BT-Drucksache 18/11849

Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung beim BAMF und die Situation von Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität geltend machen

Vom 29. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11849
18. Wahlperiode 29.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Ulle Schauws,
Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic,
Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung beim BAMF und die
Situation von Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer
sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität geltend machen

Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen
Orientierung bzw. Geschlechtsidentität haben und sich deshalb außerhalb ihres
Herkunftsstaats befinden, haben Anspruch auf Asyl (§§ 3 bis 3e des Asylge-
setzes – AsylG – i. V. m. der Genfer Flüchtlingskonvention). Sie stehen aller-
dings im Asylverfahren nach wie vor vor besonderen Herausforderungen (http://
verfassungsblog.de/nur-fragmentarischer-schutz-asyl-wegen-sexueller-orientie-
rung-und-geschlechtsidentitaet/ <23 März 2017>). Der fragestellenden Fraktion
sind mehrere Entscheidungen bekannt, mit denen das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge von Menschen, die eine begründete
Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsiden-
tität in der Anhörung beim BAMF geltend machen, abgelehnt worden sind, weil
die Betroffenen nach Auffassung des BAMF ihre sexuelle Orientierung bzw.
Geschlechtsidentität im Herkunftsstaat geheim halten könnten. Solche Entschei-
dungen sind rechtswidrig: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat
am 7. November 2013 entschieden, dass bei der Prüfung eines Antrags auf Zuer-
kennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erwartet werden könne, dass Asylsu-
chende ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurück-
haltung beim Ausleben ihrer sexuellen Orientierung üben, um die Gefahr einer
Verfolgung zu vermeiden (EuGH, Urt. v. 7. November 2013, Rs. C-199/12 bis
C-201/12, Minister voor Immigratie en Asiel ./. X und Y). Darauf hatte die fra-
gestellende Fraktion bereits in einer früheren Kleinen Anfrage hingewiesen (Bun-
destagsdrucksache 18/8755). In ihrer Antwort hat die Bundesregierung bekräftigt,
sich für die Einhaltung der Vorgaben des EuGH einsetzen zu wollen (Bundes-
tagsdrucksache 18/8977). Dennoch sind nach dem Zeitpunkt der Beantwortung
der Kleinen Anfrage weitere Ablehnungsbescheide des BAMF mit der o. g. Be-
gründung ergangen. Einige solcher Bescheide liegen der fragestellenden Fraktion
vor.
Ein qualitativ hochwertiges Asylverfahren ist aus Sicht der Fragesteller nur dann
gewährleistet, wenn Anhörerinnen und Anhörer sowie Entscheiderinnen und Ent-
scheider des BAMF ausreichend geschult werden. Auch in Hinblick auf die Dol-
metscherinnen und Dolmetschern ist nach Ansicht der Fragesteller darauf zu ach-
ten, dass sie mit der nötigen Sensibilität agieren. Um dem besonderen Schutzbe-
darf und der besonders sensiblen Situation von einzelnen Flüchtlingsgruppen ge-

Drucksache 18/11849 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

recht zu werden, setzt das BAMF sogenannte Sonderbeauftragte für die Bearbei-
tung der Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen, Folteropfern, traumati-
sierten Personen, geschlechtsspezifisch Verfolgten sowie Opfern von Menschen-
handel ein. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche
Frage 21 auf Bundestagsdrucksache 18/11470 des Abgeordneten Volker Beck
vom 24. Februar 2017 (2/204) verfügt das BAMF an 39 Standorten über Sonder-
beauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung, die auch für Antragstellerin-
nen und Antragsteller, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer
sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität geltend machen, zuständig sind.
Unklar ist, wie diese Mitarbeitenden qualifiziert werden und welche Inhalte bei
den Schulungen vermittelt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

Zum Asylanspruch von Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung
wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität geltend machen

1. Inwiefern hält die Bundesregierung an der Rechtsauffassung fest, die sie in
der Antwort auf die Kleine Anfrage der fragestellenden Fraktion zur Einhal-
tung der rechtlichen Vorgaben bei der Bearbeitung von Asylanträgen von
Personen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen
Orientierung oder Geschlechtsidentität geltend machen, zum Ausdruck ge-
bracht hat (Bundestagsdrucksache 18/8977, S. 3), wonach es Asylsuchenden
in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt.
v. 5. September 2012, Rs. C-71/11 und C-99/11, BRD ./. Y und Z) grund-
sätzlich nicht zuzumuten ist, gefahrenträchtige Verhaltensweisen zu vermei-
den, um einer Verfolgung auszuweichen, die ihnen andernfalls, z. B. wegen
ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität, drohen würde (bitte
begründen)?

