BT-Drucksache 18/12098

Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich, nachhaltig, solidarisch und gerecht

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12098
18. Wahlperiode 26.04.2017
Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Brigitte Pothmer, Doris Wagner,
Nicole Maisch, Ulle Schauws, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer,
Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk, Britta Haßelmann,
Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner, Tabea
Rößner, Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesamtkonzept Alterssicherung ‒ Verlässlich, nachhaltig, solidarisch
und gerecht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das System der Alterssicherung mit gesetzlicher Rente als zentrales Fundament sowie
betrieblicher und privater Rente als ergänzende Schichten hat sich grundsätzlich be-
währt. Wer über viele Jahre einer gut bezahlten Arbeit nachgegangen ist, verfügt im
Alter in der Regel über eine auskömmliche Rente.
Doch immer weniger Menschen können sich auf eine Rente verlassen, die vor Armut
schützt und im Zusammenspiel mit einer zusätzlichen Vorsorge auskömmlich ist. Das
hat verschiedene Gründe. So sind noch immer viel zu viele Bürgerinnen und Bürger
nicht Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung. Frauen haben deutlich schlech-
tere Chancen eine eigenständige Existenzsicherung aufzubauen. Auch gesundheitlich
beeinträchtigte Personen haben kaum Chancen, eine angemessene Rente zu erwirt-
schaften. Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung ist gesunken und
droht in den kommenden Jahren weiter zu sinken. Außerdem sorgen deutlich zu we-
nige Personen zusätzlich vor. Zudem gibt es über 25 Jahre nach der Wiedervereinigung
kein gleiches Rentenrecht in Ost und West. Auch wenn aktuell die Armutsrisikoquote
älterer Menschen noch unterdurchschnittlich ist, steigt von Jahr zu Jahr die Altersar-
mut. All dies muss sich ändern.
Ein verlässliches, nachhaltiges, solidarisches und gerechtes Alterssicherungssystem
muss künftig alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen, die gesetzliche Rentenversi-
cherung als zentrale Säule der Alterssicherung stärken, Frauen eine eigenständige
Existenzsicherung ermöglichen und die besondere Situation benachteiligter Personen-
gruppen berücksichtigen.
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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das dreischichtige System der Alterssicherung
auf eine solide Basis stellt.
Hierzu gilt es:
1. eine Bürgerversicherung mit dem Ziel einzuführen, dass alle Bürgerinnen und

Bürger in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und schon
heute in einem ersten Schritt nicht anderweitig abgesicherte Selbständige, Mi-
nijobberinnen und -jobber, Langzeitarbeitslose und Abgeordnete in die gesetzli-
che Rentenversicherung aufzunehmen;

2. das Rentenniveau zu stabilisieren. Das heutige, gegenüber dem Jahr 1998 bereits
erheblich abgesenkte Rentenniveau sollte nicht weiter fallen. Dabei müssen Ren-
tenniveau und Beitragssatz in einem angemessenen Verhältnis stehen, sodass
auch die junge Generation weiter in die gesetzliche Rente vertrauen kann;

3. eine Garantierente für langjährig Versicherte zur Verhinderung von Altersarmut
einzuführen. Menschen, die den Menschen, die den größten Teil ihres Lebens
versichert waren, gearbeitet, Kinder erzogen, andere Menschen gepflegt oder
sonstige Anwartschaften in der Rentenversicherung erworben haben, sollen im
Alter eine Rente beziehen, die oberhalb der Grundsicherung liegt – ohne Bedürf-
tigkeitsprüfung und ohne Anrechnung von betrieblicher und privater Altersvor-
sorge;

4. die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu ermöglichen und die ge-
schlechtsspezifische Rentenlücke zu schließen. Hierbei müssen in erster Linie die
Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt beseitigt sowie die bessere Ver-
einbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit ermöglicht werden;

5. die besondere Situation von Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern,
Menschen mit Behinderungen und besonders belasteten Beschäftigten zu berück-
sichtigen;

6. die Einnahmesituation der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken, indem
versicherungsfremde Leistungen wie die sog. Mütterrente aus Steuern bezahlt
werden und die Erwerbsbeteiligung insbesondere von Frauen und Älteren erhöht
wird;

