BT-Drucksache 18/1094

Gemeindewirtschaftsteuer einführen - Kommunalfinanzen stärken

Vom 8. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1094
18. Wahlperiode 08.04.2014

Antrag
der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland
Claus, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Thomas
Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Kirsten
Tackmann, Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht, Harald
Weinberg, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Gemeindewirtschaftsteuer einführen Kommunalfinanzen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kommunen brauchen, um handlungsfähig zu sein, Planungssicherheit durch
stabile und bedarfsgerechte Steuereinnahmen. Viele Kommunen sind aber chro-
nisch unterfinanziert. Täglich verfällt die von ihnen bereitgestellte öffentliche
Infrastruktur. Nach Schätzung des KfW-Kommunalpanels ist der Investitions-
rückstand von 2011 auf 2012 um 28 Mrd. Euro auf circa 128 Mrd. Euro angestie-
gen. Auch der konjunkturbedingte Anstieg des absoluten Gewerbesteuerauf-
kommens gibt keinen Anlass zur Entwarnung, denn die Finanzlage der Kommu-
nen hat sich dadurch kaum entspannt. Besorgniserregend ist zudem die wachsen-
de Ungleichentwicklung zwischen armen und reichen Kommunen. Das hohe
Niveau der Aufnahme von Kassenkrediten (derzeit circa 48 Mrd. Euro), die nur
der Finanzierung laufender Ausgaben dienen, nicht aber der von Investitionen,
spiegelt die Situation vieler Kommunen treffend wider.

Die Verschlechterung der finanzpolitischen Lage vieler Kommunen ist zum
überwiegenden Teil nicht selbst verschuldet, sondern die Konsequenz des Voll-
zugs von Bundes- und Landesgesetzen sowie von Entscheidungen der Europäi-
schen Union. So hat die Verankerung der so genannten Schuldenbremse im
Grundgesetz (Artikel 109 GG) und in den Verfassungen einiger Flächenländer
dazu geführt, dass die Bundesländer immer mehr Aufgaben auf die von diesen
Regelungen nicht erfassten Kommunen abwälzen, ohne für einen finanziellen
Ausgleich zu sorgen.

Für weitere Einschränkungen sorgt der europäische Fiskalpakt, wodurch neben
Bund und Ländern auch die Kommunen von der Begrenzung der gesamtstaatli-
chen Verschuldung erfasst werden. Dies erhöht bereits jetzt den auf den Kommu-
nen lastenden Kürzungsdruck und engt den Spielraum weiter ein, sich zu ver-
schulden, um dem Investitionsstau entgegenzutreten und eine gute Daseinsvor-
sorge zu gewährleisten.

Daneben bleibt es problematisch, dass der Bund (und die Länder) die Kosten
einer verfehlten Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik über Gebühr auf die

Drucksache 18/1094 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Kommunen abwälzen. Aus diesem Grund sind die von den Kommunen zu er-
bringenden Leistungen in den vergangenen Jahren immer stärker angewachsen.
Ins Auge fällt besonders ein enormer Anstieg bei den Sozialausgaben, die zwi-
schen 2003 und 2013 um 50 Prozent zunahmen – und das obwohl der Bund be-
reits Teile dieser Ausgaben übernommen hat.

Gleichzeitig wirkt sich die Politik der massiven Steuersenkungen der vergange-
nen Jahre aus, die zugunsten der Entlastung von Unternehmen und Wohlhaben-
den zu erheblichen Mehrbelastungen der kommunalen Haushalte führte. Für die
Kommunen beliefen sich die Steuerausfälle aufgrund von Steuerrechtsänderun-
gen vergangener Bundesregierungen seit 1998 im Zeitraum von 2000 bis 2011
auf rund 17,16 Mrd. Euro, was knapp 85 Prozent des Defizits im gleichen Zeit-
raum entspricht. Allein im Zeitraum von November 2008 bis Sommer 2009 wur-
den zehn Gesetzesvorhaben zur Steuerentlastung verabschiedet, die bis 2013 zu
Einnahmeausfällen im Umfang von rund 19 Mrd. Euro bei den Kommunen führ-
ten.

Die Aushöhlung der kommunalen Finanzhoheit zerstört die Grundlagen der
kommunalen Selbstverwaltung und damit ihre institutionelle Garantie nach
Artikel 28 Absatz 2 GG (Grundgesetz). Dies hat zur Folge, dass die kommunale
Selbstverwaltung allenfalls noch in Teilen wahrgenommen werden kann oder
eine Verwaltung des Mangels droht. Kommunen mit hoher Verschuldung und
hoher Erwerbslosigkeit haben bereits heute praktisch keine eigenen Handlungs-
spielräume mehr.

Neben Soforthilfen brauchen Kommunen folglich dauerhafte, verlässliche und
deutlich höhere Einnahmen. Die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle
der Städte und Gemeinden muss weiterentwickelt und ausgebaut werden. Die
Einbeziehung aller unternehmerisch Tätigen in die Steuerpflicht würde dazu
führen, die Last der bisherigen Gewerbesteuer auf mehr „Schultern“ zu verteilen.
Auch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nützt der örtlichen Wirt-
schaft, dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt den Bürgerinnen und Bürgern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Ge-
meindewirtschaftsteuer vorzulegen. Zweck soll sein, die Einnahmen der Kom-
munen zu verstetigen und zu erhöhen. Damit soll sichergestellt werden, dass die
bestehenden Bedarfe im Bereich der pflichtigen, aber auch freiwilligen Aufgaben
erfüllt werden können und deren Finanzierung von konjunkturellen sowie Gestal-
tungseinflüssen unabhängiger wird.

