absatz 4, § 623 Absatz 1 Satz 2, § 625
Absatz 2 und § 631 geregelten Fälle im Gruppenverfahren keine Prozesshandlungen vornehmen und
keine Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen.

Drucksache 18/1464 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

(4) Für die Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Teilnehmers gelten die Regeln über den
Beweis durch Parteivernehmung.

§ 621
Beendigung der Teilnahme

(1) Ein Teilnehmer kann bis zum Ende der mündlichen Verhandlung in erster Instanz durch
Schriftsatz an das Gericht die Beendigung seiner Teilnahme am Gruppenverfahren erklären. Die Ver-
pflichtung zur Kostentragung bleibt davon unberührt. Die Beendigung der Teilnahme wird im Klagere-
gister verzeichnet.

(2) Sinkt die Anzahl der Teilnehmer im Verlauf des Gruppenverfahrens unter neun, so kann das
Gericht das Gruppenverfahren von Amts wegen durch unanfechtbaren Beschluss für beendet erklären
und in entsprechender Anwendung des § 91a nur noch über die Kosten entscheiden.

§ 622
Verfahrensregeln

Die Vorschriften von § 278 Absatz 2 bis 5, der §§ 306, 348 bis 350 und 379 sind im Gruppenver-
fahren nicht anzuwenden. In Beschlüssen müssen die Teilnehmer nicht bezeichnet werden.

§ 623
Vergleich

(1) Der Gruppenkläger und der Beklagte können einen gerichtlichen Vergleich dadurch schließen,
dass sie dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Ver-
gleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Den Teilnehmern ist
über das gemäß § 620 Absatz 2 eingerichtete Informationssystem Gelegenheit zur Stellungnahme zu ge-
ben. Der Vergleich bedarf der Genehmigung durch das Gericht und wird nur wirksam, wenn weniger als
30 Prozent der Teilnehmer ihren Austritt aus dem Vergleich gemäß § 625 Absatz 2 erklären.

(2) Der Vergleich soll auch die folgenden Regelungen enthalten:
1. die Verteilung einer gegebenenfalls vereinbarten Leistung auf die Mitglieder der Gruppe,
2. den von den Gruppenmitgliedern zu erbringenden Nachweis der Leistungsberechtigung,
3. die Fälligkeit der Leistungen sowie
4. die Verteilung der Kosten des Gruppenverfahrens.

§ 624
Genehmigung des Vergleichs

(1) Das Gericht genehmigt den Vergleich durch unanfechtbaren Beschluss, wenn es ihn unter Be-
rücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes sowie etwaiger Stellungnahmen der Teilnehmer
als angemessene gütliche Beilegung der Rechtsstreitigkeit erachtet.

(2) Nach der Genehmigung kann der Vergleich nicht mehr widerrufen werden.

§ 625
Bekanntmachung des Vergleichs; Austritt

(1) Der genehmigte Vergleich wird den Teilnehmern zugestellt.
(2) Die Teilnehmer können innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Ver-

gleichs ihren Austritt aus dem Vergleich erklären. Der Austritt muss schriftlich gegenüber dem Gericht
erklärt werden; er kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1464

(3) Die Teilnehmer sind über ihr Recht zum Austritt aus dem Vergleich, über die einzuhaltende
Form und Frist sowie über die Wirkung des Vergleichs zu belehren.

§ 626
Wirkung des Vergleichs

(1) Das Gericht stellt durch unanfechtbaren Beschluss fest, ob der genehmigte Vergleich wirksam
geworden ist. Der Beschluss wird im Klageregister veröffentlicht. Mit der Bekanntmachung des Be-
schlusses, der die Wirksamkeit des Vergleichs feststellt, wirkt der Vergleich für und gegen den Grup-
penkläger und den Beklagten sowie für und gegen alle Teilnehmer, sofern diese nicht ihren Austritt er-
klärt haben.

(2) Der Vergleich beendet das Gruppenverfahren.

§ 627
Urteil

(1) Im Falle eines Antrags gemäß § 610 Absatz 2 ist die Klage begründet, soweit die beantragten
Feststellungen zutreffen und die Ansprüche der Gruppenmitglieder von diesen Feststellungen abhängen
können.

(2) Das Urteil im Gruppenverfahren enthält auch die Namen und Anschriften sämtlicher Teil-
nehmer und wird auch diesen zugestellt. Dem Urteil ist eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel
und dessen Durchführung beizufügen.

(3) Soweit das Urteil hinsichtlich der Ansprüche einzelner Teilnehmer vollstreckbar ist, ist auch
diesen Teilnehmern auf ihren Antrag hin eine insoweit beschränkte vollstreckbare Ausfertigung zu ertei-
len, soweit sie hieran ein berechtigtes Interesse haben; § 733 gilt entsprechend.

§ 628
Wirkung des Urteils

Im Rahmen des dem Verfahren zugrunde liegenden Lebenssachverhalts wirkt das Urteil für und
gegen den Gruppenkläger und den Beklagten sowie für und gegen alle Teilnehmer, sofern diese nicht ih-
re Teilnahme gemäß § 621 Absatz 1 beendet haben.

§ 629
Kosten

(1) Soweit die unterliegende Gruppe die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, haften der Grup-
penkläger und alle Teilnehmer für die Kostenerstattung anteilig. Die Anteile werden nach dem Verhält-
nis bestimmt, in dem der für den jeweiligen Gruppenkläger oder Teilnehmer dem Gruppenverfahren zu-
grunde liegende Anspruch zu der Gesamtsumme der dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden An-
sprüche steht. Dies gilt entsprechend für sonstige Rechtsverhältnisse.

(2) Die Verpflichtung eines Teilnehmers zur Kostentragung ist jedoch für das gesamte Gruppen-
verfahren einschließlich der Kosten der Teilnahmeerklärung, der Kosten der Rechtsmittelinstanzen so-
wie einer etwaigen Erstattung der Kosten des Gerichts oder der obsiegenden Gegenpartei auf einen
Höchstbetrag begrenzt. Dieser Höchstbetrag entspricht vier Gebühren nach § 13 des Rechtsanwaltsver-
gütungsgesetzes, bezogen auf den Wert des für diesen Teilnehmer dem Gruppenverfahren zugrunde lie-
genden Anspruchs oder sonstigen Rechtsverhältnisses.

(3) Soweit die Erstattung der Kosten des Gerichts oder der obsiegenden Gegenpartei aufgrund der
Regelung des Absatzes 2 von den Teilnehmern nicht verlangt werden kann, haftet der Gruppenkläger für
die restlichen Kosten.

Drucksache 18/1464 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Abschnitt 4 Rechtsmittel im Gruppenverfahren

§ 630
Statthaftigkeit

(1) Gegen Urteile des Landgerichts, die im Gruppenverfahren ergangen sind, ist die Berufung zu-
lässig.

(2) Gegen Urteile des Oberlandesgerichts, die im Gruppenverfahren in erster Instanz ergangen
sind, ist die Revision zulässig. Die §§ 545 bis 565 finden entsprechende Anwendung.

§ 631
Einlegung und Kosten

(1) Der Gruppenkläger ist zur Einlegung der Berufung mit Wirkung für die Gruppe berechtigt.
Außerdem ist jeder Teilnehmer berechtigt, innerhalb der Berufungsfrist vorsorglich Berufung einzule-
gen. Legt der Gruppenkläger Berufung ein, so werden die Berufungen der Teilnehmer gegenstandlos.

(2) Legt der Gruppenkläger keine Berufung ein, so wählt das Berufungsgericht durch unanfecht-
baren Beschluss aus denjenigen Teilnehmern, die Berufung eingelegt haben, einen neuen Gruppenkläger
aus, welcher das Berufungsverfahren durchführt. Die Vorschrift des § 613 Absatz 2 ist entsprechend an-
zuwenden. Der Beschluss wird im Klageregister veröffentlicht.

(3) Im Fall der Berufung sind die Teilnehmer verpflichtet, die auf sie entfallenden Gerichtsgebüh-
ren zu entrichten; dabei sind § 629 Absatz 1 und 2 anzuwenden.

(4) Die anwaltliche Vergütung obliegt dem Gruppenkläger. Der Gruppenkläger kann von den
Teilnehmern eine Beteiligung an diesen Kosten verlangen; dabei ist § 629 Absatz 1 und 2 anzuwenden.

(5) Für die Revision gelten die vorstehenden Absätze entsprechend.“

Artikel 2

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches

§ 204 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002
(BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S.
831) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In Nummer 13 wird das Wort „und“ am Ende gestrichen.
2. In Nummer 14 wird der Punkt durch ein Semikolon und das Wort „und“ ersetzt.
3. Nach Nummer 14 wird folgende Nummer 15 angefügt:

„15. die Zustellung einer Erklärung der Teilnahme an einem Gruppenverfahren für darin bezeichnete
Ansprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie dem Gruppenverfah-
ren.“

Artikel 3

Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I
S. 1077), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) geändert worden ist, wird
wie folgt geändert:

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/1464

1. In § 71 Absatz 2 wird nach Nummer 4 folgende Nummer 5 angefügt:
„5. für Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung, wenn nicht gemäß § 118

die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet ist.“
2. In § 118 werden nach dem Wort „Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ die Wörter „und in Gruppen-

verfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung, wenn sich das Verfahren auf die in § 32b
Absatz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung genannten Ansprüche bezieht“ eingefügt.

Artikel 4

Änderung des Gerichtskostengesetzes

Das Gerichtskostengesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718), das durch Artikel 8 Nummer 1 des Geset-
zes vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 51a folgende Angabe eingefügt:

„§ 51b Gruppenverfahren“.
2. Dem § 9 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Dasselbe gilt für die Auslagen im Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessord-
nung.“

3. Dem § 12 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:
„Die Teilnahmeerklärung gemäß § 616 der Zivilprozessordnung soll erst nach Zahlung der Gebühr nach
Nummer 1902 des Kostenverzeichnisses zugestellt und im Klageregister eingetragen werden.“

4. Dem § 22 wird folgender Absatz 5 angefügt:
„(5) Die Kosten der Teilnahmeerklärung gemäß § 616 der Zivilprozessordnung schuldet der

Teilnehmer.“
5. Nach § 51a wird folgender § 51b eingefügt:

㤠51b
Gruppenverfahren

(1) Im Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung werden die im ersten
Rechtszug zu entrichtenden Gerichtsgebühren für den Gruppenkläger und jeden Teilnehmer einzeln be-
stimmt; als Streitwert gilt insoweit der Wert des dem Gruppenverfahren jeweils zugrunde liegenden ein-
zelnen Anspruchs oder sonstigen Rechtsverhältnisses.

(2) Ist der Gruppenkläger eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 611 Nummer 2 der Zivilprozess-
ordnung, die keinen eigenen Anspruch oder eigenes Rechtsverhältnis zum Beklagten geltend macht, so
setzt das Gericht den Streitwert nach billigem Ermessen fest. Dabei kann es sich am durchschnittlichen
Streitwert der Teilnehmer orientieren.“

6. Die Anlage 1 (Kostenverzeichnis) wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 2 der Anmerkung zu Nummer 1210 werden nach der Angabe „(§ 10 Absatz 2 KapMuG)“

die Wörter „oder als Gruppenkläger oder Teilnehmer an einem Gruppenverfahren nach dem sechs-
ten Buch der Zivilprozessordnung teilgenommen hat“ eingefügt.

b) In dem Gebührentatbestand der Nummer 1902 werden nach der Angabe „(§ 10 Abs. 2 KapMuG)“
die Wörter „oder Erklärung der Teilnahme an einem Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der
Zivilprozessordnung als Teilnehmer oder als Gruppenkläger“ angefügt.

