BT-Drucksache 18/10724

Datenschutzproblematik der Datei "Gewalttäter Sport"

Vom 15. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10724
18. Wahlperiode 15.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Monika Lazar, Özcan Mutlu, Irene Mihalic,
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg,
Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenschutzproblematik der Datei „Gewalttäter Sport“

Die Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS) ist eine Verbunddatei, die 1994 nach einem
Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren errichtet
wurde. Sie wird von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) geführt,
die beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen sitzt.
Kritik an der Datei wird unter anderem von Fanorganisationen wie dem Bündnis
„ProFans“ oder der „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ geäußert. Kritikpunkte
sind zum Beispiel verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Errichtungs-
anordnung der Datei, datenschutzrechtliche Bedenken, die fehlende Informati-
onspflicht bei einer Eintragung in die Datei, die Länge der Speicherfristen sowie
die Ausschreibungsanlässe (vgl. www.profans.de/gewalttater-sport und www.
fananwaelte.de/?page_id=82).
2008 beurteilten Gerichte die DGS als rechtswidrig, v. a. weil die gemäß § 7 Ab-
satz 6 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) erforderliche Rechtsverordnung
fehle. Am 9. Juni 2010 verwarf jedoch in der Revision das Bundesverwaltungs-
gericht (Az. 6 C 5.09) diese Urteile, da das Bundesministerium des Innern Tage
vorher am 5. Juni 2010 die entsprechende Rechtsverordnung nachgereicht hatte
(vgl. www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php%3Fent%3D090610U6
C5.09.0).
In einem Antrag „Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur – Bür-
gerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv bekämp-
fen, rechte Netzwerke aufdecken“ (Bundestagsdrucksache 18/6232) haben die
Fragesteller die Bundesregierung aufgefordert, die Datei „Gewalttäter Sport“ zu
reformieren. In diesem Antrag wird unter anderem gefordert, die Datei nach Per-
sonen zu überprüfen, die darin unzulässig – etwa nach Freispruch in einem Ge-
richtsverfahren – gespeichert sind, und diese Daten gemäß den datenschutzrecht-
lichen Vorschriften unverzüglich zu löschen sowie Betroffene über die Verwen-
dung ihrer Daten zu informieren und ihnen eine Widerspruchsmöglichkeit einzu-
räumen. Des Weiteren sollen Eintragungen in die Datei nur bei einem konkreten
Anfangsverdacht gegen eine bestimmte Person und nach Eröffnung eines straf-
rechtlichen Ermittlungsverfahrens erfolgen und die Löschungsfristen reduziert
werden.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Überprüfung und Anpassung der Datei
„Gewalttäter Sport“ hat mit der konstituierenden Sitzung vom 13. bis 15. Januar
2015 ihre Arbeit aufgenommen (vgl. Drucksache 17/10147 des Bayerischen
Landtags).

http://www.profans.de/gewalttater-sport
http://www.fananwaelte.de/?page_id=82
http://www.fananwaelte.de/?page_id=82
http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php%3Fent%3D090610U6C5.09.0
http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php%3Fent%3D090610U6C5.09.0
Drucksache 18/10724 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

Datei „Gewalttäter Sport“
1. Wie viele Personen sind derzeit insgesamt in der Verbunddatei „Gewalttäter

Sport“ (DGS) erfasst?
2. Wie viele Personen sind je Bundesland und je Vereinszugehörigkeit (bitte

beides aufschlüsseln) in der DGS erfasst?
3. Welche Ausschreibungsanlässe gibt es?
4. Aufgrund welcher Ausschreibungsanlässe (bitte aufschlüsseln) sind wie

viele Personen in der Datei erfasst?
5. Wie viele Personen waren seit Errichtung der Datei darin gespeichert (bitte

nach Jahren aufschlüsseln)?
6. Sind in der Datei „Gewalttäter Sport“ nur Gewalttäterinnen und Gewalttäter,

also Personen, die ein Gewaltdelikt begangen haben, erfasst?
a) Wenn nein, hält die Bundesregierung die Bezeichnung der Datei für ge-

rechtfertigt?
b) Wenn nein, inwieweit hält die Bundesregierung diese Bezeichnung mit

dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom
9. September 2013, Az. 5 B 417/13, vereinbar, laut dem als Gewalttaten
nur Taten bezeichnet werden dürfen, die auch tatsächlich mit Gewalt ver-
bunden sind?

