BT-Drucksache 18/13229

Polizeiliche biometriegestützte Identifizierung von Personen über biometrische Gesichtsdaten und Echtzeitüberwachung von Verhalten am Bahnhof Berlin-Südkreuz

Vom 28. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13229
18. Wahlperiode 28.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Irene Mihalic, Matthias Gastel,
Katja Keul, Volker Beck (Köln), Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Polizeiliche biometriegestützte Identifizierung von Personen über biometrische
Gesichtsdaten und Echtzeitüberwachung von Verhalten am Bahnhof
Berlin-Südkreuz

Die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) bereiten zur Zeit am Ber-
liner Bahnhof Südkreuz der Deutschen Bahn AG (DB AG) ein Pilotprojekt zur
Erprobung des Einsatzes von sogenannter intelligenter Videosoftware vor. Hier-
bei handelt es sich um technische Verfahren der massenhaften Erfassung, Spei-
cherung und Analyse von Gesichtern und Verhaltensweisen in öffentlichen Räu-
men in Echtzeit. Die Technik der Gesichtserkennung kann nach Auffassung der
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Freiheit,
sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören (Entschließung
vom 30. März 2017). Der Testbetrieb soll insgesamt sechs Monate dauern und
bereits am 1. August 2017 beginnen. Dazu soll eine behördenübergreifende Pro-
jektgruppe, bestehend aus dem Bundesministerium des Innern, der DB AG, der
Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt, geschaffen worden sein. Diese
Gruppe habe sich darauf verständigt, in zwei unterscheidbaren Testphasen zu-
nächst „Systeme der Gesichtserkennung“ und anschließend ein „intelligentes Vi-
deoanalysesystem“ zur Verhaltenserkennung zu erproben. Mit dieser Technik, so
die Darstellung der Bundespolizei, „könnte es gelingen, Straftaten und Gefahren-
situationen im Vorfeld zu erkennen. Mögliche Gefährder könnten vor einem ge-
planten Anschlag festgestellt und dieser verhindert werden“ (vgl. Webseiten der
Bundespolizei mit Antworten zu häufig gestellten Fragen: www.bundespolizei.
de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/Nohomepage/170619_gesichtserkennung_
faq.html#doc9461560bodyText4).
Das Pilotprojekt wird mit 300 Freiwilligen durchgeführt, die in den letzten Wo-
chen von der Bundespolizei am Bahnhof Berlin-Südkreuz unter anderem mit Gut-
scheinen für technische Geräte und der Aussicht auf Teilnahme an Gewinnspielen
angeworben wurden. Zur Unterstützung des Testverfahrens werden die Testper-
sonen offenbar über RFID-Chips (RFID – Funkerkennung), die sie bei sich führen
müssen, bei jedem Betreten des Bahnhofes gescannt und registriert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer trägt nach Auffassung der Bundesregierung die politische und wer

die rechtliche Verantwortung für die Durchführung des Gesamtprojektes
„Sicherheitsbahnhof“, und mit welcher Begründung?

Drucksache 18/13229 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wer trägt nach Auffassung der Bundesregierung die rechtliche Verantwor-
tung für die Testphase intelligente Gesichtserkennungssysteme, und mit wel-
cher Begründung?

3. Wer trägt nach Auffassung der Bundesregierung die rechtliche Verantwor-
tung für die Testphase Gefahrenszenarien und Objekte, und mit welcher Be-
gründung?

4. Wird der Testbeginn wie geplant zum 1. August 2017 aufgenommen, und
wenn nein, warum nicht?

5. Wann erfolgten bzw. werden die öffentlichen Ausschreibungen für die für
den Probeeinsatz zum Einsatz kommenden Überwachungssoftwareprodukte
erfolgen, und wenn ja, durch welche rechtlich verantwortliche Stelle für je-
weils welchen Teil des Projektes?

6. Wie viele Überwachungsprodukte sollen je für den ersten Projektteil und für
den zweiten Projektteil zum Einsatz kommen, und auf welchen Überlegun-
gen basiert diese Planung?

7. Für welche konkreten Einsatzszenarien insgesamt sollen Überwachungspro-
dukte der Objekt- und/oder Verhaltenserkennung erprobt werden (bitte um
abschließende Aufzählung)?

8. Auf welcher rechtlichen Grundlage sollen die Hersteller der Überwachungs-
produkte mit in das Projekt eingebunden bzw. deren Produkte zum Einsatz
gebracht werden (Musterexemplar bitte mitliefern)?