Drucksache 18/1464 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Artikel 5

Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes

Das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsge-
setz) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 788), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 11. März 2013
(BGBl. I S. 434) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 17 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 11 wird das Wort „und“ am Ende durch ein Komma ersetzt.
b) In Nummer 12 wird der Punkt am Ende durch das Wort „und“ ersetzt.
c) Folgende Nummer 13 wird angefügt:

„13. das Gruppenverfahren und die Erklärung der Teilnahme.“
2. In der Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis) wird nach Nummer 3338 folgende Nummer 3339 angefügt:

Nr. Gebührentatbestand Gebühr oder Satz der Gebühr nach
§ 13 RVG

„3339 Gebühr für die Vertretung des
Gruppenklägers oder Teil-
nehmers im ersten Rechtszug
eines Gruppenverfahrens nach
Buch 6 der ZPO

0,8“.

Artikel 6

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Gleichzeitig tritt
das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-
Musterverfahrensgesetz) vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182), das durch Artikel 9 des Gesetzes vom 19.
Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist, außer Kraft.

(2) Auf Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, in denen vor dem Tag des
Inkrafttretens des vorliegenden Gesetzes bereits ein Vorlagebeschluss im Klageregister öffentlich bekannt-
gemacht wurde, ist das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz weiterhin anzuwenden.

Berlin, den 21. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/1464

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Ausgangslage

Die Informations- und Dienstleistungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist durch eine komplexe
rechtliche Regulierung nahezu aller Lebensbereiche gekennzeichnet. Dies betrifft nicht nur das Verwaltungs-
recht, sondern auch und gerade das Privatrecht, welches heute eine Vielzahl von Regulierungsaufgaben über-
nimmt und für die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger daher so relevant ist wie nie zuvor. Zent-
rale gesellschaftliche Bereiche wie insbesondere der Konsum von Lebensmitteln und Industrieprodukten, die
Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Risikovorsorge
der Bürgerinnen und Bürger durch Versicherungen, ihre Altersversorgung durch Kapitalanlagen sowie die
Sicherung einer fairen marktwirtschaftlichen Ordnung durch Wettbewerbs- und Verbraucherschutz werden
heute in weiten Teilen in den Strukturen des Privatrechts geregelt.
Zu dieser enorm gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung des Privatrechts passt es nicht, dass die Durchset-
zung des Privatrechts heute noch mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts stattfindet, d. h. mit einem Prozess-
recht, welches fast ausschließlich die individuelle Rechtsdurchsetzung durch die einzelnen Bürgerinnen und
Bürger im Blick hat. Für diese individuelle Rechtsdurchsetzung hat sich die deutsche Zivilprozessordnung
(ZPO) zwar bewährt, aber sie muss durch neue Instrumente ergänzt werden, um der genannten gesellschaftli-
chen Bedeutung des Privatrechts auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung gerecht werden zu können.
Diese neuen Instrumente eines kollektiven Rechtsschutzes reagieren vor allem auf zwei Probleme: Erstens
auf das Problem des mangelnden Zugangs zum Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftretenden Indivi-
dualschäden und – damit verbunden – zweitens auf das dadurch entstehende Defizit bei der Rechtsdurchset-
zung.

1. Zugang zum Recht

Das Problem des Zugangs zum Recht besteht darin, dass die oben angesprochenen Regelungsbereiche des
Privatrechts zwar in der Theorie viele Ansprüche für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger bereithalten, dass
diese aber in der Praxis aufgrund faktischer Zugangshürden nicht geltend gemacht werden. Diese Zugangs-
hürden sind sowohl sozialer und kultureller Natur – eine gerichtliche Auseinandersetzung ist für die meisten
Bürgerinnen und Bürger etwas Ungewohntes und Unerwünschtes – aber auch finanzieller Natur. Angesichts
des sich aus § 91 ZPO ergebenden Kostenrisikos ist es bei kleineren Schäden oft aus individueller Sicht rati-
onal, die entsprechenden Ansprüche nicht zu verfolgen, mögen sie auch materiell-rechtlich bestehen.
Dieses rationale Desinteresse ist nicht nur im Verbraucher-, Wettbewerbs- und Kapitalanlagerecht evident,
sondern auch in anderen Bereichen des Privatrechts. Ein einzelner Bürger, der unter vorschriftswidrig entste-
hendem Fluglärm leidet, wird diesen oft hinnehmen, weil ihm die Mühe einer rechtlichen Auseinanderset-
zung belastender erscheint als die Hinnahme des Lärms – auch wenn das private Nachbarrecht ihm mögli-
cherweise einen Unterlassungsanspruch bereitstellt. Eine Versicherungskundin, die aufgrund rechtswidriger
Allgemeiner Geschäftsbedingungen finanzielle Nachteile erleidet, nimmt diese in der Regel ebenso still-
schweigend hin wie eine Person, die zur Altersversorgung ein Wertpapier erworben hat, welches aufgrund
rechtswidriger Kapitalmarktinformation zu teuer gekauft wurde. Und auch bei Schadenshandlungen, die von
deutschen Unternehmen im Ausland begangen werden, schrecken Einzelpersonen häufig vor einer juristi-
schen Auseinandersetzung zurück. Jede Bürgerin und jeder Bürger erfährt in ihrem bzw. seinem Alltag zahl-
reiche solcher Beispiele, in denen sie oder er aus Bequemlichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weni-
ger bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte verzichtet.

2. Mangelnde Rechtsdurchsetzung

Dieses Phänomen könnte man als individuelle Entscheidung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger hinneh-
men, wenn die betreffenden Vorschriften ausschließlich im Interesse der jeweils Betroffenen erlassen wären.
Dies entspräche auch dem Modell der Durchsetzung individueller Ansprüche, wie es in der ZPO des 19.
Jahrhunderts entwickelt wurde – auch wenn schon damals erkannt wurde, dass die Durchsetzung individuel-
ler Ansprüche stets zugleich die Durchsetzung des objektiven Rechts bedeutet: Ohne individuelle Aktivität

Drucksache 18/1464 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der privatrechtlich Berechtigten „ist der Rechtssatz thatsächlich lahmgelegt“ (Jhering, Der Kampf um’s
Recht, S. 48).
Diese Erkenntnis spielt angesichts der im heutigen Privatrecht vorhandenen Regulierungszwecke eine ent-
scheidende Rolle und beschreibt zugleich das zweite Problem: Wenn die Rechtsordnung weite Teile des Le-
bens privatrechtlich gestaltet, die Bürgerinnen und Bürger aber ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durch-
setzen können oder wollen, dann kann das Recht seine gesellschaftliche Steuerungsfunktion auch nicht mehr
ausreichend erfüllen. Das Verbraucher- und Wettbewerbsrecht soll eben nicht nur den Einzelnen schützen,
sondern zugleich auch insgesamt für faire Marktbedingungen sorgen, das Kapitalmarktrecht soll zu einer
ökonomisch effizienten Allokation von Ressourcen beitragen, das Umwelthaftungsrecht soll Anreize zu öko-
logischem Verhalten setzen usw. Dies gilt sowohl im Inland, als auch bei wirtschaftlichen Betätigungen deut-
scher Unternehmen im Ausland.
Wenn Rechtsbruch aber nicht effektiv sanktioniert wird, haben Unternehmen, die das Recht brechen, einen
Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Unternehmen. Das Verhalten solcher Unternehmen kann nur so
gedeutet werden, dass diese Akteure anscheinend vermuten, dass Rechtsbruch sich lohnt – anders ist das
Auftreten von Kartellen, rechtswidrigen Geschäftsbedingungen, verbraucherschutzwidrigen Praktiken, feh-
lerhafter Anlageberatung und anderen Rechtsverstößen kaum zu erklären.
Bei sehr kleinen Schadenssummen mag das rationale Desinteresse allerdings auch durch die hier vorgeschla-
gene Opt-in-Gruppenklage nicht überwindbar sein: Wer etwa nur 25 Euro verloren hat, macht diesen Scha-
den – wenn er sich rational verhält – vor Gericht nicht geltend. Trotzdem kann ein solcher Schaden, wenn er
sehr breit gestreut ist, volkswirtschaftlich relevant und im Sinne effektiver Rechtsdurchsetzung sanktionsbe-
dürftig sein. In diesem Bereich besteht daher weiter ein Bedürfnis für andere Instrumente des kollektiven
Rechtsschutzes, die ohne eine individuelle Beteiligung auskommen, etwa Ansprüche auf Gewinnabschöpfung
o. Ä. Allerdings lässt sich eine zahlenmäßige Grenze – also etwa eine Anspruchshöhe ab der oder bis zu der
die Opt-in-Gruppenklage geeignet ist – nicht abstrakt festlegen. Dazu sind die Bedingungen der Rechtsdurch-
setzung zu sehr vom konkreten Fall und von der individuellen Lage der Geschädigten abhängig. Es muss
daher abgewartet werden, ob das hier vorgelegte Instrument auch zur effektiven Bewältigung breit gestreuter
Kleinschäden geeignet ist und ggf. bis zu welcher Grenze. Soweit in der Praxis trotz Einführung des Grup-
penverfahrens weiterhin ein sozial relevantes Rechtsdurchsetzungsdefizit bestehen bleiben sollte, wäre in der
Zukunft an weiteren Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes zu arbeiten, die eine Aktivität eines indivi-
duellen Kleinstgeschädigten nicht voraussetzen.

3. Rolle des Zivilverfahrensrechts

Es wäre allerdings naiv, nur vom Zivilverfahrensrecht die Lösung all dieser Probleme zu erwarten. Rechtsbe-
folgung und -durchsetzung findet auch und gerade über soziale Konventionen, informelle Sanktionen, Repu-
tationssysteme, behördliche Aufsicht und im Extremfall über das Strafrecht statt. Das Zivilverfahrensrecht
kann hier nur ein Instrument unter vielen sein. Dieses darf aber auch nicht vernachlässigt werden, zumal es
die besondere Chance einer in gewissem Maße staatsfernen und von den Bürgerinnen und Bürgern selbst
initiierten Rechtsdurchsetzung in sich birgt.

