BT-Drucksache 18/12558

Verkehrssicherheit erhöhen - Raserei und illegale Autorennen wirksam bekämpfen

Vom 31. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12558
18. Wahlperiode 31.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Stephan Kühn (Dresden),
Renate Künast, Matthias Gastel, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Luise
Amtsberg, Annalena Baerbock, Volker Beck (Köln), Harald Ebner, Bärbel
Höhn, Katja Keul, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Monika
Lazar, Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Irene Mihalic, Özcan
Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Friedrich Ostendorff, Dr. Julia Verlinden
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrssicherheit erhöhen – Raserei und illegale Autorennen wirksam
bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutschen Bundestag stellt fest:

Wer durch massiv überhöhte Geschwindigkeit und rücksichtslose Fahrweise schwere
Unfälle verursacht oder in Kauf nimmt, hat auf der Straße nichts verloren. Es macht
fassungslos, dass Menschen anerkannte Verkehrsregeln auf gröbste Weise verletzen
und durch irrsinnig hohe Geschwindigkeiten Leben und Gesundheit anderer mit ihrem
Auto gefährden.
Wem Verkehrssicherheit und Lebensqualität in Stadt und Land am Herzen liegen,
muss das Problem des zu schnellen Fahrens in Gänze betrachten. Überhöhte oder nicht
angepasste Geschwindigkeit ist unabhängig von dem Phänomen illegaler Autorennen
eine der häufigsten Unfallursachen. Menschen, die durch überhöhte oder nicht ange-
passte Geschwindigkeit zu Schaden kommen, sind in den allermeisten Fällen Opfer
grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Fahrweisen im Alltag. Die Gefahr geht
nicht allein von „Rennen“ und Verabredungen dazu aus, sondern von gefährlicher
Fahrweise und stark überhöhter Geschwindigkeit. Ziel muss es daher sein, Verkehrs-
sicherheit generell zu gewährleisten und insbesondere in Innenstädten die Bewegungs-
freiheit aller und gerade von Kindern und älteren Menschen vor Raserei zu schützen.
Hinzu kommt, dass Rennen und die Verabredung dazu schwer nachzuweisen sind.
Hier besteht über die Fälle illegaler „Rennen“ hinaus insgesamt Handlungsbedarf.
Dazu gehören auch die Verstärkung von Prävention und die Beseitigung von polizei-
lichen Kontroll- und Vollzugsdefiziten in den Ländern. Die im Ordnungswidrigkei-
ten-, Straßenverkehrs-, Straßenverkehrszulassungs-, Verwaltungs- und Polizeirecht
bestehenden Möglichkeiten und Ahndungsrahmen müssen auch tatsächlich ausge-
schöpft werden.
Wo Menschen in ihrem Lebensumfeld keinen Gefahren im Straßenverkehr und keinem
schreckendem Lärm ausgesetzt sind, leben sie geborgener und zufriedener. Für die

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Aufenthaltsqualität in Städten ist es ein großer Gewinn, wenn alle Verkehrsteilnehmer
die Verkehrsregeln befolgen und der motorisierte Verkehr die vorgeschriebenen Ge-
schwindigkeiten einhält. Für den Gesetzgeber muss feststehen: Zu schnelles Fahren ist
kein Kavaliersdelikt, sondern tödliche Gefahr. Alle acht Minuten sind in Deutschland
ein Schwerverletzter und alle sieben Stunden ein Getöteter bei einem Unfall wegen zu
hoher Geschwindigkeit zu beklagen. Insgesamt starben im Jahr 2015 34 Prozent der
im Straßenverkehr Getöteten durch Unfälle aufgrund nicht angepasster Geschwindig-
keit.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Deutschen Bundestag eine Änderung des Strafgesetzbuchs (StGB) vorzule-
gen, in dem
a) in § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d StGB die einschränkenden Wörter „an un-

übersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder
Bahnübergängen“ gestrichen werden, um im Straßenverkehr grob verkehrs-
widriges und rücksichtsloses zu schnell Fahren (d. h. Geschwindigkeitsre-
gelungen verletzen oder/und sich der konkreten Verkehrssituation nicht an-
passen) und die Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen
oder fremder Sachen von bedeutendem Wert generell zu erfassen,

b) in § 315c StGB eine Erfolgsqualifizierung mit angemessenem Strafrahmen
eingefügt wird für Fälle, in denen durch die Tat wenigstens fahrlässig oder
leichtfertig der Tod eines anderen Menschen oder eine schwere Gesund-
heitsschädigung bei einem anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädi-
gung bei einer Vielzahl von Menschen verursacht wird,

c) in § 315c StGB geregelt wird, dass Fahrzeuge, auf die sich eine Tat nach
§ 315c StGB bezieht, eingezogen werden können;

2. einen Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vorzulegen,
mit dem
a) der derzeit zu niedrige Ahndungsrahmen für Verkehrsordnungswidrigkeiten

angemessen angehoben wird,
b) die Einziehung von Tatfahrzeugen bei Überschreitung der zulässigen

Höchstgeschwindigkeit und Veranstaltung oder Teilnahme an illegalen Au-
torennen ermöglicht wird,

c) die Dauer eines Fahrverbotes bis zu zwölf Monate ermöglicht wird;
3. einen Entwurf zur Änderung der Verordnung über die Erteilung einer Verwar-

nung, Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbotes wegen
Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (BKatV) vorzulegen, mit dem die Re-
gelbußgelder und Fahrverbote bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwin-
digkeit auch im europäischen Vergleich angemessen angehoben werden.

Berlin, den 30. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12558
Begründung

Im Jahr 2016 starben in Deutschland 3.214 Menschen im Straßenverkehr. Fast 400.000 Menschen wurden ver-
letzt. Auch wenn die Zahl der Getöteten seit Jahrzehnten insgesamt abnimmt und Fortschritte in der Straßenver-
kehrssicherheit erzielt werden konnten, ist es fehl am Platz, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben und es bei
Bekenntnissen zu mehr Verkehrssicherheit zu belassen. Die Zahl der Getöteten ist nach wie vor skandalös hoch.
Die Zahl der Schwerverletzten steigt seit Jahren sogar an. Es muss daher festes Ziel bleiben, die Zahl der Unfall-
opfer weiter zu reduzieren – idealerweise in Richtung null.
Mehr Sicherheit konnte in der Vergangenheit immer wieder durch neue Regeln erreicht werden, wie etwa die
Einführung von Tempo 100 auf Landstraßen, die Gurtanlegepflicht oder striktere Promillegrenzen. Seit sieben
Jahren nimmt die Anzahl der Straßenverkehrsunfälle innerhalb von Ortschaften in Deutschland nicht weiter ab.
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Verkehrssicherheitsprogramm 2011 zwar das ehrgeizige Ziel gegeben,
die Zahl der Getöteten um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zu vermindern, doch dieses Ziel wird bislang deutlich
verfehlt und aller Voraussicht nach nicht erreicht.
Die Bundesminister für Verkehr und Justiz haben im Herbst 2016 angekündigt, rasch Gesetzesinitiativen auf den
Weg zu bringen, um illegale Autorennen härter zu bestrafen. Sie reagierten damit auch auf einen Gesetzentwurf
des Bundesrates, der Strafrechtsverschärfungen vorsah. Bis heute hat es die Bundesregierung jedoch unterlassen,
dieser Ankündigung nachzukommen und dem Bundestag eine Initiative zur Erhöhung der Straßenverkehrssi-
cherheit vorzulegen. Von Eile und konsequentem Handeln kann keine Rede sein. Die von Alexander Dobrindt
(CSU) und Heiko Maas (SPD) beabsichtigten „strengeren Gesetze“ und „harte Strafen mit abschreckender Wir-
kung“ sind bis heute nicht in Sicht. Die Bundesregierung hat offenbar kein echtes Interesse daran, ein sensibles
verkehrs- und rechtspolitisches Thema in Deutschland anzupacken.
Unfälle durch nicht angepasste Geschwindigkeit haben die schlimmsten Unfallfolgen. Deswegen sind angepasste
Geschwindigkeiten entscheidend, um Leben und Gesundheit zu erhalten. Zwei Drittel aller Verkehrsunfälle er-
eignen sich innerorts. Ein zivilisiertes Verkehrsgeschehen und ein hohes Vertrauen in die Verkehrssicherheit sind
gerade dort, wo Menschen alltäglich unterwegs sind, von besonders hohem Wert.
Die in den Medien in den vergangenen Jahren stark beachteten illegalen Autorennen stellen ein besonderes Phä-
nomen grob verkehrswidrigen Verkehrsverhaltens dar. Die Verurteilung der „Kudamm-Raser“ in Berlin zeigt,
sofern das Urteil rechtskräftig wird, dass das bestehende Strafrecht in der Lage ist, auf die schrecklichen Unfälle
bei illegalen Autorennen zu reagieren.
Um die Verkehrssicherheit in Innenstädten grundsätzlich zu verbessern und die Zahl von Umfallopfern innerorts
weiter zu vermindern, sind vermehrte polizeiliche Kontrollen auf Ebene der Länder ein geeignetes, aber kein
hinreichendes Mittel. Der Bundesgesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass gegenseitige Rücksichtnahme und
eine beständige Einhaltung von Geschwindigkeitsregelungen sichergestellt ist. Die Verkehrspsychologie weist
darauf hin, dass das Geschwindigkeitsverhalten vor allem über Regeln und Straferwartungen beeinflusst wird.
Wer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos zu schnell fährt und dadurch Leib oder Leben
eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, macht sich nach derzeitiger
Rechtslage in Deutschland nur dann strafbar, wenn sich der Vorgang „an unübersichtlichen Stellen, an Straßen-
kreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen“ abspielt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d Strafgesetz-
buch). Auf allen übrigen Straßenabschnitten werden grob verkehrsgefährdende Geschwindigkeiten nur als Ord-
nungswidrigkeit behandelt. Unter anderem wegen dieser Einschränkung hat Paragraph 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst.
d StGB eher geringe Bedeutung in der Rechtsprechung (2011: 226, 2012: 184, 2013: 156, 2014: 170, 2015: 125
Fälle1). Er stammt wie der Katalog der Nummer 2 aus dem Jahr 1964 und spiegelt die Unfallforschung vom
Anfang der 1960er Jahre wider.
Angesichts erheblicher Gefahren, die sich für Leib und Leben insbesondere von Fußgängern und Fahrradfahrern
durch zu schnelles Fahren ergeben, ist diese Rechtslage unangemessen. Hier ist analog zu den anderen gemein-
gefährlichen Straftaten angezeigt, bei der Straßenverkehrsgefährdung in Fällen, in denen sich die in diesem
Grunddelikt enthaltene spezielle Gefahr in einer besonderen Tatfolge realisiert (fahrlässige oder leichtfertige
Verursachung des Todes oder schwerer Körperverletzung anderer Menschen) eine Ergänzung vorzunehmen, die
einen angemessenen Strafrahmen für wenigstens fahrlässiges (vgl. § 18 StGB) oder leichtfertiges Verursachen
1 Stat. Bundesamt, Strafverfolgung – Fachserie 10, Reihe 3 2011( S. 46/47), 2012 (S.46/47), 2013 (S.48/49), 2014 (S. 48/49), 2015 (S. 82/116)

