BT-Drucksache 17/9412

Rüstungsexporte kontrollieren - Frieden sichern und Menschenrechte wahren

Vom 25. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9412
17. Wahlperiode 25. 04. 2012

Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Ingrid Hönlinger,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden sichern und Menschenrechte wahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Waffendeal mit Saudi-Arabien belegt exemplarisch, wie weit Deutschland
von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik entfernt ist. Deutschland ist zum
drittgrößten Exporteur von Rüstungsgütern weltweit geworden. Laut dem Frie-
densforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute)
hat Deutschland in den vergangenen zehn Jahren mit einem Anteil von 11 Pro-
zent am konventionellen Waffenhandel so viele Rüstungsgüter exportiert wie
die vermeintlich weniger restriktiven Staaten Frankreich und Großbritannien zu-
sammen.

Während der rot-grünen Regierungszeit wurden im Jahr 2000 die Politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern deutlich verschärft. Ein zentraler Mangel der bisherigen Rüs-
tungsexportpolitik ist, dass die Politischen Grundsätze keine gesetzliche Binde-
kraft haben. Offensichtlich funktioniert die Selbstbindung der Regierung über
Grundsätze nicht. Entgegen den eigenen Grundsätzen setzen sich im Verfahren
viel zu oft wirtschafts- und industriepolitische Interessen und nicht menschen-
rechtliche Kriterien durch. Rüstungsexporte in Länder, in denen die Regierungen
für erhebliche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, darf es generell
nicht geben.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist hier zu besonders empörenden Ent-
scheidungen gekommen. Das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien hat deutlich
gemacht, dass sie Rüstungsexportkontrolle zuallererst als Industrie- und Wirt-
schaftspolitik versteht und nicht als ihre Pflicht zur Friedenssicherung. Aber
auch unter der großen Koalition und selbst unter Rot-Grün haben die jeweiligen
Regierungen den Entscheidungsspielraum, den ihnen die Grundsätze lassen,

gegen eine restriktive Rüstungsexportpolitik genutzt.

Erleichtert haben den laxen Umgang mit den eigenen Grundsätzen die mangelnde
Transparenz und die fehlende parlamentarische Kontrolle bei den Rüstungs-
exporten. Die Entscheidungen werden hinter den verschlossenen Türen des
Bundessicherheitsrates getroffen. Die Abgeordneten erfahren oft erst über die
Presse von dem Vorgang. Dieses Vorgehen missachtet die Kontrollrechte, die

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das Parlament auch nach bestehender Gesetzeslage hat – ungeachtet der Letzt-
entscheidungsbefugnis der Exekutiven in diesen Fragen.

Die Rüstungsexportberichte, die Auskunft über die getroffenen Exportentschei-
dungen geben können, erscheinen erst mit monatelanger Verzögerung und sind
in ihrem inhaltlichen Gehalt bescheiden. In Deutschland beruht das Erscheinen
des jährlichen Rüstungsexportberichts lediglich auf einem Satz in der Rüs-
tungsexportrichtlinie. Eine Vorlagefrist existiert nicht. Die Bundesregierung
lässt sich in der Regel bis zum Ende des dem Berichtszeitraum folgenden
Kalenderjahres Zeit. In den meisten anderen europäischen Ländern werden die
Berichte über die Rüstungsexporte zeitnäher und in kürzeren Abständen vor-
gelegt.

Eine restriktive Exportpolitik darf nicht mit dem Zeitpunkt der Genehmigung
ihr Ende finden. Im Gegensatz zu anderen Industrienationen findet in Deutsch-
land eine Endverbleibskontrolle durch deutsche staatliche Stellen nicht statt.
Der tatsächliche Endverbleib wird nicht kontrolliert. Der Exporteur selbst er-
klärt auf einem Papier, an wen er liefert, und die Bundesregierung begnügt sich
mit dem Vertrauen auf diese sogenannte Endverbleibserklärung.

Einmal vergebene Lizenzen zur Waffenherstellung sind erfahrungsgemäß nicht
mehr zu kontrollieren. Selbst der Iran produziert heute noch Waffen der deutschen
Firma HECKLER & KOCH GmbH, deshalb sollten solche Lizenzen zumindest
außerhalb von NATO und EU grundsätzlich nicht mehr vergeben werden.