7. Sind in der Datei auch sogenannte Tippgeberinnen und -geber, Kontakt- oder
Begleitpersonen gespeichert (wenn ja, bitte genaue Zahlen nebst Aufschlüs-
selung nach der Bezeichnung der jeweiligen Kategorien der eingetragenen
Personen und dem Grund der Eintragung)?

8. Werden digitalisierte Fotos in der Datei erfasst, und werden diese automa-
tisch biometrisch aufgearbeitet?
a) Wenn nein, ist eine Erweiterung der Erfassungs- und Abfragemöglichkei-

ten in diesem Sinne geplant?
b) Wie viele Einträge in der Datei sind mit digitalem Bildmaterial zu den

erfassten Personen verknüpft?
c) Sind Fotos noch ohne Bezug zu identifizierten Personen erfasst?

Wenn ja, wie viele?
d) Welche technischen Werkzeuge hat das Bundeskriminalamt (BKA) zur

Erfassung und Auswertung biometrischer Daten in Verbunddateien?
9. Welche Arten personenbezogener Daten werden in der DGS gespeichert

oder können dort gespeichert werden?
a) Welche Personendaten (bitte aufschlüsseln) werden in der DGS gespei-

chert?
b) Welche personengebundenen Hinweise (bitte aufschlüsseln) werden in

der DGS gespeichert?
c) Welche Personenbeschreibungen (bitte aufschlüsseln) werden in der DGS

gespeichert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10724
d) Welche zusätzlichen Personeninformationen (bitte aufschlüsseln) werden
in der DGS gespeichert?

e) Welche Maßnahmedaten (bitte aufschlüsseln) werden in der DGS gespei-
chert?

f) Welche Fallgrunddaten (bitte aufschlüsseln) werden in der DGS gespei-
chert?

10. Gibt es bundesweit einheitliche Kriterien für die Kategorisierung der ge-
speicherten Personen in die Kategorien A (friedliche), B (gewaltbereite/
-geneigte) und C (gewaltsuchende Fans)?
a) Wenn ja, wie lauten die Kriterien für die Kategorisierung der gespeicher-

ten Personen?
b) Wenn ja, wer nimmt die Formulierung dieser Kategorien und die Einord-

nung der Daten in diese vor?
11. Erfolgt eine Benachrichtigung an die in die Datei aufgenommen Personen?

a) Wenn nein, ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, dass eine Be-
nachrichtigungspflicht über eine erfolgte Speicherung in der Datei aus kri-
minalpräventiven Gesichtspunkten sinnvoll wäre, um betroffenen Perso-
nen zeitnah eine Reaktion auf ihr Fehlverhalten aufzuzeigen?

b) Wenn nein, inwieweit hält die Bundesregierung diese Praxis mit den
Grundsätzen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung für
vereinbar?

12. Ist seitens der Bundesregierung geplant, über eine Informationspflicht hinaus
die Auskunft aus der Datei in Bescheidform zu erstellen, damit diese mit ei-
ner Rechtsbehelfsbelehrung versehen den Betroffenen die Möglichkeit gibt,
Rechtsmittel einzulegen?

13. Wie oft wurde seit 1994 von Betroffenen Rechtsmittel gegen die Erfassung
in der DGS eingelegt?

14. Wie viele Gerichtsverfahren gab es im Zusammenhang mit eingelegten
Rechtsmitteln von Betroffenen gegen die Erfassung in der DGS?

15. Wie oft wurde den Rechtsmitteln stattgegeben (bitte nach Jahren, erfolgrei-
che/nicht erfolgreiche Widersprüche aufschlüsseln)?

