BT-Drucksache 17/9457

Grundlagen und Evaluationsmethoden der Beratertätigkeit der ÖPP Deutschland AG

Vom 26. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9457
17. Wahlperiode 26. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Sabine Leidig, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Werner Dreibus,
Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Michael Leutert, Ulla Lötzer, Kornelia Möller,
Jens Petermann, Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Dr. Axel Troost, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Grundlagen und Evaluationsmethoden der Beratertätigkeit
der ÖPP Deutschland AG

Zur Beratung der öffentlichen Hand in Bezug auf Öffentlich-Private Partner-
schaften (ÖPP; Public Private Partnerships – PPP) wurde unter Federführung
des Bundesministeriums der Finanzen sowie des Bundesministeriums für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung am 11. November 2008 die ÖPP Deutschland
AG (Partnerschaften Deutschland) gegründet, die Anfang 2009 ihr operatives
Geschäft aufnahm. Das Angebot an Beratungsleistungen umfasst dabei sowohl
die Beratung in Bezug auf PPP im Planungsstadium (PPP-Vorhaben) als auch
in Bezug auf die rechtliche und tatsächliche Umsetzung (PPP-Projekte). Mit
der Gründung der ÖPP Deutschland AG verfolgt die Bundesregierung erklär-
termaßen das Ziel, den Anteil von PPP-Projekten bei öffentlichen Investitionen
zu erhöhen. Gleichzeitig soll die ÖPP Deutschland AG, an der auch ihrerseits
im PPP-Geschäft tätige Privatunternehmen beteiligt sind, die öffentliche Hand
unabhängig beraten. Unklar bleibt vor dem Hintergrund dieses Zielkonflikts, ob
und wie die ÖPP Deutschland AG bei ihrer Beratertätigkeit mit kritischen
Bewertungen von PPP durch die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder
umgeht und welche Bewertungen und Evaluierungen die ÖPP Deutschland AG
hinsichtlich der PPP-Vorhaben und PPP-Projekte anstellt, bei denen sie selbst
beratend tätig war.

Im September 2011 haben die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungs-
höfe des Bundes und der Länder einen gemeinsamen Erfahrungsbericht zur
Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten vorgelegt. Der Bericht richtet sich aus-
drücklich auch an die politischen Entscheidungsträger in Bund, Länder und
Kommunen. Mit dem Bericht belegen die Rechnungshöfe, dass insbesondere
folgende Grundsätze bei der Realisierung von ÖPP-Projekten nicht ausreichend
berücksichtigt wurden:

1. ÖPP-Projekte, die sich die öffentliche Hand konventionell finanziert nicht

leisten kann, darf sie sich ebenso wenig alternativ finanziert leisten. Bei
ÖPP-Projekten treten laufende Zahlungsverpflichtungen aus Projektverträ-
gen an die Stelle von Zins- und Tilgungslasten und belasten künftige Haus-
halte in gleicher oder ähnlicher Weise.

2. Die Wirtschaftlichkeit eines ÖPP-Projekts muss in jedem Einzelfall und
über die gesamte Laufzeit hinweg (Lebenszyklusansatz) nachgewiesen sein.

Drucksache 17/9457 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die nur unzureichende Berücksichtigung dieser und weiterer Grundsätze, z. B.
der objektive und transparente Nachweis der Vorteilhaftigkeit eines PPP-Pro-
jekts, lässt den Schluss zu, dass PPP generell in Frage gestellt werden muss.
Die öffentliche Kritik an dieser Beschaffungsvariante besteht zu Recht.

PPP-Projekte sind in der Regel nur deshalb gegenüber der konventionellen
Beschaffungsvariante für die öffentliche Hand von Vorteil, weil ungleiche
Maßstäbe bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Beschaffungsvarianten
angelegt wurden. Die Risiken überwiegen und PPP-Finanzierungen sind teurer
als eine herkömmliche Vergabe. Darüber hinaus werden Dienstleistungen dem
Wettbewerb langfristig entzogen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Bezieht die ÖPP Deutschland AG bei ihrer Beratung der öffentlichen Hand
in Bezug auf PPP-Vorhaben und PPP-Projekte die Erkenntnisse und Ergeb-
nisse der Rechnungshofberichte mit ein?

Wenn ja, in welcher Weise?

Wenn nein, wie kann dann eine objektive Analyse und Beratung gewähr-
leistet werden?

2. Welchen Auftrag hat die ÖPP Deutschland AG von der Bundesregierung
zur Einbeziehung der Analysen der Rechnungshöfe zu ÖPP-Vorhaben und
ÖPP-Projekten in die eigenen Analysen sowie die Beratungstätigkeit, bzw.
welche Form der Einbeziehung hält die Bundesregierung für wünschens-
wert?

3. In welcher Weise erfolgt in der ÖPP Deutschland AG eine Evaluierung von
PPP-Projekten zur Verbesserung der Beratungstätigkeit (Anzahl/Liste der
Projekte, Projektstadium, ökonomische und andere Rahmendaten, Zufrie-
denheit der Nutzer, weitere Kriterien)?