9. Werden den verschiedenen Herstellern der tatsächlich zum Einsatz kommen-
den Produkte die anfallenden Datenmaterialien, insbesondere die Bildmate-
rialien der Testpersonen, dauerhaft zur weiteren Verwendung und Produkt-
entwicklung überlassen?

10. Welche Kriterien wurden je für den ersten sowie den zweiten Projektteil im
Einzelnen für die Auswahl der Überwachungsprodukte festgelegt (bitte be-
gründen)?

11. Aufgrund welcher Kriterien wurden die Testpersonen ausgewählt, und wie
sieht ihre Zusammensetzung in vergleichender Statistik aus (getrennt aufge-
schlüsselt nach Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe etc.)?

12. Werden die sicherlich von internationalen Herstellern angebotenen und letzt-
lich zum Einsatz kommenden Produkte einer gegenüber bundesdeutschen
Produkten erweiterten Sicherheitsprüfung oder erweiterten Sicherheitsbedin-
gungen unterworfen, und wenn nein, warum nicht?

13. Auf welche Weise wird verhindert werden, dass die eingesetzten Geräte ver-
deckt Codes ausführen und auf diese Weise Daten erheben, speichern, ana-
lysieren oder übermitteln, wie es nicht den zugrunde gelegten rechtlichen
Bedingungen entspricht?

14. Wurde oder wird das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI) in die Vorbereitungen und/oder Durchführung des Projektes mit ein-
bezogen, und wenn ja, auf welche Weise, bzw. für welche Zwecke?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die bei den besonderen Ver-
fahren intelligenter Bilderkennung zum Einsatz kommenden Algorithmen
besondere, auch überindividuelle Risiken für unterschiedliche Rechtsgüter
und rechtliche Schutzziele unserer Rechtsordnung aufwerfen können, und
wenn ja, auf welche Weise sollten diese Risiken nach Auffassung der Bun-
desregierung sowohl bereits innerhalb eines Pilotprojektes wie dem vorlie-
genden sowie generell bei der möglichen Legalisierung solcher Technolo-
gien Berücksichtigung finden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13229

16. Aufgrund welcher Einverständniserklärung (bitte um Übermittlung des

Wortlautes) willigen die Testpersonen in ihre datenmäßige Erfassung durch
RFID und Videoüberwachung ein, und wurden über den Inhalt gesonderte
Gespräche mit den Testpersonen durchgeführt?

17. Wie lauten die konkreten datenschutzrechtlichen Rahmenvorgaben für beide
Projektphasen?

18. Werden über die Testpersonen hinaus im Rahmen der beiden zu unterschei-
denden Testphasen weitere Daten und/oder Personen bildmäßig oder über
die RFID-Scanner an den Bahnhofseingängen erfasst, und wenn ja, auf wel-
cher Rechtsgrundlage wird dies nach Ansicht der Bundesregierung gerecht-
fertigt?

19. Für welche Dauer erfolgen die Erfassung und Speicherung auch der unbetei-
ligten Dritten bei den jeweils zu unterscheidenden, eingesetzten Hard- bzw-
Softwareprodukten?

20. Mit welchem Hinweis (Wortlaut) werden die Kunden der DB AG und wei-
tere Passanten am Bahnhof Berlin-Südkreuz auf die erfassten Bereiche hin-
gewiesen sowie mit welchen weiteren Transparenzmaßnahmen über das dort
laufende Projekt aufgeklärt?

21. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich die Durchführung des
Projektes auf das Verhalten der Nutzer des Bahnhofs Berlin-Südkreuz aus-
wirkt, und inwiefern ist das Projekt auch darauf angelegt, entsprechende Ver-
haltensänderungen aufzuzeigen?

22. Kommen für beide Testphasen bereits bestehende Kameraanlagen der
DB AG zum Einsatz, oder handelt es sich dabei um gesondert und aus-
schließlich zu diesem Zweck aufgehängte Erfassungssysteme?

23. Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen hat sich die DB AG auf
das Gesamtprojekt eingelassen?

24. Warum kam es zur Auswahl des Bahnhofs Berlin-Südkreuz als Projektbahn-
hof?

25. Bei welchen Erkennungsraten geht die Bundesregierung ihrer bisherigen Pla-
nung und Erwartungshaltung nach für die eingesetzten Produkte und Verfah-
ren (auch im Vergleich zu den Ergebnissen des BKA-Projektes von Mainz)
von einem erfolgreichen Erprobungsergebnis aus?