4. Internationale Entwicklung

Es verwundert daher nicht, dass die internationale Entwicklung in fast allen Industrienationen von einer Re-
form und Erweiterung der Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes gekennzeichnet ist. In der internatio-
nalen Diskussion sieht man in diesen Instrumenten und in ihrem Zusammenspiel mit behördlicher Aufsicht
einerseits und alternativen Formen der Streitbeilegung andererseits einen Beitrag zur Herstellung fairer und
effizienter Märkte (so z. B. auf der Anfang 2012 von der Rückversicherung Swiss Re veranstalteten einschlä-
gigen Tagung: „Building effective markets – The role of an integrated legal system“).
Sammel- und Gruppenklageverfahren findet man daher heute nicht nur in den USA, Kanada und Australien,
sondern auch in zahlreichen EU-Staaten wie etwa in Schweden und Dänemark, in den Niederlanden, in Po-
len, Spanien und Italien (Übersichten über die damit verbundenen Fragestellungen etwa bei Stadler, JZ 2009,
121; Hess, JZ 2011, 66; Koch, JZ 2011, 438). Auch die Europäische Union als Ganzes befasst sich mit der
Entwicklung derartiger Verfahren vor allem im Kartell- und Verbraucherrecht (dazu etwa Meller-
Hannich/Höland, GPR 2011, 168 m. w. N.). Diese Entwicklungen auf EU-Ebene können und müssen aber
nicht erst abgewartet werden. Im Gegenteil: Das deutsche Rechtssystem sollte hier einen angemessenen ei-
genständigen Beitrag leisten (so bereits die Regierungsbegründung zum KapMuG, Bundestagsdrucksache
15/5091, S. 17 „Standortfrage“).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/1464

II. Unzureichende Problemlösungen im geltenden deutschen Recht

Das geltende deutsche Verfahrensrecht löst die dargestellten Probleme bisher nicht ausreichend. Die Ent-
wicklung des deutschen Rechts verlief bei der Entwicklung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes
bisher in zwei Etappen: Erstens gibt es die insbesondere im Lauterkeitsrecht lange zurückreichende Tradition
der vornehmlich auf Unterlassung gerichteten Verbandsklagen, mit denen keine individuellen Ansprüche
gebündelt werden, sondern zusätzliche Interventionsbefugnisse für die klagebefugten Verbände geschaffen
werden. Die zweite Etappe der Bündelung individueller Ansprüche zu einem Gruppenverfahren begann erst
2005 mit dem KapMuG.

1. Verbandsklagen

Die vor allem im Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) und im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG) geregelten Verbandsklagen auf Unterlassung sind einerseits eine Erfolgsgeschichte, andererseits aber
in ihrer Wirkung noch unzureichend. Dieser Befund ergibt sich u. a. aus der Studie von Meller-Hannich und
Höland aus 2009 (Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente für Verbraucher im nati-
onalen Recht und rechtliche Bewertung ausgewählter Ansätze zu ihrer Fortentwicklung): Zwar wird eine
Vielzahl von Fällen konstatiert, in denen die Unterlassung rechtswidriger Praktiken mit Erfolg verlangt wur-
de – trotzdem bleibt die Steuerungswirkung dieses Instruments beschränkt, weil es nur die Unterlassung
rechtswidrigen Verhaltens in der Zukunft in den Blick nimmt, die durch rechtswidriges Verhalten erzielten
Gewinne jedoch unangetastet lässt (Meller-Hannich/Höland, a. a. O., S. 129: mangelnde Verknüpfung der
Unterlassungsklagen mit individuell wirksamen Verbraucherschutz).
Auch der inzwischen eingeführte Gewinnabschöpfungsanspruch zu Gunsten des Bundeshaushalts, der von
den nach UKlaG und UWG klageberechtigten Einrichtungen durchgesetzt werden soll, ist in der Praxis bis-
her kaum relevant geworden (Meller-Hannich/Höland, a. a. O., S. 123: „kein praktisch taugliches Mittel“,
keine Behebung von Durchsetzungsdefiziten des Rechts). So konnten z. B. weder die – vermutlich im Millio-
nenbereich liegenden – Gewinne eines Mobilfunkunternehmens abgeschöpft werden, welches bei der Um-
rechnung von DM zu Euro erwiesenermaßen gegen die europarechtlichen Vorgaben verstieß, noch können in
nennenswertem Ausmaß die durch rechtswidrige Vertragsklauseln erzielten und bisher nicht bezifferbaren
Gewinne im Bereich von Finanzdienstleistungen und Versorgungsunternehmen abgeschöpft werden. Auch
im Kartellrecht findet – trotz theoretisch bestehender Verbandsklagebefugnis in § 34a des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – eine wirksame Gewinnabschöpfung bisher allenfalls dort statt, wo ein
einzelner Geschädigter einen sehr großen Schaden erlitten hat, nicht aber bei einer Häufung von kleineren
oder mittleren Einzelschäden bei zahlreichen Verbraucherinnen und Verbrauchern.

2. Bündelung individueller Ansprüche: KapMuG

Das Problem der Häufung von Einzelschäden und ihre verfahrensmäßige Durchsetzung ist in Deutschland
vor allem mit den seit über zehn Jahren laufenden Prospekthaftungsprozessen gegen die Deutsche Telekom in
den Blick geraten. Dabei wurde erkannt, dass die im materiellen Recht und im Prozessrecht bisher vorgese-
henen Bündelungsformen – nämlich insbesondere die Möglichkeit der Bündelung von Forderungen durch
Inkassozession oder ihre prozessual verbundene Geltendmachung im Wege der streitgenössischen Klage – in
echten Massenfällen an ihre Grenzen stoßen und daher aus heutiger Sicht keine befriedigende Lösung darstel-
len (Bundestagsdrucksache 15/5091, S. 13 f.).
Aus diesem Befund wurde 2005 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) entwickelt, welches
sich aufgrund seiner historischen Genese auf den besonderen Bereich des Kapitalmarktrechts beschränkt;
2012 erfolgte eine Neufassung des KapMuG mit zahlreichen Veränderungen aufgrund der bisherigen Erfah-
rungen. Das KapMuG ist jedoch auch in seiner heute geltenden Form nicht ausreichend, um die Probleme des
Zugangs zum Recht und der kollektiven Rechtsdurchsetzung in angemessener Weise zu lösen. Insbesondere
verbleiben auch nach der Reform 2012 drei gravierende Strukturprobleme des KapMuG.
Erstens ist das KapMuG auf einen bestimmten materiell-rechtlichen Bereich beschränkt, ohne dass es dafür
eine über den historischen Zufall des Telekom-Prozesses hinausgehende innere Rechtfertigung gäbe (so be-
reits die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des KapMuG in Bundestagsdrucksache 15/5091, S. 40).
Massenhafte Schäden mit im wesentlichen identischen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen kommen nicht
nur im Kapitalmarktrecht vor, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Privatrechts.
Zweitens ändert das KapMuG nichts an den bestehenden Zugangsschranken zum Recht, indem es für die
Anspruchsbündelung die Erhebung normaler Klagen voraussetzt. Das KapMuG ist daher – wiederum auf-

Drucksache 18/1464 – 16 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

grund seiner Entstehungsgeschichte verständlich – eher ein Mittel zur Bewältigung einer bereits vorhandenen
Vielzahl von Einzelklagen, senkt aber nicht die Zugangsschwelle zum Recht, wie es für eine effektive kollek-
tive Rechtsdurchsetzung notwendig wäre und wie es auch der international üblichen Praxis entspricht.
Drittens ist das KapMuG als zweistufiges Vorlageverfahren – Klageerhebung beim Landgericht, Musterver-
fahren beim Oberlandesgericht und anschließend Fortsetzung der Ausgangsverfahren vor dem Landgericht –
zu kompliziert und zu langwierig; es sollte durch ein Verfahren auf einer Ebene ersetzt werden. Auch damit
würde eine Anpassung an internationale Entwicklungen im kollektiven Rechtsschutz vollzogen; das kompli-
zierte Vorlageverfahren des KapMuG ist im Rechtsvergleich ohne Beispiel und kann schon aufgrund seiner
Komplexität und Schwerfälligkeit kaum als Vorbild für eine europäische Regelung dienen.

III. Ziele der Einführung des Gruppenverfahrens

Diese Defizite des KapMuG sollen mit der hier vorgeschlagenen Ersetzung des KapMuG durch ein Gruppen-
verfahren soweit wie möglich behoben werden. Der Gesetzentwurf verfolgt daher im wesentlichen drei Ziele:
Erstens soll die mit dem KapMuG geschaffene Möglichkeit der Bündelung individueller Ansprüche verall-
gemeinert und in die Zivilprozessordnung integriert werden. Zweitens sollen die Zugangsschranken zum
Gruppenverfahren gegenüber dem KapMuG abgesenkt werden, um eine stärkere Rechtsdurchsetzungswir-
kung zu erreichen. Drittens soll ein angemessener Rahmen geschaffen werden, in dem die Zivilgerichte bei
massenhaften Schadensfällen zu einer angemessenen Konfliktlösung beitragen können.
Dabei ist von der Notwendigkeit einzelner Klagen schon deshalb abzusehen, weil ein nur auf individuellen
Rechtsschutz fokussiertes System bei Massenschäden strukturell überfordert ist. Dies zeigt vor allem der
extrem langwierige Telekom-Prozess. Das Gruppenverfahren als ein Instrument des kollektiven Rechtsschut-
zes beansprucht daher gerade nicht, jeden Einzelfall abschließend und in seiner vollen rechtlichen Komplexi-
tät zu klären. Diese Aufgabe bleibt dem insoweit bewährten Individualverfahren vorbehalten. Das Gruppen-
verfahren soll aber durch Klärung gemeinsamer Fragen eine überindividuelle Konfliktlösung erleichtern, die
in einem Vergleich bestehen kann, oder auch darin, dass das Gericht diese gemeinsamen Fragen zu Gunsten
der einen oder anderen Seite klärt, um eine Vielzahl von aufwendigen Einzelprozessen überflüssig zu ma-
chen.

IV. Struktur des Gruppenverfahrens

Die hier vorgeschlagene Struktur des Gruppenverfahrens baut einerseits auf den internationalen Erfahrungen
auf, unter denen vor allem die dänische Gruppenklage als erfolgreiches Modell gilt, vgl. dazu Werlauff, Eu-
ropean Business Law Review 24 (2013), S. 173 ff. Außerdem liegen bereits zahlreiche Vorschläge aus der
wissenschaftlichen Literatur vor, die ebenfalls eingearbeitet wurden (insbesondere der Abschnitt zu „Grup-
penklagen“ aus Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesell-
schaft, 2004; außerdem Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, 2011; sowie für Österreich Kodek, Die
Gruppenklage nach der ZVN 2007, RdW 2007, 711; für eine Opt-in-Gruppenklage auch Hess, JZ 2011,
66, 72).