Angesichts schrumpfender Streitkräfte, sinkender Verteidigungshaushalte und
abgeschotteter nationaler westlicher Märkte wachsen seit Jahren die Tendenz
und Bereitschaft, der Rüstungsindustrie neue Märkte zu öffnen. Statt europäische
und transatlantische Überkapazitäten durch eine verstärkte Zusammenarbeit
abzubauen, konkurrieren die Bündnispartner weltweit um neue Kunden, die
ihrerseits autarke Rüstungsindustrien aufbauen. Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung baut diese Exportoffensive weiter aus. Der Rüstungsindustrie steht
dauerhaft kein heimischer Abnehmer mehr zur Verfügung, so dass sich der Ex-
portdruck weiter erhöhen wird. Bereits jetzt sind 70 Prozent der Produkte der
deutschen Rüstungsindustrie für den Export bestimmt. Staaten wie die Ver-
einigten Arabischen Emirate, Brasilien oder Indien sind die zahlungskräftigen
Abnehmer deutscher Rüstungsgüter.

Deutschland war einmal Vorreiter für eine restriktive Rüstungsexportpolitik.
Das ist lange her. Heute können wir von anderen Ländern viel lernen. Deshalb
soll mit einem Rüstungsexportgesetz (als Artikelgesetz) die Grundlage für die
Rüstungsexportpolitik und ihre Kontrolle neu geregelt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– einen Gesetzentwurf für ein Rüstungsexportkontrollgesetz unter Berück-
sichtigung nachfolgender Eckpunkte vorzulegen:

1. Die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinie und des Gemeinsamen Stand-
punktes der EU, insbesondere die Menschenrechtslage im Empfänger-
land und die Gefahr der inneren Repression, werden gesetzlich verankert
und in das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz
integriert. Die Kriterien sind dabei im Hinblick auf eine zu prüfende Ein-
führung von Verbandsklagen so zu konkretisieren, dass sie nach Mög-
lichkeit auch justiziabel sind.

2. Die Berichte der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag
sollen vierteljährlich bis spätestens zum nächsten Quartalsende erfolgen.
Auch die Inhalte und Schwerpunkte des Berichts sollen gesetzlich gere-

gelt werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9412

3. Die Ressortzuständigkeit für Rüstungsexporte wird dem Auswärtigen
Amt übertragen.

4. Der Deutsche Bundestag wird vor einer beabsichtigten Rüstungsexport-
genehmigung bei besonders sensiblen Exporten unterrichtet und erhält
die Möglichkeit zur Stellungnahme. Das Recht der Bundesregierung, in
Kenntnis einer negativen Stellungnahme des Bundestages aus wichtigen
außen- oder sicherheitspolitischen Gründen eine abweichende Entschei-
dung zu treffen, bleibt unberührt. Es wird ein fachpolitisches Gremium
zur Rüstungsexportpolitik eingerichtet.

5. Die Geheimhaltung von Entscheidungen über Rüstungsexporte ist abzu-
schaffen. Ist eine Genehmigung abschließend erteilt, muss diese stets be-
kannt gegeben und begründet werden.

6. Die Vergabe von Lizenzen zur Produktion von Kriegswaffen (wie z. B.
Anlagen zur Produktion von Kleinwaffen oder Munition) an Drittstaaten
wird untersagt.

7. Der Endverbleib wird künftig nicht nur erklärt, sondern auch tatsächlich
kontrolliert.

8. Gemäß dem Grundsatz „Neu für Alt“ bei der Abgabe ausgemusterter
Verteidigungsgüter ist der Empfängerstaat zu verpflichten, Altbestände
überprüfbar zu zerstören und nicht weiterzuverkaufen;

– keine Hermesbürgschaften für Rüstungs- und Kriegswaffenexporte zu ertei-
len;

– sich bei den Abschlussverhandlungen im Juli 2012 für einen wirkungsvollen
und rechtlich verbindlichen Arms Trade Treaty einzusetzen, der den interna-
tionalen Handel mit Waffen begrenzt.

Berlin, den 24. April 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Die rechtlichen Grundlagen, nach denen die Bundesregierung zu entscheiden
hat, finden sich in Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG), im Gesetz über
die Kontrolle von Kriegswaffen, im Außenwirtschaftsgesetz sowie in den Rüs-
tungsexportrichtlinien der Bundesregierung und im Gemeinsamen Standpunkt
der EU für Rüstungsexporte. Die beiden letztgenannten Regelwerke stellen seit
2000 bzw. seit 2008 insbesondere die Menschenrechtslage im Empfängerland in
den Vordergrund.