16. Wie viele Löschungsersuchen wurden seit 1994 von Betroffenen an die Be-
hörden der Bundespolizei gerichtet?

17. Wie vielen Löschungsersuchen wurde stattgegeben (bitte nach Jahren auf-
schlüsseln)?

18. Sollte nach einem Löschungsersuchen eine Löschung nicht erfolgt sein:
a) Was waren die Gründe für die Beibehaltung der Daten?
b) Sind die Betroffenen über den Grund der Beibehaltung der Daten infor-

miert worden?
19. An welche Behörde müssen sich Personen mit einem Auskunftsersuchen

bzw. einem Löschantrag wenden (ggf. bitte nach Bundesländern aufschlüs-
seln)?

20. In wie vielen Fällen wurde bisher von einer individuellen Anpassung, also
Verkürzung, des Ausschreibungszeitraums (maximal fünf Jahre) Gebrauch
gemacht?

21. Werden Personen, deren Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, automa-
tisch aus der DGS gelöscht?

Drucksache 18/10724 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

22. Wenn Personen, deren Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, nicht auto-

matisch aus der DGS gelöscht werden: Wie ist der Verbleib dieser Personen
in der Datei zu rechtfertigen?

23. Erfolgt bei Speicherungen von Personen in die DGS durch Tatortdienststel-
len nach Auswärtsspielen standardmäßig eine Rückkopplung zu der Vereins-
dienststelle der Gastmannschaft?

24. Wurde die Datenqualität der DGS, etwa durch eine Bund-Länder-Abfrage,
überprüft?
a) Wenn ja, was war das Ergebnis der Überprüfung in Hinblick auf die Da-

tenqualität, und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus?
b) Wenn nein, ist eine solche Überprüfung geplant?

25. Wird eine Prüfung der Erforderlichkeit einer Ausschreibung vorgenommen?
26. Wenn ja, in welchen Abständen wird diese vorgenommen (bitte nach daten-

besitzenden Stellen aufschlüsseln)?
27. Wie viele Personen, gegen die ein bundesweites Stadionverbot verhängt

wurde, sind in der DGS erfasst (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?
28. Was ist der Inhalt des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe

(BLAG) „Überprüfung und Anpassung der beim Bundeskriminalamt geführ-
ten Datei Gewalttäter Sport“, die mit der konstituierenden Sitzung vom
13. bis 15. Januar 2015 ihre Arbeit aufgenommen hat?
a) Wird dieser veröffentlicht, und wenn nein, warum nicht?
b) Wie wird mit dem Abschlussbericht weiter verfahren?

Ist die Arbeit der BLAG mit dem Abschlussbericht beendet?
c) Ist geplant, präventiv polizeiliche Maßnahmen als eigenständigen Aus-

schreibungsanlass in die DGS aufzunehmen?
d) Ist geplant, anderweitige Ausschreibungsanlässe aufzunehmen?
e) Ist seitens der Bundesregierung geplant, die Löschungsfristen zu verkür-

zen?
29. In welchen polizeilichen Datenbanken erscheint der Eintrag in die DGS (bitte

nach Bundesländern aufschlüsseln)?
30. Welche sonstigen Dateien mit Sportbezug gibt es nach Kenntnis der Bundes-

regierung in den Bundesländern (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?
31. Wie viele Personen sind in sonstigen Dateien mit Sportbezug erfasst (bitte

nach Dateien und Bundesländern aufschlüsseln)?
32. Schließt sich die Bundesregierung der Initiative des Landes Berlin an, wo

im abgeschlossenen Koalitionsvertrag zwischen SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Initiative zur Abschaffung der Datei
vereinbart wurde?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10724

Übermittlung von Daten aus der Datei „Gewalttäter Sport“ ins Ausland
33. Sind anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2016 oder (welchen?) an-

deren Fußballspielen oder -turnieren im Ausland seit 2010 Daten aus der Da-
tei an französische oder (je welche?) sonstige ausländische Behörden weiter-
gegeben worden?