1. Opt-in-Verfahren

In der internationalen Diskussion werden bei Gruppenverfahren „opt-out“- und „opt-in“-Modelle unterschie-
den. Im „opt-out“-Verfahren treffen die Wirkungen einer Entscheidung jedes Mitglied der betroffenen Grup-
pe, es sei denn die betreffende Person tritt ausdrücklich aus dem Verfahren aus. Diese Spezies von Gruppen-
verfahren findet man insbesondere in den USA, Kanada und Australien vor, außerdem in den Niederlanden
bei Vergleichsschlüssen sowie in Dänemark für Verfahren mit geringen Einzelstreitwerten. Da bei Opt-out-
Verfahren eine rechtliche Bindung auch ohne Zustimmung der Betroffenen eintreten kann, unterliegen diese
Verfahren in den genannten Staaten strengen Anforderungen (vgl. etwa Halfmeier/Wimalasena, JZ 2012,
649 ff., dort auch zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit; vgl. den Vorschlag für eine Opt-out-Gruppenklage
für Deutschland bei Hopt/Baetge, in: Basedow u. a., Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess,
1999, 11, 49 ff.).
Im Gegensatz dazu wird im vorliegenden Entwurf ein verfassungsrechtlich wesentlich unproblematischeres
„opt-in“-Verfahren vorgeschlagen, d. h. die Wirkungen einer Entscheidung im Gruppenverfahren treffen nur
diejenigen Personen, die ausdrücklich ihre Teilnahme erklärt haben. Derartige Verfahren sind in Dänemark

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/1464

und Schweden bereits etabliert. Das „opt-in“-Verfahren hat den Vorzug der strikten Freiwilligkeit ohne Ver-
einnahmung am Verfahren nicht Beteiligter.
Auch darin unterscheidet es sich vom geltenden KapMuG: Das KapMuG zwingt jeden Betroffenen, dessen
Ansprüche von den im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen abhängen, gemäß § 8 KapMuG in ein
ggf. langwieriges Musterverfahren, auch wenn der Kläger dies möglicherweise gar nicht wünscht (kritisch
dazu etwa Schneider/Heppner, BB 2012, 2703, 2710 f.). Das hier vorgeschlagene Gruppenverfahren ist dage-
gen freiwilliger Natur, d. h. es bleibt jedem Betroffenen selbst überlassen, ob er sich dem Gruppenverfahren
als Teilnehmer anschließt oder ob er seinen individuellen Anspruch im normalen Verfahren durchzusetzen
versucht oder auch ganz untätig bleibt.
Damit wird das eingangs konstatierte rationale Desinteresse zwar nicht komplett überwunden; demgegenüber
überwiegen aber die mit der Freiwilligkeit verbundenen Vorzüge: Auch das Gruppenverfahren beruht auf
dem Gedanken der Privatautonomie, denn es schreibt den Bürgerinnen und Bürgern weder vor, dass sie ihre
Ansprüche durchsetzen müssten, noch auf welchem Wege dies zu geschehen hat; es macht ihnen nur ein
zusätzliches Angebot der kollektiven Rechtsdurchsetzung.
Zugleich wird aber auch die Struktur des Verfahrens im Hinblick auf die Beteiligten gegenüber dem
KapMuG verändert. Das KapMuG muss aufgrund seines Zwangscharakters sämtliche Kläger der Ausgangs-
verfahren zu „Beigeladenen“ machen, denen umfassende prozessuale Rechte zustehen. Diese Rechte der
Beigeladenen werden aber in der Praxis des KapMuG kaum wahrgenommen. Würden sie wiederum massen-
haft wahrgenommen, wäre ein Massenverfahren kaum noch vernünftig abzuwickeln.
Das Gruppenverfahren wird dagegen auf Seiten der klägerischen Gruppe nur vom Gruppenkläger geführt.
Die Teilnehmer werden über den Fortgang des Verfahrens informiert, können aber selbst keine Prozesshand-
lungen vornehmen. Wer mit der Verfahrensführung durch den Gruppenkläger nicht einverstanden ist, wird
entweder gar nicht erst seine Teilnahme erklären oder im Laufe des Verfahrens wieder austreten. Das rechtli-
che Gehör der Teilnehmer des Gruppenverfahrens wird für sie durch den Gruppenkläger ausgeübt; dem ha-
ben sie durch ihre Teilnahme und ihren freiwilligen Verbleib im Gruppenverfahren zugestimmt, so dass ein
individuelles Gehör jedes einzelnen Teilnehmers verfassungsrechtlich nicht geboten ist (ebenso bereits
Micklitz/Stadler, a. a. O., S. 1385; Stadler, in: Meller-Hannich (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz (2008),
S. 93, 100).
Schon das geltende deutsche Recht geht diesbezüglich etwa in § 6 des Spruchverfahrensgesetzes (SpruchG)
deutlich weiter: Dort wird das rechtliche Gehör sämtlicher Berechtigter zulässigerweise durch den vom Ge-
richt bestellten Vertreter wahrgenommen, ohne dass den Betroffenen auch nur ein Ein- oder Austrittsrecht
zustünde (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung Kubis, in: Münchener Kommentar zum Aktienge-
setz, 3. Aufl. 2010, § 6 SpruchG Rn. 1 m. w. N.).
Die Interessen der Teilnehmer werden außerdem dadurch geschützt, dass der Gruppenkläger durch Beschluss
des Gerichts auf Antrag eines Teilnehmers ausgewechselt werden kann, wenn er das Gruppenverfahren er-
kennbar nicht im Interesse der Gruppe führt.

2. Echtes oder begrenztes Gruppenverfahren möglich

Was den Gegenstand des Gruppenverfahrens angeht, so ermöglichen die hier vorgeschlagenen Regeln so-
wohl ein „echtes“ Gruppenverfahren wie auch ein „begrenztes“ Gruppenverfahren (Terminologie nach Lan-
ge, a. a. O., S. 185). Ein „echtes“ Gruppenverfahren enthält z. B. einen Leistungsantrag wie im Individualver-
fahren und könnte mit einem Urteil mit vollstreckbarem Inhalt enden. Dies wird voraussichtlich die Ausnah-
me bleiben, da viele Ansprüche subjektive oder sonstige individuelle Voraussetzungen haben. Diese können
so unterschiedlich sein, dass sie sich nicht für eine gemeinsame Behandlung im Gruppenverfahren eignen,
weil z. B. die jeweils individuelle Beweisaufnahme dann keinen Effektivitätsgewinn gegenüber Einzelpro-
zessen verspricht.
Andererseits sind auch Fälle vorstellbar, in denen die Anspruchsvoraussetzungen so einheitlich sind, dass sie
vollständig im Gruppenverfahren abgearbeitet werden können: Wenn etwa das materielle Recht den Passa-
gieren eines ausgefallenen Fluges eine pauschale Entschädigung gewährt (ohne Rücksicht auf individuell
eingetretene Schäden), so ließe sich dies im Gruppenverfahren durchführen, da der Gruppenkläger dann im
Streitfall nur beweisen muss, dass die Gruppenmitglieder in dem betreffenden verspäteten Flugzeug saßen.
Auch etwaige Einwendungen wären dann genereller Natur (z. B. das Vorliegen höherer Gewalt, soweit dies
den Anspruch ausschließt) und sinnvollerweise im Gruppenverfahren mit Wirkung für die ganze Gruppe zu
klären.

Drucksache 18/1464 – 18 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Auch ein nach allgemeinen Regeln gemäß § 256 ZPO zulässiger Feststellungsantrag kann zulässiger und
sinnvoller Gegenstand eines Gruppenverfahrens sein, z. B. die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung oder
sonstigen Vertragsänderung bezogen auf eine Gruppe von Kundinnen und Kunden eines bestimmten Unter-
nehmens, die zu ein und denselben Vertragsbedingungen abgeschlossen haben. Auch hier kann das Gruppen-
verfahren effektiver als zahlreiche Einzelprozesse sein.
Neben diesen Bündelungen ohnehin zulässiger Leistungs- oder Feststellungsanträge kommt aber auch eine
dritte Kategorie von Gruppenverfahren in Betracht, die insoweit dem Musterverfahren nach dem KapMuG
ähnelt und dieses ersetzt. Ein solches „begrenztes“ Gruppenverfahren beschränkt sich auf Feststellungen zu
gemeinsamen Tatsachen oder Rechtsfragen (etwa wie im KapMuG zu fehlerhaften Kapitalmarktinformatio-
nen) und endet schon deswegen nicht mit einer vollstreckbaren Entscheidung. In diesen Fällen müsste ein
individuelles Verfahren nachgeschaltet werden, um für einen einzelnen Anspruchsteller zu einem vollstreck-
baren Titel zu kommen. Bei lebensnaher Betrachtung wird das nachgeschaltete Individualverfahren aber die
Ausnahme bleiben: Siegt die klagende Gruppe im Gruppenverfahren, so wird für den Beklagten in der Regel
ein starker Anreiz zur gütlichen Streitbeilegung gesetzt. Ist dagegen der Beklagte im Gruppenverfahren sieg-
reich, so sind weitere Individualverfahren für die Kläger regelmäßig sinnlos. Es ist daher insgesamt effizien-
ter, dass – wie hier vorgeschlagen – ein Gruppenverfahren von Anfang an eingeleitet werden kann, ohne dass
man zunächst – wie noch im KapMuG – eine Reihe von Individualklagen erheben müsste.

3. Faire Kostenregeln auf beiden Seiten

Die Kostenregeln im Gruppenverfahren sehen vor, dass die finanziellen Zugangsschranken beim Gruppen-
verfahren im Vergleich zum Individualprozess abgesenkt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass die bereits
jetzt im KapMuG geltenden Kostenregeln zur Anmeldung von Ansprüchen auf die Teilnahme am Gruppen-
verfahren erstreckt werden. Außerdem wird das für den einzelnen Teilnehmer im Gruppenverfahren entste-
hende Kostenrisiko auf einen Höchstbetrag begrenzt. Dies macht die Teilnahme besser kalkulierbar. Der
Entwurf folgt damit der insoweit erfolgreichen Regelung in Dänemark.
Zugleich wird aber das im deutschen Zivilprozessrecht bewährte „loser pays“-Prinzip (§ 91 ZPO) in vollem
Umfang beibehalten. Dies dient vornehmlich dem Schutz des Beklagten. Er wird im Gruppenverfahren nicht
schlechter gestellt als im Individualverfahren. Soweit ein obsiegender Beklagter eine Kostenerstattung auf-
grund der zu Gunsten der Teilnehmer geltenden individuellen Höchstgrenzen nicht erlangen kann, haftet der
Gruppenkläger für die restliche Kostenerstattung. Damit entfaltet das „loser pays“-Prinzip auch im Gruppen-
verfahren eine wichtige Steuerungswirkung zur Vermeidung sinnloser Prozesse: Gerade der Gruppenkläger
wird aufgrund der für ihn bestehenden Residualhaftung keine aussichtslosen Verfahren führen.

4. Fortentwicklung des KapMuG

Das Gruppenverfahren löst das KapMuG ab und ersetzt dieses. Zugleich ist das Gruppenverfahren aber als
Fortentwicklung des KapMuG zu verstehen: So weit wie möglich lehnen sich die Vorschriften zum Grup-
penverfahren an diejenigen des KapMuG an, um so auf die unter dem KapMuG bereits gemachten Erfahrun-
gen zurückgreifen zu können. Das Gruppenverfahren erfindet also das Rad nicht neu, sondern entwickelt das
KapMuG mit den für die Erreichung seiner Ziele notwendigen Änderungen weiter.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Der Entwurf sieht eine Integration der Regelungen zum Gruppenverfahren in die ZPO vor, um eine Zersplit-
terung des Verfahrensrechts zu vermeiden. Eine solche Integration ist in der Literatur mehrfach vorgeschla-
gen worden (zuletzt etwa durch Schilken, in: Festschrift Picker, 2010; Lange, a. a. O., S. 334 m. w. N.). Sie
entspricht auch der Tendenz im materiellen Recht, in welchem z. B. die verbraucherrechtlichen Regelungen
heute weitgehend innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vorzufinden sind und nicht mehr in einer
Vielzahl von Sondergesetzen.

