BT-Drucksache 17/9223

Sanktionen und Leistungskürzungen bei Grundsicherungen

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9223
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Jan Korte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, Petra Pau,
Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Sanktionen und Leistungskürzungen bei Grundsicherungen

Nach den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) ist die Bundesrepublik Deutsch-
land „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Artikel 20 Absatz 1 GG).
Diese Bestimmung zählt zum Verfassungskern und ist eine der unabänderlichen
Vorgaben des Grundgesetzes. Des Weiteren gibt das Grundgesetz vor, dass die
verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland „den Grundsätzen des republika-
nischen, demokratischen und sozialen Bundesstaates im Sinne dieses Grundge-
setzes entsprechen“ muss (Artikel 28 Absatz 1 GG). Mit diesen beiden Artikeln
schreibt das Grundgesetz das Sozialstaatsprinzip fest. Gemäß den Konkretisie-
rungen durch das Bundesverfassungsgericht ist es demzufolge die Aufgabe des
Staates, für soziale Gerechtigkeit und für einen Ausgleich sozialer Gegensätze
und Ungleichheiten zu sorgen. Der Staat hat die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass allen Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Dasein
und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht wird. Ein
wesentliches Element ist die Sicherung der Existenz und gesellschaftlichen
Teilhabe, wofür unter anderem die verschiedenen bedürftigkeitsgeprüften
Grundsicherungssysteme zuständig sind. Sanktionen und Leistungskürzungen
verletzen das Grundrecht auf die Gewährleistung des physischen Existenzmini-
mums und des Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben. Sie sind somit verfassungswidrig (vgl. Wolfgang
Neskovic/Isabel Erdem: Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz
IV – Zugleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in: Die Sozialgerichts-
barkeit – Zeitschrift für das aktuelle Sozialrecht, 03/12: 134 bis 140).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Bedarfsgemeinschaften und wie viele Personen erhielten Leistun-
gen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Bundes-
republik Deutschland in den Jahren von 2005 bis 2011?
2. Wie viele Erwerbsfähige erhielten Leistungen nach dem SGB II in der Bun-
desrepublik Deutschland in den Jahren von 2005 bis 2011?

3. Wie viele Anspruchsberechtigte auf Leistungen nach dem SGB II in der
Bundesrepublik Deutschland nahmen keine oder geringere Leistungen als
ihnen zustehen (verdeckt Arme) in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011
in Anspruch (absolut und Quote Nichtinanspruchnahme)?

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4. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um das Grundrecht auf ein
Existenzminimum und gesellschaftliche Teilhabe abzusichern, also auch
verdeckte Armut im Bereich des SGB II zu bekämpfen?

5. Wie viele Widersprüche gegen Entscheidungen von SGB-II-Behörden gin-
gen in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundesrepublik
Deutschland bei den zuständigen Behörden ein, und wie viele wurden in
diesen einzelnen Jahren erledigt?

6. Wie viele Klagen wurden im Rechtskreis des SGB II in den einzelnen Jah-
ren von 2005 bis 2011 in der Bundesrepublik Deutschland an den Sozialge-
richten eingereicht und wie viele in diesen Jahren abschließend behandelt?

7. Wie hat sich die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Anträgen auf
Leistungen und die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Widersprü-
chen und Klagen (getrennt) im Bereich des SGB II in der Bundesrepublik
Deutschland in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 entwickelt?

8. Wie hoch war der Anteil der Widersprüche und der Klagen (getrennt) in
der Bundesrepublik Deutschland im Bereich des SGB II in den einzelnen
Jahren von 2005 bis 2011, die ganz oder teilweise zu Gunsten der Wider-
sprechenden bzw. der Klagenden entschieden wurden?

9. Wie hoch war in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundes-
republik Deutschland die Zahl der Sanktionen nach § 31 und § 32 SGB II
(getrennt nach Sanktionshöhe, nach Altersgruppen: unter 15-Jährige, unter
25-Jährige und älter, nach Sanktionsgründen und Leistungsart) in der Bun-
desrepublik Deutschland (bitte die ab 2011 geänderten Sanktionspara-
graphen und Personengruppen vergleichbar zu den anderen Jahren abbil-
den)?

10. Wie hoch war in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 die Anzahl der er-
ledigten Widersprüche und behandelten Klagen gegen Sanktionen nach
§ 31 und § 32 SGB II, und wie hoch war der Anteil der für die Leistungsbe-
ziehenden ganz oder teilweise erfolgreichen Widersprüche und Klagen ge-
gen Sanktionen nach § 31 und § 32 SGB II (getrennt nach Altersgruppen:
unter 15-Jährige, unter 25-Jährige und älter, nach Sanktionsgründen und
Leistungsart, bitte die ab 2011 geänderten Sanktionsparagraphen und Per-
sonengruppen vergleichbar zu den anderen Jahren abbilden)?

