BT-Drucksache 17/9188

Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen - Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9188
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Klaus Barthel, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn,
Michael Groschek, Ullrich Meßmer, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine),
Rainer Arnold, Doris Barnett, Dr. Hans-Peter Bartels, Lothar Binding (Heidelberg),
Klaus Brandner, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer,
Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Angelika Graf (Rosenheim),
Wolfgang Gunkel, Rolf Hempelmann, Dr. Barbara Hendricks,
Dr. h. c. Susanne Kastner, Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose, Fritz Rudolf Körper,
Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Manfred Nink, Dr. Sascha Raabe,
Stefan Rebmann, Karin Roth (Esslingen), Christoph Strässer,
Wolfgang Tiefensee, Franz Thönnes, Andrea Wicklein, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen –
Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Verschiedene Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung der jüngs-
ten Vergangenheit haben kontroverse Diskussionen und massive Kritik ausge-
löst. Dabei hat sich wieder gezeigt, dass es derzeit an angemessenen parlamen-
tarischen Beteiligungsrechten und an einer Transparenz fehlt, die der Bedeu-
tung und Brisanz solcher Entscheidungen angemessen wären. So hat die Bun-
desregierung den Rüstungsexportbericht 2010 wiederum sehr spät, fast zwei
Jahre nach Beginn des Berichtzeitraums, vorgelegt.

Der Bericht belegt bei den Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter ein
Exportvolumen von ca. 4,7 Mrd. Euro und bei den Sammelausfuhrgenehmi-
gungen im Rahmen wehrtechnischer Kooperationen zwischen EU- und NATO-
Partnern ein Exportvolumen in Höhe von ca. 737 Mio. Euro.

Die tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen erhöhten sich auf ca. 2,1 Mrd.
Euro. Auch unter Berücksichtigung von Sonderfaktoren setzte sich der unter
der schwarz-gelben Bundesregierung beschleunigte Anstieg der Rüstungs-
exporte in besorgniserregender Weise fort. Heute belegt Deutschland nach den
USA und Russland den dritten Platz im weltweiten Handel mit Großwaffen.
An den gesamten deutschen Ausfuhren machen Rüstungsgüter hingegen nur
einen geringen Anteil von rund 0,2 Prozent aus. Sie sind volkswirtschaftlich und
arbeitsmarktpolitisch für die Bundesrepublik Deutschland eher unbedeutend.

Die trotz vorgesehener Geheimhaltung öffentlich gewordenen Exportgenehmi-
gungen des Bundessicherheitsrates (BSR) für Leopard-II-Panzer nach Saudi-
Arabien und das Auftauchen von Gewehren aus deutscher Produktion in

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Libyen zeigen die politische Brisanz von Waffenlieferungen klar auf. Einmal
mehr wurden die fehlende Transparenz und der Mangel an verbindlich geregel-
ten Informations-, Kontroll- und Beteiligungsmöglichkeiten des Deutschen
Bundestages über Rüstungsexportentscheidungen des BSR sichtbar.

Die offenbar beabsichtigte Lieferung der 270 Kampfpanzer des Typs Leopard
2A7+ an Saudi-Arabien verstößt gegen die „Politischen Grundsätze der Bun-
desregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“
vom 19. Januar 2000, die solche Lieferungen in Spannungsgebiete untersagen.
Die Region der Arabischen Länder mit den Revolutionen in Tunesien und
Ägypten, mit den blutigen und bewaffneten Aufständen in Libyen, Syrien und
dem Jemen, mit den Spannungen und Rivalitäten zwischen dem Iran und
Saudi-Arabien und mit Riads Einmarsch im Nachbarland Bahrain ist als Span-
nungsgebiet zu definieren.

Die Bundesregierung trägt – und das rügt auch die Gemeinsame Konferenz
Kirche und Entwicklung (GKKE) zu recht – mit ihren Waffenexportentschei-
dungen die Mitverantwortung an regionalen Rüstungswettläufen.

Die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegs-
waffen und sonstigen Rüstungsgütern“ legen eindeutig fest, dass die innere
Lage des Empfängerlandes, die Menschenrechtssituation, der Respekt interna-
tionaler Konventionen und mögliche Konsequenzen für die regionale Sicher-
heit bei den Rüstungsexportentscheidungen berücksichtigt werden müssen, was
bei Nichterfüllung der dort genannten Kriterien zur Untersagung führen muss.

Auch andere Rüstungsexportentscheidungen belegen die Notwendigkeit einer
zeitnahen kritischen politischen Gesamtbewertung. Dies gilt beispielsweise
auch für umfangreiche Lieferungen von Kriegsgeräten an europäische Krisen-
staaten, die angesichts der Verschuldungssituation hochproblematisch sind.

