BT-Drucksache 18/12387

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage - Drucksachen 18/8855, 18/11403 - Sozialer Wohnungsbau in Deutschland - Entwicklung, Bestand, Perspektive

Vom 16. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12387
18. Wahlperiode 16.05.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Sabine
Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Birgit Menz, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Hubertus Zdebel, Pia Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 18/8855, 18/11403 –

Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Entwicklung, Bestand, Perspektive

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Bestand an Sozialwohnungen ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zu-
rückgegangen. Von rund drei Millionen Sozialwohnungen im Jahr 1990 sind heute nur
noch 1,2 Millionen übrig. Allein in den Jahren von 2000 bis 2015 hat sich in einigen
Ländern (Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen) die
Zahl der Sozialwohnungen halbiert. In Bremen und Sachsen-Anhalt sind in diesem
Zeitraum sogar 75 Prozent bzw. 80 Prozent der Sozialwohnungen privatisiert worden
oder aus der Sozialbindung gefallen. In Sachsen waren es zwischen 2002 und 2013
sogar 95 Prozent. Dieser Trend ist weitgehend ungebrochen. Trotz gestiegener Inves-
titionen in den vergangenen Jahren liegt die Zahl der geförderten Wohnungen noch
immer unterhalb des Niveaus von vor zehn Jahren. Gleichzeitig fallen jedes Jahr min-
destens 45.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Bis zum Jahr 2020 wird somit jede
achte Sozialwohnung verloren gehen. Bis zum Jahr 2030 prognostizieren einige Län-
der weitere deutliche Rückgänge zwischen 50 und 75 Prozent ihrer Bestände aus den
Jahren 2015 und 2016. Eine weitere Verdrängung von Menschen mit geringem Ein-
kommen aus ihren Wohnungen und Stadtteilen ist so angesichts der Wohnungsnot vor-
programmiert.

Drucksache 18/12387 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Folgen dieses Niedergangs des sozialen Wohnungsbaus sind gerade in Großstäd-
ten, Universitätsstädten und in Ballungszentren spürbar. Insbesondere in innerstädti-
schen Lagen hat sich der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in den vergangenen Jah-
ren zur Wohnungsnot zugespitzt. Bei Mietsteigungen von durchschnittlich 45 Prozent
in den Jahren von 2009 bis 2015 fehlen allein in Berlin bis zu 130.000 Wohnungen für
Geringverdienende mit einem Einkommen unterhalb von 80 Prozent des Durchschnitts
(vgl. hierzu Holm, Soziale Wohnraumversorgung in Berlin, 2016). Doch nicht nur die
Metropolen Berlin, München oder Hamburg sind betroffen. In Groß- und Universitäts-
städten wie Regensburg, Kassel, Freiburg oder Würzburg ist die Lage ähnlich. Für das
gesamte Bundesgebiet gehen Studien von mindestens 4 Millionen fehlenden bezahl-
baren Wohnungen aus. Daraus resultiert ein zusätzlicher jährlicher Bedarf von 80.000
Sozialwohnungen und weiteren 60.000 bezahlbaren Mietwohnungen (vgl. Angaben
des Pestel Instituts, 2015). Tatsächlich gebaut wurden im Jahr 2015 nur 14.653 Sozi-
alwohnungen. Gestiegene Neubauzahlen im frei finanzierten Bereich hingegen entste-
hen überwiegend aus hochpreisigen Miet- und Eigentumswohnungen. Es wird zwar
wieder mehr gebaut, doch geht der Neubau am Bedarf einer großen Mehrheit der Be-
völkerung vorbei.
Es war ein Fehler, die alleinige Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung an
die Länder zu übergeben. Seit der Föderalismusreform I sank der Anteil des geförder-
ten Wohnungsneubaus am gesamten Neubauvolumen von 15 Prozent im Jahr 2009 auf
rund 6 Prozent jeweils in den Jahren 2013 und 2014. Viele Bundesländer haben die
Kompensationsmittel des Bundes häufig nicht komplett ausgegeben oder für andere
Baumaßnahmen als für den Neubau oder den Ankauf von Sozialwohnungen verwendet
– etwa für die Förderung von Eigenheimen. Manche Bundesländer wie etwa Sachsen
haben über Jahre keine einzige Sozialwohnung gefördert. Seit dem Jahr 2015 sind die
Bundesmittel für die Wohnraumförderung überhaupt nicht mehr zweckgebunden, son-
dern müssen lediglich noch zu „investiven“ Zwecken verwendet werden. Das Auslau-
fen der Bundesförderung mit dem Jahr 2019 wird die ohnehin schon angespannte Si-
tuation erheblich erschweren. Viele Länder können angesichts knapper Kassen das nö-
tige Investitionsvolumen nicht allein stemmen oder es fehlt der politische Wille in ei-
nen Neustart im sozialen Wohnungsbau zu investieren.
Die Bemühungen der Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus, den Niedergang
der sozialen Wohnraumversorgung zu stoppen. Mit der Aufstockung der Kompensati-
onszahlungen für die Wohnraumförderung der Länder auf jährlich 1,52 Mrd. Euro für
die Jahre 2017 und 2018 ist die Schieflage einer neubauorientierten Wohnungspolitik
nicht zu lösen. Auch die verbilligte Abgabe von Grundstücken an die Kommunen zum
Zweck des sozialen Wohnungsbaus hat sich als Tropfen auf den heißen Stein erwiesen.
In zwei Jahren hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) ganze drei
Grundstücke mit einer Verbilligung von durchschnittlich knapp 20 Prozent abgegeben.
Auf jede der dort entstehenden 196 Sozialwohnungen entfallen so durchschnittlich
133.000 Euro Kosten allein für den Grundstückskauf. So vergibt die Bundesregierung
das Potenzial bundeseigener Liegenschaften, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und
Druck von den Wohnungsmärkten zu nehmen. Stattdessen verdient der Bund mit an
der spekulativen Preisspirale auf den Immobilienmärkten.
In den vergangenen Jahrzehnten war der soziale Wohnungsbau wichtiger Bestandteil
einer aktiven Wohnungspolitik und hat wesentlich zur Versorgung der Menschen mit
bezahlbarem Wohnraum beigetragen. Am Prinzip, angemessenen und bezahlbaren
Wohnraum staatlich zu fördern und Wohnungen für einkommensarme Haushalte zu
reservieren, muss eine soziale Wohnraumförderung festhalten. Gleichzeitig dürfen die
Fehler des alten sozialen Wohnungsbaus nicht wiederholt werden. Die Konzentration
des Neubaus von Sozialwohnungen an den Stadträndern hat zur Segregation in den
Innenstädten und zur Konzentration von marginalisierten Bevölkerungsgruppen in der
Peripherie beigetragen. Die Begünstigung privater Anbieter und die nach einigen Jah-
ren auslaufenden Sozialbindungen werden zu Recht als „soziale Zwischennutzung“

