BT-Drucksache 17/9980

Statistische Ermittlung des Einsatzes von Werkverträgen und Leiharbeit in Unternehmen

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9980
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich,
Klaus Ernst, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Statistische Ermittlung des Einsatzes von Werkverträgen und Leiharbeit in
Unternehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es gibt zahlreiche Hinweise, dass der Einsatz von Werkverträgen zur Umgehung
regulärer Beschäftigung Besorgnis erregend ansteigt. Werkvertragsarbeit ist der
unsichtbare Teil der unsicheren Arbeit. Werkverträge werden zunehmend zu
einem strategischen Instrument für Lohndrückerei. Sie dienen der Umgehung
regulärer Beschäftigung und vor allem der Umgehung gesetzlicher, tariflicher
und betrieblicher Regelungen.

Insbesondere zwei Arten von Werkverträgen werden als Instrument zum Lohn-
dumping missbraucht. Zum einen sind dies sogenannte Scheinwerkverträge, bei
denen es sich um eine verdeckte und somit illegale Form der Arbeitnehmerüber-
lassung handelt. In diesem Fall werden Werkverträge verstärkt eingesetzt, um
selbst die Lohnuntergrenze für die Leiharbeit noch zu unterschreiten. Zum an-
deren gibt es echte Werkverträge, die dazu genutzt werden, bisher im Betrieb er-
ledigte Aufgaben auszugliedern. Diese Aufgaben werden an Fremdfirmen ver-
geben, welche die Erledigung zumeist dauerhaft in eigener Regie übernehmen.
Die Unternehmen versuchen auf diesem Wege häufig die Löhne zu drücken, um
ihre Kosten zu senken.

Über die Verbreitung von Werkverträgen liegen derzeit keine validen statisti-
schen Daten vor. Die Bundesregierung kann keine fundierte Aussage über das
Ausmaß von Werkverträgen und über das Ausmaß des Missbrauchs von Werk-
verträgen treffen (Bundestagsdrucksache 17/6714). Die einzigen verlässlichen
Daten stammen aus Betriebsräteumfragen der Gewerkschaften: Eine Umfrage
der Gewerkschaft Nahrung–Genuss–Gaststätten (April 2012) unter 400 Be-
triebsräten in der Ernährungswirtschaft kommt zu dem Ergebnis, dass inzwi-
schen rund 13 Prozent der Beschäftigten in der Ernährungswirtschaft Leih- oder
Werkvertragsarbeitnehmer sind. Davon sind 7,8 Prozent Werkvertragsbeschäf-

tigte und 5,3 Prozent Leiharbeitskräfte. In den Schlachthöfen liegt der Anteil der
Beschäftigten auf Werkvertragsbasis sogar bei bis zu 90 Prozent. Dieser Um-
frage zufolge sind die Entgeltunterschiede erheblich: Werkvertragsbeschäftigte in
der Ernährungsindustrie bekommen durchschnittlich 6 Euro weniger pro Stunde
als die Stammbelegschaft. Beschäftigte auf Werkvertragsbasis verdienen somit
im Durchschnitt noch einmal 1 Euro pro Stunde weniger als Leiharbeitnehme-
rinnen und Leiharbeitnehmer (www.ngg.net/w/files//werkvertraege_kurz_fin.pdf).

Drucksache 17/9980 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Die Industriegewerkschaft Metall machte bereits im Februar 2011 bekannt, dass
rund ein Drittel der 5 000 von ihr befragten Betriebsräte angibt, dass in ihren Un-
ternehmen Werkverträge eingesetzt werden. Von diesem Drittel sind sich wie-
derum 36 Prozent sicher, dass auf diesem Wege Stammarbeitsplätze abgebaut
werden. Die Daten sind alarmierend. Die Bundesregierung leitet hieraus jedoch
keinen Handlungsbedarf ab (Bundestagsdrucksache 17/6714).

Eine statistische Erhebung von validen Daten über das Ausmaß von Werkverträ-
gen und das Ausmaß des Missbrauchs von Werkverträgen ist unerlässlich. Um
Verschiebungen darstellen zu können, müssen auch der Einsatz von Leiharbeit
und Honorarverträge erfasst werden. Diese Erhebungen müssen von verstärkten
Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zur Aufdeckung von
Scheinwerkverträgen begleitet werden. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer
wissenschaftlichen Studie über das Ausmaß des Missbrauchs und die Folgen für
Beschäftigte, ihre Entgelte, ihre Arbeitsbedingungen und den Arbeitsmarkt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– Meldepflichten für Betriebe einzuführen, die den Einsatz von Werkverträgen,
sofern diese nicht nur eine gelegentliche Inanspruchnahme von Leistungen
vorsehen, den Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten und den Einsatz von Ho-
norarverträgen umfassen: Branche des auftraggebenden Betriebs, Branche
des auftragnehmenden Betriebs, die Anzahl der eingesetzten Beschäftigten,
die in einem Betrieb auf Basis eines Werkvertrages oder als Leiharbeitskräfte
eingesetzt werden, die Dauer ihres Einsatzes, das gezahlte Entgelt (in Zusam-
menarbeit mit dem auftragnehmenden Betrieb bzw. mit dem Verleiher) und
die tatsächliche Arbeitszeit. Die erhobenen Daten müssen statistisch aufbe-
reitet und regelmäßig in einem entsprechenden Bericht veröffentlicht werden;

– folgende Maßnahmen bei der FKS zu ergreifen:

• Der Prüfauftrag der FKS wird dahingehend erweitert, dass auch die Ab-
grenzung zwischen Werkverträgen und Leiharbeit sowie die Aufdeckung
aller Formen von Scheinverträgen zu den Aufgaben der FKS gehört, um
Scheinwerkverträge, illegale Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselb-
ständigkeit aufzudecken.

• Die FKS wird personell aufgestockt, um einen effektiven Beitrag zur Be-
kämpfung von illegaler Arbeitnehmerüberlassung und Scheinwerkverträ-
gen gewährleisten zu können.

• Auf Bundes- und Länderebene werden an zentraler Stelle Internetservice-
portale eingerichtet, die einen Überblick über Anlaufstellen und Wege
geben, Verdachtsfälle (auch anonym) zur Anzeige zu bringen. Auf Bun-
desebene und in jedem Bundesland muss es eine benutzerfreundliche Te-
lefon-Hotline sowie die Möglichkeit für eine Online-Anzeigenaufnahme
geben;

– eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, die das Ausmaß des Miss-
brauchs von Werkverträgen sowie dessen Folgen untersucht. Hierbei sind
insbesondere die Folgen für die Beschäftigten sowie ihre Interessenvertretun-
gen und ihre Arbeitsbedingungen zu betrachten.

Berlin, den 13. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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