Im Gegensatz zum Kriegswaffenkontrollgesetz und zum Außenwirtschaftsge-
setz handelt es sich bei den Rüstungsexportrichtlinien nicht um ein Gesetz, son-
dern um ein politisches Dokument. Der Gemeinsame Standpunkt der EU hat
ebenfalls nicht dieselbe Verbindlichkeit wie eine EU-Verordnung.

Um dem Aspekt der Menschenrechte, der Gefahr von innerer Repression und
weiteren Kriterien mehr Gewicht zu verleihen, ist es daher notwendig, die ent-
sprechenden Kriterien sinngemäß in das Außenwirtschaftsgesetz und das Ge-

setz über die Kontrolle von Kriegswaffen zu integrieren und ihnen damit Geset-
zesrang zu verschaffen.

Drucksache 17/9412 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Als allgemeines Prinzip heißt es beispielsweise in der Richtlinie: „Der Beach-
tung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den
Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
besonderes Gewicht beigemessen.“ Dieser Grundsatz wäre beispielsweise unter
§ 1 Absatz 4 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen aufzunehmen.

Ebenso könnte mit den acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes im Rah-
men des Außenwirtschaftsgesetzes verfahren werden. Andere europäische
Staaten wie Großbritannien, Schweden, Dänemark, Tschechien und Österreich
haben den Gemeinsamen Standpunkt bereits in ihr nationales Recht übernom-
men. Die Rüstungsexportrichtlinien und der Gemeinsame Standpunkt der EU
enthalten viele gute Kriterien für eine restriktive Exportpolitik. Die mangelhafte
rechtliche Verbindlichkeit soll durch das Rüstungsexportgesetz behoben werden.

Es ist in diesem Zusammenhang weiter zu prüfen, inwieweit Verbandsklagen
ein geeignetes Mittel wären, die Einhaltung von Menschenrechtskriterien bei
Rüstungsexporten zu verbessern.

Bislang sind nämlich Menschenrechte in diesem Kontext vor deutschen Ge-
richten nicht justiziabel. Wird ein Antrag auf Ausfuhrgenehmigung durch das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) abgelehnt, kann der
Exporteur, der sich in seinen Rechten verletzt sieht, die Entscheidung gerichtlich
überprüfen lassen. Gemäß dem Grundsatz des Individualrechtsschutzes ist er in
seiner eigenen Rechtsposition betroffen und damit klagebefugt. Wird einem
Antrag auf Ausfuhrgenehmigung stattgegeben, ist die Abwägung der Interessen
zu seinen Gunsten ausgegangen und niemand anderes wird dieses Abwägungs-
ergebnis zur Überprüfung stellen können.

Sowohl im Umweltrecht als auch im Verbraucherrecht und im Gesetz über den
unlauteren Wettbewerb gibt es Verbandsklagerechte. Ähnlich wie dem Umwelt-
und Naturschutz könnte auf einem solchen Wege auch dem „Friedensschutz“
und den Menschenrechten eine gerichtlich einklagbare Rechtsposition einge-
räumt werden. Welche Verbände diese Klagerechte geltend machen können,
wäre gegebenenfalls im Verordnungswege festgelegt. Zu denken wäre beispiels-
weise an Organisationen wie Amnesty International, Oxfam Deutschland e. V.
und andere.

Zu Nummer 2

Dass gegen die geltenden Grundsätze immer wieder verstoßen wird, liegt aber
nicht nur an dem fehlenden Gesetzesrang der Rüstungsexportkriterien, sondern
sehr stark auch an der Intransparenz des Verfahrens.

Derzeit beschränkt sich die Beteiligung der Legislative auf reine Informations-
rechte über bereits erteilte Genehmigungen. Das Informationsrecht des Parla-
ments wird in Form von Anfragen und der Vorlage des jährlichen Export-
berichts ausgeübt. Über laufende Verfahren, Hersteller oder Exporteure werden
aus Gründen der Geheimhaltung auch dem Parlament gegenüber keine Anga-
ben gemacht. Im Ergebnis können die Parlamentarier/-innen daher nur zu lange
zurückliegenden Exporten Fragen stellen, die Jahre später im Exportbericht
auftauchen oder nach dem Zufallsprinzip vorgehen. Auch werden die Einzel-
fragen der Parlamentarier/-innen bislang nirgendwo systematisch zusammenge-
führt und ausgewertet.