11. Wie viele Personen erhielten in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011
in der Bundesrepublik Deutschland Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung nach § 41 ff. bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt nach
§ 27 ff. (getrennt) des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)
(getrennt nach Altersgruppen und Geschlecht)?

12. Wie viele Einsatz- bzw. Haushaltgemeinschaften erhielten in den einzelnen
Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundesrepublik Deutschland Grundsiche-
rung im Alter und bei Erwerbsminderung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt
(getrennt) nach dem SGB XII?

13. Wie viele Anspruchsberechtigte auf Leistungen nach dem SGB XII (ge-
trennt nach Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Hilfe
zum Lebensunterhalt) nahmen in der Bundesrepublik Deutschland in den
einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 keine oder geringere Leistungen als
ihnen zustehen in Anspruch (verdeckt Arme) (absolut und Quote Nicht-
inanspruchnahme)?

14. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um das Grundrecht auf ein
Existenzminimum und gesellschaftliche Teilhabe abzusichern, also auch
verdeckte Armut im Bereich des SGB XII zu bekämpfen?
15. Wie viele Widersprüche gegen Entscheidungen von Leistungsträgern nach
dem SGB XII wurden in den einzelnen Jahren von 2005 und 2011 in der

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Bundesrepublik Deutschland eingereicht, und wie viele wurden in diesen
Jahren erledigt (getrennt nach Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung und Hilfe zum Lebensunterhalt)?

16. Wie viele Klagen wurden im Rechtskreis des SGB XII in den einzelnen
Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundesrepublik Deutschland an den So-
zialgerichten eingereicht, und wie viele Klagen wurden in diesen Jahren
abschließend behandelt (getrennt nach Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung und Hilfe zum Lebensunterhalt)?

17. Wie hat sich die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Anträgen und
die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Widersprüchen und Klagen
(getrennt) im Bereich des SGB XII (getrennt nach Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung und Hilfe zum Lebensunterhalt) in der
Bundesrepublik Deutschland in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011
entwickelt?

18. Wie hoch war der Anteil der Widersprüche und der Klagen (getrennt), der
ganz oder teilweise zu Gunsten der Widersprechenden bzw. der Klagenden
im Bereich des SGB XII (getrennt nach Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung und Hilfe zum Lebensunterhalt) in der Bundesrepublik
Deutschland in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 entschieden
wurde?

19. Wie hoch war in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundes-
republik Deutschland die Zahl der Leistungseinschränkungen nach § 26
und § 39 SGB XII sowie die Zahl der Leistungsverwehrung nach § 41 Ab-
satz 3 SGB XII (getrennt nach Höhe der Leistungseinschränkung, nach
Altersgruppen und nach Gründen der Leistungseinschränkung/-verweh-
rung)?

20. Wie hoch war in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2011 die Anzahl der er-
ledigten Widersprüche und behandelten Klagen durch Leistungsbeziehende
gegen Leistungseinschränkungen nach § 26 und § 39 SGB XII und gegen
die Leistungsverwehrung nach § 41 Absatz 3 SGB XII, und wie hoch war
dabei der Anteil der für die Leistungsbeziehenden ganz oder teilweise er-
folgreichen Widersprüche und Klagen in der Bundesrepublik Deutschland
gegen Leistungseinschränkungen nach § 26 und § 39 SGB XII und gegen
die Leistungsverwehrung nach § 41 Absatz 3 SGB XII (getrennt nach
Höhe der Leistungseinschränkung, nach Altersgruppen und nach Gründen
der Leistungseinschränkung/-verwehrung)?

21. Sollten die Fragen 13 bis 20 durch die Bundesregierung nicht beantwortet
werden können, wird gefragt, wie ohne diese Informationen die Bundes-
regierung prüfen und sicherstellen will, dass für alle leistungsberechtigten
Bürgerinnen und Bürger das Existenzminimum und die gesellschaftliche
Teilhabe aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben und bundesgesetz-
licher Regelungen garantiert wird?

22. Wie hoch war die offizielle Anzahl Arbeitsloser, und wie hoch war die
Arbeitslosenquote in Deutschland von 2005 bis 2011 (Bereich Drittes Buch
Sozialgesetzbuch und Zweites Buch Sozialgesetzbuch getrennt)?

23. Wie viele der Bundesagentur für Arbeit bekannte offene Stellen auf dem
ungeförderten Arbeitsmarkt standen der jeweiligen Anzahl offizieller
Arbeitsloser in den Jahren von 2005 bis 2011 in der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber?

Um welche Art von Stellen handelt es sich dabei?
Berlin, den 28. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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