BT-Drucksache 17/9284

Entwicklung der Jugendarmut

Vom 5. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9284
17. Wahlperiode 05. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklung der Jugendarmut

Armut ist mittlerweile zu einem weit verbreiteten Phänomen geworden. Armut
resultiert vor allem aus Einkommensarmut, die in Familien von den Eltern an
ihre Kinder weitergegeben wird. Mehr und mehr Kinder sind in der Bundes-
republik Deutschland von Armut bedroht. Aus armen Kindern werden in der
Regel arme Jugendliche. Die Armutsrisikoquote von Kindern und Jugendlichen
unter 18 Jahren stieg im Jahr 2010 auf rekordverdächtige 19,4 Prozent (Fa-
milienreport 2011, S. 98 ff.). Besonders betroffen davon sind Jugendliche
zwischen 15 und 18 Jahren: In dieser Altersgruppe waren im Jahr 2009 alleine
500 000 Jugendliche von Armut bedroht (ebenda S. 100). Dramatisch ist die
Lage in Ostdeutschland, wo nahezu ein Drittel der Jugendlichen in Armut leben
(Monitor Jugendarmut 2010, Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugend-
sozialarbeit e. V.). Aber auch in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg
sind überproportional viele Jugendliche von Armut bedroht. Die Entwicklung
von drohender Jugendarmut lässt sich auch aus den Statistiken der Bundes-
agentur für Arbeit ableiten: Dort werden regional die Anzahl der Kinder und
Jugendlichen unter 15 Jahren gezählt, die mit ihren Eltern im Hartz-IV-Bezug
leben. Demnach sind in den vergangenen Jahren neue Zentren der Kinderarmut
vor allem im Ruhrgebiet entstanden (Statement von Dr. Ulrich Schneider,
Gwendolyn Stilling und Christian Woltering „Arme Kinder, arme Eltern: Fami-
lien in Hartz IV“ vom 29. Februar 2012). Die Lebenswelten von Jugendlichen
driften dabei immer weiter auseinander. Jede/Jeder fünfte Jugendliche im Alter
zwischen 14 und 17 droht gesellschaftlich abgehängt zu werden. Diese Jugend-
lichen sind bezüglich ihrer persönlichen Perspektiven zusehends entmutigt (Si-
nus-Studie, Wie ticken Jugendliche 2012?).

Arme Kinder haben schlechtere Startvoraussetzung als Kinder aus wohlhaben-
deren Familien. Aus ihnen werden häufig arme Jugendliche. In der Schule haben
sie es schwerer als ihre Mitschüler/-innen. Kinder und Jugendliche werden in
der Schule nämlich auch nach sozialer Herkunft benotet und beurteilt. Schüler/
-innen aus ärmeren Familien werden bei gleicher Leistung schlechter zensiert
als ihre Mitschüler/-innen (Herkunft zensiert? Vodafone Stiftung Deutschland

gemeinnützige GmbH, 2011). Wer schlechter zensiert wird, hat es schwer, auf
höhere Schulen zu kommen, ein Abitur zu absolvieren, einen Ausbildungsplatz
zu finden und somit den Grundstein für ein eigenes Leben außerhalb einer
Armutsspirale aufzubauen – eine Armutsspirale, die bedeutet, dass in armen
Familien arme Kinder aufwachsen, die zu armen Jugendlichen und armen Er-
wachsenen werden. Eine gefestigte Armut über Generationen hinweg droht zu
entstehen.

Drucksache 17/9284 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch auf die Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt hat die Einkommenssitu-
ation Auswirkungen. Jugendliche, die sich in einer schlechten beziehungsweise
sehr schlechten finanziellen Lage befinden oder unter Arbeitslosigkeit leiden,
sind deutlich unzufriedener mit ihrem Leben (16. Shell Jugendstudie „Jugend
2010“: S. 191 ff.). Das ist nicht weiter verwunderlich, entscheiden doch finan-
zielle Mittel maßgeblich über Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen
Leben. Wer über diese nicht verfügt, hat es schwer, die passenden und angesag-
ten Kommunikationsgeräte wie internetfähigen Handys zu finanzieren, um an
der Informationsgesellschaft adäquat teilnehmen zu können. Diese Jugend-
lichen verfügen nicht über die finanziellen Mittel, um, wie ihre Altersgenossen,
die passenden und cliquenbezogenen kulturellen Stile aufgreifen zu können.
Dazu zählen neben speziellen Kleidungstilen auch die Teilhabe im öffentlichen
Leben, wie der Besuch von Cafés, der Kinobesuch oder der Aufenthalt in den
angesagten Clubs. Strukturen der öffentlichen Jugendarbeit wurden in den ver-
gangenen Dekaden massiv eingespart, so dass diese kostengünstige und päda-
gogisch wertvolle Freizeitgestaltung nur noch wenigen Jugendlichen zur Ver-
fügung steht. Aber auch die Mobilität dieser Jugendlichen leidet: Sie können
nicht nur weniger Reisen, auch im Alltag sind sie, insbesondere in den länd-
licheren Regionen, auf den oftmals nicht auf die Bedürfnisse von Jugendlichen
eingerichteten öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Diese Jugendlichen be-
kommen in der Regel auch nicht den Führerschein und das erste Auto pünktlich
zum 18. Geburtstag von ihren Eltern oder Großeltern finanziert.