Zu § 606
Die Vorschrift beschreibt die Voraussetzungen eines Gruppenverfahrens und lehnt sich dabei sowohl an die
Vorschläge von Micklitz und Stadler (a. a. O., S. 1431) wie auch an internationale Erfahrungen an. In der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 19 – Drucksache 18/1464

Norm kommen zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe vor, insbesondere die „hinreichend bestimmbare“
Gruppe und der „gleiche zugrunde liegende Lebenssachverhalt“ in Nummer 1, die „ähnlichen“ Umstände in
Nummer 2, die Vorzugswürdigkeit des Gruppenverfahrens gegenüber zahlreichen Einzelverfahren
(Nummer 3) sowie die Eignung des vorgeschlagenen Gruppenklägers (Nummer 4). Diese Merkmale sind
vom Gericht bei der Zulassungsentscheidung gemäß § 612 zu überprüfen. Sie ermöglichen es dem Gericht,
mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, ob die Durchführung eines Gruppenverfahrens ange-
messen ist. Die dadurch entstehende starke Stellung des Gerichts im Hinblick auf die Zulassung des Grup-
penverfahrens ist beabsichtigt und entspricht bewährter internationaler Praxis. Das Gruppenverfahren soll
eine effiziente und angemessene Form der Konfliktlösung bereitstellen. Ob es dies im konkreten Fall leisten
kann, ist vom Gericht anhand der in § 606 genannten Voraussetzungen zu entscheiden.
Der in Nummer 1 genannte Lebenssachverhalt stellt ebenso wie bereits in § 4 Absatz 1 KapMuG den „Bün-
delungsrahmen“ (Lange, a. a. O., S. 233) dar, auf den sich das Verfahren bezieht. Er ist notwendig, um den
Gegenstand und die Wirkung des Gruppenverfahrens zu bestimmen. Ein rein abstraktes Verfahren – etwa zu
einzelnen Rechtsfragen – ohne Bezug auf einen konkreten Lebenssachverhalt ist nicht zulässig. Damit ist
allerdings noch nicht vorgegeben, wie umfangreich ein solcher gleicher Lebenssachverhalt in einem Grup-
penverfahren sein kann. Ebenso wie bereits im KapMuG mag man z. B. verschiedene Wertpapierprospekte
zu einem Lebenssachverhalt zusammenfassen können, wenn sie ein und dieselbe Information betreffen (vgl.
Kruis, in: Kölner Kommentar KapMuG, § 1 KapMuG a. F. Rn. 109 ff.).
Das Merkmal der hinreichend bestimmbaren Gruppe zielt in eine ähnliche Richtung und soll zu weite oder
unbestimmte Gruppenverfahren vermeiden. So wäre etwa eine Gruppe „sämtliche Verbraucherinnen und
Verbraucher“ oder „alle Kundinnen und Kunden von Lebensversicherungen“ zu unbestimmt. Hinreichend
bestimmbar wäre daher eine Gruppe von sämtlichen Personen, die in einem bestimmten Zeitraum ein be-
stimmtes Produkt oder Wertpapier erworben haben, oder sämtliche Personen, die bei einem Versicherungsun-
ternehmen X, in einem bestimmten Zeitraum die Versicherungspolice C abgeschlossen haben.
Die in Nummer 2 bezeichneten gleichen oder ähnlichen tatsächlichen Umstände beziehen sich ebenso wie im
KapMuG auf anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Voraussetzungen; dasselbe gilt für die
Rechtsfragen. Insoweit soll kein Unterschied zu § 2 Absatz 1 und § 3 Abatz 1 Nummer 1 KapMuG bestehen
(zum Begriff der Abhängigkeit s. unten bei § 610). Die dennoch abweichende Formulierung im Hinblick auf
„gleiche oder ähnliche“ Umstände und Rechtsfragen soll den Gerichten jedoch die nötige Flexibilität ermög-
lichen; bei nur „ähnlichen“ Umständen oder Rechtsfragen können ggf. Untergruppen gemäß § 610 Absatz 3
gebildet werden.
Nummer 3 verlangt außerdem, dass das Gruppenverfahren gegenüber zahlreichen Einzelverfahren „vorzugs-
würdig“ ist. Damit soll darauf hingewiesen werden, dass ein Gruppenverfahren nur sinnvoll ist, wenn es im
Vergleich zu vielen Einzelklagen als angemessene Form der Konfliktlösung erscheint. Eine zahlenmäßige
Grenze ist dabei – abgesehen von dem Seriositätsindiz der in § 609 Absatz 1 geforderten zehn Teilnahmeer-
klärungen – nicht vorgesehen, da die Vorzugswürdigkeit des Gruppenverfahrens von den Umständen des
Einzelfalls abhängt: Schon bei zehn Anspruchstellern mag ein Gruppenverfahren sinnvoll sein, wenn alle
Ansprüche sich auf dieselbe angeblich fehlerhafte Kapitalmarktinformation beziehen und dies die wesentli-
che zu beurteilende Frage darstellt. Andererseits ist aber auch vorstellbar, dass ein Gruppenverfahren auch
bei einer größeren Zahl von Anspruchstellern gegenüber Einzelklagen nicht vorzugswürdig ist, wenn jeder
Anspruch so starke materiell-rechtlich relevante individuelle Besonderheiten aufweist, dass eine Zusammen-
fassung im Gruppenverfahren kaum weiterhilft.
Bezüglich der in Nummer 4 verlangten Eignung des Gruppenklägers gibt § 613 Absatz 2 gewisse Anhalts-
punkte. Im Grundsatz ist von einer Eignung des vorgeschlagenen Gruppenklägers auszugehen, sofern keine
konkreten Anhaltspunkte dagegen sprechen. Der Gruppenkläger muss „willens“ sein, diese Aufgabe zu über-
nehmen, d. h. die Ernennung zum Gruppenkläger kann nicht gegen den Willen des Betroffenen stattfinden;
dies ist eine Klarstellung ggü. dem KapMuG (vgl. bereits Lange, in Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 8 KapMuG
a. F. Rn. 32).

Zu § 607
Anders als das KapMuG ist das Gruppenverfahren nicht auf ein bestimmtes Teilgebiet des Privatrechts be-
schränkt, so dass grundsätzlich alle Klagen im Anwendungsbereich der ZPO für ein Gruppenverfahren in
Betracht kommen. Die Vorschrift des § 607 stellt daher nur klar, dass in den genannten Angelegenheiten ein
Gruppenverfahren keinesfalls zulässig ist.

Drucksache 18/1464 – 20 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ob sich konkrete Ansprüche mit Blick auf ihren rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang für ein Grup-
penverfahren eignen, wird daher hier nicht vom Gesetzgeber abstrakt vorgegeben. Vielmehr ist es Sache des
angerufenen Gerichts, diese Frage im Rahmen seiner Entscheidung über die Zulassung des Gruppenverfah-
rens anhand der in § 606 vorgegeben Kriterien zu beantworten.

Zu § 608
Absatz 1 konzentriert die örtliche Zuständigkeit für Gruppenverfahren auf das Gericht am Sitz des Beklagten.
Dies soll die Abwicklung ggf. konkurrierender Anträge auf die Durchführung von Gruppenverfahren erleich-
tern. Die Interessen der Kläger, an einem anderen Ort Klage erheben zu können, können im Gruppenverfah-
ren aufgrund der möglichen Vielzahl von Klägern ohnehin nicht ohne Weiteres berücksichtigt werden.
Die Regelung des Absatzes 2 beruht auf der Überlegung, dass auch bei im Ausland befindlichen Beklagten
die Möglichkeit bestehen sollte, ein Gruppenverfahren in Deutschland durchzuführen, wenn sich die Aktivi-
täten des ausländischen Beklagten in der Weise in Deutschland auswirken, dass sie hier nach den allgemeinen
Regeln zuständigkeitsbegründend sind. Die internationale Zuständigkeit wird in der Vorschrift nicht behan-
delt; insoweit gehen ohnehin die europarechtlichen Regelungen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs vor.
Die Regelung in Absatz 3 hängt mit der Entscheidung zusammen, die sachliche Zuständigkeit für Gruppen-
verfahren bei den Landgerichten anzusiedeln, soweit nicht die bisher dem KapMuG unterfallenden Materien
betroffen sind (siehe Artikel 3). Die Länder werden damit ermächtigt, Gruppenverfahren bestimmten Land-
und Oberlandesgerichten zuzuweisen, um diesbezügliche Spezialkompetenzen aufzubauen und die Gerichts-
organisation entsprechend anzupassen.

Zu § 609
Das Gruppenverfahren wird durch einen Antrag nach § 609 eingeleitet, der entweder zusammen mit der Kla-
geschrift gestellt wird – so der in Absatz 1 vorgesehene Regelfall – oder gemäß Absatz 3 aus einem bereits
anhängigen Prozess heraus. Der Antrag muss die Voraussetzungen für ein Gruppenverfahren gemäß § 606
darlegen und enthält zugleich den Vorschlag, wer als Gruppenkläger ernannt werden soll. Außerdem sind die
genannten Teilnahmeerklärungen beizufügen, einschließlich jener des avisierten Gruppenklägers, da zu die-
sem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob er tatsächlich zum Gruppenkläger ernannt wird. Im Falle des § 611
Nummer 2 (qualifizierte Einrichtung als vorgeschlagener Gruppenkläger) wird diese Einrichtung i. d. R.
keinen eigenen Anspruch geltend machen – sofern sie insoweit nicht als Zessionarin auftritt – und muss daher
auch keine Teilnahmeerklärung abgeben. Die Anzahl von zehn Teilnehmern ist nur eine aus dem geltenden
Recht des KapMuG entlehnte Mindestvoraussetzung, mit der eine gewisse zahlenmäßige Bedeutung des
Antrags gesichert werden soll; die Einhaltung dieser Mindestanzahl führt noch nicht automatisch zur Zuläs-
sigkeit des Gruppenverfahrens.

Zu § 610
Die Vorschrift stellt in Absatz 1 zunächst klar, dass im Gruppenverfahren dieselben Anträge gestellt werden
können wie im Individualverfahren.
Absatz 2 erweitert darüber hinaus den möglichen Gegenstand eines Gruppenverfahrens. Die hier verwendete
Formulierung der möglichen Gegenstände eines auf bestimmte tatbestandlich relevante Feststellun-
gen„begrenzten“ Gruppenverfahrens entspricht den möglichen Feststellungszielen im bisherigen KapMuG
(§ 2 Absatz 1 KapMuG). Wird ein solches „begrenztes“ Gruppenverfahren gewählt, so ist der Streitgegen-
stand des Gruppenverfahrens ein „gebündelter Ausschnitt“ aus den Individualverfahren der Gruppenmitglie-
der, nur dass die Klageerhebung durch jedes Gruppenmitglied hier – anders als im KapMuG – eben nicht
mehr Voraussetzung des Gruppenverfahrens ist (vgl. dazu Lange, a. a. O., S. 233).
Der Begriff der „Abhängigkeit“ der Ansprüche der Gruppenmitglieder von den beantragten Feststellungen ist
wie in § 3 Absatz 1 Nummer 1 KapMuG zu verstehen, d. h. es ist eine abstrakte Abhängigkeit gemeint. Das
Gruppenverfahren setzt nicht voraus, dass jeder einzelne Anspruch nur noch von der im Gruppenverfahren zu
treffenden Feststellung abhängt. Vielmehr ist gemeint, dass die festzustellenden Tatsachen oder Rechtsfragen
für jedes Gruppenmitglied entscheidungserheblich sein können.
Die gemäß § 610 Absatz 3 mögliche Bildung von Untergruppen ermöglicht ein gemeinsames Verfahren für
Gruppenmitglieder, deren Anspruchsvoraussetzungen zwar in Teilen, aber nicht komplett identisch sind, z. B.
Versicherungsnehmer mit unterschiedlichen Policen oder Erwerber von Wertpapieren aufgrund verschiede-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21 – Drucksache 18/1464

ner Prospekte, die aber dennoch in der Weise verbunden sind, dass sie als ein Lebenssachverhalt zu werten
sind.