In Deutschland beruht das Erscheinen des jährlichen Rüstungsexportberichts
lediglich auf einem Satz in den Rüstungsexportrichtlinien. Eine Vorlagefrist
existiert nicht. Längst ist Deutschland aber auch nach EU-Standpunkt zur Über-
mittlung von Rüstungsexportdaten und dem Vorlegen eines Berichts verpflich-
tet. Die Bundesregierung lässt sich in der Regel bis zum Ende des dem Berichts-

zeitraum folgenden Kalenderjahres Zeit. Dies, obwohl die Rohdaten bereits im

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9412

Januar vollständig vorliegen und dem Bundestag zur Verfügung gestellt werden
könnten und der Bundestag die Bundesregierung schon vor Jahren auf Initiative
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in einem Antrag aufgefordert hat,
den Rüstungsbericht parallel zum Jahresabrüstungsbericht im ersten Quartal des
Folgejahres vorzulegen. An die EU werden die Daten deutlich schneller gemel-
det, als sie dem Parlament in Form des Rüstungsexportberichts vorgelegt werden.

In den meisten anderen europäischen Ländern werden die Berichte über die
Rüstungsexporte zeitnäher und in kürzeren Abständen vorgelegt. So hat bei-
spielsweise Spanien eine halbjährliche Berichterstattung, Großbritannien und
Rumänien erhalten quartalsweise Berichte und andere Länder wie Italien und
Slowakei haben gesetzliche Fristen, so dass der Bericht spätestens im März
bzw. April des nächsten Jahres vorliegen muss. Weitere Länder haben die Be-
richtspflichten gesetzlich festgelegt. So sollte auch der Bundestag per Gesetz
beschließen, jeweils vierteljährlich bis spätestens zum nächsten Quartalsende
unterrichtet zu werden (so das britische Modell). Auch die Inhalte und Schwer-
punkte könnte der Bundestag so mitbestimmen. In der Regel ist nicht die abso-
lute Länge des Berichts maßgebend für dessen Aussagekraft, sondern sind es
die Relevanz und Vergleichbarkeit der Angaben.

In ihrem Bericht hat die Bundesregierung im Hinblick auf jedes einzelne Krite-
rium zu erläutern, warum die Genehmigung gerechtfertigt ist.

Zu Nummer 3

Die Ressortzuständigkeit für Rüstungsexporte ist dem Auswärtigen Amt zu über-
tragen, da dieses allein die erforderliche Sachkenntnis besitzt, um die Situation
im Empfängerland, insbesondere die Menschenrechtslage, bewerten zu können.

Die Außenwirtschaftsverordnung benennt bislang in § 17 das Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) als zuständiges Ressort für die
Rüstungsexportkontrolle. Die Entscheidung über den Exportantrag trifft in der
Regel das BAFA in den Fällen allein, wo eine Zusammenarbeit mit der ministe-
riellen Ebene nicht erforderlich scheint. Erst wenn das BAFA selbst befindet,
dass es sich um einen sensiblen Fall handelt, wird die ministerielle Ebene be-
fasst. Das BAFA bearbeitet jährlich etwa 30 000 bis 40 000 Anträge, von denen
etwa 16 000 auf Rüstungsgüter entfallen. Von diesen werden wiederum etwa
2 000 auf ministerieller Ebene entschieden. In dem zuständigen Referat des
BMWi ist man der Ansicht, über ausreichend Sachkompetenz bei Fragen der
Menschenrechte zu verfügen, um zu beurteilen, ob die Genehmigung erteilt oder
zunächst dem Bundessicherheitsrat vorgelegt werden muss. Eindeutige, schrift-
lich niedergelegte Kriterien, wann Genehmigungsvorgänge innerhalb des Bun-
desministeriums „hochgereicht“ werden müssen, gibt es nicht. Sobald ein Kon-
sens zwischen den Ressorts auf einer Ebene gefunden wurde, wird das Verfahren
beendet. Nur bei Dissens wird der Vorgang der nächsthöheren Ebene vorgelegt.

