BT-Drucksache 17/9950

Zweckgebundene und steuerfreie Übungsleiterpauschalen und Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches Engagement nicht auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9950
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Ulrich Schneider, Katrin Göring-Eckardt,
Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Britta Haßelmann, Birgitt Bender, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Lisa Paus,
Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zweckgebundene und steuerfreie Übungsleiterpauschalen und
Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches Engagement nicht auf
Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bürgerschaftliches Engagement ist wichtig für unsere Gesellschaft und den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. In unserem Alltag begegnet uns Engagement
auf Schritt und Tritt. Sei es im Sportverein, in der Bürgerinitiative, in Parteien
oder auch in sozialen Netzwerken. Das vielfältige Engagement ist zudem ein
geeignetes Mittel, die Eigenständigkeit und Gesundheit junger wie älterer Men-
schen, von Frauen und Männern durch deren aktive Teilhabe am gesellschaft-
lichen Leben zu fördern. Dies gilt auch für Bezieherinnen und Bezieher von Ar-
beitslosengeld II, ergänzendem Arbeitslosengeld II, Hilfe zum Lebensunterhalt
und Grundsicherung im Alter. Bürgerschaftliches Engagement kann zudem die
Arbeitsfähigkeit arbeitsloser Menschen erhalten und deren Vermittlungschancen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhöhen.

Es ist in diesem Sinne kontraproduktiv, wenn nach dem Einkommensteuerecht
zweckgebundene und steuerfreie Übungsleiterpauschalen und Aufwandsent-
schädigungen für bürgerschaftliches Engagement auf die Leistungen nach dem
Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) angerech-
net werden. Eine solche durch das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz eingeführte
und seit dem 1. April 2011 bestehende neue Gesetzeslage schmälert den Anreiz
für Sozialleistungsbeziehende, ein Ehrenamt auszuüben und benachteiligt sie
gegenüber erwerbstätigen Personen, die keine SGB-II- oder SGB-XII-Leistun-
gen empfangen.

Diese Benachteiligung ist nicht begründbar, da die Pauschale Aufwendungen
zur Erhaltung und Sicherung der ehrenamtlichen Tätigkeit decken soll. Sofern

eine Steuerbefreiung gerechtfertigt ist, muss dies auch für die Anrechnungsfrei-
heit von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII gelten.

Die Neuregelung zum 1. April 2011 führt in der Praxis zu teils erheblichen
finanziellen Nachteilen für ehrenamtlich aktive SGB-II- und SGB-XII-Leis-
tungsbeziehende. Einer ehrenamtlich tätigen rechtlichen Betreuerin etwa, die
gleichzeitig einen Minijob ausübt, fehlen nunmehr monatlich 65 Euro zur Aus-
übung ihres Ehrenamts. Ein arbeitsuchendes Ratsmitglied einer Großstadt muss

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im Monat 73 Euro kompensieren, um die Aufwendungen für das Ehrenamt aus-
gleichen zu können.

Bürgerschaftlich Engagierte haben ein Recht auf Gleichbehandlung, unabhän-
gig vom etwaigen Bezug von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII. Nicht
gerechtfertigt ist jedoch eine vollständige Anrechnungsfreiheit von Übungslei-
terpauschalen und Aufwandsentschädigungen ohne Berücksichtigung der Rege-
lungen im Einkommensteuerrecht und den jeweiligen Erlassen in den Bundes-
ländern (siehe Bundestagsdrucksachen 17/7646 und 17/7653). Dies würde zu
einer Bevorzugung gegenüber Erwerbstätigen führen, die keine SGB-II- oder
SGB-XII-Leistungen beziehen, und ist daher abzulehnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das erwünschte ehrenamtliche Engage-
ment auch der SGB-II- und SGB-XII-Beziehenden fördert. Hierfür gilt es:

1. die Übungsleiterpauschale analog zu den Regelungen im Einkommensteuer-
recht in Höhe von monatlich 175 Euro nicht auf Leistungen des SGB II und
SGB XII anzurechnen und

2. aus öffentlichen Kassen gezahlte pauschale Aufwandsentschädigungen – etwa
für kommunalpolitische Tätigkeiten – analog zu den Regelungen im Einkom-
mensteuerrecht in Höhe von monatlich 175 Euro und analog zu den diesen
Betrag übersteigenden Freibeträgen der jeweiligen Erlasse der obersten
Finanzbehörden der Länder nicht auf Leistungen des SGB II und SGB XII
anzurechnen.