7. ein öffentlich verwaltetes, einfaches, kostengünstiges und sicheres Basisprodukt
(Bürgerfonds) einzuführen. Gleichzeitig sollen Arbeitgeberinnen und -geber ih-
ren Beschäftigten in jedem Fall eine Betriebsrente anbieten und mit einem eige-
nen Arbeitgeberbeitrag unterstützen. Dem Bürgerfonds soll hierbei eine beson-
dere Rolle zukommen. Um die private Altersvorsorge zu stärken, gilt es, die För-
derung stärker auf Geringverdienende zu konzentrieren;

8. die Renteneinheit unverzüglich zu vollenden und hierfür ein gleiches Rentenrecht
in Ost und West umzusetzen.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12098
Begründung

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist die mit Abstand stärkste Säule im so genannten Drei-Säulen-
Modell der Alterssicherung. Rund neun Zehntel der Gesamtausgaben der Alterssicherung gehen auf ihr Konto,
so dass man die GRV eher als Fundament denn als Säule der Alterssicherung bezeichnen muss. Die betriebliche
Altersversorgung sowie die private Altersvorsorge stellen eine wichtige Ergänzung des Systems dar – nicht mehr,
aber auch nicht weniger. Eine sichere Altersversorgung für alle Menschen benötigt daher auch zukünftig eine
starke gesetzliche Rentenversicherung als zentrale Grundlage. Die Legitimität der GRV wird aber nur dann ge-
wahrt, wenn langjährig Versicherten keine Armut droht und wenn sich eigene Beiträge tatsächlich lohnen. Letz-
teres gilt für kleine, mittlere und hohe Einkommen gleichermaßen. Denn nur wem trotz langjähriger Beitrags-
zahlung im Rentenalter keine Sozialhilfe droht oder wem die Möglichkeit eröffnet wird, den Lebensstandard
jenseits der Armutsgrenze zu sichern, wird der gesetzlichen, verpflichtenden Sozialversicherung langfristig Ver-
trauen schenken.

Zu Nummer 1: Bürgerversicherung einführen
Soziale Sicherungssysteme müssen verlässlich, solidarisch und gerecht gestaltet werden. Wenn aber ganze Be-
rufe bzw. Berufsgruppen, Beamte und Abgeordnete ihre Alterssicherung außerhalb des gesetzlichen Sozialver-
sicherungssystems organisieren, werden diese Ziele nicht erreicht. Perspektivisch müssen daher alle Bürgerinnen
und Bürger unter der Berücksichtigung aller Einkunftsarten in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen
werden. So sind sie gut abgesichert sowie versorgt und können sich entsprechend ihrer Einkommen an der Fi-
nanzierung beteiligen. Die Bürgerversicherung schließt zudem Versicherungslücken bei Nichterwerbstätigkeit.
Hiervon profitieren insbesondere Frauen. In einem ersten Schritt hin zu einer BürgerInnenversicherung sollen
zum einen die nicht anderweitig abgesicherten Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen
werden. Bereits anderweitig abgesichert im Alter sind Selbständige unter anderem über die Künstlersozialversi-
cherung wie Künstlerinnen und Künstler, Publizistinnen und Publizisten, Landwirtinnen und Landwirte sowie
Selbständige in berufsständischen Versorgungswerken. Um gerade Selbständige mit kleinen Einkommen bei ih-
rer sozialen Absicherung nicht zu überfordern, müssen die Mindestbeiträge für die gesetzliche Kranken- und
Pflegeversicherung sowie zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung gesenkt und die Beiträge zur Rentenversi-
cherung oberhalb des Mindestbeitrags wie bisher einkommensbezogen ausgestaltet werden. Die heute bestehende
Möglichkeit, wahlweise auch den Regelbeitrag zu zahlen, soll natürlich weiterhin möglich sein. Für die Selbstän-
digen und insbesondere die Existenzgründerinnen und -gründer sind Übergangsregelungen nötig. Zudem wollen
wir Selbständigen mit Beitragsrückständen bei der Krankenversicherung helfen und Schulden erlassen. Die An-
trag stellende Fraktion hat hierzu einen Antrag beschlossen, der alle Sozialversicherungszweige in den Blick
nimmt (Drucksache 18/10035). Zum anderen sollen auch Minijobberinnen und -jobber, Arbeitslosengeld-II-Be-
ziehende und Abgeordnete schon heute in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. In einem
zweiten Schritt sollen auch Freiberuflerinnen und Freiberufler sowie Beamtinnen und Beamte in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Hierfür sollte mit den Bundesländern zusammen gearbeitet und eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt werden. Bereits erworbene Anwartschaften auf Versorgung und beste-
hende Beamtenverhältnisse müssen dabei aus Gründen des Vertrauensschutzes unberührt bleiben.