Erst in der letzten Instanz, dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat, wird
dann nach dem Mehrheitsprinzip entschieden. Beim Bundessicherheitsrat han-
delt es sich um einen Kabinettsausschuss, der unter dem Vorsitz der Bundeskanz-
lerin tagt. Der Bundessicherheitsrat entscheidet nicht unmittelbar über die Ge-
nehmigung, sondern erteilt dem Bundeswirtschaftsminister eine Empfehlung,
die dieser dann mit der Genehmigung umsetzt. Da der kleinere Koalitionspartner
in der Regel nicht über eine Mehrheit im Bundessicherheitsrat verfügt, haben
Rüstungsexportentscheidungen wiederholt zu schweren Koalitionskonflikten
geführt. Sensible Exportentscheidungen sollten daher nach Möglichkeit im Kon-
sens der beteiligten Ressorts getroffen werden.

Drucksache 17/9412 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Auswärtige Amt verfügt grundsätzlich über die notwendige Sachkenntnis,
um die für die Ausfuhr von Rüstungsgütern entscheidenden Kriterien bewerten
zu können. In diesem Rahmen können auch regelmäßig Einschätzungen des
Menschenrechtsbeauftragten zur Beurteilung herangezogen werden.

Zu den Nummern 4 und 5

Die Außen- und Sicherheitspolitik fällt grundsätzlich in den Zuständigkeits-
bereich der Bundesregierung. Für die Genehmigung der Ausfuhr von Kriegs-
waffen hat der Verfassungsgeber in Artikel 26 Absatz 2 GG die Bundesregie-
rung ausdrücklich genannt. Dennoch ergibt sich daraus nicht, dass generell
keine Beteiligung des Parlamentes im Genehmigungsverfahren möglich sein
kann. Im Gegenteil, bei wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Außen-
und Sicherheitspolitik gibt es sogar Letztentscheidungsrechte des Parlaments,
wie beispielsweise bei der Entsendung von Bundeswehrsoldatinnen und -solda-
ten in Auslandseinsätze oder der Erweiterung der europäischen Integration.

Ein solches Letztentscheidungsrecht im Rahmen der Rüstungsexportkontrolle
wäre dennoch kaum mit dem Wortlaut des Artikels 26 Absatz 2 GG vereinbar.
Damit das Parlament seine Kontrollfunktion auch im Bereich der Rüstungs-
kontrolle endlich wahrnehmen kann, ist es aber unabdingbar, dass die Bundes-
regierung einmal getroffene Entscheidungen über die Erteilung von Genehmi-
gungen öffentlich bekannt gibt und diese auch begründet.

Bei besonders sensiblen Exporten, beispielsweise der Lieferung von Kriegswaf-
fen in Drittstaaten, ist eine Unterrichtung des Bundestages vor der Genehmigung
durch die Bundesregierung erforderlich. Das Recht der Bundesregierung, in
Kenntnis einer negativen Stellungnahme des Bundestages aus wichtigen außen-
oder sicherheitspolitischen Gründen eine abweichende Entscheidung zu treffen,
bleibt unberührt.

Die dagegen vorgebrachten Einwände des Geheimhaltungsbedürfnisses sind
nicht haltbar. Der Bundestag ist ebenso wie die Bundesregierung bei Bedarf zur
Geheimhaltung verpflichtet. Die Verpflichtung des Artikels 26 Absatz 1 GG
(Bekenntnis zur friedlichen Ordnung der Völkergemeinschaft) obliegt dem
Bundestag ebenso wie der Bundesregierung. Alle erforderlichen Informationen
sind daher dem Parlament zugänglich zu machen.

Eine Geheimhaltungspflicht setzt immer auch ein Geheimhaltungsinteresse
voraus. Das Geheimhaltungsinteresse der Rüstungsindustrie und der Empfän-
gerländer wird von Rüstungsexportbefürwortern in der Regel völlig überbewer-
tet. Ganz offensichtlich wird dies beim Verweis auf § 30 des Verwaltungsver-
fahrensgesetzes als Grundlage für die Geheimhaltung. Dieser Paragraph schützt
jeden Antragsteller im Verwaltungsverfahren davor, dass die Behörde seine
Daten unbefugt weitergibt. Das Wort „unbefugt“ zeigt allerdings, dass der Bun-
destag als rechtsetzendes Organ den Umfang der Befugnis sehr wohl selber
festlegen kann. Dem Geheimhaltungsinteresse der Hersteller und Exporteure
von Kriegswaffen steht schon von Verfassungs wegen ein höheres öffentliches
Interesse entgegen. Deshalb kann der Gesetzgeber auch die Veröffentlichung
gesetzlich verankern.