Zu § 611
Gemäß Nummer 2 dieser Norm steht die Befugnis zur Beantragung eines Gruppenverfahrens und zu seiner
Durchführung als Gruppenkläger nicht nur Mitgliedern der jeweiligen Gruppe zu, sondern auch den in
Nummer 2 bezeichneten qualifizierten Einrichtungen. Diese haben insbesondere im Rahmen ihrer nach UWG
und UKlaG bestehenden Unterlassungsklagebefugnisse ein erhebliches Know-how im Bereich der Durchset-
zung von Verbraucher- und Wettbewerbsrecht aufgebaut, das hier nicht ungenutzt bleiben soll. § 611 Num-
mer 2 ermöglicht diesen Institutionen die Führung eines Gruppenverfahrens, ohne dass auf eine Zession der
zugrunde liegenden Ansprüche oder ähnliche Hilfskonstruktionen zurückgegriffen werden müsste. Tritt eine
qualifizierte Einrichtung als Gruppenklägerin auf, so ist in dem zu stellenden Antrag deutlich zu machen,
dass die begehrten Rechtswirkungen nicht zwischen ihr und dem Beklagten, sondern zwischen den Teilneh-
mern und dem Beklagten eintreten sollen.

Zu § 612
Da das Gruppenverfahren eine Ausnahme vom ansonsten die ZPO prägenden Grundsatz der individuellen
Rechtsverfolgung darstellt, ist ein Vorverfahren zur Prüfung der Zulässigkeit des Gruppenverfahrens not-
wendig. Auch dies entspricht internationalen Standards. In diesem Vorverfahren prüft das Gericht die Zuläs-
sigkeitsvoraussetzungen und erörtert mit den Parteien die angemessene Durchführung des Verfahrens ein-
schließlich der Formulierung der im Gruppenverfahren sachdienlichen Anträge. Möglicherweise ist bereits an
dieser Stelle eine gütliche Einigung möglich.
Anders als im KapMuG, in dem die verfahrenseinleitenden Beschlüsse weitgehend als unanfechtbar ausge-
staltet sind, ist der Beschluss über die Eröffnung oder Nichteröffnung des Gruppenverfahrens mit der soforti-
gen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Dafür spricht schon die erhebliche Bedeutung, wel-
che die Einleitung eines Gruppenverfahrens für die Verfahrensbeteiligten haben kann. Hinzu kommt, dass die
unbestimmten Rechtsbegriffe des § 606 erst durch die Rechtsprechung ausgefüllt und präzisiert werden müs-
sen, so dass eine Kontrolle der Rechtsanwendung hier auch im Interesse der Rechtsentwicklung nötig ist. Aus
der Anfechtbarkeit des Beschlusses ergibt sich schon nach allgemeinen Regeln die Pflicht zur Begründung
des Beschlusses (Musielak, ZPO, § 329 Rn. 5).

Zu § 613
Anders als das KapMuG enthält das Gruppenverfahren in der hier entworfenen Form keinen Zwang zum
Anschluss an das Verfahren. Dies hat zur Konsequenz, dass auch die Führung paralleler Gruppenverfahren zu
einem Lebenssachverhalt im Grundsatz denkbar ist, soweit es sich um unterschiedliche Teilnehmergruppen
handelt. Aus Effizienzgesichtspunkten ist eine solche Doppelung von Gruppenverfahren jedoch nicht er-
wünscht und sollte daher in der Regel mit den in § 613 vorgesehenen Mitteln vermieden werden können.
Die in Absatz 2 genannten Kriterien zur Auswahl des Gruppenklägers unter mehreren Kandidaten entspre-
chen im wesentlichen dem geltenden Recht zur Auswahl des Musterklägers gemäß § 9 Absatz 2 KapMuG.
Entscheidend ist gemäß § 613 Absatz 2 Satz 1 die Beurteilung der Eignung des potentiellen Gruppenklägers;
die in Satz 2 genannten weiteren Kriterien sind nur Indizien für eine solche Eignung. Beantragt eine Einrich-
tung gemäß § 611 Nummer 2 ihre Ernennung zum Gruppenkläger, so wird diese – Fälle der Zession ausge-
nommen – regelmäßig keinen eigenen Anspruch haben, der dem Gruppenverfahren zugrunde liegen könnte;
daraus ergibt sich jedoch nicht, dass diese Einrichtung im Vergleich zu einem möglichen Gruppenkläger mit
hohem eigenen Anspruch weniger geeignet wäre.
Ist einmal ein Gruppenverfahren eröffnet, so ist es zweckmäßig, dass weitere Betroffene sich diesem Grup-
penverfahren als Teilnehmer anschließen, anstatt ein weiteres eigenes Gruppenverfahren durchzuführen.
§ 613 enthält in dem Begriff „verwiesen werden können“ insoweit ein Ermessen des Gerichts, dass es in
besonderen Ausnahmefällen auch ein zweites Gruppenverfahren zulassen kann. Ein solcher Ausnahmefall
könnte etwa vorliegen, wenn das erste Gruppenverfahren nicht interessengerecht geführt wird oder wenn eine
Teilnahme am ersten Gruppenverfahren nicht mehr möglich ist – etwa weil dieses sich bereits in der Rechts-
mittelinstanz befindet – und die versäumte Teilnahme von den Betroffenen nicht zu vertreten ist.

Drucksache 18/1464 – 22 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Zu § 614
Die Institution des Klageregisters wird aus dem KapMuG übernommen. Die Bekanntmachung des Eröff-
nungsbeschlusses im Klageregister dient dazu, anderen Gerichten die Möglichkeit zu geben, von dem Grup-
penverfahren und seinen Teilnehmern Kenntnis zu erlangen, etwa für die Zwecke der Aussetzung gemäß
§ 618. Außerdem dient die Bekanntmachung der möglichen Erweiterung der Gruppe durch den Hinweis auf
die Teilnahmemöglichkeit. De facto wird dieser Hinweis jedoch nicht zu einer tatsächlichen Information der
Gruppenmitglieder führen, sondern der Gruppenkläger und sein Prozessvertreter werden im eigenen Interesse
auf die Teilnahmemöglichkeit öffentlich hinweisen; dabei können sie jedoch auf das öffentlich zugängliche
Klageregister verweisen.

Zu § 615
Für die Teilnahmeerklärung ist zur Vereinfachung der Abwicklung auch ein elektronisches Verfahren einzu-
richten. Der Anwaltszwang entspricht dem geltenden Recht für die Anmeldung von Ansprüchen gemäß § 10
Absatz 2 KapMuG und soll formwidrige Erklärungen verhindern helfen sowie eine Beratung des Teilneh-
mers ermöglichen. Satz 3 stellt klar, dass die Teilnahmeerklärung nicht erst ab Veröffentlichung des Eröff-
nungsbeschlusses im Klageregister zulässig ist, sondern bereits ab Stellung des Antrags auf Durchführung
des Gruppenverfahrens. Dies kann für die Verjährungshemmung von Bedeutung sein, zumal das Eröffnungs-
verfahren aufgrund der darin möglichen Rechtsmittel (§ 612 Absatz 4) eine gewisse Zeit dauern kann.

Zu § 616
Der notwendige Inhalt der Teilnahmeerklärung entspricht weitgehend dem geltenden Recht zur Anmeldung
von Ansprüchen in § 10 Absatz 3 KapMuG. Die Zustellung der Teilnahmeerklärung an den Beklagten hemmt
die Verjährung (siehe Ergänzung des § 204 BGB in Artikel 2). Die Angabe der Anspruchshöhe ist auch dann
nötig, wenn im Gruppenverfahren kein Leistungsantrag verfolgt wird, sondern sich das Gruppenverfahren auf
eine Feststellung von Tatsachen oder die Beantwortung von Rechtsfragen beschränkt: Schon für die Verjäh-
rungshemmung muss der Anspruch – soweit möglich – beziffert werden; außerdem knüpfen die vom Teil-
nehmer zu entrichtenden Gebühren an den Wert dieses einzelnen Anspruchs an (siehe den neu einzufügenden
§ 51b des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Artikel 4).

Zu § 617
Bei der Zulassung von Teilnahmeerklärungen ist abzuwägen zwischen einer aus Effizienzgründen möglichst
großen Gruppe einerseits und Aspekten der Rechtssicherheit andererseits, die zu einem gewissen Zeitpunkt
eine Fixierung der Gruppe erfordern. Diese Fixierung ist spätestens mit Ende der mündlichen Verhandlung
erster Instanz nötig, so dass eine spätere Teilnahme nicht möglich ist. Vorher sind auch verspätete Teilnah-
meerklärungen regelmäßig zuzulassen, es sei denn sie sind aufgrund des Verfahrensfortschritts nicht mehr
sachdienlich. Letzteres kann z. B. der Fall sein, wenn auf der Grundlage der bisher teilnehmenden Personen
bereits ein Vergleichsvorschlag erarbeitet wurde.

Zu § 618
Die Teilnahme am Gruppenverfahren ist zwar freiwillig, aber sie darf zur Vermeidung widersprechender
Entscheidungen und aus Effizienzgründen nicht mit einem parallel laufenden Individualverfahren verbunden
werden. Daher wird ein solches Individualverfahren, wenn der Kläger im Individualverfahren zugleich am
Gruppenverfahren als Gruppenkläger oder Teilnehmer beteiligt ist, wie in § 8 Absatz 1 KapMuG von Amts
wegen ausgesetzt. Das Gericht wird in der Regel von den Parteien über die Existenz des Gruppenverfahrens
informiert werden und kann die Angaben über das Klageregister verifizieren. Sollte ausnahmsweise ein Indi-
vidualverfahren mangels entsprechender Information trotz parallelem Gruppenverfahren fortgesetzt werden,
ergibt sich insoweit eine ähnliche Situation wie bei § 261 Absatz 3 Nummer 1 ZPO, so dass die dazu entwi-
ckelten Regeln angewandt werden können (vgl. Foerste, in: Musielak, ZPO, § 261 Rn. 9).

Zu § 619
Auf Seiten der klagenden Gruppe ist nur der Gruppenkläger Partei des Verfahrens. Er handelt mit Wirkung
für die Teilnehmer und in deren Interesse. Dies ist jedoch eine rein prozessrechtliche Stellung, die nicht
schon als solche zu schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Gruppenkläger und den Teilnehmern führt.
Dies wird in Absatz 2 klargestellt. Die in Absatz 3 geregelte Möglichkeit der Abberufung des Gruppenklä-
gers entspricht § 9 Absatz 4 KapMuG, wobei mit dem Wort „offensichtlich“ klargestellt wird, dass es sich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23 – Drucksache 18/1464

hier um einen Ausnahmefall handeln wird. Klarstellenden Charakter hat auch § 619 Absatz 4 Satz 1, da die
Eröffnung des Gruppenverfahrens immer eine mündliche Verhandlung voraussetzt (§ 612 Absatz 1). Die
Regelung des § 619 Absatz 4 soll den Austausch des Gruppenklägers ermöglichen, wenn der bisherige Grup-
penkläger das Gruppenverfahren nicht weiter betreiben möchte.