Berlin, den 12. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Gemäß § 11 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a SGB II (alte Fassung) war es vor
dem 1. April 2011 möglich, eine zweckbestimmte Einnahme anrechnungsfrei
auf Leistungen des SGB II zu erhalten, sofern sie einem anderen Zweck als das
Arbeitslosengeld II diente und die Lage der Empfängerinnen und Empfänger
nicht so günstig beeinflusste, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht
gerechtfertigt wären. Die Einzelfallprüfung über den Zweck der Einnahme ent-
fiel laut der „Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nicht-
berücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/
Sozialgeld (Alg II-V)“ vom 17. Dezember 2007 regelmäßig dann, wenn die
Einnahmen und Zuwendungen einen Beitrag in Höhe einer halben monatlichen
Regelleistung (§ 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II) nicht übersteigen. In der Praxis
blieb daher eine monatliche Pauschale für nebenberufliche Tätigkeiten als
Übungsleiterin und -leiter, Ausbilderin und Ausbilder, Erzieherin und Erzieher
oder Betreuerin und Betreuer (sogenannte Übungsleiterpauschale) in Höhe von
175 Euro ungeprüft anrechnungsfrei.

Mit dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch (sogenanntes Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG) än-

derte sich dieser gesetzliche Zustand zum 1. April 2011. Zwar sind gemäß § 11
Absatz 3 Satz 1 SGB II „Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vor-

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schriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit
als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im
Einzelfall demselben Zweck dienen“. Hierunter fallen jedoch nur solche Ent-
schädigungen, die beispielsweise zur Erstattung von Fahrtkosten oder als „Sit-
zungsgeld“ geleistet werden und individuell belegt werden müssen. Pauschalen
Einkünften aus nebenberuflicher Erwerbstätigkeit hingegen fehlt es seitdem an
einer hinreichenden Zweckbestimmung, so dass diese nunmehr gemäß § 11b
Absatz 2 Satz 3 SGB II wie Einnahmen aus Erwerbstätigkeit zu behandeln sind.
Zwar handelt es sich um privilegierte Einnahmen dergestalt, als dass für diese
Einnahmen ein erhöhter Freibetrag von 175 Euro gilt. Wird jedoch weiteres Er-
werbseinkommen erzielt, wird die sog. Übungsleiterpauschale bei der Ermitt-
lung des Erwerbstätigenfreibetrags gemäß § 11b Absatz 3 SGB II voll berück-
sichtigt. Finanziell führt diese Neuregelung teils zu erheblichen finanziellen
Verschlechterungen bei den Leistungsbeziehenden. War es vor dem 1. April
2011 etwa möglich, 175 Euro aus einer Übungsleiterpauschale sowie 160 Euro
aus einem 400-Euro-Minijob zu behalten (335 Euro insgesamt), gilt der Grund-
freibetrag von 100 Euro künftig für beide Tätigkeiten, so dass monatlich nur
noch 270 Euro behalten werden dürfen (175 Euro Übungsleiterpauschale +
((175 Euro + 400 Euro) – 100 Euro Grundfreibetrag) × 0,2) = 270 Euro).

Die Neuregelung führt zu einer erheblichen Ungleichbehandlung der SGB-II-
Leistungsbeziehenden gegenüber Erwerbstätigen, die keine ergänzenden SGB-
II-Leistungen beziehen. Letztere können gemäß § 3 Nummer 26 des Einkom-
mensteuergesetzes (EStG) Einnahmen für bestimmte nebenberufliche Tätigkei-
ten, sofern sie gemeinnützig, mildtätig oder kirchlichen Zwecken dienen, bis zur
Höhe von jährlich 2 100 Euro steuerfrei erhalten. Entscheidend ist ferner, dass
für die Ausübung der Tätigkeit nur bis zu einen Drittel der üblichen Arbeitszeit
einer bzw. eines Vollzeitbeschäftigen aufgewandt wird. Im Einkommensteuer-
recht hat der Freibetrag die Wirkung einer Werbungskostenpauschale, das heißt,
dass Aufwendungen, die zur Erhaltung und Sicherung der Tätigkeit benötigt
werden, steuerfrei bleiben. Doch auch wenn das Entgelt für Verdienstausfall und
Zeitaufwand gezahlt wird, bleibt es unter den genannten Bedingungen bis zu
einer Höhe von 2 100 Euro steuerfrei.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits zum Regelbedarfs-
Ermittlungsgesetz einen Änderungsantrag (Bundestagsdrucksache 17/4097)
eingebracht, der eine Anrechnungsfreiheit der Übungsleiterpauschale auf Leis-
tungen des SGB II und SGB XII analog zu den Regelungen im Einkommensteu-
errecht in Höhe von monatlich 175 Euro forderte.