Auch die Behauptung, man könne aus diplomatischen Gründen keine öffent-
liche Bewertung der Empfängerländer vornehmen, trägt nicht. Nicht nur in der
Bundesrepublik Deutschland gibt es einen öffentlichen Menschenrechtsbericht,
der genau dies tut.

Auch der Vergleich mit Großbritannien zeigt, dass im europäischen Ausland
weniger Hemmungen bestehen, die Rüstungsindustrie offensiv in das Verfahren
einzubinden und bei Bedarf auch vor dem zuständigen parlamentarischen Gre-

mium anzuhören. In Italien werden sogar die Firmen und die einzelnen Rüs-
tungsgüter explizit im Exportbericht aufgeführt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9412

Außerdem können fachpolitische Ausschüsse bei Bedarf auch eingestuft tagen.

Um die erhaltenen Informationen sachgerecht verarbeiten zu können, bedarf es
eines fachpolitischen Gremiums im Deutschen Bundestag. Anders als in
Deutschland bestehen in den meisten anderen Exportnationen parlamentarische
Gremien bzw. Ausschüsse, die sich gezielt mit Rüstungsexportkontrolle befas-
sen. Ein solches Gremium hätte auch in Deutschland erhebliche Vorteile, wenn
es zum Beispiel darum geht, die Erkenntnisse der Parlamentarier/-innen aus
den Einzelanfragen an die Bundesregierung fraktionsübergreifend zu erfassen
und auszuwerten oder Regierungsmitglieder, Nichtregierungsorganisationen
und auch Rüstungsunternehmen anzuhören und Stellungnahmen gegenüber der
Bundesregierung abzugeben (Britisches Modell).

Das zu schaffende Gremium ist personell und strukturell so auszustatten, dass
es in der Lage ist, Anhörungen durchzuführen und Stellungnahmen gegenüber
der Bundesregierung abzugeben.

Auch nicht mehr benötigtes Material der Bundeswehr wird oft ins Ausland ver-
kauft. Dies weckt Begehrlichkeiten in anderen Ländern, die gern ausgemuster-
tes Material kaufen würden. Die Abgabe von ausgemusterten Rüstungsgütern
und Kriegswaffen der Bundeswehr widerspricht einer restriktiven Rüstungs-
exportpolitik. Die Beschaffung von Verteidigungsgütern wird ab einer be-
stimmten Wertgrenze vom Bundestag freigegeben. Die entsprechenden Güter
sind daher auch nur mit Zustimmung des Bundestages weiter zu veräußern. Der
Grundsatz „neu für alt“ ist bei der Abgabe ausgemusterter Verteidigungsgüter
konsequent umzusetzen.

Zu Nummer 6

Saudi-Arabien wirbt bereits jetzt weltweit per Internet mit den in Lizenz her-
gestellten G36-Gewehren. Die Bundesregierung erklärt dazu, dass jeder Re-
export durch Saudi-Arabien einer Genehmigung Deutschlands bedürfe. Die
bloße Anpreisung sei noch kein Indiz dafür, dass Saudi-Arabien dagegen ver-
stoße. Mit anderen Worten, die Bundesregierung reagiert völlig hilflos. Da
Lizenzen erfahrungsgemäß nie mehr zu kontrollieren sind und selbst der Iran
sich heute noch an der Produktion von Waffen der deutschen Firma HECKLER
& KOCH GmbH erfreut, sollten solche Lizenzen zumindest außerhalb von
NATO und EU nicht mehr exportiert werden dürfen.