Zu Nummer 2: Das Rentenniveau stabilisieren
Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente ist in den letzten Jahren stark gesunken. Im Vergleich zu anderen
OECD-Staaten liegt die Ersatzrate der verpflichtenden Vorsorgesysteme in Deutschland unterhalb des Durch-
schnitts. Problematisch ist insbesondere das künftige Absinken des Rentenniveaus. Dies hat zur Folge, dass schon
Ende der 2020-Jahre 30 Entgeltpunkte nicht mehr ausreichen würden, um einen Sozialhilfebezug zu vermeiden.
Für immer mehr Versicherte wird somit der Wechsel vom Arbeitsleben in den Ruhestand zu einem mehr als
deutlichen Einkommensverlust führen. Um dieser Krise vorzubeugen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die
dazu beitragen, das Rentenniveau zu stabilisieren.

Zu Nummer 3: Garantierente für langjährig Versicherte einführen
Die Rentenversicherung muss durch eine Garantierente gewährleisten, dass alle Menschen, die den größten Teil
ihres Lebens versichert waren, gearbeitet, Kinder erzogen, andere Menschen gepflegt oder sonstige Anwartschaf-
ten in der Rentenversicherung erworben haben, im Alter eine Rente beziehen, die oberhalb der Grundsicherung

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liegt. Ungeachtet der Vorschläge für ein angemessenes Rentenniveau fordern wir daher Maßnahmen zur Be-
kämpfung von Altersarmut für langjährig Versicherte. Denn niedrige Löhne, Zeiten der Arbeitslosigkeit, der
Pflege von Angehörigen oder der Erziehung von Kindern können dazu führen, dass Versicherte trotz langjähriger
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf 30 Entgeltpunkte kommen und somit auf Leis-
tungen der Grundsicherung im Alter angewiesen wären. Für diese Versicherten bedarf es einer steuerfinanzierten
Garantierente innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, die eine Rente oberhalb des Grundsicherungsni-
veaus verspricht. Betriebliche und private Altersvorsorge werden auf die Garantierente nicht angerechnet.

Zu Nummer 4: Eigenständige Existenzsicherung von Frauen ermöglichen
Die geschlechtsspezifische Rentenlücke zwischen heutigen Rentnerinnen und Rentnern liegt bei rund 40 Prozent.
Sie ist in den vergangenen Jahrzehnten zwar kleiner geworden. Würde es in diesem Tempo weitergehen, dürfte
es jedoch noch Jahrzehnte dauern, bis die Lücke geschlossen ist. Um den Gender Pension Gap zu verringern,
müssen in erster Linie die Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt beseitigt sowie die bessere Verein-
barkeit von Familien- und Erwerbsarbeit und eine Ausweitung des Arbeitsvolumens von Frauen ermöglicht wer-
den. Dies betrifft den Ausbau von Kinderbetreuungs- und Bildungsinfrastruktur, die Einführung einer dreimona-
tigen PflegeZeit Plus (Drucksache 18/9007), das Rückkehrrecht auf Vollzeit, die Schaffung eines vollzeitnahen
Teilzeitkorridors, eine Umwandlung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, gleicher Lohn für gleiche und
gleichwertige Arbeit sowie die Umstellung des derzeitigen Ehegattensplittings auf eine Individualbesteuerung
für Neu-Ehen.
Doch auch das Rentenrecht kann im Sinne der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterentwi-
ckelt werden. Da Frauen überdurchschnittlich häufig ausschließlich auf Leistungen der gesetzlichen Rentenver-
sicherung angewiesen sind, kommt eine Stabilisierung des Rentenniveaus gerade ihnen zugute. Hiervon profi-
tieren nicht nur künftige, sondern ebenso die jetzigen Rentnerinnen. Auch von einer Garantierente zur Verhin-
derung von Altersarmut profitieren vor allem Frauen. Über das sogenannte Rentensplitting würde zudem sicher-
gestellt, dass Paare ihre Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung teilen, unabhängig davon, wie
die Erwerbs- und Fürsorgearbeit untereinander aufgeteilt wird. Das ist Ausdruck einer ehelichen bzw. lebens-
partnerschaftlichen Einstandsgemeinschaft und sorgt dafür, dass insbesondere Frauen bei der Höhe ihrer Renten
nicht benachteiligt werden. Eine Hinterbliebenenversorgung wäre auch bei einem solch obligatorischen Splitting
der Einzahlungen in die Rentenversicherung gewährleistet, sodass es zu keinen Verschlechterungen gegenüber
dem Status quo kommt. Schließlich profitieren insbesondere Frauen von einer schrittweisen Einführung der Bür-
gerversicherung, weil hierdurch mögliche Versicherungslücken geschlossen werden.

