BT-Drucksache 18/1335

Hilfe für die Menschen aus Syrien - Unterstützung für die Nachbarstaaten

Vom 7. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1335
18. Wahlperiode 07.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trit-
tin, Doris Wagner, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Renate Künast und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der seit fast drei Jahren tobende Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer der größten
humanitären Katastrophen der Gegenwart geführt. Viele Städte in Syrien sind mitt-
lerweile zerstört, hunderte Dörfer ausgelöscht. Den meisten Menschen ist die Le-
bensgrundlage entzogen worden, vielen bleibt nur noch die Flucht als Ausweg. Für
die Gewalt, die bereits 140 000 Menschen das Leben gekostet hat, ist Präsident
Bashar al-Assad ursächlich verantwortlich.

Seit dem vergangenen Winter hat sich die Anzahl Schutzsuchender in der Region
mehr als vervierfacht. In diesem Jahr rechnen die UN mit einem möglichen An-
stieg auf vier Millionen Flüchtlinge außerhalb Syriens. Die staatlichen und kom-
munalen Strukturen in den Anrainerstaaten stehen seit Beginn der Syrien-Krise vor
fast drei Jahren vor stetig wachsenden Herausforderungen und drohen, unter die-
sem Ansturm zu kollabieren.

Die Anstrengungen der Aufnahmeländer angesichts dieser Herausforderungen, von
staatlichen Stellen ebenso wie aus der Zivilgesellschaft, verdienen unseren größten
Respekt. Die Bundesregierung unterstützt die aufnehmenden Länder bereits mit
humanitärer Hilfe und Leistungen seit 2012 im Umfang von 483 Mio. Euro.

Der Krieg in Syrien dauert weiter an, die Verhandlungen in Genf haben bisher
keine greifbare Lösung gebracht. Ihr bisher einziger Erfolg war, dass aufgrund
unermüdlicher Bemühungen des UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi zum ers-
ten Mal überhaupt Gespräche unter Teilnahme von einigen Vertretern beider Kon-
fliktparteien stattgefunden haben. Es ist wünschenswert, dass beide Seiten diese
Gespräche bald ergebnisorientiert fortsetzen.

Ohne Deutschland hat die Europäische Union bislang knapp 4 000 Flüchtlinge aus
Syrien aufgenommen. Schweden und Deutschland sind deutlich engagierter als alle
anderen Staaten in der EU. Um die Nachbarländer Syriens wirklich zu entlasten,
müssen auch andere Länder der EU mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Drucksache 18/1335 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland sollten ihre humanitäre
Hilfe weiter intensivieren. Das VN-Amt für die Koordinierung humanitärer Ange-
legenheiten OCHA hat den humanitären Bedarf für Syrien bis zum Jahresende
2014 auf 2,27 Mrd. US-Dollar und für die Flüchtlingshilfe in der Region auf 4,26
Mrd. US-Dollar beziffert. Das ist der größte Spenden- und Finanzierungsaufruf der
Vereinten Nationen aller Zeiten. Auf der Geberkonferenz in Katar hat Deutschland
weitere 110 Mio. US-Dollar zugesagt. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Auf-
stockung der Haushaltsmittel im Entwurf des Einzelplanes des Auswärtigen Amtes
von 186,5 Mio. Euro auf 303 Mio. Euro. Insgesamt ist durch die in Katar verspro-
chenen Mittel der Staatengemeinschaft aber nur etwas mehr als ein Drittel des VN-
Aufrufes abgedeckt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf internationaler Ebene dafür einzutreten, dass im Rahmen des Genf-II-
Prozesses nun zügig substanzielle Gespräche folgen;
sich weiterhin für den Zugang aller Menschen in Syrien zu humanitärer Hilfe
einzusetzen;
die deutschen Sondermittel für humanitäre Hilfe und Krisenbewältigung in
Syrien und in der Region zu verstetigen und ggf. im Rahmen der zur Verfü-
gung stehenden Haushaltsmittel zu erhöhen;
auf die anderen EU-Staaten einzuwirken, ebenfalls deutlich mehr Gelder für
die humanitäre Unterstützung in der Region zu verwenden;
im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die Unterstützung für den Liba-
non, Jordanien und Irak auszubauen, um vor allem im Bereich Wasser/Sanitär
und Infrastruktur die dortigen Kommunen zu unterstützen;
die personellen Kapazitäten für die Bearbeitung von Einreiseanträgen von
Flüchtlingen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie an den deut-
schen Botschaften und Generalkonsulaten in den Nachbarstaaten Syriens und
in Ägypten auszubauen, damit die geplanten 10 000 Flüchtlinge aus Syrien un-
abhängig von ihrer Nationalität zügig nach Deutschland einreisen können;
auf die Bundesländer einzuwirken, die hohen Anforderungen für den Fami-
liennachzug von Schutzsuchenden zu in Deutschland lebenden Verwandten,
insbesondere bei den abzugebenden Verpflichtungserklärungen, zu reduzieren
und die Einreise für Familienangehörige aus Syrien zu vereinfachen;
die bisherigen Kontingente der Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme
von syrischen Flüchtlingen auszuweiten und sich auch auf EU-Ebene dafür
einzusetzen, dass deutlich mehr syrische Flüchtlinge in Europa aufgenommen
werden. Die EU-Kommission sollte bis zum Sommer 2014 eine Syrien-
Flüchtlingskonferenz einberufen, auf der sich alle EU-Mitgliedstaaten auf
konkrete Zahlen und Verfahren zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge bereit er-
klären.