Ihre schlechtere soziale Lage wird armen beziehungsweise von Armut bedroh-
ten Jugendlichen somit auf mehreren Ebenen ständig vor Augen geführt: Aus-
grenzung von weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens, schlechtere Zu-
kunftschancen, geringere Mobilität und größere Unzufriedenheit mindern die
Perspektiven von nunmehr beinahe jedem fünften Jugendlichen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch ist die Armutsrisikogrenze von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren (bitte für Alleinstehend, Haushaltsvorstand, Haushaltsmitglied
getrennt angeben) gemessen anhand des statistischen Armutsrisikos (60 Pro-
zent des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens) seit 1990 (bitte so-
wohl auf Datengrundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), Mikro-
zensus, der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) sowie der Statis-
tik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-
SILC))?

2. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren gemessen anhand des statistischen Armutsrisikos (60 Prozent des
mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens) seit 1990 (bitte auf-
geschlüsselt nach Geschlecht sowie den Altersstufen 15 bis 17 Jahren sowie
18 bis 25 Jahre; auf Datengrundlage des SOEP sowie der EU-SILC)?

3. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren mit Migrationshintergrund gemessen anhand des statistischen Ar-
mutsrisikos (60 Prozent des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkom-
mens) seit 1990 (bitte aufgeschlüsselt nach Geschlecht sowie den Alters-
stufen 15 bis 17 Jahren sowie 18 bis 25 Jahre; auf Datengrundlage des SOEP
sowie der EU-SILC)?

4. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren gemessen anhand des statistischen Armutsrisikos (60 Prozent des
mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens) auf Basis des Mikrozensus
seit 1990 (bitte aufgeschlüsselt nach Geschlecht, den Altersstufen 15 bis 17
Jahren sowie 18 bis 25 Jahre)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9284

5. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren mit Migrationshintergrund gemessen anhand des statistischen
Armutsrisikos (60 Prozent des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkom-
mens) auf Basis des Mikrozensus seit 1990 (bitte aufgeschlüsselt nach Ge-
schlecht, den Altersstufen 15 bis 17 Jahren sowie 18 bis 25 Jahre)?

6. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und 25
Jahren gemessen anhand des statistischen Armutsrisikos (60 Prozent des
mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens) auf Basis des Mikrozen-
sus seit 1990 in den verschiedenen Bundesländern (wenn möglich bitte auf-
geschlüsselt nach Geschlecht, den Altersstufen 15 bis 17 Jahren sowie 18
bis 25 Jahre)?

7. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen auf Basis des Mikro-
zensus seit 1990 differenziert nach dem sozioökonomischen Status der
jungen Erwachsenen (Erwerbstätige, Studierende, Auszubildende, Schüler/
Schülerinnen, Erwerbslose und nicht Berufstätige)?

8. Welche empirischen Studien zu der These der Vererbung von Armut sind
der Bundesregierung bekannt, und wie bewertet die Bundesregierung diese
Studien?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den sozioökonomischen
Status der Eltern der von Armut bedrohten Jugendlichen?

10. Wie hoch ist die Armutsrisikoquote von Jugendlichen zwischen 15 und
25 Jahren gemessen anhand des statistischen Armutsrisikos (60 Prozent
des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens) auf Basis des Mikro-
zensus seit 1990 aufgeschlüsselt nach Kreisen und kreisfreien Städten (falls
nicht verfügbar bitte auf die Daten für die kleinste verfügbare regionale
Einheit zurückgreifen)?

11. Über welchen Schulabschluss verfügen Jugendliche über 20 Jahren, die auf
Basis des Mikrozensus von Armut bedroht sind, seit 1990 (bitte aufgereiht
nach Jahren und aufgeschlüsselt nach höchstem Schulabschluss)?

12. Über welchen Schulabschluss verfügen Jugendliche, die nicht von Armut
bedroht sind, seit 1990 (bitte aufgereiht nach Jahren und aufgeschlüsselt
nach höchstem Schulabschluss)?

13. Wie viele der von Armut bedrohten Kinder bis einschließlich 13 Jahre wer-
den im Lebensverlauf zu von Armut bedrohten Jugendlichen unter 18 Jah-
ren (relativ und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

14. Wie viele der von Armut bedrohten Jugendlichen unter 18 Jahren werden
im Lebensverlauf zu von Armut bedrohten Jugendlichen ab 18 Jahre (rela-
tiv und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

15. Wie viele der von Armut bedrohten Jugendlichen ab 18 Jahren werden im
Lebensverlauf zu von Armut bedrohten Erwachsenen (relativ und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

16. Wie viele der von Armut bedrohten Jugendlichen unter 18 Jahren waren
bereits in ihrer Kindheit (bis einschließlich 13 Jahren) von Armut bedroht
(relativ und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

Drucksache 17/9284 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
17. Wie viele der von Armut bedrohten Jugendlichen ab 18 Jahren waren be-
reits jeweils als Jugendliche unter 18 Jahren sowie als Kinder bis 13 Jahren
von Armut bedroht (relativ und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

18. Wie viele der von Armut bedrohten jungen Erwachsenen waren bereits je-
weils als Jugendliche ab 18 Jahren, als Jugendliche unter 18 Jahren sowie
als Kinder bis 13 Jahren von Armut bedroht (relativ und absolut)?

Welche Veränderungen sind hier seit 1990 zu beobachten?

Berlin, den 5. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.