Zu Nummer 5: Situation bestimmter Gruppen verbessern
Grundsätzlich spiegeln die Renten die Einkommensgeschichte des Erwerbslebens wider. Wer viel und lange
verdient, erhält eine höhere Rente. Hier erweist es sich als fatal, dass bestimmte Gruppen weniger Chancen auf
dem Arbeitsmarkt haben als andere. Auch wenn solche Probleme grundlegend auch dort – auf dem Arbeitsmarkt
– gelöst werden müssen, kann das Rentenrecht Ungerechtigkeiten abmildern. So ist etwa die rentenrechtliche
Absicherung der Bezieherinnen und Bezieher einer Erwerbsminderungsrente dringend zu verbessern. Gerade
weil die Erwerbsminderungsrente eine unfreiwillige Form des Rentenzugangs darstellt, ist deren armutsfeste
Ausgestaltung notwendig. Die von den Regierungsfraktionen verabschiedeten Änderungen im Rahmen des Ren-
tenpakets gehen zwar in die richtige Richtung, sind in der Summe aber ungenügend. Sinnvoll ist es, auf die
Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente dann zu verzichten, wenn der Zugang allein aus gesundheitlichen
Gründen erfolgte. Es ist nicht plausibel, dass Menschen, die auf Grund ihrer gesundheitlichen Situation an ihrer
Lage nichts ändern können und gezwungen sind, einen Antrag auf Rente zu stellen, mit Abschlägen bestraft
werden. Dies gilt selbstverständlich auch für die Anhebung der Altersgrenze für den abschlagsfreien Rentenbe-
ginn von 62 auf 65 Jahre für erwerbsgeminderte und schwerbehinderte Personen. Dieser Schritt sollte ebenso
rückgängig gemacht werden wie die Anhebung der Regelaltersgrenze für schwerbehinderte Personen.
Auch die Gruppe der besonders belasteten Beschäftigten benötigt eine zusätzliche Unterstützung. Bei ihnen han-
delt es sich für gewöhnlich um Arbeitnehmerinnen und -nehmer, die zwar zu „krank“ für das Weiterarbeiten,
aber zu „gesund“ für die Erwerbsminderungsrente sind. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, durch eine Reduktion
ihrer Arbeitszeit bei gleichzeitiger Kompensation durch eine vorgezogene Teilrente letztlich länger dem Arbeits-
markt zur Verfügung zu stehen. Leider gibt es für diese Personengruppe aber zu wenig Arbeitsangebote in Teil-
zeit. Doch selbst wenn es ein solches Teilzeitangebot gäbe, kann das wegfallende Einkommen nur bedingt durch
eine Teilrente ausgeglichen werden. Erhält etwa ein heute 63-Jähriger eine Teilrente, so muss er 9,6 Prozent

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12098
Abschläge auf seine Teilrente verkraften. Hier bedarf es dringend Überlegungen, wie diese spezielle Gruppe
unterstützt werden kann. Sowohl eine Beteiligung der Arbeitgeber in besonders belasteten Berufen und Branchen
ist zu prüfen wie auch ein steuerlicher Zuschuss zur Kompensation der Abschläge. Damit ist auch klar, dass
weder die Beitragszahlerinnen und -zahler noch die Rentnerinnen und Rentner einseitig belastet werden.