Zu § 620
Die Teilnehmer sind nicht Partei des Gruppenverfahrens. Sie nehmen an diesem freiwillig teil und stimmen
somit der Wahrnehmung ihrer prozessualen Stellung durch den Gruppenkläger zu. Den Teilnehmern ver-
bleibt als wichtigstes Recht das Informationsrecht, auf dessen Grundlage sie über ihren Verbleib im Grup-
penverfahren entscheiden können. Die Regelung zum elektronischen Informationssystem folgt § 12 Absatz 2
KapMuG i. d. F. ab dem 1. Juli 2013. Darüber hinaus fasst Absatz 3 die gesetzlich geregelten Fälle zusam-
men, in denen die Teilnehmer eigene Rechte zur Wahrung ihrer Interessen haben, nämlich bei der vom Grup-
penkläger beabsichtigten Klagerücknahme, bei einem beabsichtigten Vergleichsschluss und bei der Einle-
gung von Rechtsmitteln. Absatz 4 stellt klar, dass Teilnehmer nicht als Zeugen vernommen werden können.

Zu § 621
In der Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es sinnvoll ist, den Teilnehmern die Mög-
lichkeit zum Austritt aus dem Gruppenverfahren zu gewähren (dafür der österreichische Entwurf von 2007,
vgl. Kodek, RdW 2007, 711, 713; für eine zeitlich engere Begrenzung etwa Lange, a. a. O., S. 306). § 621
Absatz 1 gibt den Teilnehmern dieses Recht, jedoch nur während des ersten Rechtszugs und unter Aufrecht-
erhaltung der Pflicht zur Kostentragung. Damit wird ein Kompromiss angestrebt zwischen dem berechtigten
Interesse des Teilnehmers, von einem aus seiner Sicht fehlerhaft geführten Gruppenverfahren nicht gebunden
zu sein und andererseits zwischen dem Interesse des Beklagten an Rechtssicherheit und Kostenerstattung bei
Obsiegen. In der Rechtsmittelinstanz tritt insoweit das Interesse des Teilnehmers zurück, da es nur noch um
Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung geht. Auch in der Rechtsmittelinstanz verbleibt jedoch dem
Teilnehmer die Möglichkeit, bei offensichtlich unangemessener Verfahrensführung die Abberufung des
Gruppenklägers gemäß § 619 Absatz 3 zu beantragen.

Zu § 622
Die Vorschrift entspricht dem geltenden Recht in § 11 Absatz 1 KapMuG.

Zu den §§ 623 bis 626
Auch die Regelungen zum Vergleichsschluss entsprechen im Wesentlichen dem bisher im KapMuG gelten-
den Recht (§§ 17 bis 19 und 23 KapMuG).

Zu § 627
Das Gruppenverfahren endet als eigenständiges Verfahren mit einem Urteil, nicht durch Beschluss wie das
Musterverfahren im KapMuG. Soweit im Gruppenverfahren Leistungs- oder Feststellungsanträge nach den
allgemeinen Regeln gestellt werden, ergeben sich keine Besonderheiten: Diese Anträge sind begründet, wenn
und soweit die behaupteten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse bestehen.
Für die besonderen Anträge gemäß § 610 Absatz 2 bedarf es jedoch einer zusätzlichen Regelung in § 627
Absatz 1: Hier reicht es nicht aus, dass die begehrten Feststellungen zu treffen sind, sondern es muss hinzu-
kommen, dass diese Feststellungen für den Anspruch eines jeden Teilnehmers relevant sind. Andernfalls
könnte jedermann die Klärung bestimmter Tatsachen oder Rechtsfragen im Gruppenverfahren veranlassen,
was nicht beabsichtigt ist. Daher wird hier das bereits in § 610 Absatz 2 verwendete Merkmal der (abstrakt zu
beurteilenden, siehe Erläuterung zu § 610) Abhängigkeit des Anspruchs von den betreffenden Tatsachen oder
Rechtsfragen eingeführt. Ist diese abstrakte Abhängigkeit für einen Teilnehmer nicht gegeben, ist die Klage –
insoweit sie diesen Teilnehmer betrifft – mit der entsprechenden Kostenfolge abzuweisen.
Da das Urteil im Gruppenverfahren – je nach seinem Inhalt – unter Umständen vollstreckbar sein kann, ver-
langt Absatz 2 die Bezeichnung sämtlicher Teilnehmer. Die Belehrung gemäß § 627 Absatz 2 Satz 2 enthält
auch den Hinweis auf die Berechtigung der Teilnehmer zum Einlegen von Rechtsmitteln gemäß § 631.
Soweit das Urteil zu Gunsten der Teilnehmer vollstreckbar ist, ist zur Vollstreckung nach allgemeinen Re-
geln zunächst der siegreiche Gruppenkläger befugt. Außerdem gibt Absatz 3 den Teilnehmern bei berechtig-
tem Interesse die Möglichkeit, ebenfalls eine vollstreckbare Ausfertigung für ihren Teil zu beantragen. Ein

Drucksache 18/1464 – 24 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

solches Interesse liegt etwa vor, wenn der Gruppenkläger untätig bleibt. Der Schuldner wird in diesem Fall
über § 733 geschützt.

Zu § 628
Die dogmatische Einordnung der Wirkung des Musterentscheids im KapMuG ist umstritten (vgl. zuletzt etwa
Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3756). Für das Urteil im Gruppenverfahren ist hier zu unterscheiden: Soweit
ein auch im Individualverfahren möglicher Leistungs- oder Feststellungsantrag gemäß § 610 Absatz 1 Ver-
fahrensgegenstand ist, entfaltet das Urteil materielle Rechtskraft für die Parteien und für die Teilnehmer (vgl.
Lange, a. a. O., S. 258). Soweit aber ein „begrenztes“ Gruppenverfahren (§ 610 Absatz 2) durchgeführt wird,
passt der Begriff der Rechtskraft nicht, da eine Feststellung zu Tatsachen oder Rechtsfragen keine Aussage
über das Bestehen eines Anspruchs oder sonstigen Rechtsverhältnisses trifft. Die vorliegende Vorschrift
spricht daher nur von einer Wirkung für und gegen die Parteien und Teilnehmer, um die diesbezügliche dog-
matische Diskussion nicht zu präjudizieren. Zugleich stellt die Vorschrift aber klar, dass die Bindungswir-
kung nicht etwa abstrakt besteht (etwa bei einer Rechtsfrage), sondern sich nur auf den dem Gruppenverfah-
ren zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bezieht. Dadurch wird der Zusammenhang zwischen Streitgegen-
stand und Entscheidungswirkung aufrechterhalten (vgl. Lange, a. a. O., S. 262).

Zu § 629
Die Kostenregelung für das Gruppenverfahren ist von besonderer Bedeutung, da hier einerseits die finanziel-
len Zugangsschwellen zum Rechtsschutz gesenkt werden sollen, andererseits aber auch der Beklagte entspre-
chend den bewährten Grundsätzen im deutschen Zivilverfahrensrecht – d. h. vor allem dem Loser-pays-
Prinzip – zu schützen ist. Auf Seiten des Beklagten ändert das Gruppenverfahren daher nichts an den Kosten-
und Gebührenregeln. Insbesondere findet keine Streitwertreduzierung oder -begrenzung allein aufgrund der
Tatsache statt, dass ein Gruppenverfahren durchgeführt wird. Die Rechtsanwaltsgebühren auf Seiten des
Beklagten sind daher anhand der allgemeinen Wertvorschriften zu ermitteln; der Prozessvertreter auf der
Beklagtenseite ist also mit Blick auf die gesetzlichen Gebühren nicht schlechter gestellt als bei einer
streitgenössischen Klage. Bei der Ermittlung des Gegenstandswerts ist jedoch die in der Rechtsprechung
allgemein anerkannte Überlegung zu berücksichtigen, dass ein auf Feststellung gerichtetes Verfahren einen
im Vergleich zur Leistungsklage in der Regel etwas geringeren Streitwert hat.
Auf Klägerseite dagegen orientieren sich im ersten Rechtszug die Gerichtskosten und die Anwaltsvergütung
nicht an einem Gesamtstreitwert, zumal dieser ohnehin erst feststehen kann, wenn die Phase der Teilnahme-
erklärungen abgeschlossen ist. Stattdessen wird jeder dem Gruppenverfahren zugrunde liegende Anspruch
oder jedes sonstige Rechtsverhältnis einzeln betrachtet und mit einer entsprechenden Gerichts- und Anwalts-
gebühr versehen (siehe § 51b GKG in Artikel 4 und Artikel 5). Die Gebührensätze entsprechen dabei dem
geltenden Recht zur Anmeldung eines Anspruchs nach dem KapMuG (0,5 Gerichtsgebühren und 0,8 An-
waltsgebühren). Diese einzelne Berücksichtigung der dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden Ansprüche
– und zwar ohne Reduktion des Werts aufgrund eines ggf. bloß (teilweise) feststellenden Charakters des
Gruppenverfahrens – ist schon aufgrund der verjährungshemmenden Wirkung der Teilnahmeerklärung be-
rechtigt und insoweit dem Mahnverfahren vergleichbar.
Bei den Gerichtsgebühren kann diese einzelne Betrachtung der Ansprüche der Teilnehmer im Vergleich zur
streitgenössischen Klage zu niedrigeren oder höheren Gebühren führen. Beispiel: Es erklären 50 Personen
ihre Teilnahme am Gruppenverfahren mit einer Anspruchshöhe von jeweils 800 Euro. Bei streitgenössischer
Klage wären Gerichtsgebühren von 1 194 Euro einzuzahlen (3 Gebühren aus 40 000 Euro Streitwert); im
Gruppenverfahren dagegen nur 1 125 Euro (50 halbe Gebühren aus 800 Euro Streitwert). Steigt die Anzahl
der Teilnehmer bei gleich bleibendem individuellem Streitwert aber auf 90 an, so betragen die Gebühren im
streitgenössischen Verfahren 1 968 Euro (3 Gebühren aus 72 000 Euro Streitwert), im Gruppenverfahren
dagegen schon 2 025 Euro (90 halbe Gebühren aus 800 Euro Streitwert). Aufgrund dieses Effekts ist eine
erhebliche Belastung für den Justizfiskus nicht zu erwarten.
Bei den Anwaltsgebühren auf Klägerseite in erster Instanz ergibt sich – wiederum im Vergleich zur
streitgenössischen Klage betrachtet – ein ähnlicher Effekt: In demselben Beispiel könnte die Anwältin oder
der Anwalt der Kläger bei streitgenössischer Klage von 50 Streitgenossen für die erste Instanz eine Vergü-
tung von 4 059 Euro verlangen (Verfahrensgebühr von 1,3 zzgl. 2,0 Gebühren gemäß VV 1008 sowie
Terminsgebühr von 1,2 = 4,5 Gebühren aus 40 000 Euro Streitwert); im Gruppenverfahren dagegen nur
2 600 Euro (50 mal 0,8 Gebühren aus 800 Euro). Gelingt es ihm aber, 150 Mandanten für das Gruppenver-
fahren zu sammeln, so ist die Vergütung im Gruppenverfahren bereits deutlich höher, nämlich 7 800 Euro