In dem Gesetz soll insbesondere Folgendes geregelt werden:
1. Künftig wird jede selbstständige nachhaltige Betätigung, die im Sinne des

Einkommensteuergesetzes mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternom-
men wird und sich als Betätigung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
darstellt, mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft, in die Gemeindewirt-
schaftsteuer einbezogen.

2. Die Bemessungsgrundlage der Gemeindewirtschaftsteuer ist, unter Berück-
sichtigung sozialer Belange kleiner Unternehmen und Existenzgründerinnen
und Existenzgründer, zu verbreitern. Der Bemessungsgrundlage sind alle
Schuldzinsen hinzuzurechnen. Des Weiteren sind die Finanzierungsanteile
von Mieten, Pachten, Leasingraten und die Lizenzgebühren in voller Höhe
bei der Ermittlung der Steuerbasis zu berücksichtigen. Gewinne und Verluste
sind in der Entstehungsperiode steuerlich geltend zu machen.

3. Angemessene Freibeträge für kleine Unternehmen und Existenzgründerinnen
und Existenzgründer sind festzulegen. Der Gewerbeertrag ist bei natürlichen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1094

Personen sowie bei Personengesellschaften um einen Freibetrag in Höhe von
30 000 Euro zu kürzen.

4. Die Gewerbesteuerumlage der Gemeinden an den Bund wird sofort abge-
schafft. Die Gewerbesteuerumlage der Gemeinden an die Länder wird ab
2015 abgesenkt und fällt schrittweise bis zum Endes des Jahres 2019 weg.

Berlin, den 8. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Gewerbesteuer wurde von Anbeginn an folgerichtig als ein äquivalenter Beitrag der wirtschaftlichen
Unternehmen zu der Infrastruktur angesehen, die ihnen von ihrer Kommune bereitgestellt wird. Deshalb
sollten sich auch alle Unternehmen an deren Finanzierung beteiligen müssen.

Bislang unterliegt aber die Ausübung freier Berufe nicht der Gewerbesteuer, obwohl sie ebenso auf die
Bereitstellung öffentlicher Leistungen im Interesse eines reibungslosen und prosperierenden Geschäftsbe-
triebes angewiesen sind. Auch wenn dieser Unterscheidung keine verfassungsrechtlichen Bedenken entge-
genstehen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15.01. 2008, 1 BvL 2/04), ist sie nicht mehr zeitgemäß.

Nach Artikel 28 Absatz 2 Satz 3 GG steht den Kommunen eine wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zu.

Aus diesem Grund und um manipulierte Gewinn- und Steuerverlagerungen zu vermeiden, müssen alle Ent-
gelte für Verbindlichkeiten (Zinsen und sonstige Finanzierungskosten) in voller Höhe als Ertragsteile dem
nach Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerrecht ermittelten Gewinn hinzugerechnet werden.

Zwar wurde im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer
um einige Bestandteile wie Mieten, Pachten und Leasingraten erweitert, jedoch finden diese nur mit einem
Bruchteil Eingang in die Steuerbasis. Mit der zeitnahen Geltendmachung von Gewinnen und Verlusten in
der Entstehungsperiode kann ein mögliches „Steuerschlupfloch“ geschlossen werden, weil eine Kleinrech-
nung von Gewinnen deutlich erschwert wird.

Eine Erhöhung des Freibetrags von derzeit 24 500 Euro auf 30 000 Euro für einkommensteuerpflichtige
Freiberufler, Einzelgewerbetreibende sowie Personengesellschaften, z. B. offene Handelsgesellschaften
(OHG) oder Kommanditgesellschaften (KG), würde die belastende Wirkung der Steuer für kleine Unter-
nehmen sowie Existenzgründerinnen und Existenzgründer deutlich mildern und eine Substanzbesteuerung
ausschließen.

Mit dem Wegfall der Gewerbesteuerumlage erlangt die Gemeindewirtschaftsteuer vollständig den Charak-
ter einer originären Kommunalsteuer. Sie entspräche damit der Maßgabe des Grundgesetzes, dass eine den
Gemeinden mit Hebesatz zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zu den Grundlagen der finanzi-
ellen Eigenverantwortung der kommunalen Selbstverwaltung gehört.

Allein die umgehende Abschaffung der Gewerbesteuerumlage an den Bund hätte als Maßnahme zur So-
forthilfe im Jahr 2013 für die Kommunen zu Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Mrd. Euro geführt.

Der Abbau der Gewerbesteuerumlage an die Länder führt zwar zu Einnahmeausfällen bei den Ländern. Die
Länder sind wie die Kommunen stark unterfinanziert und durch die Schuldenbremse einem immensen
Spardruck ausgesetzt. Es ist daher notwendig, sich für umfassende flankierende Maßnahmen einzusetzen,
die auch den Ländern deutliche Mehreinnahmen versprechen (Vermögensteuer etc.). Die Gemeindewirt-
schaftsteuer bleibt auf diese Art aber eine rein kommunale Steuer.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.