BT-Drucksache 18/10316

Verbraucherschutz und Verbraucherrechte beim Abgasskandal

Vom 9. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10316
18. Wahlperiode 09.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Renate Künast, Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer,
Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Monika Lazar,
Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbraucherschutz und Verbraucherrechte beim Abgasskandal

Am 18. September 2015 gab die US-amerikanische Umweltbehörde United Sta-
tes Environmental Protection Agency (EPA) bekannt, dass sie gegen den Volks-
wagen-Konzern wegen Verstößen gegen die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte er-
mittelt. Es hatte sich erwiesen, dass der VW-Konzern mit Hilfe einer illegalen
Software den Stickoxidausstoß im Testlabor bewusst manipuliert hatte, wobei der
Ausstoß im Normalbetrieb auf unvermindert hohem Niveau verharrte.
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch Autos anderer Hersteller
die Grenzwerte auf der Straße überschreiten, weil die Einhaltung der Abgas-
grenzwerte von Fahrzeugen insbesondere in Deutschland und der Europäi-
schen Union (EU) nur unzureichend kontrolliert wurde. So belegten die Nach-
messungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) und die Ergebnisse der Unter-
suchungskommission „Volkswagen“, dass der Abgasskandal die Automobilin-
dustrie mit wenigen Ausnahmen komplett betrifft (www.automobilwoche.de
article/20160424/AGENTURMELDUNGEN/304249982/nach-dem-kba-bericht-
abgas-thematik-betrifft-fast-die-ganze-autobranche).
Mittlerweile klärt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Deutschen
Bundestages, an welchen Stellen und aus welchen Gründen die staatlichen Kon-
trollen versagten. Außerdem soll ein Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments
klären, ob die Europäische Kommission bei der Gesetzgebung zu Abgastests stets
korrekt gearbeitet hat oder nachlässig war.
Am 15. Oktober 2015 ordnete das KBA gegenüber VW den Rückruf von
2,4 Millionen VW-Fahrzeugen an. Betroffen sind alle Fahrzeuge mit EURO-5-
Dieselmotoren des Typs EA 189 der Hubraumgröße 2 Liter, 1,6 Liter und 1,2 Li-
ter. Die betroffenen Halterinnen und Halter sollen zeitlich gestaffelt angeschrie-
ben und aufgefordert werden, ihr Fahrzeug in der Werkstatt vorzuführen. Dort
sind die Fahrzeuge in den vorschriftsmäßigen Zustand zu versetzen.
Es ist bis heute unbekannt, welche Abgaswerte durch das Softwareupdate einzu-
halten sind, weil der Konzern hierzu keinerlei Angaben macht. VW hat seinen
vorgesehenen Zeitplan für die Nachbesserungen mehrfach überarbeitet, so dass
viele Verbraucherinnen und Verbraucher noch immer darauf warten, dass ihre
Fahrzeuge wieder in Ordnung gebracht werden.
Die Rückrufe funktionieren nach wie vor unzureichend. So haben die Reparatu-
ren der 1,2-l-Motoren erst im August 2016, statt wie ursprünglich geplant, im
Frühling begonnen. Außerdem gab es Probleme bei der Umrüstung, so dass mehr-
fach nachgebessert werden musste (Beispiel Amarok: Im Praxistext wurde