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solcher Tatfolgen vorsieht. Dabei müssen unverhältnismäßige Strafrahmensprünge im Vergleich zu den Tötungs-
und Körperverletzungsdelikten vermieden werden (vgl. Paeffgen in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, StGB, 4.
Auflage 2013, § 18 Rn. 138). Neben der Strafbarkeit entfaltet auch die Möglichkeit der Einziehung von Fahrzeu-
gen eine nachhaltig beeindruckende und abschreckende Wirkung.
Für das zu recht entkriminalisierte Fehlverhalten im Straßenverkehr unterhalb der strafrechtlichen Schwelle muss
es bei Verkehrsordnungswidrigkeiten bleiben. Der im Vergleich zu anderen Staaten der EU in Deutschland mit
derzeit maximal 2000 Euro (§ 24 Abs. 2 StVG) kleine Ahndungsrahmen und der unverhältnismäßig milde Buß-
geldkatalog für zu schnelles Fahren ist ebenso wie die Höchstdauer der Fahrverbote anzupassen. Die Möglichkeit
der Einziehung von Tatfahrzeugen ist ausdrücklich (§ 22 Abs. 1 OWiG) auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten
zu ermöglichen. Die sonstigen Voraussetzungen eines Fahrverbotes gemäß § 25 Abs. 1 StVG bleiben dabei un-
berührt.

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