26. Inwiefern ist es das Ziel des Projektes am Bahnhof Berlin-Südkreuz, dass
zukünftig durch entsprechende intelligente Systeme konkrete Polizeieinsätze
ausgelöst werden, und welche Bedeutung hätten die von diesen Systemen
ermittelten Lageerkenntnisse dabei für die polizeilichen Anwender?

27. Wurde die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit bei
den Vorbereitungen bereits mit einbezogen, und wenn ja, in welcher Gestalt,
mit welchen Ergebnissen bzw. welchen Vorgaben und Absprachen ihrer-
seits?

28. Wurde die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfrei-
heit bei den Vorbereitungen bereits mit einbezogen, und wenn ja, in welcher
Gestalt, mit welchen Ergebnissen bzw. welchen Vorgaben und Absprachen
ihrerseits?

29. Auf welche Weise wird die in den Projektphasen offenbar unterschiedlich
angelegte Beteiligung der DB AG (bitte erläutern) rechtlich wie praktisch
ausgestaltet sein?

Drucksache 18/13229 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

30. Erfolgten gesonderte Gespräche zwischen dem Bundesminister des Innern

und dem ehemaligen Chef des Bundeskanzleramtes und jetzigen Bahnvor-
stand Ronald Pofalla zu diesem Projekt, und wenn ja, zu welchem Zweck,
und mit welchem Inhalt?

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Wirksamkeit der Einwil-
ligungen auch von der Kenntnis der Funktionsweise der im Einzelnen zum
Einsatz kommenden Produkte abhängen kann, und wenn ja, auf welche
Weise will sie diese im Einwilligungsprozess berücksichtigen?

32. Woran bemisst die Bundesregierung den Erfolg oder Misserfolg dieses Feld-
versuchs?

33. Welche weiteren Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, wenn der
Versuch aus ihrer Sicht erfolgreich verläuft?

34. Zählt es zu den mittel- bis längerfristigen Planungen der Bundesregierung,
bei positivem Ausgang der jeweiligen Pilotprojekte den Einsatz der jeweili-
gen Überwachungsverfahren auch außerhalb von Bahnhöfen (z. B. Einkaufs-
zentren etc.) zu realisieren, und wenn ja, mit welcher Rechtfertigung?

35. Verfolgt die Bundesregierung das Ziel, über die Anhäufung möglichst großer
Bilddatenbanken mit template-fähigem Bildmaterial bei Bundespolizei
und/oder Bundeskriminalamt die Grundlage für Referenzdatenbanken zu
schaffen, die für Fahndungszwecke auf der bestehenden Videoüberwa-
chungsinfrastruktur aufsetzen?

36. Stand oder steht die jüngst verabschiedete Erweiterung der Zugriffsbefug-
nisse der Sicherheitsbehörden auf die Bilddaten der Meldeämter (Bundes-
tagsdrucksache 18/11279) auch im Zusammenhang mit der möglichen Ver-
wendung bei der „intelligenten Videoüberwachung“ in öffentlichen Räu-
men?

37. Welchen Umfang (etwa: Anzahl der Personendatensätze) haben derzeit die
Bilddatenbanken der Bundesbehörden, bzw. über welche Anzahl von Perso-
nendatensätzen verfügen die einzelnen Bundesbehörden datenbankübergrei-
fend (bitte im Einzelnen auflisten, einschließlich Geheimdiensten)?

38. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die geplanten Verfahren der
intelligenten Bilderkennung auf der Grundlage bestehender gesetzlicher
Rechtsgrundlagen (Bundesdatenschutzgesetz, Bundespolizeigesetz) nicht
zulässig sind, weil es insofern an einer hinreichend bestimmten und normen-
klaren Rechtsgrundlage fehlt, und wenn nein, warum nicht?

39. Inwiefern besteht nach Auffassung der Bundesregierung die Gefahr, dass die
Nutzung entsprechender intelligenter Systeme aufgrund ihrer mathematisch
ermittelten Ergebnisse (Feststellungen) zur Vorverurteilung betroffener Per-
sonen beitragen kann, und welche Bedeutung misst die Bundesregierung da-
bei der psychologischen Wirkung scheinbar objektiver Feststellungen auf die
polizeilichen Anwender bei?

40. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch Videoüberwachungs-
systeme, welche für Auswertungen von Gesichtszügen zu Werbezwecken
Erfassungen vornehmen, selbst bei fehlender dauerhafter Speicherung der
Daten einen eigenständigen Eingriffsgehalt aufweisen, und wenn nein, wa-
rum nicht?

Berlin, den 28. Juli 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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