Drucksache 18/10316 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

½ l Diesel mehr verbraucht als vor der Umrüstung). Erste Straßenmessungen
der NOx-Emissionen zeigten, dass sich diese nicht oder nur unwesentlich verbes-
serten. Bislang wurden lediglich 240 000 Fahrzeuge, d. h. ein Zehntel der in
Deutschland betroffenen Autos, umgerüstet (www.zeit.de/mobilitaet/2016
10/volkswagen-dieselskandal-umruestung-manipulierter-autos; www.auto-motor-
und-sport.de/news/vw-diesel-update-amarok-leistung-gleich-gut-verbrauch-leicht-
erhoeht-10551733.html; www.focus.de/auto/news/abgas-skandal/autozeitschrift-
testet-nach-vw-rueckruf-schummel-diesel-nach-umruestung-verbrauch-steigt-um-
0-5-bis-0-7-liter_id_5292329.html).
Der VW-Konzern hat bisher noch immer nicht klargestellt, dass alle Ansprüche
der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher entschädigt werden. So gibt
es keine Zusage darüber, dass der Konzern im Fall von weiter bestehenden oder
neuen Mängeln nach der Umrüstung Entschädigung zahlen bzw. die Rückab-
wicklung des Kaufvertrags gewähren wird.
Der Konzern lehnt nach wie vor Entschädigungszahlungen für europäische Kun-
dinnen und Kunden ab, obwohl in den USA aufgrund der kollektiven Klagemög-
lichkeiten die betroffenen Verbraucher Entschädigungen erhalten.
So hat das Bundesbezirksgericht San Francisco im VW-Abgasskandal seine Zu-
stimmung zu dem Vergleich des Konzerns mit den betroffenen Autobesitzern in
den USA bereits angedeutet. Am 25. Oktober 2016 verglich sich VW mit den US-
Behörden und Klägern verbindlich vor einem US-Gericht. Danach hat VW etwa
16,5 Mrd. US-Dollar (15,2 Mrd. Euro) zu zahlen. Etwa zwei Drittel soll als Ent-
schädigung der Betroffenen dienen. Der Rest der Vergleichssumme soll als Straf-
zahlung an US-Behörden gehen oder gegen Luftverschmutzung und für die Förde-
rung emissionsfreier Fahrzeuge eingesetzt werden (www.tagesschau.de/wirtschaft/
vw-vergleich-103.html).
Wegen der unzureichenden Problembehebung und Entschädigung für europäi-
sche VW-Besitzer haben sich mittlerweile auch die EU-Kommissarin für Justiz
und Verbraucherschutz Vĕra Jourová und die EU-Kommissarin für Binnenmarkt,
Industrie und Unternehmertum Elżbieta Bieńkowska in den VW-Fall eingeschal-
tet und gefordert, dass der Autokonzern Kundinnen und Kunden in der EU ebenso
eine Entschädigung zahlt wie in den USA. Am 21. September 2016 – ein Jahr
nach Bekanntwerden des Skandals – kündigte der VW-Konzern gegenüber der
EU-Kommissarin Vĕra Jourová, einen EU-Aktionsplan an und sicherte bis Herbst
2017 eine Umrüstung aller betroffener Dieselautos in Europa zu.
In ihrem Bericht an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deut-
schen Bundestages vom 15. Dezember 2016 erklärte die Bundesregierung das
Ziel, dass die Rechte der betroffenen Kunden, Verbraucherinnen und Verbraucher
uneingeschränkt gewahrt werden und ihnen durch die Vorfälle keinerlei Nachteile
entstehen beziehungsweise bei ihnen verbleiben (Ausschussdrucksache
18(6)177). Doch es ist auch jetzt noch in weiten Teilen ungeklärt, welche kon-
kreten gesetzgeberischen und sonstigen Konsequenzen zum Schutz von Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern und der Verhütung künftiger vergleichbarer Vorfälle
gezogen werden sollen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10316

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie sieht die konkrete Planung für den in den Medien zugesagten Gesetz-
entwurf zu den Musterfeststellungsklagen aus?
a) Wie ist der genaue Zeitplan?
b) Wann soll der Gesetzentwurf eingebracht werden?
c) Wie soll der Gesetzentwurf inhaltlich ausgestaltet sein?
d) Welche sonstigen Vorhaben plant die Bundesregierung zur Stärkung der

kollektiven Rechtsdurchsetzung?
2. Wie genau soll die vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-

schutz, Heiko Maas, am 25. Januar 2016 angekündigte unabhängige Ver-
braucherschlichtungsstelle eingerichtet und ausgestaltet werden, die Be-
schwerden von Kundinnen und Kunden bei Neuwagenkäufen außergericht-
lich beilegt, und bis wann genau (bitte konkreten Zeitplan angeben) wird
das Vorhaben abgeschlossen sein (www.welt.de/wirtschaft/article151424461/
Maas-plant-Schlichtungsstelle-fuer-Neuwagen-Kaeufer.html)?

3. In welcher Form erfolgte die Anordnung des KBA gegenüber VW, den
Rückruf von 2,4 Millionen VW-Fahrzeugen einzuleiten, und welchen kon-
kreten Inhalt hatten diese?

4. Handelt es sich bei dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge mit EURO-5-
Dieselmotoren der Größe 2 Liter, 1,6 Liter und 1,2 Liter Hubraum um einen
angeordneten Rückruf nach § 26 Absatz 2 (Nummer 7) bzw. § 26 Absatz 4
des Produktsicherheitsgesetzes?
Wenn nein, auf welcher Grundlage beruht der Rückruf stattdessen?

5. Welche Informationen liegen der Bundesregierung zum Sachstand der not-
wendigen Rückrufe von EURO-6-Fahrzeugen anderer Hersteller vor, bei de-
nen es sich laut Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen um ins-
gesamt ca. 630 000 betroffene Fahrzeuge handeln soll?
a) Wie und wann genau werden die Rückrufe unter welchen Bedingungen

stattfinden?
b) Erfolgt die Anordnung gegenüber anderen Herstellern in der gleichen

Weise wie gegenüber VW?
c) Innerhalb welches Zeitraums sind die betroffenen Hersteller verpflichtet,

die Fahrzeuge nachzubessern?
d) Welche Hersteller wurden aufgrund welches konkreten Verdachts, bzw.

welches konkreten Sachverhalts aufgefordert, welche konkreten Fahr-
zeuge (Fahrzugtypen) zurückzurufen und nachzubessern?

e) Was ist die angedrohte Folge, sollten Hersteller dieser Anordnung zuwi-
derhandeln?

6. Wie viele der betroffenen VW-Besitzer wurden nach Kenntnis der Bundes-
regierung von VW bzw. ihrem VW-Händler bislang über den erforderlichen
Rückruf informiert?