Zu Nummer 6: Finanzielle Nachhaltigkeit herstellen - Verbesserung der Einnahmen der Rentenversicherung
Neben der Frage des Sicherungsziels steht die gesetzliche Rentenversicherung vor weiteren Herausforderungen.
So hat die steigende Lebenserwartung eine längere durchschnittliche Rentenbezugsdauer zur Folge. Die gebur-
tenstarken Jahrgänge kommen in den nächsten Jahren ins Rentenalter. Ein zunehmend fragmentierter Arbeits-
markt könnte mittelfristig zu Beitragsmindereinnahmen führen. Will man nicht wie in der Vergangenheit über
Leistungskürzungen sprechen, muss daher die Einnahmesituation der Rentenkasse nachhaltig verbessert werden.
Hierfür sind mehrere Maßnahmen notwendig, die auch aus gesellschaftspolitischen Gründen sinnvoll sind. So
muss sich der Bund stärker als bisher an den sogenannten versicherungsfremden Leistungen der Rentenkasse
beteiligen. Es kann nicht sein, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Mütterrente einseitig zulasten der
gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Die beitragsfreie Entgeltumwandlung im Rahmen der betrieblichen Al-
tersversorgung entzieht der Sozialversicherung Beitragseinnahmen und ist daher prinzipiell abzulehnen. Einer
Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Maßnahmen für ein höheres Lohnniveau von Frauen und in
sogenannten Frauenberufen stehen zwar langfristig höhere Rentenausgaben gegenüber. Die Stärkung der Er-
werbsbeteiligung von Frauen birgt aber dennoch erhebliches Potential zur Stärkung der gesetzlichen Renten-
versicherung und hilft die demographiebedingten Herausforderungen besser zu bewältigen. Durchgängige Er-
werbsbiografien und sichere, gesunde und fair entlohnte Beschäftigungsverhältnisse erhöhen die Renten der Be-
schäftigten und stärken gleichermaßen das Rentensystem. Auch die Weiterentwicklung der gesetzlichen Renten-
versicherung hin zu einer Bürgerversicherung und die Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten sowie Ge-
flüchteten können die Finanzen der Sozialversicherungen erheblich entlasten. Die Erhöhung der Erwerbsbeteili-
gung Älterer könnte ebenso einen solchen Beitrag leisten. Es gibt viele bislang ungenutzte oder kaum genutzte
Möglichkeiten, um Beschäftigte bei der Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit zu unterstützen. Eine weitere An-
hebung der Rentenbeitragssätze stellt nur eine Ultima Ratio dar.

Zu Nummer 7: Bürgerfonds einführen und für Betriebsrente und private Altersvorsorge öffnen
Zur Verbesserung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge ist ein einfaches, kostengünstiges und sicheres
Basisprodukt einzuführen. Bei hinreichender Größe des Fonds kann die laufende Verwaltungsgebühr sehr nied-
rig sein. Das zeigt das Beispiel Schweden. Dort fließen lediglich 0,15 Prozent des gesparten Vermögens in die
Verwaltung – bei einer durchschnittlichen Jahresrendite von 6,5 Prozent seit seiner Einrichtung im Jahr 2000.
Anders als etwa bei Riester in Deutschland kann so die Sparleistung der Menschen fast vollständig in die Al-
tersvorsorge gehen, statt im Vertrieb hängenzubleiben.
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) erreicht heute lediglich einen begrenzten Personenkreis. Besonders in
kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind Betriebsrenten alles andere als der Regelfall. Ob Formen der
bAV vonseiten der Betriebe aktiv angeboten werden, ist darüber hinaus stark branchenabhängig. Vielen Beschäf-
tigten steht daher kein Angebot einer betrieblichen Altersversorgung zur Verfügung. Ausgerechnet in Branchen
mit geringerem Lohnniveau fehlt die zweite Säule. Die Hemmnisse für die geringe Verbreitung der bAV in KMU
und unter Geringverdienerinnen und Geringverdienern sind vielfältig. Es gilt – nicht zuletzt im Sinne eines funk-
tionierenden dreischichtigen Systems der Alterssicherung – die Rahmenbedingungen für das dafür notwendige
Engagement auf dem Kapitalmarkt entscheidend zu verbessern. Um die beschriebenen Probleme zu lösen, sollte
künftig jeder Arbeitsvertrag nach Ablauf der Probezeit automatisch mit einem Angebot der Arbeitgeberin oder
des Arbeitgebers zur betrieblichen Altersversorgung verbunden sein. Zudem gilt es Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer beim Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung zu unterstützen, indem Arbeitgeberinnen und Ar-
beitgeber verpflichtet werden, einen eigenen Beitrag zu leisten. Die Antrag stellende Fraktion hat hierzu einen
umfassenden Antrag verabschiedet (Drucksache 18/10384). Jenseits vom Bestandsschutz stehen dem Arbeitge-
ber bei seiner Angebotspflicht Direktzusage, Pensionsfonds, Pensionskasse, Unterstützungskasse und der Bür-
gerfonds offen. Die Aufteilung der Sparleistung zwischen den Angebotsformen ist dabei möglich. Nimmt der
oder die Beschäftigte keines der ersten Angebote in Anspruch, wird der Bürgerfonds als Standardweg angeboten.
Auch allen anderen Bürgerinnen und Bürgerinnen steht der Bürgerfonds offen.
Die Riester-Rente wird ihrer Sicherungsfunktion im ursprünglich gedachten Sinn heute nicht gerecht. Sie ist
gemessen am Ziel eines flächendeckenden Ausgleichs des sinkenden Rentenniveaus gescheitert. Die Annahmen