Derzeit besteht die Gefahr, dass im Zuge der Bundeswehrreform und der Spar-
bemühungen im Bundeshaushalt der Druck der Rüstungsindustrie wächst, das
rückläufige Geschäft im Inland durch verstärkte Exportanstrengungen auszu-
gleichen. Damit kann auch die Neigung zunehmen, aus rein ökonomischem In-
teresse Waffenexporte zu genehmigen, die dem Geist und Inhalt der restriktiven
Waffenexportrichtlinien zuwiderlaufen und Frieden und Sicherheit auf der Welt
gefährden.

Der Mangel an ausreichenden und zeitnahen Informationsrechten des Deut-
schen Bundestages über Entscheidungen des BSR erleichtert und begünstigt die
Ausblendung wesentlicher Kriterien bei der Entscheidungsfindung. Die Bun-
desregierung kann sich mit der so geübten Praxis der Erklärungspflicht gegen-
über dem Bundestag – zumindest vorübergehend – entziehen und damit einer
inhaltlichen Auseinandersetzung ausweichen.

Da dem Deutschen Bundestag keinerlei verlässliche offizielle Informationen
über aktuelle Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung zur Verfü-
gung stehen, können weder eine parlamentarische Beratung noch eine gesell-
schaftliche Diskussion über das Für und Wider von Exportgenehmigungen ge-
führt werden. Besonders gewichtige Kriegswaffenexporte werden im geheim
tagenden BSR beschlossen, dem ausschließlich Vertreter von Bundesministe-
rien und der Bundesregierung angehören. Der Bundestag wird bislang erst viel
später durch die Veröffentlichung des Rüstungsexportberichtes informiert.

Im Bereich der Rüstungsexporte liegt die Verantwortung der Genehmigungs-
praxis bei der Bundesregierung. Das ist eine über Jahrzehnte und von unter-
schiedlichen Bundesregierungen und Koalitionen praktizierte Regelung. Die
Kontrollfunktion des Deutschen Bundestages muss jedoch gegenüber der jetzi-
gen Praxis deutlich effektiver gestaltet und gestärkt werden. Dies ist in vielen

anderen Ländern, auch NATO-Mitgliedstaaten, längst üblich.

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Die Berichterstattung weist zudem wesentliche Lücken auf. So erfasst der Be-
richt nur die erteilten Exportgenehmigungen für Kriegswaffen und andere Rüs-
tungsgüter, nicht aber die Gewährung von Lizenzen für den Nachbau deutscher
Waffen im Ausland. Die Vergabe solcher Lizenzen an Drittstaaten ist jedoch
mit Blick auf die Auswirkungen und Konsequenzen ähnlich kritisch zu beurtei-
len. Aktuelle Beispiele zeigen, dass vor allem der Endverbleib solcher, unter
einer Lizenz produzierter Waffen besonders besorgniserregend ist. Deshalb
bedarf es dringend konkreter gesetzlicher Regelungen und entsprechender sta-
tistischer Auswertungen, die auch eine Veröffentlichung der gewährten Lizen-
zen deutscher Firmen ermöglichen.

Im Grenzbereich von Waffenexporten, bisher ebenfalls nicht von Berichts-
pflichten erfasst, stellt die weltweite Privatisierung von Sicherheits- und Militär-
unternehmen ein weiteres drängendes Problem dar. Diese militärischen Privat-
gesellschaften bieten einen inzwischen finanziell lukrativen und dynamischen
Geschäftsbereich. Im Jahr 2009 hatte der Europarat daher Forderungen aufge-
stellt, um eine bessere Regulierung dieser Firmen zu erreichen. Ebenso hatte im
gleichen Jahr der Deutsche Bundestag die Bundesregierung zu einer Reihe von
Regulierungsmaßnahmen aufgefordert, die bisher nicht umgesetzt wurden.

Eine auf nationaler Ebene stattfindende Registrierungs- und Mitteilungspflicht
für die in Deutschland ansässigen privaten Sicherheitsfirmen und Militärdienst-
leister könnte Einblick in den Geschäftsumfang dieser Firmen geben. Durch
eine Verifizierung der ausländischen Vertragsabschlüsse sowie die Einführung
eines Lizenzierungssystems für militärische Dienstleistungen wäre es möglich,
einen Genehmigungsvorbehalt für die Weitergabe von technischem und militä-
rischem Know-how einzuführen. So ist es wünschenswert, einen jährlichen Be-
richt über die von der Bundesregierung in Anspruch genommenen Geschäfts-
beziehungen mit privaten militärischen Sicherheitsunternehmen sowie eine
Berichtspflicht über bedeutsame Entwicklungen und Planungen umfassend zu
veröffentlichen. In diesem Bericht sollten auch Verträge dieser Firmen über
einen Betrag von 1 Mio. Euro hinaus offengelegt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. sich künftig streng an die geltenden Rüstungsexportrichtlinien der Bundes-
regierung, das Außenwirtschaftsgesetz, die Außenwirtschaftsverordnung
und das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen zu halten und dement-
sprechend eine restriktive Genehmigungspraxis anzuwenden;