Wenn ja:
a) Je wie viele Datensätze, welche Daten, an welche Staaten, Behörden und

aus welchem Anlass/Grund?
b) Sind die übermittelten Daten weiterhin im Besitz der ausländischen Be-

hörden?
c) Welche Speicher- und Löschfristenfristen gelten im jeweiligen Staat?
d) Hat das BKA oder welche sonstige Behörde die DGS-Daten je übermit-

telt?
e) Je auf welcher Rechtsgrundlage?
f) Wie hat das BKA (bzw. die je übermittelnde Behörde) dabei die Vorgaben

des § 14 Absatz 7 BKAG umgesetzt,
aa) wonach der Empfängerstaat ein „angemessenes Datenschutzniveau“

haben bzw. solchen Schutz „garantieren“ muss sowie im Ergebnis
deutsche Löschfristen nicht überschreiten darf?

bb) sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016
hierzu (Az. 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09), wonach sich das BKA
vorgenannter Standards sowie eines „menschenrechtlich und daten-
schutzrechtlich vertretbaren Umgangs“ mit diesen Daten im Empfän-
gerstaat aktiv vergewissern und auch diesbezüglich eine „wirksame
Kontrolle“ sicherstellen müsse?

34. Wird die Bundesregierung, sagte sie zu oder erwägt sie, im Falle einer
Anfrage der russischen Behörden im Vorfeld der Fußball-Weltmeister-
schaft 2018 Daten aus der DGS nach Russland zu übermitteln?

Fankundige Beamte
35. Inwieweit werden durch Fankundige Beamtinnen und Beamte (FKB) der

Bundespolizei personenbezogene Daten von Fußballfans (z. B. auch Fotos,
Beobachtungen, Erkenntnisse über Gruppenzugehörigkeiten etc.) in elektro-
nischen (Arbeits-)Dateien außerhalb der allgemeinen Vorgangsbearbei-
tungssysteme erfasst und gespeichert?
a) Wer hat jeweils Zugriff auf die Daten und Dateien?
b) Nach welchen Kriterien erfolgt die Löschung der Daten, und durch wel-

che Mechanismen wird sichergestellt, dass eine fristgerechte Löschung
erfolgt?

c) Welche Richtlinien existieren für die lokale Speicherung von personen-
bezogenen Daten auf den Arbeitsplatz-PCs und externen Speichermedien
(z. B. USB-Sticks und -Festplatten oder private und dienstliche Handys
etc.)?

36. Welche Aufgaben nehmen die neun FKBs der Bundespolizei Polizeiliche
Sonderdienste war?

Drucksache 18/10724 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

ZIS-Jahresbericht 2015/2016
37. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass es in der Saison 2015/2016 eine

deutliche Reduzierung der Einsatzstunden der Bundespolizei um ca. 27 Pro-
zent bei Spielen der ersten drei Ligen gab (vgl. ZIS-Jahresbericht Fußball
2015/2016, S. 28)?
a) Was bedeutete dies für die Überwachung des schienengebundenen Fan-

reiseverkehrs?
b) Welche Prognosen/Planungen gibt es dazu für 2017?

Ist die Beibehaltung einer reduzierten Überwachung des schienengebun-
denen Fanreiseverkehrs denkbar?

38. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass in der Saison 2015/2016 27 Polizeibeamte der Bundespolizei durch po-
lizeilichen Reizstoff verletzt wurden (vgl. ZIS-Jahresbericht Fußball
2015/2016, S. 17), und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

39. Aus welchen Bundesländern (bitte aufschlüsseln) kommen die ca. 360 „Ge-
walttäter Sport“, die dem rechtsmotivierten Bereich zuzuordnen sind (vgl.
ZIS-Jahresbericht Fußball 2015/2016, S. 14), und welchen Fanszenen sind
diese zuzuordnen (bitte aufschlüsseln)?

Berlin, den 13. Dezember 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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