4. Durch welche organisatorischen und personellen Strukturen bei der ÖPP
Deutschland AG wird eine objektive Evaluierung der Projekte gewährleis-
tet, bei denen die ÖPP Deutschland AG selbst beratend tätig war?

5. Welche Daten erhebt die ÖPP Deutschland AG zu Projekten, in denen sie
beratend tätig war?

Für wen sind diese Daten zugänglich?

Können politische Entscheidungsträger diese Daten einsehen, und wenn
nein, warum nicht?

6. Welche der in den Fragen 4 und 5 angesprochenen Daten werden durch die
ÖPP Deutschland AG öffentlich zugänglich gemacht (bitte begründen)?

7. Erfolgt die Evaluierung von PPP-Vorhaben und PPP-Projekten durch die
ÖPP Deutschland AG getrennt?

Wenn nein, warum nicht?

8. Existieren Evaluationen der ÖPP Deutschland AG von Pilotprojekten, die
mit öffentlichen Geldern gefördert werden?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie sind die Ergebnisse der Evaluationen zugänglich?

9. Warum enthält die PPP-Projektdatenbank des Bundesministeriums für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung nicht alle PPP-Vorhaben und PPP-Projekte
von Bund, Länder und Kommunen?

10. Wie viele PPP-Vorhaben und PPP-Projekte existieren in Bund, Ländern

und Kommunen tatsächlich?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9457

11. Erfolgt eine Auswertung bezüglich der Fälle, in denen die ÖPP Deutschland
AG von der Realisierung von Projekten in der PPP-Variante abgeraten hat?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wer hat Zugang zu den Daten der Auswertung, und inwieweit
sind diese öffentlich zugänglich?

12. Wird ausgewertet, in wie vielen Fällen ein PPP-Vorhaben nicht zum PPP-
Projekt wurde, weil der Berater, der Rechnungshof oder die Kommunal-
aufsicht abgeraten haben?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wer hat Zugang zu den Daten der Auswertung, und inwieweit sind
diese öffentlich zugänglich?

13. Wird erfasst und dokumentiert, in wie vielen Fällen die Kommunalaufsicht
eine konventionelle Investition der öffentlichen Hand untersagt, eine
Realisierung des Projekts in der PPP-Variante aber zugelassen hat?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wird dokumentiert, ob und in welcher Höhe die jeweilige öffentliche Ge-
bietskörperschaft, die die Realisierung eines Projekts in der PPP-Variante
betreibt, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verschuldet ist?

Wenn nein, warum nicht?

15. Werden Großprojekte wie Toll Collect mit einem Volumen von 6,5 Mrd.
Euro bis 2015 oder die Bundeswehr-IT-PPP, für das im Jahr 2006
7,1 Mrd. Euro veranschlagt worden sind, gesondert erfasst und evaluiert?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wer ist zuständig und mit welchem Auftrag?

16. Wurden seitens der ÖPP Deutschland AG oder der Bundesregierung auch
Dritte mit der Evaluation von Projekten der ÖPP Deutschland AG be-
auftragt?

Wenn ja, welche Ergebnisse liegen diesbezüglich vor, und welche Konse-
quenzen hat die ÖPP Deutschland AG bzw. die Bundesregierung daraus
gezogen?

17. Welche der nachfolgenden Daten erfasst die ÖPP Deutschland AG bei den
jeweiligen PPP-Vorhaben und PPP-Projekten strukturiert?

Falls Daten nicht erhoben werden, warum nicht?

a) Zeitlicher Verlauf

– Beginn

– erster Beschluss des Parlaments bzw. der kommunalen Vertretung,
eine Ausschreibung als PPP zu prüfen

– Grundsatzbeschluss, ein Projekt als PPP zu verwirklichen

– letzter Beschluss des Parlaments bzw. der Kommunalvertretung, das
PPP-Projekt an einen bestimmten Bieter zu vergeben

– offizieller Beginn/Startdatum des Projekts

– planmäßiges Ende

– Abbruchdatum oder Datum der Ablehnung;

Drucksache 17/9457 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Finanzen

– Volumen der Beraterhonorare für die öffentliche Hand bis zum
Projektabschluss

– Volumen der Beraterhonorare für die öffentliche Hand seit dem
Projektabschluss

– Projektvolumen für die gesamte Laufzeit

– jährliches Projektvolumen

– vereinbarte monatliche Leasingrate (Zahlungsplan)

– Abweichungen von den anfangs vereinbarten monatlichen Leasing-
raten (Nachforderungen)

– Anteil des Kapitaldienstes an der Leasingrate

– Summe des haftenden Kapitals der Zweckgesellschaft, bei Patronats-
erklärung der Muttergesellschaft

– Summe der jährlich abgeführten Steuern

– Summe der vertraglich vereinbarten Investitionen in die Infrastruktur

– Summe der jährlichen Investitionen in die Infrastruktur

– jährliche Ausgaben für den Betrieb

– Abfindungen für nicht berücksichtigte Bieter

– interne Ausschreibungskosten (Summe der Arbeitsstunden, Stunden-
satz, Summe anteilige Gemeinkosten, Gemeinkostensatz, Summe
interne und externe Raummieten);

c) Vertrag

– Anzahl der Verträge und Struktur des Vertragswerks

– Anhänge, Fortschreibungen, Nebenabreden u. Ä.