2. Welche Maßnahmen haben die Bundesregierung bzw. ihr nachgeordnete Be-
hörden seit der Beantwortung der in Frage 1 bezeichneten Kleinen Anfrage
ergriffen, um zu gewährleisten, dass die Vorgaben des EuGH bei der Ent-
scheidung von Asylanträgen von Menschen, die eine begründete Furcht vor
Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität
geltend machen, eingehalten werden?

3. Sind der Bundesregierung Entscheidungen bekannt, mit denen das BAMF
seit der Beantwortung der in Frage 1 erwähnten Kleinen Anfrage Asylan-
träge von Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer
sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität geltend machen, mit der
Begründung abgelehnt hat, sie könnten im Herkunftsstaat ihre sexuelle Ori-
entierung bzw. Geschlechtsidentität geheim halten, und welche Schlussfol-
gerungen und Konsequenzen zieht sie daraus?

Zu den Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung
4. Für welche Zielgruppen von Schutzsuchenden sind die Sonderbeauftragten

für geschlechtsspezifische Verfolgung zuständig?
5. Welche Schulungen durchlaufen die Sonderbeauftragten für geschlechtsspe-

zifische Verfolgung bevor sie als Sonderbeauftragte für diesen Themenbe-
reich eingesetzt werden?

6. Welchen zeitlichen Umfang umfassen diese Schulungen für Sonderbeauf-
tragte für geschlechtsspezifische Verfolgung, und welcher zeitliche Umfang
innerhalb dieser Schulungen steht für die Bearbeitung der Asylverfahren von
Antragstellerinnen und Antragstellern zur Verfügung, die eine begründete
Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechts-
identität geltend machen (bitte detailliert darstellen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11849
7. Wann haben in den Jahren 2015, 2016 und 2017 Schulungen stattgefunden?
8. Durch wen wurden die Schulungen in den Jahren 2015, 2016 und 2017

durchgeführt, und inwiefern waren hierbei Externe beteiligt (bitte konkret
benennen und aufschlüsseln)?

9. Welche konkreten Inhalte hatten die einzelnen Schulungen?
10. Inwiefern müssen die Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfol-

gung regelmäßig weitergehende fachliche Schulungen für ihr Themenfeld
besuchen?
a) Wenn ja, wie häufig sind entsprechende Schulungen zu besuchen, und

welche Inhalte werden vermittelt?
b) Wenn nein, warum nicht?

11. Gibt es eine Mindestzahl an durchgeführten Anhörungen bzw. Entscheidun-
gen bevor ein Einsatz als Sonderbeauftragter erfolgt?
a) Wenn ja, welche?
b) Wenn nein, warum nicht?

12. Inwiefern und ggf. auf welche Weise wird im Bescheid kenntlich gemacht,
dass die Anhörung von einem Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische
Verfolgung durchgeführt wurde?

13. Wie wird die Arbeit der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Ver-
folgung evaluiert?

Welche Arten der Qualitätskontrolle werden angewandt?
Sind die Ergebnisse der entsprechenden Evaluationen zudem Inhalt der
Schulungen der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung?

14. Inwiefern wird gewährleistet, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die
in Asylverfahren von Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung
wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität geltend ma-
chen, eingesetzt werden, für ihre Tätigkeit hinreichend geschult bzw. sensi-
bilisiert werden?

15. Welche Schulungen wurden in den Jahren 2015, 2016 und 2017 diesbezüg-
lich für Dolmetscherinnen und Dolmetscher angeboten?

16. Inwiefern tragen die Sonderbeauftragten im Asylverfahren und insbesondere
während der Anhörung für einen angemessenen Einsatz der Dolmetscherin-
nen und Dolmetscher Sorge?

Berlin, den 28. März 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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