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12387
(Hamann, Holm u. a.) kritisiert, denn dies hat bei hohen Kosten für die Allgemeinheit
Gewinne für die Vermieter garantiert – zulasten der Mieterinnen und Mieter. Hinzu
kommt, dass die Mietpreise teilweise über den Angemessenheitsgrenzen der Kosten
der Unterkunft liegen, also dem Zweck, Wohnraum für Menschen mit geringem Ein-
kommen zu schaffen, nicht entsprechen. Bei all dieser berechtigten Kritik ist kein so-
zialer Wohnungsbau auch keine Lösung. Vielmehr braucht es einen Neustart im sozi-
alen Wohnungsbau, der nicht nur quantitativ für mehr Sozialwohnungen sorgt, sondern
auch qualitativ neu aufgestellt wird. Die Fehler der Vergangenheit müssen dabei ver-
mieden werden. Zweckgebundene Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung
der Länder über das Jahr 2019 hinaus, dauerhafte Mietpreis- und Belegungsbindungen
und die vorrangige Förderung kommunaler und gemeinnütziger Träger sind dabei
zentrale Kriterien. Mit dem Aufbau eines neuen gemeinnützigen Sektors in der Woh-
nungswirtschaft muss gleichzeitig begonnen werden. Das Recht auf angemessenes
Wohnen ist ein elementares soziales Menschenrecht, zu dessen Umsetzung sich die
Bundesregierung durch Beitritt zum UN-Sozialpakt verpflichtet hat.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den Ländern Regelungen darüber zu treffen, dass die Förderung
eines sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbaus als Gemeinschaftsaufgabe von
Bund und Ländern über das Jahr 2019 hinaus fortgeführt wird, und einen entspre-
chenden Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung vorzulegen;

2. im Entwurf für den Bundeshaushalt 2018 und in den folgenden Jahren mindestens
5 Mrd. Euro jährlich für einen Neustart im sozialen, gemeinnützigen Wohnungs-
bau vorzusehen mit dem Ziel, dass jährlich 250.000 Wohnungen mit Sozialbin-
dung durch den Neubau und Kauf von Wohnungen sowie den Ankauf von Bele-
gungsbindungen entstehen;

3. gemeinsam mit den Ländern auf eine Anpassung der Förderbedingungen für ei-
nen sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau hinzuwirken, die die Zweckbindung
der Gelder sicherstellt und
a) die dauerhafte Miet- und Belegungsbindungen der geförderten Wohnungen

gewährleistet; in Zukunft muss „einmal Sozialwohnung – immer Sozialwoh-
nung“ gelten,

b) vorrangig kommunale und gemeinnützige Träger begünstigt;
4. im Rahmen dieser angepassten Förderbedingungen auf einen Bestandsschutz für

Mieterinnen und Mieter, die in ihren Wohnungen von auslaufenden Sozialbin-
dungen betroffen sind, hinzuwirken;

5. dafür Sorge zu tragen, dass bundeseigene Liegenschaften vorrangig zu Zwecken
des sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbaus an kommunale und gemeinnützige
Träger übertragen statt höchstbietend verkauft werden, und sich dafür einzuset-
zen, dass die Länder und Kommunen ebenso verfahren;

6. einen Rekommunalisierungsfonds einzurichten und finanziell angemessen auszu-
statten, der den Ländern und Kommunen den An- oder Rückkauf von Wohnun-
gen mit auslaufenden Sozialbindungen ermöglicht;

7. mit dem Aufbau einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit zu beginnen, die einen
nichtprofitorientierten Sektor in der Wohnungswirtschaft schafft und dafür sorgt,
dass die soziale Wohnraumförderung gestärkt und nachhaltig ausgestaltet wird.

Berlin, den 16. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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