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der Jahrtausendwende haben sich als unrealistisch erwiesen. Ein durchschnittlicher Altersvorsorgeaufwand von
4 Prozent, eine jährliche Verzinsung von 4 Prozent und Verwaltungskosten in Höhe von 10 Prozent, wie bis in
die Gegenwart in den Rentenversicherungsberichten der Bundesregierung vorausgesetzt, sind heute alles andere
als der Regelfall. Einzig das Ziel der Beitragssatzstabilisierung konnte erreicht werden, allerdings um den Preis
der Senkung des Rentenniveaus. Mit 18,7 Prozent ist der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung so
niedrig wie seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Bis 2030 werden die gesetzlich vereinbarten Ziele für Beitragss-
ätze und Rentenniveau gehalten werden können. Dies bedeutet, dass das Rentenniveau bis 2030 weiter absinkt,
aber über dem Prognosewert der Rürup-Kommission bleiben wird und der Rentenbeitragssatz steigt, aber vo-
raussichtlich die Prognosen der Rürup-Kommission unterschreiten wird. Die öffentliche Förderung der privaten
Altersvorsorge soll in Zukunft vor allem Geringverdienenden zugutekommen. Dazu muss die Grundzulage für
Neuverträge erhöht, ein Zuschlag für Menschen im unteren Einkommensbereich eingeführt und im Gegenzug
die steuerliche Förderung über den Sonderausgabenabzug gestrichen werden. Auch hierzu hat die Antrag stel-
lende Fraktion einen umfassenden Antrag verabschiedet (18/7371).

Zu Nummer 8: Renteneinheit unverzüglich vollenden
Gut ein Vierteljahrhundert nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland ist das Ren-
tenrecht noch immer geteilt. Zwischen Ost- und Westdeutschland existieren nach wie vor erhebliche Unter-
schiede. Sowohl die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West als auch die Beendigung der sogenannten
Höherwertung der Einkommen in Ostdeutschland sind seit vielen Jahren Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Die Überleitung der Alterssicherung der DDR in bundesdeutsches Recht war eine sehr komplexe Aufgabe –
sozialhistorisch einmalig, ohne Vorbild und im Ergebnis ein über die Maßen gewaltiger Solidarakt der west-
deutschen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Die Einführung der rentenrechtlichen Besonderheiten im
Rahmen des Renten-Überleitungsgesetzes war 1992 notwendig, um auch den Ostdeutschen eine auskömmliche
Rente zu ermöglichen. Das Lohnniveau im Osten betrug 1990 nicht mehr als 42 Prozent des Westniveaus – ein
Gehaltsgefälle, das sich ohne Kompensation in entsprechend niedrigen Renten in Ostdeutschland niedergeschla-
gen hätte. Nach wie vor haben die als Übergangsregelung gedachten rentenrechtlichen Unterschiede infolge der
erheblichen Verlangsamung des Angleichungsprozesses der Löhne und Gehälter Bestand. Das unterschiedliche
Rentenrecht wird ohne Eingriffe des Gesetzgebers noch so lange existieren, bis sich die Entgelte und damit die
Rentenwerte in den alten und neuen Bundesländern vollkommen angeglichen haben. Da auf kurze bis mittlere
Sicht keine wesentliche Angleichung zu erwarten ist, würde diese Entwicklung voraussichtlich noch Jahrzehnte
in Anspruch nehmen. Die von Union und SPD vereinbarten Schritte sind nicht nur viel zu zaghaft. Sie bürden
der Rentenkasse wie schon zuvor die sog. Mütterrente mehrere Milliarden auf. Dabei zeigt der von der Antrag
stellenden Fraktion vorgelegte Vorschlag, wie es schneller geht, ohne hierbei hierfür den Haushalt zu belasten
(18/10039).

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