BT-Drucksache 18/10121

Flüchtlingsabkommen mit Ägypten

Vom 20. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10121
18. Wahlperiode 20.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Volker Beck (Köln),
Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, Katja Keul, Renate Künast,
Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flüchtlingsabkommen mit Ägypten

Vor der ägyptischen Küste bei Alexandria ist am 21. September 2016 ein Boot
mit schätzungsweise 600 fliehenden Menschen an Bord gekentert, über 100 Men-
schen sind dabei ums Leben gekommen. Die Internationale Organisation für Mig-
ration (IOM) hat jüngst veröffentlicht, dass bei der Überfahrt über das Mittelmeer
mittlerweile jeder 85. Geflüchtete ums Leben kommt, während es im Jahr 2015
noch jeder 276. war. Als Grund dafür benennt die IOM unter anderem die Tatsa-
che, dass mangels Alternativen mehr Menschen aus Ägypten und damit über den
längeren und gefährlicheren Seeweg fliehen. Nach Libyen ist Ägypten der zweit-
häufigste Abfahrtsort für Flüchtlingsboote. Bereits im Juni 2016 zeigte sich
Frontex Exekutivdirektor Fabrice Leggeri besorgt über die Verlagerung von
Fluchtrouten auf die zentrale Mittelmeerroute, auf die immer mehr Schutzsu-
chende angesichts der Schließung der Balkanroute sowie dem EU-Türkei-Ab-
kommen gezwungen würden.
Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach sich in einem am 26. Sep-
tember 2016 erschienenen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ für den
Abschluss eines Flüchtlingsabkommens mit Ägypten nach Vorbild des Ab-
kommens zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei aus (www.
sueddeutsche.de/politik/nach-bootsunglueck-mit-vielen-toten-eu-befuerchtet-
massenflucht-aus-aegypten-1.3174453). Auch die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel hat sich wiederholt für weitere Flüchtlingsabkommen mit den Mittel-
meeranrainerstaaten, spezifisch auch mit Ägypten, ausgesprochen, zuletzt
am 26. September 2016 (www.heute.de/flucht-und-zuwanderung-merkel-will-
fluechtlingsdeal-mit-aegypten-und-tunesien-45386022.html).
Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung zum „neuen Partnerschafts-
rahmen“ mit Drittstaaten vom 7. Juni 2016 (http://europa.eu/rapid/press-release_
IP-16-2072_de.htm) zunächst neun Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten
für einen „Migrationspakt“ zur Migrationssteuerung und Fluchtursachenbekämp-
fung vorgeschlagen. Weitere fünf Staaten schlägt die Europäische Kommission
längerfristig für eine vertiefte Zusammenarbeit vor, unter anderem auch Ägypten.
Allerdings sieht EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn nach einem Bericht
des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ das Flüchtlingsabkommen mit der
Türkei „nicht als Blaupause“ für ein entsprechendes Abkommen mit Ägypten
oder anderen afrikanischen Staaten und soll diese Position auch gegenüber dem
Bundeskanzleramt zur Sprache gebracht haben (AFP-Meldung, 8. Oktober
2016).

Drucksache 18/10121 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie schätzt die Bundesregierung die derzeitige menschenrechtliche Lage in
Ägypten ein?

2. Welchen Einfluss hat die menschenrechtliche Lage im Land auf die Flucht-
versuche von Ägypterinnen und Ägyptern nach Europa?

3. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Situation religi-
öser Minderheiten, wie beispielsweise der Bahai oder der Kopten in Ägyp-
ten, vor?

4. Welche Personen, Personengruppen und Organisationen sind in Ägypten von
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Sinne von Artikel 9
der Qualifikationsrichtlinie betroffen
a) durch staatliche Akteure,
b) durch nichtstaatliche Akteure, ohne dass der ägyptische Staat willens bzw.

in der Lage ist, effektiven Schutz zu bieten?
5. Welche Bedeutung kommt nach Ansicht der Bundesregierung Ägypten als

Transit- und Herkunftsland für Menschen, die in Europa Schutz suchen, zu?
6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den Umgang der

ägyptischen Sicherheitskräfte mit aufgegriffenen Flüchtlingen vor (bitte
nach Staatsangehörigkeit aufschlüsseln)?

7. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Menschenrechtsver-
letzungen durch ägyptische staatliche Behörden wie Grenzbeamte, Küsten-
wache und Sicherheitskräfte gegenüber Schutzsuchenden vor?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den von Menschenrecht-
organisationen dokumentierten tödlichen Schusswaffengebrauch gegenüber
Geflüchteten seitens ägyptischer Grenzbeamter?

9. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Verstöße gegen das
Refoulement Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention seitens ägyptischer
Behörden vor?

10. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Auswirkungen
der jüngsten Wirtschaftskrise in Ägypten auf die Situation von dort befindli-
chen Flüchtlingen vor?

11. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die finanziellen Ka-
pazitäten und die entsprechende Handlungsfähigkeit des UNHCR (Hohen
Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen) im Sinne ihres Auftrags in
Ägypten vor?

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Inhaftierung so-
wie der Haftbedingungen von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten
in Ägypten?

13. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung unter anderem des in Kairo leh-
renden Professors Jan Völkel, dass Geflüchtete in ägyptischen Gefängnissen
Willkür und Misshandlungen ausgesetzt sein könnten (www.deutschlandfunk.
de/politikwissenschaftler-jan-voelkel-fluechtlingsabkommen-mit.694.de.
html?dram:article_id=366646)?

14. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Folterzentren, die sich im Si-
nai befanden, infolge von Anti-Terror-Maßnahmen des ägyptischen Militärs
geschlossen wurden, und welche Informationen liegen ihr darüber vor, dass
diese Folterzentren nach Libyen und in den Sudan verlagert wurden und dort
die Entführungen und Folterungen von Geflüchteten aus afrikanischen Staa-
ten fortgeführt werden (http://hotline.org.il/en/the-new-torture-camps-for-
eritrean-asylum-seekers/)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10121

15. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Zahl der derzeit

in Ägypten befindlichen Geflüchteten aus Drittstaaten vor (bitte nach Her-
kunftsländern aufschlüsseln)?
a) Wie viele der Geflüchteten sind durch den ägyptischen Staat oder durch

den UNHCR registriert?
b) Wie hoch sind die Asylanerkennungsquoten in Ägypten (bitte nach Her-

kunftsstaaten aufschlüsseln)?
c) Wie viele Personen sind nach Schätzungen der Bundesregierung ohne Re-

gistrierung in Ägypten (Schätzung bitte begründen)?
d) Wie viele dieser Personen beabsichtigen nach Schätzungen der Bundes-

regierung, kurz- bzw. mittelfristig nach Europa weiter zu flüchten (Schät-
zung bitte begründen)?

16. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Differenz zwischen den Aussagen
des Präsidenten Al Sisi und den Angaben des UNHCR (5 Millionen gegen-
über 250 000) zur Zahl der derzeit in Ägypten befindlichen Schutzsuchen-
den (www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.fluechtlingsabkommen-aegyptens-
schlepper-beunruhigen-europa.620dce36-4d48-438d-a1ac-b9339cba89b2.
html)?

17. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Zahl von Ägyp-
terinnen und Ägyptern sowie Personen mit einem Daueraufenthalt in Ägyp-
ten vor, die aus ihrem Land geflohen sind (bitte Quellen anführen)?

18. Wie viele ägyptische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben in den Jah-
ren 2016 und 2015 in der Europäischen Union einen Asylantrag gestellt, und
wie viele Anträge sind mit welchem Ergebnis beschieden worden (bitte nach
Mitgliedstaat, Jahr und dem Anteil unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
aufschlüsseln)?

19. Wie viele Personen, die Ägypten als Land des letzten dauerhaften Aufent-
halts angeben, aber nicht über die ägyptische Staatsangehörigkeit verfügen,
haben in den Jahren 2016 und 2015 in der Europäischen Union einen Asyl-
antrag gestellt, und wie viele Anträge sind mit welchem Ergebnis beschieden
worden (bitte nach Mitgliedstaat, Jahr und dem Anteil unbegleiteter Minder-
jähriger aufschlüsseln)?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl ägyptischer
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die unter Angabe einer anderen Staats-
angehörigkeit in den Jahren 2015 und 2016 in der Europäischen Union einen
Asylantrag gestellt haben?

21. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Stand der ge-
planten sowie bereits umgesetzten, Ägypten betreffenden Maßnahmen und
Kooperationsvorhaben im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses vor?

22. Inwiefern beteiligt sich die Bundesregierung mit eigenen Maßnahmen bzw.
Mitteln an diesem Prozess?

23. Welche entwicklungspolitischen Maßnahmen werden derzeit von der Deut-
schen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH zum
Beispiel und anderen Akteuren mit Mitteln aus den Bundesmitteln in Ägyp-
ten durchgesetzt, und wie bewertet die Bundesregierung deren Wirkung?

24. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Stand der ge-
planten sowie bereits umgesetzten finanziellen Zahlungen an Ägypten aus
dem sogenannten Nothilfe-Treuhandfonds zur Unterstützung der Stabilität
und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertrei-
bungen in Afrika vor?

Drucksache 18/10121 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

25. Aus welchen Finanzinstrumenten setzen sich die Mittel des Nothilfe-Treu-

handfonds zusammen?
26. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Stand der Um-

setzung der Maßnahmen im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik Ägypten
betreffend vor?

27. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass die im Zusammenhang mit
Migrationsmanagement eingesetzten Mittel der Entwicklungszusammenar-
beit im Sinne einer nachhaltigen und wirksamen Armutsbekämpfung und
Entwicklung eingesetzt werden?

28. Bewertet die Bundesregierung Ägypten als sicheres Herkunftsland?
29. Kann Ägypten aus Sicht der Bundesregierung als sicherer Drittstaat für

Flüchtlinge angesehen werden?
Wenn ja, worauf begründet sich diese Einschätzung?
Wenn nein, was sind die Gründe, die gegen eine entsprechende Einschätzung
sprechen?

30. Inwiefern kann nach Ansicht der Bundesregierung, die flüchtlingspolitische
Kooperation zwischen der EU und der Türkei ein Modell für ein entspre-
chendes Abkommen mit Ägypten sein?

31. Welche Zielsetzung hätte ein entsprechendes Abkommen, und mit welchen
Maßnahmen sollen diese Ziele erreicht werden?

32. Welche konkreten Verbesserungen zur Menschenrechtslage in Ägypten
könnten nach Einschätzung der Bundesregierung durch ein Abkommen mit
Ägypten erreicht werden?

33. Wie würde die Einhaltung von menschen- und grundrechtlichen Standards
im Rahmen eines flüchtlingspolitischen Abkommens mit Ägypten gewähr-
leistet werden?

34. Für welche Instrumente zur Überprüfung möglicher menschenrechtlicher
Garantien in einem etwaigen Flüchtlingsabkommen mit Ägypten setzt sich
die Bundesregierung ein, und für welche Sanktionsmöglichkeiten im Falle
eines Verstoßes gegen diese Garantien?

35. Inwiefern bezieht die Bundesregierung Vertreterinnen und Vertreter der
ägyptischen Zivilgesellschaft und andere nichtstaatliche Akteure in die Pla-
nung etwaiger Migrationsabkommen ein?

36. Welche Nationalitäten wären von einem geplanten Flüchtlingsabkommen
mit Ägypten betroffen?

37. Würden im Rahmen eines geplanten Flüchtlingsabkommens mit Ägypten,
Geflüchtete nach Ägypten zurückgeführt werden?

38. Inwiefern geht die ägyptische Regierung nach Kenntnissen der Bundesregie-
rung gegen die Hintermänner des Schleppereigeschäfts in Ägypten vor (vgl.
Artikel „Für Schlepperbanden ist Ägypten das neue Paradies“ in: Die Welt
vom 3. September 2016)?

39. Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um der gestiegenen To-
deszahlen bei Fluchtversuchen aus Ägypten über das Mittelmeer im Sinne
von Seenotrettung und legaler Wege in die Europäische Union entgegenzu-
wirken?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10121

40. Welche Informationen hat die Bundesregierung hinsichtlich der Frage, in-

wiefern weitere Flüchtlingsabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-
Deals mit Fluchtroutenverlagerungen korrelieren?

Berlin, den 18. Oktober 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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