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25 – Drucksache 18/1464

(150 mal 0,8 Gebühren aus 800 Euro) im Vergleich zu 6 439,50 Euro bei der streitgenössischen Klage (4,5
Gebühren aus 120 000 Euro). Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht der Klägeranwältin oder
des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von Betroffenen als
Mandanten entweder bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht kommen. In Fällen mit einer von
Anfang an überschaubaren Anzahl von Betroffenen ist das Gruppenverfahren daher aus Anwaltssicht nicht
attraktiv. Diese Anreizwirkungen sind beabsichtigt. Zugleich ergibt sich aus dieser Vergütungsstruktur auch
ein Anreiz, dass eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt möglichst viele Teilnehmer vertritt, während
andererseits die Vertretung eines einzelnen Teilnehmers durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt
wenig lukrativ erscheint. Auch dies ist sinnvoll, da Interessenkonflikte innerhalb der Gruppe eher vermieden
werden, wenn sich ein Großteil der teilnehmenden Gruppenmitglieder auf eine Rechtsanwältin oder einen
Rechtsanwalt einigt.
Eine weitere Besonderheit des Gruppenverfahrens ist die – vom dänischen Recht inspirierte – Begrenzung
der Kostenerstattungspflicht des Teilnehmers auf einen Höchstbetrag gemäß § 629 Absatz 2. Damit soll aus
Sicht des einzelnen Teilnehmers das Risiko der Teilnahme kalkulierbar gemacht werden: Er weiß bereits bei
seiner Entscheidung über die Teilnahme, was er bei einer bestimmten Anspruchshöhe im worst case des voll-
ständigen Unterliegens höchstens an Kosten zu tragen hat. Auch damit wird die Schwelle zur Teilnahme ein
Stück gesenkt, zumal anders als im Individualverfahren der Teilnehmer im Gruppenverfahren nicht immer
eine persönliche Beratung durch den Anwalt erhalten wird, sondern diese zur effizienten Abwicklung eher
über Webseiten oder andere Massenmedien organisiert werden wird. Die Höhe dieser „Deckelung“ wird mit
vier Gebühren nach § 13 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) festgesetzt, was in den meisten Fällen
zur Deckung auch der gegnerischen Anwaltskosten im Fall des Unterliegens ausreichen wird. In dem obigen
Beispiel wäre also die Kostentragung für den einzelnen Teilnehmer, der einen Anspruch von 800 Euro gel-
tend macht, auf einen Gesamtbetrag von 260 Euro begrenzt.
Die Deckelung gemäß § 629 Absatz 2 ändert aber nichts am Loser-pays-Prinzip. Absatz 3 bestimmt daher,
dass der Gruppenkläger residual für eine etwaige Kostenerstattung haftet, soweit diese aufgrund der „Decke-
lung“ von den Teilnehmern nicht verlangt werden kann. Ein solcher Fall mag ausnahmsweise vorkommen,
wenn die Anzahl der Teilnehmer eher gering ist und das Verfahren sich über mehrere Instanzen zieht und
ggf. teure Beweiserhebungen enthält. Der Gruppenkläger trägt somit ein etwas höheres Risiko als der einzel-
ne Teilnehmer. Dieses Risiko kann er ggf. versichern, durch interne vertragliche Vereinbarungen auf einzelne
Teilnehmer abwälzen oder schlicht selbst tragen. Daraus ergibt sich ein weiterer gewollter Anreiz, nämlich
dass der Gruppenkläger eine Gruppenklage nicht leichtfertig, sondern nur bei überwiegender Erfolgsaussicht
angestrengt.

Zu § 630
In Gruppenverfahren sind Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Entscheidung ebenso wie im KapMuG
stets zulässig. Dafür spricht schon die in der Regel erhebliche gesellschaftliche Bedeutung derartiger Verfah-
ren sowie die nötige Einheitlichkeit der Rechtsprechung in eine Vielzahl von Personen betreffenden Fällen.
Urteilt das Landgericht in erster Instanz, so erklärt § 630 Absatz 1 die Berufung für stets zulässig, daraus
ergibt sich auch die grundsätzliche Eröffnung der Sprungrevision, sofern deren weitere Voraussetzungen
(§ 566) vorliegen.
Urteilt das Oberlandesgericht in erster Instanz (siehe dazu unten Artikel 3), so wird das dann zulässige
Rechtsmittel in § 630 Absatz 2 als Revision bezeichnet und die §§ 545 ff. ZPO finden entsprechende Anwen-
dung. Urteilt das Oberlandesgericht dagegen als Berufungsgericht, so trifft § 630 keine Regelung, so dass die
allgemeinen Vorschriften über die Zulassung der Revision zur Anwendung kommen.

Zu § 631
Die Einlegung von Rechtsmitteln auf Seiten der Gruppe ist Sache des Gruppenklägers; nur wenn er kein
Rechtsmittel einlegt, kann aus den dazu bereiten Teilnehmern gemäß § 631 Absatz 1 und 2 ein neuer Grup-
penkläger bestimmt werden, der dann das Rechtsmittelverfahren betreibt. Um sich diese Möglichkeit zu er-
halten, muss ein Teilnehmer jedoch innerhalb der Rechtsmittelfrist vorsorglich das Rechtsmittel einlegen,
damit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Klarheit über die Einlegung oder Nichteinlegung des Rechtsmittels
besteht.
Für die Rechtsmittelinstanzen kommen die allgemeinen Wert- und Gebührenvorschriften zur Anwendung.
Daher erfolgt, anders als in der ersten Instanz, die Berechnung nicht anhand des Einzelstreitwerts der Teil-
nehmer, sondern gemäß dem allgemeinen Kostenrecht anhand des Gesamtstreitwerts.

Drucksache 18/1464 – 26 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die Teilnehmer sind verpflichtet, die jeweils auf sie entfallenden Gerichtsgebühren zu Beginn des Rechtsmit-
telverfahrens zu entrichten (§ 631 Absatz 3). Dies gilt jedoch nur insoweit als der Höchstbetrag der vom ein-
zelnen Teilnehmer zu tragenden Kosten (§ 629 Absatz 2) nicht überschritten ist. Abweichend von den allge-
meinen Regelungen beginnt das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz jedoch auch bereits, wenn noch nicht
sämtliche Teilnehmer die Gerichtsgebühr eingezahlt haben.
Die Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsmittelinstanz sind zunächst vom Gruppenkläger zu tragen (§ 631 Ab-
satz 4). Er kann jedoch von den Teilnehmern eine anteilige Beteiligung an diesen Kosten verlangen, aber
ebenfalls nur insoweit als dadurch nicht der Höchstbetrag der vom einzelnen Teilnehmer zu tragenden Kosten
(§ 629 Absatz 2) überschritten wird.

Zu Artikel 2

Bereits nach geltendem Recht hemmt die Anmeldung eines Anspruchs zu einem KapMuG-Verfahren die
Verjährung. Dies wird im einzufügenden § 204 Absatz 1 Nummer 15 BGB auch für die Teilnahme am Grup-
penverfahren normiert. Die Verjährungshemmung kann aber nur für solche Ansprüche gelten, denen der
gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie dem Gruppenverfahren – ob dies der Fall ist, muss ggf. im
Folgeprozess entschieden werden. Die Hemmung endet gemäß § 204 Absatz 2 Satz 1 BGB sechs Monate
nach Beendigung des Gruppenverfahrens, d. h. etwa bei Nichteröffnung des Gruppenverfahrens sechs Mona-
te nach Unanfechtbarkeit des die Eröffnung des Gruppenverfahrens ablehnenden Beschlusses.

Zu Artikel 3

Bisher ist für Musterverfahren nach dem KapMuG das Oberlandesgericht sachlich zuständig, welches inso-
weit der Sache nach erstinstanzliche Funktionen einschließlich der Beweisaufnahme wahrnimmt. Das soll für
den bisherigen Anwendungsbereich des KapMuG unverändert bleiben, um die bereits aufgebaute Expertise
der Oberlandesgerichte weiterhin zu nutzen (§ 118 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)). Damit verbleibt
es zugleich bei dem für das KapMuG festgestellten Vorteil, dass wichtige Fragen des Kapitalmarktrechts
vergleichsweise zügig bis zum Bundesgerichtshof gebracht und dort mit erheblicher faktischer Breitenwir-
kung entschieden werden können.
Da aber das vorliegende Gesetz den Anwendungsbereich des Gruppenverfahrens für sämtliche bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten öffnet (mit Ausnahme der in § 607 ZPO-E genannten Angelegenheiten), könnte es – je
nach Nutzungsintensität des neuen Verfahrens – zu einer Überlastung der Oberlandesgerichte und des Bun-
desgerichtshofs kommen, wenn man auch für diese Gruppenverfahren die erstinstanzliche Zuständigkeit der
Oberlandesgerichte festlegen würde. Daher werden diese sonstigen Gruppenverfahren gemäß dem neuen § 71
Absatz 2 Nummer 5 GVG im ersten Rechtszug den Landgerichten zugeordnet. Die Landesregierungen kön-
nen hier auch mit Hilfe der Verordnungsermächtigung in § 608 Absatz 3 ZPO-E die notwendigen organisato-
rischen Maßnahmen treffen.

Zu den Artikeln 4 und 5

Zu den Kostenregelungen siehe oben bei der Erläuterung zu § 629 ZPO-E.

Zu Artikel 6

Das vorliegende Gesetz ersetzt das KapMuG, da sämtliche Regelungsintentionen des KapMuG in dem neuen
Gesetz enthalten sind. Für Musterverfahren, in denen bereits ein Vorlagebeschluss im Klageregister veröf-
fentlicht wurde, ist in Absatz 2 eine Übergangsregelung getroffen worden, um diese Verfahren nicht „rück-
abwickeln“ zu müssen. Ist ein Vorlagebeschluss noch nicht bekanntgemacht, so werden mit Inkrafttreten des
vorliegenden Gesetzes etwaige Musterverfahrensanträge nach dem KapMuG gegenstandslos und können
durch Anträge auf Durchführung eines Gruppenverfahrens ersetzt werden.
Von einer Befristung des Gesetzes wurde – insoweit abweichend vom KapMuG – abgesehen. Zweifellos
müssen auch die hier vorgeschlagenen Regelungen in Zukunft erprobt, evaluiert und verbessert werden. Da-
rin unterscheiden sie sich aber nicht von anderen gewichtigen Änderungen im Verfahrensrecht, die in der
Vergangenheit ebenfalls ohne Befristung eingeführt wurden; man denke etwa an die Einführung der Insol-
venzordnung oder an die Neuregelung des Rechtsmittelrechts. Eine Befristung suggeriert, dass eine Beurtei-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 27 – Drucksache 18/1464

lung der neu eingeführten Normen innerhalb eines jetzt schon zu übersehenden Zeitraums möglich und zu-
gleich notwendig wäre. Das geht aber an der Praxis vorbei: Ein Reformbedarf kann sich bei einer Neurege-
lung sehr schnell zeigen; in einem solchen Falle kann und wird der Gesetzgeber auch zügig handeln. Ande-
rerseits kann es aber auch lange dauern, bis die Entwicklung von Rechtsprechung und Dogmatik einen deutli-
chen Reformbedarf erkennen lässt; eine solche Entwicklung kann nicht durch fixe Fristen vorhergesehen
werden. Es liegt im Wesen der Demokratie, dass jede gesetzliche Regelung nur vorläufigen Charakter hat
und von einem zukünftigen Gesetzgeber verändert und verbessert werden kann.

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