2. im Zuge einer Präzisierung der diesbezüglichen Regelungen künftig keine
Lizenzen zur Waffenproduktion mehr an Drittstaaten zu vergeben, die den
Endverbleib nicht zweifelsfrei sicherstellen können. Kleinwaffen dürfen nur
noch an solche Staaten geliefert werden, die das VN-Kleinwaffenaktions-
programm für sich als verbindlich betrachten und einhalten;

3. den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung spätestens drei Monate
nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres zu veröffentlichen;

4. den Rüstungsexportbericht durch zusätzliche Informationen über Produk-
tionslizenzen, Sammelausfuhrgenehmigungen, Angaben von Unternehmen,
die im Rahmen der Verteidigungsgüterrichtlinie zertifiziert wurden, sowie
Dual-Use-Güter-Ausfuhren und Informationen über Bürgschaften und Off-
setgeschäfte mit Rüstungsgütern zu ergänzen;

5. gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag ein gestuftes angemessenes,
zeitnahes und praktikables Verfahren zur parlamentarischen Beteiligung an
Rüstungsexportentscheidungen zu entwickeln. Die Letztentscheidung und
Verantwortung für Rüstungsexporte bleiben bei der Bundesregierung; dem

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Parlament sollen jedoch folgende umfassende Informations- und Beteili-
gungsrechte eingeräumt werden:

– Analog dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Kontrolle der
Nachrichtendienste soll ein vertrauliches parlamentarisches Gremium ge-
schaffen werden, das vierteljährlich und gegebenenfalls anlassbezogen
über anstehende Entscheidungen einer gewissen Bedeutung informiert
wird. Dem parlamentarischen Gremium ist regelmäßig über alle im BSR
getroffenen Exportgenehmigungen sowie über deren Umsetzung und
Kontrollmaßnahmen zu berichten.

– Dieses Gremium kann Empfehlungen an die Bundesregierung beschlie-
ßen. Folgen BSR bzw. Bundesregierung einer solchen Empfehlung nicht,
so bedarf dies nach einer Entscheidung des BSR gegenüber dem parla-
mentarischen Gremium einer besonderen Begründung, die spätestens im
folgenden Rüstungsexportbericht zu veröffentlichen ist;

6. die europäische Rüstungsexportpolitik mitzugestalten und bei jeder euro-
päischen Harmonisierung dafür Sorge zu tragen, dass die deutschen Stan-
dards nicht durch europäische Regelungen aufgeweicht werden. Der Ge-
meinsame Standpunkt der EU aus dem Jahre 2008 muss in die nationale
Gesetzgebung der EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Dabei ist Trans-
parenz gegenüber dem Europäischen Parlament und den nationalen Parla-
menten sicherzustellen und es ist darauf zu achten, dass die Rüstungsexport-
berichte umfassend erstellt werden. Mit der Liberalisierung des Binnen-
handels der EU durch die „Verteidigungsgüterrichtlinie“ und ihre seit 2012
geltende rechtliche Umsetzung in deutsches Recht muss eine Stärkung von
europäischen Regeln und Kontrollinstanzen für Rüstungsexporte in Dritt-
staaten einhergehen;

7. Entscheidungen über Rüstungs- und Waffenexporte mit einer Endverbleibs-
klausel zu versehen. Der Endverbleib ist regelmäßig zu überprüfen;

8. basierend auf den Normen und Werten des Montreux-Dokuments, eine
Registrierungs- und Mitteilungspflicht für die in Deutschland ansässigen
privaten Sicherheitsfirmen und Militärdienstleister und ihre ausländischen
Vertragsabschlüsse einzuführen und die Tätigkeit dieser Unternehmen in die
Systematik der Rüstungsexportkontrollen zu integrieren;

9. ein Mindestmaß an Transparenz und Öffentlichkeit dadurch herzustellen,
dass Unternehmen und Vertragsbeteiligte, die einen Antrag zur Genehmi-
gung von Rüstungsexporten stellen, im Antragsverfahren darzulegen haben,
ob und wenn ja, in welcher Höhe, sie in den jeweils zurückliegenden fünf
Jahren Parteispenden an welche Partei geleistet haben.

Berlin, den 28. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
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Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüs...

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