Berlin, den 6. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1335

Begründung

António Guterres, der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, spricht von einer „kolossalen Tragödie“
in der Region. In Syrien gibt es nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit 6,5 Millionen Binnenflüchtlin-
ge, 9,3 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. So benötigen etwa alle 540 000 palästi-
nensischen Flüchtlinge in Syrien dringende humanitäre Hilfe, wie das Hilfswerk der Vereinten Nationen für
Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA, betont. Besonders schwer betroffen sind diejenigen im
Flüchtlingslager Yarmouk, die monatelang von jeder Hilfe abgeschnitten und systematisch ausgehungert
wurden. Hinzu kommen 2,4 Millionen syrische Flüchtlinge, die in den Nachbarländern registriert sind, sowie
hunderttausende nicht registrierte Flüchtlinge aus Syrien.

In einer besonders schwierigen Lage befindet sich der Libanon mit über einer Million syrischer Flüchtlinge.
Das entspricht einem Bevölkerungszuwachs von ca. 25 Prozent, der den Libanon und seine Gesellschaft an
die Grenzen der Belastbarkeit geführt hat. Da es im Land keine Flüchtlingslager für die Syrer gibt, verteilt
sich die überwiegende Anzahl der Flüchtlinge auf 900 Kommunen im Libanon-Gebirge und der Bekaa-
Ebene. Vor allem sie benötigen dringend Unterstützung für ihre Infrastruktur, um eine menschenwürdige
Versorgung der aus Syrien stammenden Menschen sicherzustellen und um die Aufnahmebereitschaft der
Libanesen zu erhalten.

Auch die Situation im Nordirak ist mit inzwischen über 200 000 syrischen Flüchtlingen dramatisch. Bis zum
Ende 2014 könnte sich die Zahl der Flüchtlinge, die überwiegend im Nord-Irak ankommen, sogar mehr als
verdoppeln. Die vergleichsweise stabile Region Kurdistan-Irak droht dadurch geschwächt zu werden. Das
wiederum könnte zu einer weiteren Destabilisierung der ganzen Region führen. Auch die Kämpfe mit der
islamistischen Terrorgruppe Islamischer Staat in Irak und Levante (ISIL) in der irakischen Provinz Anbar
stehen im direkten Zusammenhang mit den Entwicklungen in Syrien. Mittlerweile gibt es neben den syri-
schen Flüchtlingen in dieser Region ca. 160 000 irakische Binnenflüchtlinge, die ebenso Unterstützung und
Hilfe benötigen.

In Jordanien müssen Maßnahmen für eine langfristige Aufnahme der über 600 000 dort lebenden Flüchtlinge
ergriffen werden. Das Flüchtlingslager Zaatari ist innerhalb von Monaten zu der drittgrößten Stadt Jordaniens
angewachsen. Gleichzeitig werden jedoch zunehmend vor allem palästinensische Flüchtlinge an der Grenze
abgewiesen. Ein großes Problem in Jordanien ist zwar der Wassermangel, der allerdings unter anderem durch
eine vorausschauende Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor gemindert werden konnte.

Die Türkei hat bereits seit Beginn der Auseinandersetzungen Flüchtlinge aufgenommen, heute leben ca.
700 000 dort. Circa 210 000 davon sind in einem der 22 organisierten Camps, viele weitere eigenständig
untergekommen.

In Ägypten sehen sich die 133 000 registrierten sowie eine ebenso große Zahl an nicht registrierten syrischen
Flüchtlinge zunehmend Repressalien ausgesetzt.

Obwohl bereits mehr als 5 000 Flüchtlinge zur Aufnahme in Deutschland identifiziert wurden, konnten bis-
lang erst etwa 3 500 tatsächlich nach Deutschland gelangen. Grund dafür ist das komplexe Aufnahmeverfah-
ren mit verschiedenen Beteiligten in Bund, Ländern und in der Region. Der Familiennachzug von syrischen
Verwandten wird ebenfalls oft durch bürokratische Regelungen behindert. Bis Ende 2013 wurden insgesamt
nur knapp 1 000 Einreisevisa für syrische Familienangehörige ausgestellt.

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