– Geschäftsführerschaft der Projektgesellschaft

– Sitz der Projektgesellschaft und Höhe des haftenden Kapitals

– Forfaitierung für den Investitionsteil, Forfaitierung für das gesamte
Projekt

– Einredeverzicht für den Investitionsteil, Einredeverzicht für das
gesamte Projekt

– Gründung eines Fonds für Immobilien oder andere Anlagen durch
den Investor oder die beteiligte Bank; wenn ja: Sitz, Rechtsform und
Geschäftsführerschaft, Anteilseigner sowie Gewinn- und Steuer-
einsparerwartungen

– Geheimhaltungsklauseln und Vertragsstrafen für den Fall eines Ver-
stoßes gegen die Geheimhaltungsklauseln

– Verlängerung der Frist für die Geltendmachung von Gewährleis-
tungsrechten

– Abschluss einer Versicherung (Baugewährleistungsabsicherung)

– Gleitklauseln für Betrieb und Instandhaltung;

d) Ausschreibung und Vergabe

– Berater der öffentlichen Hand
– Umfang der Beratung durch die ÖPP Deutschland AG

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9457

– Anzahl und Identität der Bieter

– Gewinner der Ausschreibung

– Berater des Gewinners

– Ersteller der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung

– finanzierende Bank

– parallele konventionelle Ausschreibung

– Public Sector Comparator geschätzt oder nach Ausschreibung

– behaupteter Effizienzvorteil

– Name der Zweckgesellschaft

– Vertreter der öffentlichen Hand

– anhängige Klagen wegen der Vergabe

– gerichtliche Feststellungen von Vergabefehlern;

e) Transparenz

– Öffentlichkeit der Verträge

– Kenntnis der Verträge und sonstigen Projektunterlagen durch die
Abgeordneten bzw. kommunalen Mandatsträger vor Unterzeichnung
der Verträge

– Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bzw. kommunalen Man-
datsträger bei der Entscheidung über die Unterzeichnung der Ver-
träge

– Kenntnis der Verträge und sonstigen Projektunterlagen durch die
Abgeordneten bzw. kommunalen Mandatsträger nach Unterzeich-
nung der Verträge

– Kenntnisstand der Abgeordneten und kommunalen Mandatsträger
bei dem ersten Beschluss eine Ausschreibung als PPP zu prüfen;

f) Stellenabbau im öffentlichen Dienst

– Anzahl der Stellen, die in dem von dem PPP-Projekt betroffenen
Bereich direkt und anteilig besetzt waren

– Anzahl der Stellen, die im Public Sector Comparator kalkuliert wur-
den

– Anzahl der Stellen, die bei Vergabe an Private erhalten bleiben sollen

– Anzahl der Stellen, die abgebaut wurden

– Anzahl der zusätzlichen Stellen, die für die Kontrolle der Privaten
vorgesehen sind;

g) Qualität der Leistungen

– Schlecht- und Minderleistungen

– Umfrageergebnisse über Qualitätssteigerungen bzw. Qualitätseinbu-
ßen

– Gerichtsurteile oder gerichtliche bzw. außergerichtliche Vergleiche
zu Qualitätseinbußen

– Insolvenzen von Investor und/oder Subunternehmer;

Drucksache 17/9457 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

h) Gebühren

– Schätzung der Gebühreneinnahme im Public Sector Comparator und
in der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung

– Gebührenhöhe zum Zeitpunkt zehn Jahre vor Beginn/fünf Jahre vor
Beginn/zum Beginn/fünf Jahre nach Beginn des PPP-Projekts und
der jeweilige Anteil der öffentlichen Hand an den Gebühren;

i) Investitionsanteil

– Größe umbauter Räume, Gesamtnutzfläche

– Büroarbeitsfläche je Mitarbeiterin/Mitarbeiter (bei Verwaltungsge-
bäude)

– Fläche pro Schülerin/Schüler (Klassenzimmer in einer Schule)

– Infrastruktur und bewegliche Betriebsanlagen

– Gesamtwert der den Privaten über den Vertragszeitraum anvertrauten
Infrastruktur

– durchschnittliche Lebensdauer der Anlage und erforderlich jährliche
Wiederbeschaffungsrücklagen

– Gesamtwert der den Privaten über den Vertragszeitraum anvertrauten
beweglichen Betriebsanlagen

– durchschnittliche Lebensdauer der beweglichen Betriebsanlagen und
erforderliche jährliche Wiederbeschaffungsrücklagen?

18. Ist der Bundesregierung bekannt, ob diese Daten erhoben werden und wer
diese Daten erhebt für den Fall, dass ÖPP Deutschland AG dies nicht tut?

Berlin, den 26. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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