Zwar gilt gemäß § 82 Absatz 3 Satz 4 SGB XII ein Freibetrag von monatlich
175 Euro für Tätigkeiten nach § 3 Nummer 12, 26, 26a oder 26b EStG, der für
Bezieherinnen und Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt oder von Grund-
sicherung im Alter nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Wird neben der
Übungsleiterpauschale jedoch weiteres Einkommen erzielt, wird es mit dem
Freibetrag verrechnet.

Zu Nummer 2

Auch eine Entschädigung, die etwa im Zusammenhang mit einem kommunalen
Mandat geleistet wurde, durfte vor dem 1. April 2011 nicht auf Leistungen des
SGB II angerechnet werden, sofern sie gemäß § 11 Absatz 3 Nummer 1 Buch-
stabe a SGB II (alte Fassung) zweckbestimmt war. In der Praxis wurde erst ab
einer Aufwandsentschädigung von monatlich mehr als 175 Euro im Einzelfall
geprüft, ob daneben ungekürzte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende noch gerechtfertigt waren. In der Regel legten die Grundsicherungsträ-
ger ihrer Prüfung die jeweiligen Erlasse der obersten Finanzbehörden der
Länder zugrunde, die je nach Einwohnerzahl unterschiedlich hohe Freibeträge

für pauschale Entschädigungen festsetzen. So war es etwa vor dem 1. April 2011

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einem ehrenamtlichen Ratsmitglied einer Stadt mit einer Einwohnerzahl von
mehr als 450 000 möglich, neben der SGB-II-Leistungen anrechnungsfrei eine
pauschale Entschädigung von monatlich 266 Euro bzw. jährlich 3 192 Euro zu
beziehen. Diese Regelung gilt unverändert bis heute für Erwerbstätige, die keine
SGB-II-Leistungen beziehen.

Seit Inkrafttreten des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes werden pauschale Auf-
wandsentschädigungen, die oberhalb eines Betrages von 175 Euro liegen, unter
Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrages nunmehr komplett auf Leis-
tungen des SGB II angerechnet. Nur tatsächlich belegter Aufwand bleibt anrech-
nungsfrei. Bei einer pauschalen Aufwandsentschädigung von monatlich 266
Euro verbleiben dem oder der SGB-II-Beziehenden seit dem 1. April 2011 nur
noch rund 193 Euro (175 Euro Freibetrag + (266–175) × 0,2 = 192,20 Euro).

Auch diese Neuregelung führt zu einer erheblichen Ungleichbehandlung der
SGB-II-Leistungsbeziehenden gegenüber Erwerbstätigen, die keine ergänzen-
den SGB-II-Leistungen beziehen. Letztere können gemäß der jeweiligen Erlasse
in den Bundesländern nach wie vor erhöhte Steuerfreigrenzen für Mitglieder
eines Gemeinderates oder eines Stadtrates in Anspruch nehmen. Ein solch im
Gegensatz zur Übungsleiterpauschale erhöhter Freibetrag für ehrenamtliches
Engagement in der Kommunalpolitik, in der Rechtspflege und in öffentlich-
rechtlichen Körperschaften wie der Selbstverwaltung der Sozialversicherung ist
insofern gerechtfertigt, als dass diese Arbeit gewissermaßen das Wurzelwerk der
Institutionen unseres Rechts- und Sozialstaats bildet. So gelten etwa in den
Bundesländern Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
folgende monatliche Steuerfreigrenzen: 104 Euro bis 20 000 Einwohnern, 166
Euro bis 50 000 Einwohner, 204 Euro bis 150 000 Einwohner, 256 Euro bis
450 000 Einwohner und 306 Euro bei mehr als mehr als 450 000 Einwohnern.
Für Vorsitzende erhöhen sich die Freibeträge. Nach dem EStG sind monatlich in
jedem Fall 175 Euro steuerfrei.

Das SGB XII differenziert nicht zwischen Übungsleiterpauschale und aus
öffentlichen Kassen gezahlten Aufwandsentschädigungen. Wird neben der
Aufwandsentschädigung weiteres Einkommen erzielt, wird auch dieses wie bei
der Übungsleiterpauschale auf den monatlichen Freibetrag von 175 Euro an-
gerechnet.

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