7. Wann wird der Rückruf der betroffenen VW-Fahrzeuge nach aktueller
Kenntnis der Bundesregierung abgeschlossen sein?

Drucksache 18/10316 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
8. Was konkret bedeutet die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Stand der Umrüstung von
Dieselfahrzeugen mit nicht-konformer Abgasreinigung zur Herstellung der
dauerhaften Konformität mit den rechtlichen Vorschriften“ auf Bundestags-
drucksache 18/9962 zu Frage 3, in der es heißt „Das BMVI setzt sich für ei-
nen schnellen Abschluss der Umrüstung ein.“, und was meint die Bundesre-
gierung mit einem „schnellen Abschluss“?

9. Welche konkreten Vorgaben für die an das ordnungsgemäße Funktionieren
der Abgasreinigung im realen Straßenbetrieb anzulegenden Maßstäbe und
die Kontrolle ihrer Einhaltung macht die Bundesregierung dem KBA?

10. Liegen dem KBA Zeitpläne für die Umrüstung der Fahrzeuge vor?
Wenn ja, wie sehen diese aus?

11. Wie wirkt die Bundesregierung auf einen schnellen Abschluss der Umrüs-
tungen hin?

12. Welche Durchsetzungs- und ggf. Sanktionsmaßnahmen kann die Bundesre-
gierung ergreifen, wenn der Rückruf nicht ordnungsgemäß bzw. nicht ent-
sprechend dem Zeitplan durchgeführt wird?

13. Inwiefern wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass der VW-Kon-
zern im Fall von weiter bestehenden oder neuen Mängeln nach der Umrüs-
tung Entschädigung zahlen bzw. die Rückabwicklung des Kaufvertrags ge-
währen wird?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass der VW-Konzern keine Garantie auf die umgerüsteten Motoren über-
nehmen möchte und die Warnung der Europäischen Kommission vor schnel-
lerem Motorenverschleiß in diesem Zusammenhang (www.spiegel.de/auto/
aktuell/volkswagen-abgasskandal-eu-warnt-vor-motorschaeden-bei-
umgeruesteten-dieselautos-a-1118662.html)?

15. Inwiefern sind die betroffenen Kundinnen und Kunden nach Einschätzung
der Bundesregierung verpflichtet, sich an der Rückrufaktion zu beteiligen?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, die VW teilweise in Briefen zum
Rückruf äußert, dass nicht umgerüstete Pkw bei der nächsten Hauptuntersu-
chung keine HU-Plakette mehr erhalten könnten (www.focus.de/auto/news/
abgas-skandal/vw-macht-druck-beim-rueckruf-wer-nicht-am-software-
update-teilnimmt-bekommt-keinen-tuev-mehr_id_6004336.html)?

17. Welchen konkreten rechtlichen Status haben die Nachbesserungen?
a) Handelt es sich um einen amtlichen Rückruf oder wie von dem VW-Kon-

zern behauptet, um einen freiwilligen Rückruf?
b) Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

18. Bis wann genau sollen die staatlichen Prüfstände für Nachprüfungen von Ab-
gasemissionen geschaffen werden?
a) Wann konkret wird mit den Messungen begonnen?
b) Inwiefern werden die Messungen zur allgemeinen Nachvollziehbarkeit

auch veröffentlicht?
19. Zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Überprü-

fung der Berücksichtigung der kollektiven Verbraucherinteressen bei der
Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben durch das KBA gekommen, und
welche Konsequenzen ergeben sich für den Aufgabenbereich des KBA?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10316

20. Mit welchen konkreten Maßnahmen und bis wann genau will die Bundesre-

gierung sicherstellen, dass in Zukunft ein transparentes System für Kfz-Typ-
genehmigungen geben wird bei dem realistische Abgastests bei Fahrzeugen
durchgeführt werden, die sicherstellen, dass Abgaswerte auch im Straßen-
verkehr eingehalten werden?

21. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass zukünftig Abweichungen
von den Herstellerangaben rechtlich sanktioniert und falsche Abgasangaben
korrigiert werden können?

22. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass deutsche Verbrauche-
rinnen und Verbraucher angemessene Entschädigungen aufgrund des Ab-
gasskandals durch den Konzern erhalten und nicht schlechter behandelt wer-
den als die US-Kunden?

23. Welche Voraussetzungen will die Bundesregierung auf den Weg bringen,
damit bei zukünftigen Vorfällen Rückrufprozesse für die Verbraucherinnen
und Verbraucher transparenter werden und die betroffenen Kunden klarer
und besser informiert werden?

24. Inwieweit werden nach Auffassung der Bundesregierung die zivilrechtlichen
Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die konkrete Aus-
gestaltung des Rückrufs durch VW und die Kundeninformation durch VW
erfüllt?

25. Ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch das Ausmaß etwaiger Umwelt-
und Gesundheitsschäden ist, die aufgrund der erhöhten Stickoxide- und
Feinstaubbelastung durch die Manipulationen erzeugt wurden?

Berlin, den 8. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.