Zu Nummer 7

Eine restriktive Exportpolitik darf aber nicht mit dem Zeitpunkt der Genehmi-
gung ihr Ende finden. Im Gegensatz zu anderen Industrienationen findet in
Deutschland eine Endverbleibskontrolle durch deutsche staatliche Stellen nicht
statt. Der tatsächliche Endverbleib wird nicht kontrolliert. Der Exporteur selbst
erklärt auf einem Papier, an wen er liefert, und die Bundesregierung begnügt
sich mit dem Vertrauen auf diese sogenannte Endverbleibserklärung. Dabei ist
es mitnichten so, dass eine solche Kontrolle schlichtweg nicht möglich sei, wie
sich in der Praxis anderer Länder zeigt. Die USA als größte Exportnation
betreiben eine sehr enge Endverbleibskontrolle und schicken Botschaftsmit-
arbeiter, um sich die Waffen zeigen zu lassen.

Da die Gefährlichkeit der Exporte an Drittländer am höchsten ist, wäre gerade
dort eine effektive Endverbleibskontrolle am wichtigsten. Aber auch innerhalb
der EU bestehen unterschiedliche nationale Kontrollregime, so dass im Hin-
blick auf die vereinfachte Verbringung von Rüstungsgütern innerhalb der EU
eine europäische Ausfuhrkontrolle dringend erforderlich ist.

Drucksache 17/9412 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Sowohl nachrichtendienstliche Erkenntnisse vor Ort als auch Kontrollver-
pflichtungen der Exporteure wären denkbar. Die Regelung zur Sicherung des
Endverbleibs in der Rüstungsexportrichtlinie ist daher nicht nur gesetzlich zu
verankern, sondern auch deutlich zu konkretisieren.

Nicht alle notwendigen Schritte zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik
lassen sich durch nationale Gesetze regeln. Mit der Umsetzung der Verteidi-
gungsgüterrichtlinien in nationales Recht entsteht derzeit in der EU ein Binnen-
markt, auf dem künftig auch Rüstungsgüter und Kriegswaffen frei, d. h. ohne
Einzelgenehmigung, transportiert werden dürfen. Zu befürchten ist, dass die
Ausfuhrkontrolle in einigen EU-Ländern nicht den gewünschten Anforderun-
gen entspricht und damit die Endverbleibskontrolle nicht gewährleistet werden
kann. Der Gemeinsame Standpunkt der EU für die Kontrolle der Ausfuhr von
Militärtechnologie und Militärgütern ist noch kein wirksames Instrument einer
verbindlichen Rüstungsexportpolitik der EU. Langfristig muss es eine EU-weit
einheitliche Rüstungsexportkontrolle geben. Wir brauchen auf europäischer
Ebene Kontrollfähigkeiten und personelle Kapazitäten, um der freien Verbrin-
gung von Rüstungsgütern innerhalb der EU eine entsprechende Ausfuhrkon-
trolle an ihren Grenzen entgegenzusetzen.

Für eine Kontrolle eignet sich der Europäische Auswärtige Dienst am besten,
ist jedoch in diesem Bereich völlig unterbesetzt.

Da sich neue, einheitliche EU-Regelungen auch für den Bereich der Dual-Use-
Güter abzeichnen und die militärtechnische Forschung heute ungeahnte Ent-
wicklungen vollziehen kann, ist eine Aufstockung entsprechender Kontroll-
instanzen dringend angezeigt.

Dritter Spiegelstrich

Im Juli 2012 sollen die jahrelangen Verhandlungen zu einem internationalen
Vertrag zur Unterbindung des Waffenhandels auf UN-Ebene zum Abschluss
kommen. Noch stehen nicht alle inhaltlichen Punkte fest. Ein zukünftiger ATT
(Arms Trade Treaty) muss alle konventionellen Rüstungsgüter inklusive Muni-
tion umfassen und beinhalten, dass internationale Rüstungstransfers dann zu
untersagen sind, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass die Rüstungsgüter zu
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humani-
tären Völkerrechts benutzt werden. Ein ATT muss auch starke Implementie-
rungsmechanismen enthalten. Dazu gehört, dass die Vertragsstaaten dazu ver-
pflichtet werden müssen, jeden einzelnen geplanten Rüstungstransfer zu prüfen,
öffentlich Rechenschaft über die Kontrolle von Rüstungstransfers abzulegen
und den illegalen Rüstungshandel strafrechtlich zu sanktionieren. Es bedarf fer-
ner eines wirkungsvollen internationalen Regimes zur Unterstützung und zur
Kontrolle der nationalen Umsetzung, zur Herstellung von Transparenz und zur
Weiterentwicklung des Übereinkommens. Es müssen umfassende Berichts-
pflichten darin geregelt sein.

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